Menschen

Burkhard Vogtherr

von Tim Berge, 31.10.2011


Der deutsche Designer Burkhard Vogtherr entwirft seit rund 40 Jahren selbstständig Möbel, ist vielfach ausgezeichnet und arbeitete mit fast allen renommierten deutschen Herstellern zusammen. Und obwohl er für sein minimalistisches, klares Design bekannt ist, lassen sich in seiner Vergangenheit ein paar exzentrische Objekte finden, die mittlerweile hohe Sammlerpreise erzielen. Mit dem Schweizer Hersteller Girsberger zusammen entwickelt er nun Möbel für den Arbeitsplatz, die Funktionalität und gutes Design miteinander verbinden. Wir trafen Burkhard Vogtherr in seinem Studio im französischen Mulhouse und sprachen mit ihm über das U-Boot-Prinzip, Primär- und Sekundärarchitektur und darüber, warum er jahrelang nur „der Vogtherr mit dem Hund“ war.
 

Herr Vogtherr, lassen Sie uns erst mal über Ihre Anfänge sprechen. Wie kam es zu den ersten Aufträgen?
 
Ich hatte Glück. Nachdem ich als festangestellter Designer für Vitra gearbeitet hatte, empfahl mich ein Freund bei Rosenthal Einrichtung. Als mich Philip Rosenthal eines Tages anrief, setzte ich mich natürlich sofort ins Auto und fuhr zu ihm nach Bonn. Seine Firma war gerade von Wilkhahn und Rosenthal gegründet worden und benötigte neue Produkte. Philip Rosenthal sprudelte vor Ideen, die seinen Managern geradezu Angst machten. Es folgte eine schöne, interessante und erfolgreiche Zeit. Vor allem die direkte Zusammenarbeit mit Philip Rosenthal war für mich als junger Entwerfer in vielerlei Hinsicht sehr interessant. Er war ein richtiger Herrscher. Ich habe zum Teil komische Sachen gemacht, war dabei aber immer glaubhaft. „Der Vogtherr mit seinem Hund“ hieß es damals, weil ich immer mit meinem Hund durch die Werkstätten ging. Das passte zu der Zeit alles.
 
Wie gingen Sie damals Ihre Projekte an?
 
Wenn man jung ist, arbeitet man nach der U-Boot-Methode: Man bekommt ein Thema, sammelt Informationen, taucht ab und kommt irgendwann mit einer Idee wieder zum Vorschein. Außerdem habe ich mich natürlich viel mit Theorien beschäftigt, zum Beispiel mit Primär- und Sekundärarchitektur. Dahinter steckt die Idee, dass Schrankwände, Sofas, Tische und so weiter Teil der Architektur werden und in einer Wohnung bleiben sollten, auch wenn die Bewohner wechseln. Die Subjektivität entsteht durch Farben, Kissen, Bilder. Dahinter steckte auch ein sozialer Gedanke, da Möbel meistens sehr teuer sind. So entstand zum Beispiel das Bett mecum tecum für Rosenthal. Funktioniert hat es zwar am Ende nicht ganz so, wie ich es mir vorgestellt hatte, aber die Arbeit daran hat viel Spaß gemacht.
 
Diese Themen tauchen ja in den heutigen Design- und Architekturdiskussionen wieder auf – so falsch lagen Sie also gar nicht mit Ihren Ideen.
 
Ich glaube auch nicht, dass ich falsch lag. Heute ist allerdings die Situation eine andere. Vor vierzig Jahren gab es in der Einrichtung „gut“ oder „schlecht“, heute haben wir unzählige Stilrichtungen und Nuancen. Das hängt mit neuen Produktionsmethoden, Technologien und der weltweiten Vernetzung zusammen. Vieles ist sehr preiswert zu haben. Diese riesige Vielfalt wirkt allerdings auch ermüdend und ich glaube, dass sich immer mehr Menschen doch nach etwas Einfachem und Reduziertem sehnen.
 
Heute werden viele Ihrer alten Produkte für viel Geld auf Kunst- und Möbelauktionen verkauft – was halten Sie davon?
 
