Catherine Gall
23-Jährige arbeiten anders als 53-Jährige und Niederländer anders als Briten: Warum das so ist und welche Konsequenzen das hat, erforscht die französische Designerin und Wirtschaftswissenschaftlerin Catherine Gall für den Büromöbelhersteller Steelcase. Sie leitet „WorkSpace Futures“, das Forschungsprogramm von Steelcase zu sozio-demographischen Aspekten der Wissensarbeit. Das aktuelle Projekt ist eine Studie zusammen mit dem IPSOS-Institut über die vier Generationen, die heute in Unternehmen aufeinander treffen. Die Studie unterscheidet zwischen den „Traditionalisten“ (um die 60 Jahre alt), den „Boomern“ (um die 50), der „Generation X“ (Anfang 30 bis 45) und der „Generation Y“ (unter 30). Während die Traditionalisten eher Solisten sind, die einen klar abgegrenzten Arbeitsplatz schätzen, sind Boomer und Generation X teamorientiert und an flachen Hierarchien interessiert. Sie können auch gut in Gruppen-Arbeitsplätzen arbeiten. Die Jüngsten wiederum sind sehr flexibel und können am leichtesten auf einen eigenen Schreibtisch verzichten. Sie sind relativ ungebunden und arbeiten gern an unterschiedlichen, auch informellen Orten. Wie diese Erkenntnisse von den Steelcase-Kunden aufgenommen werden und wie sich die Generationsunterschiede bei der Entwicklung von Büromöbeln und der Planung von Arbeitsplätzen berücksichtigen lassen, erklärt Catherine Gall in unserem Interview.
Frau Gall, Sie haben für Steelcase die Generationenfrage in der Wissensarbeit erforscht. Wieso gerade dieses Thema?
Ein Ausgangspunkt war die Erkenntnis, dass wir in der Arbeitswelt heute eine einmalige Situation vorfinden: Unter dem Dach eines Unternehmens sind drei bis vier verschiedene Generationen vereint. Das liegt daran, dass wir aus gesundheitlichen Gründen länger arbeiten können und aus finanziellen Gründen vielleicht auch müssen. Im Büro gibt es Kollegen zwischen 18 und 65 Jahren. Diese Menschen haben verschiedene Erwartungen, verschiedene Bedürfnisse und Ansprüche. Das Alter war in der Büromöbelindustrie oder in der Raumplanung bisher kein Thema. Doch das ändert sich, weil die jüngste Generation, die „Generation Y“, einfach ganz anders ist als die drei älteren Generationen. Unternehmen brauchen aber die jungen Talente und müssen sich entsprechend an deren Bedürfnisse anpassen.
Auf welcher Basis haben Sie die Erkenntnisse Ihrer Studie gewonnen?
Wir erforschen das Thema seit sechs Jahren. 2003 haben wir angefangen mit einem gemeinsamen Projekt von Studenten und Lehrern des Royal College of Art in London. Damals stand im Fokus, unter welchen Bedingungen ältere Menschen an ihrem Arbeitsplatz bleiben können. Unsere Methodik bestand darin, Untersuchungsgruppen zu finden und die Leute mit qualitativen Fragen zu interviewen. Denn quantitative Umfragen sind immer voreingenommen: Mit den Fragen beeinflusst man immer schon die Antworten. Die IPSO-Studie, die wir jetzt bei Steelcase vorgestellt haben, ist allerdings eine rein quantitative Umfrage. Wir haben mit 2400 Leuten Telefoninterviews geführt. Sie diente dem Zweck, generelle Trends zu erspüren. Durch die Workshops und qualitativen Interviews haben wir inhaltlich mehr über die Generation Y erfahren.
Ist es aber nicht ein relativ starres Konzept, zu sagen, es gibt diese vier Generationen mit ihren vier verschiedenen Mentalitäten? Ändern sich die Mentalitäten nicht, wenn man älter wird?
Das stimmt. Es handelt sich aber nicht nur um Mentalitäten, sondern auch um tief verwurzelte Erwartungen und Ansprüche, um das Verhalten generell. Junge Menschen von heute arbeiten nicht mehr wie vor vierzig Jahren, und das wird auch niemals so sein.
Sie denken also, die Menschen aus der Generation Y werden auch mit vierzig oder fünfzig noch ruheloser und sprunghafter sein als die Menschen aus den Generationen vor ihnen?
