Alexander Taylor
Der Londoner Designer im Gespräch.
Alexander Taylor bewegt sich auf vielschichtigen Pfaden. Mit seinem 2002 gegründeten Studio hat sich der Londoner Designer zunächst mit Möbeln und Leuchten für Established & Sons, Zanotta und ClassiCon einen Namen gemacht. Seit 2008 konzentriert er sich vorrangig auf Turnschuhe – und hat der Branche mit seinem gestrickten PrimeKnit Speaker für Adidas eine neue Richtung vorgegeben. Wir trafen Alexander Taylor in seinem Londoner Studio und sprachen mit ihm über sportliche Transfers, umweltschonende Fasern und holistisches Denken.
Alexander Taylor, Sie haben sich als Möbel- und Leuchtendesigner einen Namen gemacht und sind dann in eine komplett andere Richtung gegangen: Die Gestaltung von Turnschuhen. Was war der Grund für diesen Schritt?
Schuhe sind natürlich etwas vollkommen anderes als Möbel. Doch sie sind auch ein Teil des Produktdesigns. Für mich kam dieser Bereich gerade im richtigen Moment. Mit der Krise 2008 brach ein extremer Wettbewerb unter den Möbeldesignern aus. In Sportschuhen sah ich eine gute Möglichkeit, auch weiterhin entwerfen und etwas Neues auszuprobieren zu können. Hinzu kommt: Ich liebe Sport. Insofern hat es auch von dieser Seite gepasst.
Wann haben Sie den ersten Schuh entworfen?
Das war 2008. Ich wurde zusammen mit anderen Designern von Adidas eingeladen, ein Projekt für die Olympischen Sommerspiele 2012 in London zu gestalten. Das Briefing war sehr klar: Sie wollten einen Transfer aus einer anderen Welt, weswegen sie ganz bewusst auf Gestalter aus anderen Disziplinen zugegangen sind. Diese Übergänge sind immer ganz spannend. Also habe auch ich geschaut, was ich aus dem Möbelbereich verwenden kann und mich von Stühlen inspirieren lassen.
Zum Beispiel?
Natürlich hatte ich den Slow Chair von den Bouroullec Brüdern im Sinn. Doch auch bei Bürodrehstühlen gab es zahlreiche Lösungen mit technischen Netzen. So bin ich auf einen Prozess gekommen, der für die Schuhindustrie noch fremd war: Stricken. Ich habe mir dann zahlreiche Kunststoffe und Textilien angeschaut und überlegt, wie ich Stabilität und Stärke erzeugen kann. Es ging bei diesem Projekt erst einmal um ein Einzelstück und keine Serienproduktion. Insofern konnten wir auch aufwändigere Prozesse ausprobieren. Erst später haben wir herausgefunden, dass Nike zur selben Zeit an dem Thema gearbeitet hat. Doch auf dem Markt hat es in diesem Moment nichts Vergleichbares gegeben.
Welche Vorteile bietet der Strick-Prozess?
Die Oberfläche ist dreidimensional und besitzt etwas ausgesprochen Taktiles. Zudem lassen sich beeindruckende Farbverläufe erzeugen. Das Hauptargument ist jedoch vor allem die Vereinfachung der Produktion. Die meisten Schuhe werden aus über zwanzig Teilen zusammengeklebt und vernäht. Vor allem bei Turnschuhen schien es lange Zeit eine Regel zu sein, die Anzahl der Teile noch weiter zu erhöhen, um ein noch besseres Modell zu kreieren. Ich hatte 2004 die Leuchte Fold für Established & Sons entworfen, bei der sich alles um Reduktion drehte. Und die gelingt am besten, wenn man nur mit einem einzelnen Material arbeitet und davon die gesamte Ästhetik eines Produkts bestimmen lässt. Diesen Ansatz wollte ich weiterverfolgen. Und dafür war Stricken genau der richtige Weg.
Wie sind Sie beim Entwerfen vorgegangen?
Ich habe sehr viele Prototypen angefertigt, weil man Strickzeug nicht wirklich zeichnen kann. Darum habe ich mir eine spezielle Maschine in meinem Studio angeschafft. Es ist besser, verschiedene Muster in eine Besprechung mitzubringen und auf den Tisch zu legen. Dann kann man genau sagen, dass man ein bestimmtes Detail auf diese oder Weise lösen möchte. Interessanterweise hat sich mit der Zeit auch die Anwendung verschoben. Anfangs sollte ein reiner Tennisschuh entstehen, wofür wir bestimmte Anforderungen erfüllen mussten. Als jedoch immer klarer wurde, was für ein Potenzial in dieser Verarbeitung steckt, wanderte das Projekt in den Bereich Laufschuhe. Insgesamt viereinhalb Jahre Entwicklungsarbeit stecken in diesem Schuh, bis wir ihn 2012 unter dem Namen PrimeKnit vorgestellt haben.
Wie ging es danach weiter?
