Menschen

Cristian Zuzunaga

Der spanische Textildesigner im Gespräch 

von Norman Kietzmann , 30.01.2017

Cristian Zuzunaga wirbelt die Textilwelt auf. Der spanische Gestalter hat sich vor allem mit seinen verpixelten Bezügen, Vorhängen, Heimtextilien und Modeaccessoires einen Namen gemacht, die er für sein eigenes, gleichnamiges Label entwirft. Doch auch für Kvadrat, Moroso und BD Barcelona ist der 1978 geborene Gestalter tätig. Ein Gespräch über visuelle Identität, blitzschnelle Reptilien und Lehrstunden auf dem Laufsteg. 

Cristian Zuzunaga, Farbe ist zu einem Schlüsselthema des Wohnens geworden und spielt heute wieder eine Rolle wie zuletzt in den siebziger Jahren. Warum ist das so?
Ich denke, dass wir dank der Digitalisierung wieder analoger werden. Peter Blake hat einmal gesagt: „Ganz gleich, wie weit die Technologie voranschreiten wird: Wir werden auch in Zukunft Scheren benutzen.“ Natürlich sind Smartphones großartige Werkzeuge. Doch sie sind die fragmentierendsten Objekte, die vom Menschen bisher geschaffen wurden, weil sie Licht, Energie, Information und Isolation spenden. Vor einem Fernseher kann man zusammen sitzen und sich über das Programm streiten. Da gibt es Interaktion! Mit dem Smartphone sitzt jeder für sich alleine. Ich bin für das Analoge, wenn ich kann. Ich bin für das Digitale, wenn ich muss.

Inwiefern?
Ich war lange Zeit gegen E-Mails. Eigentlich gegen alles, was mit Computern zu tun hat. Meine erste E-Mail habe ich erst 2006 geschrieben. Als ich ein Jahr später meine Firma gegründet habe, brauchte ich das und benutze es seitdem auch. Natürlich hat das Digitale viele Vorteile. Beim Handdruck sind neunzehn von zwanzig Arbeiten Fehler – vielleicht nicht immer. Doch ein solches Verhältnis kann wirklich passieren. Mit der Digitalisierung gehen Dinge auf andere Weise schief. Mir ist schon zweimal meine Festplatte durchgebrannt. Und es war wirklich jedes Mal eine Zitterpartie, ob die Spezialisten noch die Daten retten konnten. In gewisser Weise war auch das stimulierend. Ich merkte, dass wir das Analoge zum Digitalen machen müssen, um wieder etwas Handfestes zu haben. Und genau das war die Idee für meine Stofffirma: Ich wollte etwas Digitales mit einer analogen Technologie ausdrücken.

Die Schnittstelle von Analog und Digital wird von Dir mit grob aufgelösten Pixeln erkundet. Was interessiert Dich an dieser „unscharfen“ Betrachtung? 
Pixel sind ja nicht nur aneinandergereihte Flächen. Sie bilden vielmehr ein zusammenhängendes Raster, dessen Ursprung im Binärcode liegt. Und damit meine ich keine Computer. Die ersten Rechenmaschinen, die so funktioniert haben, waren Webstühle. Es ist unglaublich, wenn man sich diese Geräte anschaut: Welches Genie ist darauf gekommen? Unsere Gesellschaft ist durch Textilien gewachsen. Sie haben uns vor tausenden von Jahren zu dem gemacht, was wir heute sind. Egal, was wir anziehen, an welchem Ort wir wohnen oder wie viel Geld wir haben: Wir benutzen Stoffe zur Differenzierung, genauso wie sich seit Jahrhunderten die schottischen Clans durch die Farben ihrer Tartanmuster abgrenzen. Genau das macht es so spannend. 

Stimmt es, dass Du Dein Interesse an Pixeln beim Blick durchs Mikroskop gefunden hast?
Ja, als Kind wollte ich Biologe werden. Vor allem Reptilien haben mich interessiert. Wenn man Schlangen betrachtet, stellt man fest, dass jede eine andere Farbe besitzt. In der Bewegung schimmert ihre Haut wie ein Computerbildschirm. Das war der erste Moment, in dem ich mich mit Farben und Mustern beschäftigt habe. Durchs Mikroskop konnte ich sehen, dass alles in der organischen Welt geometrisch, wenn auch nicht zwangsläufig rechtwinklig ist. Die verzerrten Formen dominieren. Und genau das können auch Textilien. Sie sind zwar flächig. Doch wenn sie als Bezug oder Vorhang verwendet werden, erhalten sie zugleich etwas Dreidimensionales. Sie bewegen, dehnen und verziehen sich. Und so bin ich von der Biologie zu den Pixeln gekommen, die im Grunde Archetypen sind. Pixel haben schon immer existiert. Wir waren lange nur nicht in der Lage, sie als solche zu sehen, weil uns die Technologie dafür fehlte. Schon die alten Römer haben mit dem Mosaik den Pixel entdeckt.

