Menschen

Atelier Bow-Wow

von Norman Kietzmann, 06.09.2011


Bellende Hunde gibt es viele. Bellende Architekten dagegen nur zwei. Dass Momoyo Kaijima und Yoshiharu Tsukamoto (Jahrgang 1969 und 1965) ihr Tokioer Büro 1992 „Atelier Bow-Wow“ tauften, zeugt nicht nur von einer gesunden Portion Selbstironie. Sie lenkten die Aufmerksamkeit schon frühzeitig auf jene Gebäude, die in der gängigen Architekturauffassung kaum Beachtung fanden: Japans winzige Häuser mit oft absurden Grundrissen und Formen, die Momoyo Kaijima und Yoshiharu Tsukamoto in ihrem viel beachteten Buch „Made in Tokio“ (2001) ins internationale Bewusstsein rückten. Dass Qualität beim Bauen keine Frage der Größe ist, zeigen sie auch mit ihren individuellen Eigenheimen, die sie wie maßgefertigte Kleider um das Leben ihrer zukünftigen Bewohner schneidern. Wir trafen Momoyo Kaijima in New York und sprachen mit ihr über schwebende Werkzeugkoffer, die Sprache der Hunde und Architektur ohne Architekten.


Momoyo Kaijima, während viele Architekten nach dem großen Wurf suchen, begannen Sie ihre Arbeit mit der Analyse intimer, fast unscheinbarer Micro-Architekturen in Japan. Worin liegt der Reiz der Winzigkeit?

Große Gebäude wirken häufig wie aus den Fugen geraten. Ihnen fehlt der menschliche Maßstab. In Japan gibt es viele winzige Gebäude, die wir „Pet Architecture“ nennen. Sie sind klein, aber niedlich. So wie Hunde oder Katzen. Viele Leute finden diese Gebäude hässlich, zumal sie häufig ohne Architekten gebaut werden. Mit unserem Buch „Made in Tokio“ wollten wir diese Wahrnehmung verändern, weil diese Gebäude für die Gesellschaft sehr wichtig sind. Die Leute, die sie gebaut haben, wollten ein Problem so gut wie möglich lösen. Auch wenn das Ergebnis oft seltsam aussieht, haben sie es ernst gemeint. Ich denke, dass ihre winzige Größe eine unmittelbare Wirkung auf die Menschen hat, weil sie die Auseinandersetzung mit der Architektur fördert.

Auch bei Ihren eigenen Gebäuden arbeiten Sie häufig im kleinen Maßstab und legen den Schwerpunkt auf private Wohnhäuser. Worauf kommt es dabei an?

Wir haben beim Entwerfen von kleinen Häusern gelernt, mit Raum sinnvoll umzugehen. In Städten wie Tokio gibt es nur sehr wenig Wohnraum. Also müssen wir sehr präzise überlegen, was wir dort erreichen wollen. Wir versuchen, den Charakter des Orts zu erfassen und ihn in das Gebäude einzubringen. Die meisten dieser Häuser füllen ihre Grundstücke fast vollständig aus. Darum können wir auf ihre Umgebung kaum Einfluss nehmen. Was wir allerdings verändern können, ist die Art und Weise, wie sie mit ihrer Umgebung in Kontakt treten. Eine Beziehung zwischen einem Haus und seinen Nachbargebäuden herzustellen, ist ebenso unsere Strategie für die Unterteilung der Räume im Inneren.

Auf der Architektur-Biennale in Venedig 2010 haben Sie diesen Verhaltensmustern, die oft eine unkonventionelle Passage durch die einzelnen Räume vollziehen, die Ausstellung „Behaviorology“gewidmet. Was soll dieser Terminus bedeuten?

Wir wollen das Verhalten der Bewohner im Inneren der Gebäude auf eine angenehmere und interessantere Weise aktivieren. Das kann über die Anordnung der Fenster, der Treppen oder unterschiedliche Raumhöhen erfolgen. Auch Farben, Materialien oder die Integration von Vegetation können eine neue Qualität erzeugen. Die Beobachtung des urbanen Raums ist eine gute Methode, um über die innere Logik eines Hauses nachzudenken. Vor allem die Zwischenräume spielen dabei eine wichtige Rolle für uns, indem wir diese Lücken bewusst ausnutzen und eine Beziehung zur Umgebung herstellen. Das nutzt nicht nur den Bewohnern des Hauses, sondern erzeugt auch einen Mehrwert für die Nachbarn.

Eine betont offene Architektur haben Sie mit dem Entwurf des BMW Guggenheim Lab in New York vorgestellt. Der transportable Pavillon dient als temporärer Veranstaltungsraum und soll im nächsten Frühjahr weiter nach Berlin ziehen. Was hat es mit dem Gebäude auf sich, dessen tragende Struktur nicht aus Stahl, sondern aus leichtem Karbon gefertigt wurde?

Das Gebäude ist lediglich ein Dach, das wir uns als ein Lager von Werkzeugen vorstellen. Darin haben wir die Beleuchtung, Bildschirme, technisches Equipment sowie Boxen für die Aufbewahrung von Möbeln eingehangen. Auch wenn Karbon als Baumaterial für „richtige“ Gebäude nicht erlaubt ist, konnten wir es für dieses Projekt verwenden, da der Pavillon nur temporär genutzt wird. Karbon hat den Vorteil, dass sich das Gerüst leicht transportieren und ebenso leicht montieren lässt. Ein Träger von vier Metern Länge kann locker von zwei Personen mit den Händen getragen werden. Das macht alles viel einfacher. Unterhalb dieses schwebenden Dachs entsteht ein Raum mit unterschiedlichen Aktivitäten, eine Sammlung von vielen „Micro Public Spaces“. An einer Stelle gibt es eine Diskussion, weiter hinten wird ein Spiel gespielt, vorne laufen Passanten lediglich daran vorbei.

