Mykilos
Die Berliner Designer über ihre Werkstatt, ungemütliche Designklassiker und dünne Jungs in Speedos
Bauhaus, Redesign und Stracciatella: Philipp Schöpfer und Daniel Klapsing gehören mit ihren Labels 45 Kilo und Mykilos zum interessantesten, was deutsches Design zurzeit zu bieten hat. Ihre Produkte scheinen wie selbstverständlich auf diese Welt und in diese Zeit zu gehören. Wir sprachen mit Daniel im Berliner Studio über Mädchenträume, Massenfertigung und die Schönheit von Fleischtheken.
Ihr habt einen interessanten Werdegang: Wie hat alles angefangen?
Wir haben zusammen in Weimar an der Bauhaus-Universität studiert und angefangen, gemeinsam aufzulegen und Mode zu machen. Letzteres bestand in erster Linie aus dem Umnähen von Hemden und dem Bemalen von T-Shirts. Kurz darauf wechselten wir zum Entwerfen von Möbeln. Dabei ging es uns immer darum, ein Produkt aus unseren eigenen Bedürfnissen und Ansprüchen heraus zu entwickeln: Wir teilten uns zu diesem Zeitpunkt eine Tischplatte, die auf einem Eiermann-Gestell platziert war. Wir haben uns – und das kann jeder nachvollziehen, der diese spezielle Unterkonstruktion kennt – immer wieder die Schienbeine an dem Gestell gestoßen. Also haben wir eine Schubladenplatte entworfen und das Eiermann-Vorbild mehrfach redesigned, bis es unseren Ansprüchen entsprach und mehr Beinfreiheit bot. Das war eigentlich der Beginn unserer Karriere als Produktdesigner und auch die Initialzündung für die Herangehensweise an zukünftige Projekte.
Wie habt ihr dann weitergemacht?
Wir haben den Vitra-Katalog 100 Masterpieces nach dem Kriterium, welches der dort abgebildeten Möbelstücke am leichtesten nachzubauen ist, gefiltert: So kamen wir zu dem Ply Chair von Jasper Morrison! Den haben wir dann imitiert und festgestellt, dass unsere Kopie wahnsinnig unbequem ist. Das Original funktioniert da schon besser. Als nächstes fügten wir Knicke hinzu – wir hatten an der Uni Zugriff auf eine 5-achsige CNC-Fräse – und entwickelten den Stuhl über sieben Modelle zu einem immer bequemeren und ergonomischeren Produkt bis zum finalen Entwurf. Auf Messen bekamen wir unheimlich gutes Feedback von Händlern und Privatpersonen, und so entschlossen wir uns, eine kleine Serie selbst herzustellen – und das ist bis heute so geblieben, nur das wir mittlerweile über 50 verschiedene Produkte im Sortiment haben.
Das heißt, ihr seid eure eigenen Produzenten?
Ja, die Nachfrage wollten wir natürlich bedienen. Mittlerweile machen wir, aufgeteilt auf zwei unterschiedliche Marken, eigentlich drei Dinge: Wir sind Produktdesigner und entwerfen unter dem Namen 45 Kilo für Hersteller wie EQ3, Hans Hansen oder ophelis Möbel. Dazu kommt unter demselben Namen das Geschäftsfeld Interiordesign, in dem wir vor allem Büroeinrichtungen und Küchen gestalten und auch selber produzieren. Und als letztes gibt es seit 2013 unser Label Mykilos, das sich um die serielle Herstellung und den Vertrieb einiger unserer Entwürfe kümmert – aber in Zukunft auch vermehrt Möbel anderer Designer umfassen soll.
Wie kamt ihr zu dem Namen 45 Kilo?
Der Name basiert auf einer Geschichte über eine Gruppe von Weimarer Teenagern, die einen nächtlichen Ausflug ins Schwimmbad machen. Alle sitzen schüchtern in der Ecke, bis sich einer der Jungen zu den Mädchen rüber traut, vor ihnen nur mit seiner Speedo bekleidet aufbaut und sagt: „Schaut her, ich bin 45 Kilo Mädchentraum!“ Die Formulierung „45 Kilo“ wurde in unserem Freundeskreis schnell zum Synonym für den Mut, sich zu produzieren, obwohl man eigentlich noch gar nicht so viel zu zeigen hat. Das fanden wir passend für unseren anfänglichen Zustand. Wir hätten uns natürlich auch Schöpfer & Klapsing nennen können, aber wir wollten nie so ein Studio werden, in dem alle für den Namen und Ruf einer Privatperson arbeiten.
Hattet ihr von Anfang an eine Philosophie für euer Design?
Zu Beginn haben wir – damals haben wir es nur noch nicht so genannt – bei vielen unserer Entwürfe Redesign betrieben. Mit der Zeit ist uns das immer klarer geworden: Daher steht auch „Redesign-Studio“ unter unserem Namen an der Eingangstür. Aber meist sind es unsere eigenen Ansprüche und Bedürfnisse, die den Anlass und die Grundlage für unsere Gestaltungsansätze darstellen. Und da wir relativ viel für unser eigenes Label entwerfen, sind wir als Designer in der luxuriösen Situation, auf der Produktseite fast ausschließlich unserem eigenen Antrieb folgen zu können.
Welche Rolle spielt Materialität für euch: Ihr habt ja einen Hang zu ausgefallenen Oberflächen?
