Arik Levy
Der Pariser Designer über interaktive Möbel, zeitgenössisches Mittelalter und Requisiten für Lady Gaga.
Arik Levy denkt gerne zweigleisig. Während andere Kollegen Design und Kunst in einen Topf werfen, werden beide von ihm strikt getrennt. Seine schimmernden, kristallinen Skulpturen zeigt er als Einzelstücke oder limitierte Editionen in Galerien. Seine gestalterischen Arbeiten für Unternehmen wie Vitra, Artemide oder Ligne Roset sind dagegen klar für die Serie programmiert. Wir trafen den Wahl-Pariser in Köln und sprachen mit ihm über interaktive Möbel, zeitgenössisches Mittelalter und Requisiten für Lady Gaga.
Herr Levy, Loungesessel sind derzeit allgegenwärtig. So auch auf der diesjährigen Kölner Möbelmesse. Was macht diese Typologie so interessant?
Es gibt einen großen Boom für Vintage. Vor allem die fünfziger Jahre sind derzeit sehr präsent. Und Loungesessel sind ein wichtiger Teil davon. Ein weiterer Grund ist, dass diese Möbel immer ein Statement sind. Wenn man sie in ein Wohnzimmer mit einem einfachen Sofa stellt, ziehen sie die Blicke auf sich und definieren den Raum. Dasselbe gilt für Lobbys und Wartebereiche, weswegen Loungesessel für die Ausstattung von Hotels und Büros immer wichtiger werden. Wenn ich im Zug oder Flugzeug mein Smartphone benutze, versteht jeder sofort: „Sprich nicht mit mir. Ich bin in meiner Blase.“ Bei Loungesesseln ist es dasselbe. Sie blockieren nicht die ganze Geräuschkulisse. Doch sie reduzieren sie und sorgen für Intimität.
Es geht also um eine temporäre Abkapselung?
Nicht nur. Denn schlussendlich wollen wir ja interagieren. Die Welt dreht sich um Menschen, nicht um Möbel, Züge oder Autos. Zu kommunizieren, ist Teil unserer Natur. Wir wollen sprechen, küssen, uns umarmen. Ein Loungesessel kann auch ein Verhaltenswerkzeug sein. Man setzt sich hinein und verschwindet. Oder man dreht sich in diesem Sessel zu einer Person hin, um mit ihr besser reden zu können. Das funktioniert natürlich am besten, wenn die Sessel mit großen Ohren ausgestattet sind. Offene Sitzmöbel haben nicht denselben Effekt. Man fühlt sich in ihnen schnell ausgeliefert.
Auch sie haben gerade für Palau den Loungechair Rama auf der imm cologne vorgestellt. Worin lag ihr Ansatz?
Für diese Alkoven-Sessel gibt es unzählige Referenzen in der Vergangenheit. Nichts ist erfunden. Wenn man von der Rückseite schaut, wirkt der Stuhl wie ein gefaltetes Blatt Papier, wie Origami. Die Innenseite vermittelt einen visuellen Komfort, bevor man sich hinsetzt. Der Sessel ist groß und komfortabel, doch er dominiert nicht den Raum. Er spricht eine eigene Sprache, ohne deswegen gleich schreien müssen.
Ist er ein typischer Arik-Levy-Entwurf?
Er besitzt auf jeden Fall eine Signatur. Auf Messen könnte man die Namen vieler Firmen an einen anderen Stand kleben und es würde funktionieren. Wenn das passiert, ist etwas falsch gelaufen. Mein Job besteht nicht darin, Arik Levy zu promoten. Das tue ich mit meinen künstlerischen Arbeiten, die ich vom Design klar trenne. Doch Produkte zu entwickeln, nur um mich selbst auszudrücken und glücklich zu machen, ist kontraproduktiv für die Unternehmen. Es ist wichtig, zu erkennen, dass dieser Sessel von Palau ist. Der Name eines Designers sollte durch eine wiedererkennbare, visuelle Signatur des Unternehmens projiziert werden.
Beschreiben Sie uns, wie Sie wohnen.
Ich bevorzuge ruhige Räume, die mit wenigen Einzelstücken akzentuiert werden. Wenn ich Neues hinzufüge, schmeiße ich anderes wieder hinaus. Vor drei Monaten war die Wohnung sehr leer, weil ich viele Möbel verschenkt habe. Als ein Freund zu Besuch kam, habe ich ihn gefragt, ob er den Tisch haben will. Ich habe dann zwei Böcke genommen und eine alte Tür darauf gelegt. Das hat mich glücklich gemacht, weil es unprätentiös und einfach war. Meine Kinder sind sieben und acht Jahre alt und konnten auf dieser Tür malen. Niemand musste sich um dieses Objekt sorgen. Dann habe ich das Sofa weggegeben. Raum ist so teuer, ganz gleich ob man ihn mietet oder kauft. Also haben wir sieben Monate lang ohne Sofa gewohnt.
Wie war die Erfahrung?
Großartig. Wir haben auf kleinen Stühlen gesessen und hatten plötzlich genügend Platz, um eine Eisenbahn im Zimmer aufzubauen oder andere Dinge zu machen. Hinzu kommt, dass ich nicht mit meinen eigenen Arbeiten leben möchte. Ich will mich nicht die ganze Zeit selbst sehen, sondern lieber andere. Vor einiger Zeit haben meine Frau und ich beschlossen, uns wieder ein Sofa zuzulegen – jedoch ein anderes als zuvor. An einem Sofa gefällt mir, dass ich mich hinlegen kann, ohne im Bett zu sein. Ich hasse schlafen. Natürlich brauche ich auch Schlaf. Doch für mich ist es eine riesige Zeitverschwendung (lacht).