So ist der Markt nun mal. Es gibt dazu eine lustige Geschichte: Über Rosenthal habe ich einen Japaner kennengelernt, der die Schellack-Technik in Japan mit neuen Produkten wiederbeleben wollte. Ich habe ihm Zeichnungen geschickt, die stark von japanischer Architektur inspiriert waren – und nie wieder etwas von ihm gehört. Viele Jahre später machte mich ein Freund auf die Kunstzeitschrift Art aufmerksam, in der das von mir entworfene Möbel shoro groß abgedruckt war, inklusive eingebrannter Unterschrift – das war damals mein Logo. Über die Redakteurin konnte ich dann Kontakt zum Hersteller aufnehmen, der mir zwar kein Honorar überwies, aber als Kompensation einen der Schränke schickte. Viele davon hatte er ohnehin nicht verkauft, dafür waren sie zu teuer. Erfolgreich waren die Rosenthal-Sofas und meine ersten Drehstühle, wie connex für Klöber oder delta für Fritz Hansen. Diese größeren Serien erlaubten es mir dann auch, freiere Projekte zu machen.
 
War für Sie die Verwendung von neuen Materialien interessant?
 
Immer, natürlich. Neue Materialien und vor allem auch neue Techniken ermöglichen heute eine ganz andere Gestaltung als früher.
 
Hatten Sie je Interesse, auch die Räume für Ihre Möbel zu gestalten oder gar ein Haus zu entwerfen?
 
Beim Projekt mecum tecum für Rosenthal habe ich tatsächlich den Raum gestaltet. Das war eine mobile Schlaf-, Küchen- oder Badezimmereinheit, die in Großraumwohnungen die unterschiedlichen Funktionsbereiche abdecken sollte. Natürlich wäre es toll, ein Haus zu gestalten, aber ich bin eben Designer und kein Architekt. Außerdem bin ich vermutlich nicht präsent genug. Als ich mich selbständig machte, waren die Mieten in den Städten für mich nicht finanzierbar, während ich hier auf dem Land für wenig Geld viel Raum bekam: Das war die Basis meiner Selbstständigkeit. Aber natürlich interessiere ich mich schon für Architektur. Die Sammlung Beyeler von Renzo Piano ist ein Gebäude, das ich bewundere. Dort würde ich auch sofort einziehen.
 
Wie gehen Sie an die Entwicklung eines neuen Büro-Drehstuhls heran?
 
Es gibt sehr viele Faktoren, die gemeinsam ein komfortables Produkt ausmachen. Ein Stuhl, auf dem man den ganzen Tag sitzt, muss „passen“. Ich habe natürlich meine eigenen Vorstellungen, was wichtig ist und was nicht – gleichzeitig muss ich aber auch Normen berücksichtigen, die ich nicht in jedem Fall als sinnvoll erachte. Wenn ein Auftrag für eine größere Anzahl Stühle ausgeschrieben ist, müssen diese Stühle zum Beispiel eine Sitztiefenverstellung haben. Das hat einen großen Einfluss auf die Gestaltung, ist aus meiner Sicht allerdings überflüssig. Aber eben, da muss ich nach den Regeln spielen.
 
Ich denke, dass man die Dinge so gut machen sollte, wie es einem möglich ist – dann kann es etwas werden. Wenn man als Designer und auch als Hersteller erfolgreich sein will, muss man kontinuierlich neue Produkte entwickeln. Und jeder dritte oder vierte Stuhl muss die anderen Stühle mitfinanzieren. Das schönste Design verkauft sich leider nicht immer am besten.
 
Sehen Sie sich denn als Dienstleister?
 
Natürlich. Ein bisschen sträubt man sich dagegen, aber der wirtschaftliche Aspekt ist nun einmal ein wichtiger Faktor im Design, und man muss Kompromisse eingehen können. Ich wusste eigentlich immer, wo ich meine Kompromisse machen musste. Kunde A ist anders als Kunde B, und alles verändert sich kontinuierlich – dann muss man sich mit verändern. Der beste Gedanke ist nichts wert, wenn er in der Schublade endet. Ein gutes Produkt ist erst dann ein gutes Produkt, wenn es draußen erhältlich ist. Und wir Gestalter können ja nur etwas machen, wenn es ein anderer produziert. Auch der Käufer hat letztlich Einfluss auf die Produkte. Keiner kann überleben, wenn er nichts verkauft und die Kosten nicht wieder reinkommen.
 