Das kann ich dir anhand der Tischoberfläche dieses Busy Table erklären: Wir hatten vor drei Jahren den Gedanken, dass ein Terrazzo-Boden doch eine wirklich schöne Oberfläche ist, die man vom Fußboden in die Tischplatte übertragen sollte. Wir hatten dann das Angebot für eine Ausstellung in London, ein Produkt zu entwickeln und durften im Prinzip machen, was wir wollten. Das Ergebnis waren die Summer Bowls, die inspiriert waren von Eiscreme – ihren Geschmäckern und Farben. „Stracciatella“ als Oberfläche mit unterzubringen war wohl die größte Herausforderung, aber es gab eine Corian-Sorte mit ähnlichem Aussehen. Also haben wir daraus einen Deckel für die Schalen entwickelt, der es uns sehr angetan hat. Und mit der Ausstellung kam auch einige Presse und damit einhergehend ein Schwung von Anfragen für diese Objektserie. Doch es gab zwei Probleme: Genau zu diesem Zeitpunkt ist genau dieses wunderschöne Corian-Dekor vom Markt verschwunden, und es wäre auch viel zu teuer für diese Art von Produkt gewesen. Einer unserer Ansprüche ist es ja, dass sich viele Leute unsere Sachen leisten können. Also haben wir sehr lange nach einer Alternative gesucht, bis wir eines Tages im Supermarkt vor der Fleischertheke standen und dort, in Form eines Schneidebretts, exakt die von uns gewünschte Oberfläche entdeckten. Aus lauter Freude haben wir daraus eine ganze Stracciatella-Kollektion entwickelt. Das symptomatische an der Geschichte ist, dass es einfach so passiert ist, ohne dass wir es geplant haben. Und jetzt konnten wir die Summer Bowls, drei Jahre nach ihrem ersten Auftritt, in Stockholm zeigen.
Und ist das Produkt jetzt bezahlbar?
Ja! Und das ist für uns ein ganz entscheidender Punkt: Natürlich geht es uns bei unseren Objekten um Ästhetik und Qualität – aber der aus unserer Sicht ideale Dreiklang wird erst im Zusammenspiel mit einem einigermaßen demokratischen Preisansatz gebildet. Wir haben auch keine Angst vor Masse, und es soll auch nicht zu elitär sein. Das Bauhaus war eine großartige Institution, aber es war von Anfang an elitär. Der Anspruch der Massenfertigung wurde leider nie in die Realität umgesetzt. Erst durch die vielen Kopien und Redesigns wurde die Idee wahr – und genau so gehen wir mit unseren Entwürfen um. Wir arbeiten so lange daran, bis sie auf allen Ebenen funktionieren, und das beinhaltet auch den Preis. Wenn wir eine Möglichkeit sehen, dass eins unserer Produkte durch eine gestalterische Änderung, die es von der ursprünglichen Idee entfernt, zugänglicher wird, dann verfolgen wir diese. Das ist für uns ein essenzieller Aspekt unserer Arbeit.
Woher kommt dieser Anspruch?
Das kommt aus unserer persönlichen Erfahrung: Von Anfang an gab es immer auch Freunde, die unsere Produkte gut fanden und sie haben wollten. Aber oftmals waren die Preise einfach zu hoch! Wenn man es aber schafft, dass sich Freunde unsere Sachen leisten können, haben wir vieles richtig gemacht.
Was soll als nächstes passieren?
Wir haben den Traum, eine größere Werkstatt aufzubauen. Im Moment sind wir noch stark abhängig von der Auslastung, den Lieferzeiten und Preisen unserer externen Produzenten. Das würden wir gerne ändern. Und dazu kommt, dass ich es vermisse, selber in der Werkstatt zu stehen und während des Entstehungsprozesses Einfluss auf die Gestaltung zu nehmen. Während unseres Studiums haben Philipp und ich fast jeden Tag in irgendeiner Werkstatt gestanden und dort am meisten über den Designprozess gelernt – mehr, als in jedem anderen Seminar oder Vortrag. Dort passieren Dinge, die man nicht planen kann, die aber unheimlich reizvoll sind. Auch dazu gibt es wieder ein gutes Beispiel: Wir haben ein Redesign der Potence-Lampe von Jean Prouvé gemacht, die Hallo Work-Leuchte. Uns war wichtig, dass man zusätzlich zu den bereits bestehenden Funktionen auch noch die Höhe einstellen kann, ohne komplizierte Mechanik. Während des Entwurfsprozesses haben wir den Prototypen für einen Transport verpacken müssen und ihn in Folie eingewickelt und diese mit Klebestreifen fixiert. Dabei ist uns aufgefallen, dass diese simple Befestigungsform das Drahtseil, das wir als Abhängung benutzten, so fest hält, dass der Auslegerarm der Leuchte in seiner Höhe variiert werden konnte. Darauf wären wir auf dem Papier oder vor dem Rechner nie gekommen, und genau das ist der Grund, warum wir gern eine größere Werkstatt aufbauen wollen, in der wir sowohl Prototypen als auch Maßanfertigungen oder kleinere Serien fertigen können.
Und wie kommt ihr auf euer nächstes Produkt?
Das wird kaum von uns geplant. Dafür steht die Entstehungsgeschichte von Egg Rock: Meine Freundin hat mir eines Tages gesagt „Mach doch mal einen Eierbecher aus Marmor“. Am nächsten Morgen war der gezeichnet und seitdem machen wir Eierbecher aus Marmor.
Daniel, vielen Dank für das Gespräch!