Authentische Raumcollagen
Ein Gespräch mit dem Modiste-Gründer Marick Baars
Die Flucht vor einer professionellen Zukunft im Digitalen und die Liebe zum Handwerk brachten Marick Baars dazu, Modiste Studio zu gründen. Auf dem Weg zu seinen detailverliebten Interiors beschäftigt er sich mit guten Materialien und natürlichen Mustern – aber nie mit Professionsgrenzen.
Marick Baars hat mal als Grafiker in Rotterdam gearbeitet. Heute führt er das 2011 gegründete Modiste Studio in Berlin. Was Baars gestaltet, trägt eine eindeutige Handschrift. In den von ihm entworfenen Räumen dominieren Holz, Stein und Ehrlichkeit. Auch in seinem lichtdurchfluteten Studio am Schöneberger Ufer, das sich im obersten Stockwerk eines Atelierhauses von 1910 befindet, erzählen Regale voller Materialproben von der Leidenschaft des Gestalters für Oberflächen und Texturen. Mit viel Mut zum Ungewöhnlichen und ästhetischem Fingerspitzengefühl stellt er einzigartige Raumcollagen zusammen: Ein Café oder eine Bar von Baars erkennt man auf den ersten Blick. Im Gespräch erzählt er, warum er Farbe tunlichst meidet, weshalb gute Raumgestaltung auch gutes Handwerk braucht und wie er aus einem einzigen, alten Baum einen warmen Eisladen gefertigt hat.
Marick, wie kamst Du zum Interiordesign?
Ich habe nach meinem Grafikstudium in Amsterdam in einer Werbeagentur gearbeitet. Eines Tages fragte uns Nike für ein Jubiläums-Event an und wünschte sich eine Museumsgalerie und einen Pop-up-Store. Damals war das Konzept mit temporären Shops noch recht neu. Die Agentur sagte: „Marick, du hast drei Monate, um das zu bauen.“ Und ich fragte nur: „Wie jetzt, bauen?“ So wurde ich abrupt mit der Gestaltung und Umsetzung eines Ladenkonzepts konfrontiert.
Wann und warum bist Du dann endgültig übergelaufen?
Irgendwas ist da bei mir hängen geblieben. Als ich etwas später meine eigene Branding-Agentur in Rotterdam hatte, bat mich ein Klient darum, ein Logo für eine Kaffeebar zu entwerfen. Ich sah meine Chance, die Räume zu gestalten und sagte: „Klar, kann ich machen – aber nur, wenn ich auch das Interior verantworte.“ Das war im Grunde der Launch von Modiste. Die neue Aufgabe kam genau im richtigen Moment, denn das Grafikdesign war gerade dabei, sich ins Digitale zu verlagern. Hier hatte ich hingegen eine Profession und ein Projekt gefunden, die in der realen Welt stattfinden. Ich muss die Dinge anfassen können.
Sieht man den Projekten von Modiste Deine berufliche Vergangenheit an?
Ich beobachte oft, dass die meisten Innenarchitekten mit einem Konzept, mit Formen und Volumen beginnen – und erst dann suchen sie Materialien, die dazu passen. Ich arbeite umgekehrt. Ich starte mit dem Material, schaue mir seine Oberfläche, seinen Charakter, die Farbe an und setze dann den Raum wie eine Collage zusammen. Diese strategische und kompositorische Herangehensweise erinnert sehr an die traditionelle Arbeitsweise eines Grafikers.
Weswegen man bei Dir auch Mut zur Farbe erwarten könnte. Du verwendest aber kaum Lacke und Lasuren. Warum nicht?
Ich arbeite nur mit authentischen Farben. Wenn ich einen Kontrast suche, dann schaue ich nach Werkstoffen, die diesen Kontrast natürlich mitbringen. Will ich ein helles Holz mit einem dunklen kombinieren, dann suche ich zwei passende Sorten, nicht die passende Beschichtung. Ich achte auf Struktur und Oberflächenwirkung, sehe Rhythmen und Muster. Ich arbeite mit allen Eigenschaften, die die Materialien besitzen.
Wo findest Du geeignete Materialien?
Ich habe ein gutes Netzwerk aus besonderen Zulieferern. Mein Holzspezialist rief mich beispielsweise eines Tages an und sagte: „Marick, ich habe eine 150 Jahre alte Ulme, die ich fällen muss. Willst Du die haben?“ Und ich sagte: „Ja klar!“ Wenn ich so unmittelbar mit jemandem arbeiten kann, dann habe ich als Gestalter eine ganz besondere Kontrolle. Ich suche mir aus, zu welcher Jahreszeit der Baum gefällt, wie er getrocknet oder das Furnier geschnitten wird. Das Holz dieser Ulme befindet sich übrigens heute im Interieur von Canal, einem Eisladen in den Hackeschen Höfen in Berlin. Der ganze Shop ist aus einem einzigen Baum gefertigt.
