Chris Bangle
Unterhaltsam: der ehemalige BMW-Chefdesigner im Gespräch.
Er ist der vielleicht einflussreichste Autodesigner seiner Generation. Gemeinsam mit BMW machte Chris Bangle Autos zu Beginn des Jahrtausends wieder sexy: Eine skulpturale Linienführung und ein neuer Umgang mit Material waren sein Markenzeichen – mit dem Concept Car Gina schuf er eine echte Weltsensation. Wir sprachen mit dem US-Amerikaner über Architektur, Blondinen und die Bangle-Falte.
Der italienische Designer Matteo Thun nennt Autos „Auslaufmodelle” – was denken Sie darüber?
Ich würde zwischen „Automobilen“ und „Autos“ unterscheiden: Ersteres sind Objekte, die man gebraucht, und letzteres sind Dinge, die den Nutzer repräsentieren. Ich gebe Matteo Recht, dass sich das Modell „Automobil“ auf einem absteigenden Ast befindet. Von diesem Gegenstand mit vier Rädern unter sich, der die meiste Zeit des Jahres rumsteht und Geld kostet, sollten wir uns möglichst schnell verabschieden. Das Phänomen „Auto“ dagegen gibt es schon seit tausenden Jahren, und wird es auch noch die nächsten tausend Jahre geben: Weil Autos eine emotionale Verkörperung des Nutzers darstellen. Es hat also eine viel größere Bedeutung als ein reines Transportmittel, das dich von A nach B bringt.
Wie sieht die Zukunft des Autodesigns aus?
Wenn man die historischen Trends von Automobilen und Architektur vergleicht, gibt es immer wieder interessante Sprünge: In den 80er und 90er Jahren war die Autowelt voller dicker Enten – wie ich sie nenne. Das waren mächtige Skulpturen! Dann verwandelten sie sich in super-rationale Kisten mit ein klein wenig Dekoration – das ist, wo wir heute noch sind. Im gleichen Zeitraum sprang die Architektur in die entgegen gesetzte Richtung: Von der Klarheit der Moderne zu den big names mit ihren spektakulären Bauten. Die Architekten drängten also ins Autobusiness, und die Autodesigner versuchten herauszufinden, wie man bei einer Box die Fenster hochkurbeln kann. Die Autodesigner sind also gut beraten, wenn sie sich in anderen Disziplinen umschauen. Aus meiner Sicht liegt die Zukunft in der Robotik.
Was sind die Möglichkeiten der Robotik?
Oh, da gibt es einige. Mir würde es gefallen, die gleiche Beziehung zwischen einem Menschen und einem Roboter wie bei einem Jaguar und einem Auto der Marke „Jaguar“ zu sehen. Der „Jaguar“ ist nicht wirklich ein Raubtier, hat weder Krallen, Nasenlöcher noch Ohren – aber er besitzt animalische Charakterzüge: Dynamik, Kraft und ein schnittiges Erscheinungsbild. Am Ende muss man eingestehen: Ja, das ist ein Jaguar! Unser Ziel sollte es sein, das mit einem Roboter zu schaffen.
Warum haben Sie als Autodesigner aufgehört?
Ich war Designdirektor, und das ist eine sehr spezielle Aufgabe. Ich war zusammen mit einem hoch spezialisierten Team verantwortlich für das Gesamtvokabular der Firma: von der Formensprache bis hin zu der strategischen Ausrichtung. Und an einem bestimmten Punkt muss man die Fackel an die nächste Generation weiterreichen – wobei die meisten Menschen in dieser Position damit zu lange warten. Ich wollte mit 50 Jahren aufhören, nach 15 Jahren bei BMW und zwei Auto-Generationen, habe es aber erst mit 52 geschafft (lacht).
Erzählen Sie uns von Gina!