Ich bin weiterhin für Adidas als Berater tätig. Der Großteil meiner Arbeit besteht darin, herumzuexperimentieren und neue Konzept-Modelle anzufertigen. Sie dienen als eine Art Werkzeugkiste für das Designteam, das daraus Ideen für neue Produkte entwickeln soll. Ich besuche sehr viele Technikmessen und schaue, was auf diesem Gebiet passiert. Das hat mit der Design- und Möbelwelt überhaupt nichts zu tun. Doch es ist spannend, was für eine Energie und was für Ressourcen dort zu finden sind. Das beflügelt automatisch ein neues Denken.
Für Aufsehen haben Sie 2015 mit einem Schuh aus recycelten Fischernetzen gesorgt. Das Projekt ist eine Kooperation zwischen Adidas und der Umweltinitiative Parley, die sich für die Beseitigung von Kunststoffmüll in den Meeren einsetzt. Worum ging es hier genau?
Den Anstoß für das Projekt gab ein riesiges Stellnetz, das vor der Küste Westafrikas aus dem Ozean geholt wurde. Das Netz war 72 Kilometer lang und zwei Kilometer hoch und bestand aus reißfestem Nylon. Wenn solche Netze erneuert werden, werden sie oft in Teile geschnitten und ins Meer gelassen. Diese Geisternetze sind ein großes Problem, weil sie alles töten, was sich in ihnen verfängt. Die Idee war, das gebrauchte Netz zu reinigen und in ein Produkt zu übersetzen. Der kanadische Wissenschaftler John Warner hat uns dabei unterstützt, aus dem Material eine Faser zu extrahieren, mit der wir einen Schuh bauen konnten. Es dauerte viereinhalb Wochen, um dieses Netz aus dem Wasser zu ziehen, und plötzlich entstand daraus ein Produkt, das bei der UN vorgestellt wurde. Das war fantastisch.
Ihr Interesse gilt längst nicht nur gestrickten Kunststofffasern. Mit dem Schuh Futurecraft Leather (2015) für Adidas haben Sie auch dem Lederschuh zu einer neuen Verarbeitung verholfen. Worin besteht hierbei die Innovation?
Lederschuhe werden seit einhundert Jahren nach demselben Muster gefertigt: Das Material wird in unterschiedlichen Stärken geliefert. Dann werden Teile herausgeschnitten, die anschließend wieder zusammengenäht und verklebt werden. Wenn wir stattdessen das Material in nur einer Stärke verwenden und es mit Maschinen an einigen Stellen etwas dünner machen, lässt sich dieses Teile-Puzzle umgehen. Im Grunde ist es Dasselbe wie beim Stricken: Wir fertigen einen Schuh aus einem zusammenhängenden Stück und reduzieren somit die Arbeitsschritte. Das Ergebnis ist nicht nur eine andere Ästhetik. Das Produkt wird dadurch sehr viel robuster und leistungsstärker.
Kann man sagen, dass Ihre Arbeit einem Moderator gleicht, der zwischen getrennten Parteien vermittelt?
Genau. Es gibt viele Firmen mit sehr speziellen Maschinen. Aber sie wissen nicht immer, was sie damit machen sollen. Ich denke, dass darin die neue Aufgabe der Designer liegt: ein Projekt holistisch voranzubringen und interdisziplinär einzubinden. Darum sage ich immer zu meinen Studenten am Londoner Royal Collage: Seid nicht so fokussiert auf das finale Objekt. Sicher braucht man ein Briefing. Es ist schwer, einfach so über ein neues Material nachzudenken, ohne zu wissen, welche Anforderungen es erfüllen soll. Doch wenn man eine Richtung hat, kann man über all die anderen Möglichkeiten nachdenken und die richtigen Leute mit an Bord holen. Ich habe neulich mit einem Chemiker gesprochen, und er könnte durchaus Teil des Entwicklerteams bei Adidas werden. Ich bringe ständig solche Leute zusammen, weil sich damit spannendere Wege finden lassen.
Hat Sie das Schuh-Thema nun völlig in den Bann gezogen oder schauen Sie auch auf andere Bereiche?
Ich möchte nicht exklusiv für die Schuhindustrie arbeiten, sondern Lösungen auf andere Branchen übertragen. Mobilität und Bewegung sind der Schlüssel. Natürlich denke ich an die Automobil- und Raumfahrtindustrie. Doch auch bei Elektronikprodukten gibt es eine große Motivation und viel Energie. Das heutige Problem ist, dass viele Firmen bei denselben Zulieferern einkaufen, weswegen sich auch die Produkte ähneln. Ich denke, dass man jedoch die Zulieferkette in die eigene Hand nehmen und aus dem großen System herauslösen muss. Das wird sich vielleicht nicht gleich auszahlen. Doch dafür lohnt es sich auf langfristige Sicht. Unsere Produkte könnten so viel cleverer sein, wenn die Unternehmen ihre eigenen Materialien produzieren würden.
Vielen Dank für das Gespräch.