Können Sie genauer erklären, was Sie unter einem „Micro Public Space“ verstehen?

Ein „Micro Public Space“ ist ein kleiner öffentlicher Raum. Wie hier, wo wir gerade sitzen. Auch um uns herum liegt ein „Micro Public Space“. Der öffentliche Raum – sei es ein Park, ein Platz oder eine Straße – ist die Summe aus vielen „Micro Public Spaces“, deren Größe sich durch die Anzahl der Personen oder deren Nähe zueinander verändert. Unsere Vorstellung eines „Micro Public Spaces“ ist ein Ort von hoher Flexibilität. Darum funktioniert auch dieser Pavillon nicht wie ein klassisches Gebäude, sonder eher wie eine Straße.

Sie sprachen vorhin das Verhalten an, das bei der Planung Ihrer Bauten eine zentrale Rolle spielt. Auch für das BMW Guggenheim Lab haben Sie ungewöhnliche Möbel entworfen, mit denen der Bau bespielt werden kann.


Ja, es gibt diese großen Objekte aus Holz. Von der einen Seite funktionieren sie wie eine Treppe, auf die man sich wie auf eine Tribüne setzen kann. Von der anderen Seite wirken sie wie ein hoher Tisch, an den man sich anlehnen kann. Die Treppe gibt dem Verhalten der Menschen eine physische Richtung, indem sie diese dazu bringt, auf der einen oder anderen Seite Platz zu nehmen. Möbel können das Verhalten in einem Gebäude unmittelbar beeinflussen. Sie sind für uns aber auch sehr wichtig, um das Programm in diesem oder jenem Raum genau zu bestimmen. Die Stühle, Tische und Treppen können über Seile nach oben befördert werden, um flexibel auf die Nutzung zu reagieren. Wir haben sie extra in warmen, pastelligen Farben gestrichen, damit sie eine freundliche  Wirkung haben.

Stimmt es, dass der Name „Bow-Wow“ daher stammt, weil Ihr Vater jeden in der Familie mit „Hund“ angesprochen hat?

(lacht) Ja, das stimmt. Meine Eltern hatten eine Hündin, ein Mischling, die uns immer zum Lachen gebracht hat. Sie lebt schon seit über zehn Jahren nicht mehr. Aber wir müssen immer noch an sie denken. Als sie noch ganz klein war, ist sie meinen Eltern zugelaufen. Also haben wir uns um sie gekümmert. Ihr Name war „Ume“, das japanische Wort für Pflaume, weil meine Eltern sie unter einem Pflaumenbaum gefunden hatten. Mein Vater hat später jeden in unserer Familie mit dem Kosewort für Hund angesprochen, darunter auch meinen Mann und Partner Yoshiharu Tsukamoto. Davon könnten wir uns gar nicht mehr befreien – selbst bei der Arbeit nicht (lacht). Das Lustige an Hunden ist, dass sie zwar überall gleich bellen. Doch die Menschen hören ihnen überall ganz anders zu. Darum heißt unser Büro in Japan auch anders als in Europa. Denn Hunden bellen bei uns nicht mit „bow-wow“, sondern „uon uon“.

Also hat der Hund Ihrer Eltern Ihr Interesse an „Haustierarchitekturen“ geweckt?

Ja, vielleicht (lacht). Allerdings war die ursprüngliche Idee hinter „Pet Architecture“ überhaupt erst einen Begriff für diese Häuser zu finden. Schließen sind sie viel zu klein, um als Gebäude durchzugehen. Für sie gibt es einfach keine Kategorie. Über den Vergleich mit Haustieren konnten wir dennoch über sie als Architektur sprechen.

Was haben Sie als Architekten von diesen Gebäuden gelernt?

Dass auch Nicht-Architekten mitunter interessante Gebäude entwerfen können. Und zwar deswegen, weil sie ihre eigenen Bedürfnisse genau durchdacht haben. Wir Architekten denken manchmal zu viel über die Präsentation oder die Ästhetik eines Gebäudes nach, was die Ehrlichkeit eines Entwurfs empfindlich stören kann. Darum ist es sehr wichtig für uns, einen engen Dialog mit den Auftraggebern und dem jeweiligen Ort zu suchen. Dieser Dialog gibt einem Projekt die nötige Tiefe.

Sie haben einmal gesagt, dass Sie Angst vor großen Gebäuden haben. Warum?

Weil viele große Gebäude einfach nicht interessant sind (lacht). Allerdings haben auch wir Projekte in einem größeren Maßstab angenommen. Doch es kommt immer darauf an: Größe macht für uns vor allem dort Sinn, wo sie viele Menschen zusammenbringt. Wir sind zum Beispiel gerade dabei, den Vorplatz für einen Bahnhof in Tokio zu gestalten, bei dem es eine direkte Beteiligung der Bürger gibt. Wir haben dafür einen Workshop eröffnet, wo wir verschiedene Ideen miteinander diskutieren und auf die Vorstellungen der Bürger eingehen. Wir wollen auf diese Weise unsere Angst vor großen Gebäuden verlieren. Denn auch sie können freundlich sein.

Vielen Dank für das Gespräch.

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Links

Atelier Bow-Wow

www.bow-wow.jp

BMW Guggenheim Lab

bmwguggenheimlab.org

Mobile Urbanität

Baunetzwoche #233

www.baunetz.de

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