Hat sich denn der Kunde verändert?
 
Sicher, jeder entwickelt sich weiter und ist der heutigen Produktflut ausgesetzt. Auch ich entwickle mich weiter. Ich sehe all die Trends – ob ich sie für sinnvoll halte oder nicht, sei dabei mal dahingestellt. Ich glaube an einen Maßstab in der Gestaltung, und ich finde, man muss eine Haltung zu den Dingen entwickeln und diese auch laut äußern. Der Maßstab bedeutet nicht, dass wir alle die gleichen Dinge gut finden. Aber ich bin mir sicher, dass wir uns trotz Ausbildungen in unterschiedlichen kreativen Disziplinen immer auf Grundsätze in der Betrachtung von Design einigen können.
 
Bei einem Drehstuhl spielt aus meiner Sicht optische Leichtigkeit und Beweglichkeit eine große Rolle – und für den Verkauf natürlich der Preis. Je höher die Stückzahl ist, desto billiger kann man dem Kunden das Produkt anbieten. Daran sind schon viele gute Stühle wirtschaftlich gescheitert.
 
Und hat sich Ihr Design verändert?
 
Ich denke, mein Vokabular war immer ähnlich. Es gibt Ideen und Prinzipien, die mich in all den Jahren verfolgt haben und auch heute noch verfolge. Wenn ich eine Idee gut fand, sind über die Jahre Varianten entstanden. Im Prinzip ist das wie ein Acker, der über dreißig Jahre gegossen und gedüngt wird, und mal wächst da ein Apfel-, mal ein Kirschbaum. Aber der Boden bleibt immer der gleiche.
 
Sie arbeiten seit kurzem mit dem Designer Markus Dörner zusammen. Gab es früher schon andere Kooperationen oder war das nie ein Thema für Sie?
 
Es ist tatsächlich meine erste derartige Kooperation. Die ersten zwanzig Jahre als Designer habe ich ganz allein gearbeitet. Das prägte mich natürlich: Jede Analyse lief nur im Kopf ab und nichts wurde aufgeschrieben. Man denkt, ohne zu reden. Später fing ich an, Praktikanten aufzunehmen. Wenn man mit einem Partner zusammenarbeitet, ist man gezwungen, seine subjektiven Entscheidungen und Vorstellungen viel mehr im Detail zu erklären. Dadurch entsteht zwangsläufig eine größere Sicherheit, aber es gibt auch Meinungsverschiedenheiten.
 
Wie haben Sie die Idee zu der Stehhilfe Sway entwickelt?
 
Bei fast allen meinen Objekten versuche ich, sie so weit wie möglich zu reduzieren – und zum Teil findet man dann auch eine Technik, die einem dabei hilft. Da ist der Sway von Girsberger ein ideales Beispiel, denn man sieht nichts von der Technik, sie ist aber da. Es geht nicht darum, die Technik zu verstecken. Sie ermöglicht aber diese spezielle Bewegung, und man merkt sie nicht, wenn man darauf sitzt. Für mich ist der Sway optimal, weil er so selbstverständlich da ist, keinen Anspruch erhebt und einfach in der Benutzung ist. Langfristig würde ich gern eine Produktfamilie dazu entwickeln.
 
Fühlen Sie sich gut aufgehoben bei Girsberger?
 
Ja. Mit Girsberger habe ich einen Partner, der sich in jeder Beziehung um gutes Design bemüht: von der Zusammenarbeit mit mir bis zur Gestaltung der Produktverpackung. Das ist eine wirkliche Ausnahme auf dem Markt, und als Designer ist man da einfach nur glücklich.
 
Wie geht es für Sie weiter?
 
Na, wie wohl? Weitermachen. Ich finde, wir haben nun mal den schönsten Beruf der Welt. Und wenn ich weiterhin Partner wie Girsberger habe, mit denen ich funktionelle, minimalistische Projekte wie Sway entwickeln kann, wird es hoffentlich noch lange weitergehen.
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Links

Burkhard Vogtherr

www.vogtherr.com

Girsberger

www.girsberger.com

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