Die präzise handwerkliche Umsetzung ist bei Deinen Projekten ein wichtiger Faktor, beispielsweise im Denizen Workspace in Berlin-Kreuzberg. Warum ist Dir das so wichtig?
Auch mit einem limitierten Budget bekommt man so Projekte umgesetzt, die sich wertig anfühlen. Statt überall ein bisschen Geld reinzustecken, setze ich Schwerpunkte. Der Marmor im Denizen House ist echter Mamor, das Holz japanisches Kirschholzfurnier. Aber ich streiche die Kosmetik. Ich habe etwa darauf verzichtet, die Regale mit Umleimern zu versäubern. Man sieht an den Kanten das Birkensperrholz. Für die Konstruktion, Produktion und Kosten ist das eine sinnvolle Vereinfachung, denn die Bretter müssen nur zugeschnitten werden.
Du bist also auf gute Handwerker*innen angewiesen. Wie organisierst Du die Bauleitung an verschiedenen Orten?
Bei jedem meiner Projekte schaue ich mir die lokale Handwerkskultur und die verfügbaren Materialien genau an. In Deutschland gibt es viel Forstwirtschaft und eine lange Schreinertradition. In den Niederlanden, wo ich herkomme, spielt das Meer eine wichtige Rolle und wir haben eine etablierte Yachten-Industrie. Da habe ich dann Möbel-, aber auch Metallbauer, die sich auf millimetergenaue Einbauten verstehen. Diese Menschen zu finden, ist vielleicht der wichtigste Part meines Designprozesses.
Du würdest also nie etwas entwerfen und dann nur die Pläne übergeben?
Nein. Meine Regel lautet, niemanden mit der Umsetzung zu beauftragen, mit dem ich noch nie gearbeitet habe. So wie ich meine Projekte angehe, gibt es einen intensiven Austausch zwischen dem Handwerk und dem Design. Wenn ich mit den richtigen Spezialisten zusammenarbeite, dann bringen sie bei der Umsetzung ihr praktisches Wissen ein – ein wichtiger Beitrag für das beste Ergebnis. Nehmen wir beispielsweise den Bleistift: Augenscheinlich ein ganz simples Objekt. Aber wenn man analysiert, wie viele Menschen, Materialien und Produzenten in seine Herstellung eingebunden sind, sieht man, wie hochkomplex er ist. Das gilt auch für meine Arbeit. Das Ergebnis kommuniziert Leichtigkeit, dahinter stecken aber jede Menge Zeit, Expertise und Wissen.
Deine Entwürfe beziehen sich immer wieder auf japanische Ästhetik. Interiors stattest Du mit japanischer Tableware und Accessoires aus. Warum Japan?
Auf einer Reise durch Japan war ich fasziniert vom Handwerk dort. Die Qualität ist auf einem unvergleichlich hohen Niveau, die Ausbildung zum Meister quasi ein Lebenswerk. Während wir hier in Europa vielleicht viel Zeit in die Herstellung einer künstlerischen Skulptur investieren, verlassen wir uns bei den Alltagsdingen auf industrielle Massenware. Dazwischen gibt es nichts. In Japan ist das anders. Gläser, Geschirr und andere Gebrauchsgegenstände werden in Manufakturen hergestellt und die Handwerker sind mit ihrer Expertise in der Lage, eine hohe Stückzahl in hervorragender Qualität zu produzieren.
Die Verwendung von natürlich belassenem Holz ist auch etwas, was Dich mit Japan verbindet. Warum arbeitest Du so gern damit?
Wie auch Stein wird Holz quasi geerntet und nicht produziert. Es stellt deshalb eine Verbindung zur Natur her. Diese Verbindung geht uns besonders in Städten oft verloren. Und Materialien, die vorgeben etwas anderes zu sein – ich denke da an falschen Marmor oder Holzoptiken –, wirken auf die Raumatmosphäre. Sie machen Räume kälter, unpersönlicher. Und selbst wenn die Menschen sie nicht bewusst als Täuschung wahrnehmen, fühlen sie doch, dass etwas nicht stimmt. Architekten und Designer wollen das Problem dann oft mit viel Farbe oder Mustern lösen, um davon abzulenken. Natürliche Materialien aber kommen mit Unregelmäßigkeiten und Unterschieden daher, die ein Interieur auch auf Dauer interessant wirken lassen. Das ist meine Sprache.