Ich weiß, es mag etwas schwer nachzuvollziehen sein. Solche Konzepte brauchen Zeit, um verstanden zu werden. Aber jede Generation ist von unterschiedlichen Einflüssen geprägt. Die großen Einflüsse kommen nun mal von außen, aus der Politik, aus der sozialen Situation, aus der Wirtschaft. Die Menschen der Generation Y sind zu einem Zeitpunkt geboren, als weltweit bestimmte Ereignisse prägend waren. Technologie beispielsweise – diese Generation ist ohne den Umgang mit Technologie nicht denkbar. Es gibt beispielsweise Unternehmen, die sich fragen, ob sie an den Arbeitsplätzen überhaupt Internet einrichten sollen. Sie finden, dass junge Leute zu viel Zeit im Internet verbringen, etwa bei Netzwerken wie Facebook. Aber selbst wenn die Mitarbeiter kein Internet mehr an ihrem Arbeitsplatz hätten, gäbe es immer noch „iPhones“ und „Blackberries“ mit Internetverbindung. Gerade die jungen Leute können es schwer akzeptieren, an der Arbeit nicht ins Internet gehen zu können. Die ältere Generation hat das Internet zwar auch für sich entdeckt, aber sie nutzen es nur zu bestimmten Anlässen. Die Jüngeren sind mit dem Internet aufgewachsen und für sie ist es selbstverständlich, permanent online zu sein. Solche Prägungen bleiben, die verändern sich nicht im Laufe des Lebens.
Können Sie erklären, wie Steelcase solche Forschungsergebnisse in der Praxis umsetzt – im Gespräch mit dem Kunden, in der Planung von Projekten, in der Entwicklung von Möbeln?
Da gibt es zwei Ebenen. Die eine Ebene ist die Entwicklung von neuen Produkten. Ein Teil der neuen Produkte ist stark auf technologische Aspekte fokussiert, weil wir jetzt wissen, dass mobile Technologien die Arbeitsabläufe beeinflussen. Steelcase führt neue Produkte ein, die mobile Geräte unterstützen. Die zweite Ebene ist die Beratung der Kunden: Unsere Berater wenden unsere neuen Erkenntnisse bei der Planung von Büroräumen an. Wenn ein Kunde ein vierstöckiges Gebäude hat, dann soll er nicht für jede Generation eine eigene Etage planen. Das Gebäude muss lebendig organisiert sein, dass die Leute sich treffen, sich austauschen und zusammenarbeiten können.
Was sind die verbindenden Elemente im Büro? Wie bringt man die Generationen zusammen?
Man kann im Arbeitsumfeld Treffpunkte mit informellem Charakter einrichten, damit sich die Leute kennenlernen können. Ältere Leute haben lieber ein wenig Distanz und gehen nicht unbedingt von sich aus mit jemandem einen Kaffee trinken, den sie nicht gut kennen. Wir stellen aber immer wieder fest, dass die Mitarbeiter sich besser verstehen, wenn sie sich gut kennen – nicht nur beruflich durch Meetings, sondern auch durch persönliche Kontakte. Dann entsteht auch über die Generationen hinweg Vertrauen, es werden Ideen ausgetauscht und die Älteren können die Jüngeren coachen. Die Jüngeren profitieren von der Erfahrung der Älteren: Wenn man jung ist, dann ist man dynamisch und bringt Engagement und Visionen mit, aber man muss auch vieles lernen.
Wie nehmen die Kunden solche Konzepte und Ideen auf? Wenn Steelcase eine Büroeinrichtung plant, gibt es da Verständnis für solche Aspekte oder müssen Sie viel Überzeugungsarbeit leisten?
Nein, das Konzept erfährt viel positive Resonanz. Mir ist nicht bekannt, dass es irgendein Geschäftsfeld, einen industriellen Sektor gäbe, der diese Erkenntnisse ablehnt. Bislang galten Vorschläge wie Cafés, Treffpunkte, Pausenplätze als „nice to have“, also schön zu haben, aber nicht unbedingt notwendig. Aber jetzt setzt ein Umdenken bei den Kunden ein: Sie verstehen, dass solche Räume ein – wie die Soziologen sagen – Klebstoff sind, um die Mitarbeiter zusammenzubringen und zusammenzuhalten. Sie kommen nicht mehr auf die Idee, dass Leute, die sich bei einer Tasse Tee unterhalten, vielleicht einfach nur faul sein könnten.