Wie kam dann der Sprung von der Biologie zu den Stoffen? Ursprünglich hast Du am Londoner Royal College Kommunikation studiert. 
Ok, das klingt jetzt super esoterisch. Aber ich schwöre, dass es stimmt: Ich hatte einen langen Traum, in dem alles komplett verpixelt war. Das stimmt wirklich! (lacht) Und irgendwie hat mich das gepackt. Ich habe dann für meine Abschlussarbeit einen Film zusammen mit einem Textildesigner gemacht, der später viele Jahre für Versace gearbeitet hat. Ich wusste zu dieser Zeit noch überhaupt nichts über Stoffe. Doch es hat mich fasziniert. Und so bin ich von der Grafik zum Textil gewechselt. Ich habe alle Kunden angerufen, für die ich damals gearbeitet habe, und ihnen gesagt, dass ich nun etwas Anderes mache. Sie dachten, ich bin total durchgeknallt und fragten, wie ich meine Rechnungen bezahlen will. Doch ich habe das wirklich durchgezogen und einen Businessplan gemacht und mich ins kalte Wasser gestürzt. Das war eine Entscheidung, die mein Leben verändert hat. 

Seitdem hast Du die Kollektion immer weiter ausgebaut, von Stoffen über Handtücher und Decken, Modeaccessoires und nun auch Möbeln, die Du soeben auf der imm cologne präsentiert hast. Dem Pixel-Thema bist Du dabei immer treu geblieben. Warum? 
Ich habe mich für die Pixel entschieden, weil ich leicht erkannt werden wollte. Ich mag es nicht, jedes Mal ein neues Briefing zu bekommen. Diese Haltung ist natürlich limitierend. Doch dafür nutze ich eben verschiedene Medien für meine Muster, was mich schließlich zu Möbeln gebracht hat. Am Anfang hatte ich wirklich Angst vor Volumen und wollte erst einmal nur Flächiges machen. Die ersten Pixelstoffe habe ich vor acht Jahren für Moroso angefertigt. Seitdem fragen mich alle, was es Neues gibt. Ich finde das immer irritierend: Es geht ja nicht nur ums Design, sondern ebenso um die Produktion, Lager, Vertrieb. All das, was hinter den Kulissen passiert. Wenn man mit seinem eigenen Label alles selbst erledigen muss, steckt darin ein großes Risiko. Darum kann man nicht dies und das machen. Man muss sich etwas konzentrieren. 

Wie gehst Du bei der Auswahl der Farben vor?
In der Regel bevorzugte ich Schwarz mit Gradierungen, weil das der beste Hintergrund ist. Bei den Farben verwende ich oft starke Kontraste. Allerdings kommt Farbe meistens erst zum Schluss. Die meisten Grafiken sind zunächst zweifarbige Bitmaps, bei denen ich später eine Vielzahl an unterschiedlichen Tönen einbringen kann. Dabei spielt der Zufall eine wichtige Rolle. Ich arbeite sehr schnell. Und wenn ich mich manchmal nicht zwischen zwei Farben entscheiden kann, werfe ich eine Münze. Das mache ich wirklich! (lacht). Ich komme mir dann immer vor wie ein Reptil. Ich kann Tage, Wochen, Monate damit verbringen, nichts zu entwerfen. Doch wenn es zu der Sekunde kommt, auf die ich gewartet habe, geht es blitzschnell. Genau wie ein Krokodil oder eine Schlange, die zubeißt. Reptilien sind wirklich faszinierende Tiere für mich (lacht). 

Worin besteht die größte Herausforderung im Umgang mit Mustern?
Die besten Dinge entstehen durch Fehler. Denn sie zeigen die Möglichkeit für einen Plan B. Und ich setze alles auf Plan B. Solche Fehler beinhalten die Essenz von dem, was ich mir vorgestellt habe. Das macht sie einzigartig. Wenn ich erreiche, was ich mir vorgestellt habe, ist es schön und einfach. Doch ich weiß nicht, was ich noch korrigieren soll. Das erzeugt ein Unbehagen. Fehler sind eine großartige Möglichkeit, um herauszufinden, wohin man eigentlich will. 

Und wie steht es mit Fehler im Leben?
Mein größter Fehler war vielleicht der, dass ich früher immer an mir gezweifelt habe. Zweifeln ist nichts Schlechtes. Denn es erlaubt Wachstum. Doch ich war extrem schüchtern und komplett introvertiert. Ich habe dann für sechs Jahre für Costume National, Fendi und viele andere Labels gemodelt. Das war eine aufregende Zeit, auch, wenn ich gemerkt habe: „Mist, ich bin das Objekt.“ Doch ich habe auch viel in der Mode gelernt: Qualität, Teamwork, Disziplin und vor allem die Fähigkeit, genau in dem Moment performen zu können, wenn das Licht angeht. Man sitzt neun Stunden herum und nichts passiert. Doch auf einmal heißt es: Ändere Deine Haltung, ändere Deinen Gesichtsausdruck und raus auf den Laufsteg! Model zu sein, ist ein gutes Training, um sich manchmal neu erfinden zu können (lacht). 

Wie sehen Deine nächsten Schritte aus?
Pixel müssen ja nicht zwangsläufig statisch sein. Ich arbeite daher mit einem sehr interessanten Labor in London zusammen. Sie sind in der Lage, von smarten Textilien bis hin zu Smartphones alles umzusetzen. Sie haben die Leute, das Wissen und die Technologie, um beeindruckende Dinge von null aufzubauen. Wir arbeiten gerade an verschiedenen Ideen zu changierenden Stoffen. Mit der heutigen Technologie kann man sehr viele Dinge machen, die bislang kaum ausprobiert wurden, wie zum Beispiel Interaktion. Die Stoffe sind hierbei nur der Aufhänger für andere Themen. Wir werden sehen, wohin die Reise führt.

Vielen Dank für das Gespräch. 

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Links

Cristian Zuzunaga

www.cristianzuzunaga.com

Special imm Cologne 2017

www.designlines.de

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