Sie sind in Tel Aviv aufgewachsen. Warum haben Sie sich dafür entschieden, nach Paris zu ziehen?
Paris hat mich gewählt. Ich habe in Genf studiert und reiste dann erst einmal um die Welt. Meine damalige Partnerin ist Tänzerin und wir haben nach einem Ort gesucht, an dem Kunst, zeitgenössischer Tanz und Design zusammentreffen. Da gab es nur zwei Optionen: Paris und London. London war damals naheliegender, weil ich kein Französisch sprach. Ich bin gern in London und mag die Energie und die Leute. Doch ich möchte dort nicht wohnen. Es ist zu grau, zu regnerisch und die Fahrt vom einen Punkt im Zentrum zum anderen dauert ewig. Paris ist kleiner und dennoch international. Jeder kommt dort hin. Die Stadt ist reich an Kultur und die Tanzszene ist fantastisch. Nach zwei Jahren in Paris war die Frage des Wohin vom Tisch. Ich bin Vater geworden und seitdem dort geblieben.
Das Thema Tanz haben auch Sie für sich entdeckt: Sie entwerfen Bühnenbilder für verschiedene Tanzkompanien und Choreografen rund um den Globus.
Die darstellenden Künste sind für mich die beeindruckendsten. Es geht um Körper, Geist, Stimme, Klang, Raum, Licht und Architektur. Alles kommt zusammen. Wenn ich einen neuen Stuhl vorstelle, weine ich nicht. Natürlich gefällt mir diese Arbeit. Doch es erreicht nicht dieselbe, emotionale Ebene. Wenn man mit den Tänzern zwei Wochen lang Tag und Nacht im Theater zusammenarbeitet und plötzlich kommt der Moment der Uraufführung, dann ist das unglaublich bewegend und stark: Ein schöner Moment, an dem ich weine und genieße.
Bewegung haben Sie auch ins Design eingebracht wie mit Ihrer Leuchte Rhythm für den spanischen Hersteller Vibia: ein sehr spielerisches, veränderliches Objekt, das vom Benutzer verformt werden kann.
Die Interaktion mit den Menschen ist sehr wichtig für mich. Wenn die Leute an einem Produkt partizipieren können, machen sie daraus etwas eigenes. Es liegt in ihren Händen und ich als Designer bin dann nicht mehr da. Das mag ich sehr. Dasselbe Prinzip habe ich auch mit meiner Leuchte Reverso für Artemide angewandt.
Deren Schirm aus Glas gefertigt ist...
Ja, ein wirklich magisches Material. Es besteht aus Sand, der bei 1200 Grad zu einem Honig geschmolzen und anschließend geblasen wird – und eine Sekunde später ist es wieder erhärtet. Man kann mit Glas sehr vielseitig arbeiten, es schneiden, schleifen, färben und versilbern. Der Prozess ist pures Mittelalter: In den Werkstätten ist es über 40 Grad heiß, überall Rauch und Feuer. Doch gleichzeitig kann man in dieser Umgebung ein sehr zeitgenössisches Design realisieren. Bei der Reverso-Leuchte habe ich einen Schirm verwendet, dessen Außenseite in zwei Richtungen montiert werden kann. Einmal auf dem Kopf und einmal auf dem Bauch.
Man kauft also eine Leuchte und hat im Grunde zwei?
Genau. Wenn man nach ein paar Monaten oder Jahren gelangweilt ist, dreht man den Schirm um und die Leuchte sieht anders aus. Ich arbeite schon sehr lange mit Glas und habe reichlich Erfahrung, um nicht nur an der Form, sondern auch an der Optik zu arbeiten. Der innere Kegel, in dem sich die Lichtquelle befindet, deformiert die visuelle Erscheinung des äußeren Kegels. Es entsteht der Eindruck von etwas Flüssigem, als wenn das Glas noch heiß und veränderlich wäre. Genau darum geht es mir. Es ist die Fluidität, die ich mit diesem Entwurf einfangen wollte.
Erzählen Sie uns doch bitte noch eines: Designer tauchen in Klatschzeitungen eher selten auf. Ihnen ist dies vor kurzem gelungen, als Sie an der Ausstattung von Lady Gagas Apartment in der Fernsehserie American Horror Stories beteiligt waren. Wie kam es dazu?
Die Produzenten von Lady Gaga haben meine letzte Ausstellung in Los Angeles gesehen und vier Skulpturen für die Ausstattung der Serie ausgesucht. Mit dem eigentlichen Set-Design hatte ich jedoch nichts zu tun. Ich war total überrascht, als mich die Galerie anrief. Die Musik von Lady Gaga höre ich zwar nicht. Doch sie ist eine großartige Performerin. In der Serie besucht sie jemand in ihrem Penthouse, der meine Skulpturen interessant findet. Und sie antwortet, dass sie von Arik Levy sind. So etwas wird normalerweise nicht gemacht. Erst recht, weil wir dafür weder bezahlt noch darum gebeten haben. Selbst im Abspann haben wir eine Danksagung erhalten. Das war wirklich großartig. Am Tag nach der Ausstrahlung stand mein Telefon nicht mehr still (lacht).
Vielen Dank für das Gespräch.
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