Aber ein Mehr-Generationen-Büro braucht nicht nur eine Teeküche und andere informelle Treffpunkte, oder? Braucht es nicht auch unterschiedlich zugeschnittene Arbeitsplätze und Besprechungsräume? Inwieweit ist denn bei den Steelcase-Kunden die Bereitschaft da, vom Standard abzuweichen?
Das Bedürfnis nach Austausch und Zusammenarbeit wird tendenziell immer unterschätzt. Alte Planungsregeln wie ein Arbeitsraum pro acht Mitarbeiter gelten heute nicht mehr. Wir verbringen heute viel mehr Zeit als früher im Team als allein am Schreibtisch. Die konzentrierte Einzelarbeit ist natürlich wichtig, denn da sind Mitarbeiter sehr produktiv. Aber Wissensarbeiter müssen sich heute mehr austauschen, Kollegen einbeziehen und so weiter. Es ist nicht so leicht, die Kunden davon zu überzeugen, dass sie mehr Raum für gemeinsames Arbeiten einplanen sollten.
Denken die Kunden, es ist verschwendeter Raum, in dem sie mehr Arbeitsplätze unterbringen könnten?
Ja, sie möchten möglichst viel Raum sparen. Denn wenn man die Zahl der Einzelarbeitsplätze reduziert, dafür aber mehr Teamarbeitsplätze einrichtet, dann ist im Endeffekt ja nichts gespart. Der Trend geht generell zu weniger Fläche pro Mitarbeiter. Wir weisen aber daraufhin, dass das kompensiert werden sollte. Einfach die Arbeitsfläche zu reduzieren, erzeugt Chaos, weil die Leute isoliert werden – sie können sich nicht mehr treffen. Ein Ergebnis unserer Forschungen ist die Erkenntnis, dass Arbeit künftig viel mobiler sein wird. Arbeit wird sich zwischen verschiedenen Orten „bewegen“, etwa „Home Offices“ und „Satellite Offices“. Der Firmensitz muss also wie ein „Hub“ funktionieren, wie ein Knotenpunkt in einem verzweigten Netzwerk, an dem alles zusammenläuft. Das Büro muss so attraktiv sein, dass die Leute sich dort gern treffen und arbeiten.
Sie sind auch Mit-Autorin des Buches „Der Büro-Code“, einer Studie über die verschiedenen Arbeitsweisen und -mentalitäten in sechs europäischen Ländern. Haben Sie die Frage, wie sich die Generationen voneinander unterscheiden, auch unter internationalen Gesichtpunkten untersucht?
Die Ausprägungen und Eigenheiten der verschiedenen Generationen kann man auf globaler Ebene feststellen. Es gibt zwar große Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern, wir sind alle unterschiedlich. Aber bestimmte Generationen sind doch von bestimmten Phänomenen geprägt, etwa die Jungen von der mobilen Kommunikation.
Ihre Erkenntnis ist, vereinfacht gesagt: Ein 60-jähriger Franzose und ein 60-jähriger Spanier sind sich ähnlicher als ein 60-jähriger und ein 25-jähriger Franzose?
Das kann man so sagen, weil die Mitglieder einer Generation die gleichen Erfahrungen gemacht haben. Wenn man sechzig ist, dann hat man beispielsweise die Nachkriegszeit miterlebt. Große Ereignisse haben, wie bereits gesagt, großen Einfluss auf die Persönlichkeit von Menschen. Aber dazu kommt die lokale Kultur mit ihren Besonderheiten, so dass natürlich nicht alle Menschen eines Alters gleich sind. Aber gerade die jungen Leute studieren international, das heißt, sie haben die Möglichkeit, jung zu reisen und andere Länder kennenzulernen. Sie sehen nicht so sehr die Unterschiede als die Gemeinsamkeiten.
Sehen Sie denn auch Vorteile darin, dass Menschen je nach Alter und Herkunft unterschiedlich arbeiten? Oder sind die Unterschiede eher negativ und sollten überwunden werden?
Ich persönlich fände es sehr langweilig, wenn wir alle gleich wären. Ich hatte die Möglichkeit, in Frankreich und Schottland zu studieren, in Amerika, Frankreich und Deutschland zu arbeiten und das schätze ich sehr. Meine Großeltern konnten das noch nicht machen. Sie bedauern das nicht, aber ich bedauere es für sie. Ich hoffe, dass meine Kinder einmal nach Asien gehen können.
Vielen Dank für das Gespräch!
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