Das Projekt startete 1999 und wurde von der kalifornischen BMW-Tochter Designworks in Gang gebracht: Die dort arbeitenden Designer haben so gut wie nichts mit Autos zu tun, arbeiten an Ideen zu Flugzeugen und Traktoren. Und weil ich immer an der Meinung anderer interessiert bin, fragte ich sie: „Wenn ihr ein Auto entwerfen könntet, wie würde es aussehen?“ Es war ein reines Spaß-Projekt! Einer der Designer, Fernando Pardo, kam mit einem kleinen Modell zu mir und erzählte, dass es ihn interessieren würde, ein Auto mit Stoff zu beziehen. Er hatte einfach einen Strumpf über ein Drahtkonstrukt gezogen und nannte es Gina. Am Anfang war ich wenig beeindruckt – ich meine, in Europa ist jeder LKW in eine Stoffplane eingehüllt, und auch zu Beginn der Auto-Geschichte gab es viele Textilbezüge. Aber irgendetwas blieb bei mir hängen, weil Fernandos Ansatz rein emotionaler Natur war: Es ging nicht um kleiner, größer oder leichter. Es ging nur darum, dass es sexy aussieht. Für meinen Heimflug kaufte ich mir das Buch „The history of textile architecture“ und erkannte, dass der Einsatz von Stoff in der Architektur längst keine Seltenheit mehr war und die Techniken in dem Bereich große Fortschritte gemacht hatten. Dazu kam der Gedanke, dass man mit einem Stoffbezug komplett auf den Einsatz von Pressstraßen verzichten könnte, was eine Menge Geld sparen würde. Also initiierte ich eine Reihe von Projekten bei BMW, und 2001 was das Concept Car fertig, doch das Management entschied sich aufgrund anhaltender Kritik am BMW-Design dazu, das Modell unter Verschluss zu halten. Aber auch im Stillen war der Einfluss dieser Vision bei BMW groß und half dem Konzern zu einem besseren Verständnis von Materialeigenschaften und Formen. Am Ende entstand daraus der GBK („Gina Blechkleid“) genannte Prozess, in dem Metall ähnlich geformt werden kann wie Textilien.
Ein Freund sprach von der Bangle-Falte. Können Sie sich vorstellen, was er damit meint?
Interessant, davon habe ich bis jetzt nichts gehört, aber es klingt besser als Bangle-Butt (lacht)! Ich kenne die „Sickelinie“, und es gibt den „Hofmeister-Knick“, aber eine Falte, die ich erfunden habe?! Was ich rehabilitiert habe, ist eine Art Profilrille, die nicht von einem Ende zum andere verläuft, sondern auftaucht und einfach wieder verschwindet – ähnlich einer Falte. Der Z4 hat einige davon.
Hat die Falte eine Funktion?
Objektiv betrachtet, ging es um eine neue Formtechnologie, die ohne die übliche Metallprägung in einer Pressstraße auskommt und dadurch günstiger wäre. Dazu war es eine emotionale Momentaufnahme, und das Verfolgen der Idee eines visuellen Vokabulars, das nur zu BMW gehört.
Ich hörte von Ihrem Vergleich zwischen dem Beruf des Autodesigners und einer Blondine – können Sie mir das erklären?
Zuerst ist da die politisch inkorrekte „Blondinen“-Referenz: Das hübsche Mädchen an deiner Seite, das einfach nur gut aussehen, aber gefälligst den Mund halten soll, weil man sich ansonsten blamiert. Ich will mich natürlich nicht als Sexist darstellen, ich behaupte nur, das Autodesigner ähnlich betrachtet werden: Es wird von uns erwartet, dass wir schöne Sachen produzieren. Aber keiner erwartet von uns, dass wir eine Meinung haben. Wenn ein Architekt ein Gebäude baut, das zwar hinten und vorne nicht funktioniert, aber spektakulär aussieht, denken die Menschen immer noch, dass das alles auf einer intellektuellen Grundlage basiert. Aber Autodesign gilt in der Öffentlichkeit immer noch nicht als „richtiger“ Beruf: Es gibt kein Regelwerk, keine Kontrollgremien und auch keine Fachmagazine. Irgendwann habe ich erkannt, dass es das auch gar nicht sein muss, da es sich vielmehr um eine Kultur handelt. Und dadurch kann sie viel leichter auf andere Dinge angewendet werden – weil sie nicht den gängigen Regelwerken zu folgen hat.
Was macht aus Ihrer Sicht ein Auto schön?
Wenn man eine Verbundenheit mit ihm verspürt. Wissen Sie: Des einen Manns Auto ist den nächsten Manns Automobil! Und wenn Sie ein schönes Auto gelb anmalen und ein Taxi-Schild oben drauf schrauben, stellt sich die Frage vielleicht überhaupt nicht. Während das gleiche Vehikel für einen 18-jährigen Jungen die Erfüllung eines Traums darstellt, und er es voller Liebe jedes Wochenende waschen würde. Ich höre mir zu jedem Auto die Geschichte an, frage mich „Was kann ich hier lernen?“ und „Was steckt hinter der Gestaltung?“. Und manchmal werde ich mit Autos konfrontiert, insbesondere bei der Zusammenarbeit mit Studenten, wo ich mich an Oscar Wildes berühmtes Zitat erinnere, als er das erste Mal auf die Niagarafälle schaute: „Es wäre beeindruckender, wenn sie in die andere Richtung fließen würden!“.
Chris Bangle, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
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