David Adjaye
Der Londoner Architekt über interkulturelles Entwerfen, Stühle und Requisiten von Star-Trek-Filmen.
David Adjaye lebt zwischen den Welten. Mit dem Smithsonian National Museum of African American History and Culture in Washington realisiert der 48-Jährige zurzeit sein bislang umfangreichstes Projekt. Wir trafen Adjaye in Mailand und sprachen mit ihm über interkulturelles Entwerfen, Requisiten von Star-Trek-Filmen und zeitreisende Masken.
David Adjaye, viele Architekten haben einen Tick: Sie entwerfen auffallend gerne Stühle. Warum sehen die dann häufig wie verkleinerte Gebäude aus?
(lacht) Das ist verständlich, weil Architekten eben wie Architekten denken. Aber es stimmt: Design ist etwas ganz anderes als Architektur. In der Architektur geht es darum, wie sich der Körper im Raum bewegt. Diese Art von Raumchoreografie zu durchdenken, ist das Faszinierende an der Architektur. In meinem Büro sprechen wir sehr intensiv darüber, wie man sich in einem Gebäude bewegt, was man an welcher Stelle zu sehen bekommt und was man als nächstes fühlt. Doch auch, wenn es dabei um die Präsenz des Raumes auf den Körper geht, ist der Kontakt nie so direkt wie bei einem Möbelstück. Auf diese körperliche Ebene zu gelangen, ist sehr faszinierend für einen Architekten.
Auch Sie haben mit Washington Chair für Knoll International nun Ihr erstes Möbelstück realisiert. Was hat es mit der organischen Form des Stuhls auf sich?
Ich wollte das Technische und Formale miteinander verbinden. Die meisten Möbel des 20. Jahrhunderts basieren auf zwei getrennten Systemen: einer tragenden Struktur und einer darüber liegenden Haut. In der Nachkriegszeit wurden zwar neue Materialien und Technologien erprobt, doch die Trennung blieb weiter bestehen. Was ich erreichen wollte, ist das genaue Gegenteil. Ich wollte ein vollständiges System erzeugen, bei dem Struktur und Haut zusammentreffen. Die organische Form des Rückens ist nicht nur dekorativ, sondern als tragende Struktur in das System eingebunden. Mit einigen wenigen Korrekturen folgt die Form dem Verlauf der Kräfte.
Der Stuhl ist in zwei verschiedenen Versionen erhältlich: in Kunststoff für den Innenbereich und in Aluminium für den Außenbereich. Wie sind Sie bei der Entwicklung vorgegangen?
Wir haben zuerst geschaut, worin sich ein Stuhl für Innen- und Außenräume unterscheidet. Was ist die Performance dieser beiden Systeme? Beim Stuhl für den Innenraum ging es um die Frage, welche neuesten Kunststoffsorten wir nutzen können, die besonders haltbar und gleichzeitig sehr flexibel sind. Es war mir wichtig, dass Steifheit und Bewegung in einem Material miteinander verbunden werden. Indem wir die Rückenlehne extrem verschlankt haben, kann sie federn. Das hinzubekommen, war wirklich nicht einfach (lacht). Wir haben über hundert Prototypen angefertigt, um die richtige Balance aus Flexibilität und Festigkeit zu erzeugen. Das war das Schöne und Spannende an diesem Prozess.
Interessanterweise wirkt der schwerere Metallstuhl optisch deutlich leichter als sein Kunststoffpendant. Wollten Sie dem Material entgegentreten?
Der Stuhl ist nicht nur in der Wahrnehmung leicht. Auch vom realen Gewicht her ist er einer der leichtesten Metallstühle, die man finden kann. Es gibt nur wenige Stühle aus gegossenem Aluminium auf dem Markt. Bei unseren Recherchen haben wir lediglich eine Handvoll weiterer Möbel gefunden, die in Serie produziert werden und keine Einzelanfertigungen sind. Bei diesen Stühle werden mehrere flache Bauteile miteinander verschraubt oder ineinander gesteckt. Doch es gibt keinen anderen Stuhl, der wie der Washington Chair in einem Stück gegossen wird. In gewisser Weise ergibt sich damit eine Verbindung zu Gartenmöbeln des späten 19., frühen 20. Jahrhunderts. Diese Gusseisen-Arbeiten finde ich extrem schön. Als wir verschiedene Oberflächenbehandlungen ausprobiert haben, wollte ich unbedingt eine Kupferummantelung. Wenn man den Stuhl nach draußen stellt, wird er mit der Zeit grün anlaufen. Das geht für mich zurück zur ursprünglichen Idee vom Leben im Freien. Der Stuhl wird zu einem natürlichen Objekt.
Am Möbeldesign scheinen Sie Gefallen gefunden zu haben. Wir sitzen gerade auf den Prototypen einer neuen Stuhlserie, die auf Rollen bewegt werden kann.
Ja, der Sessel wirkt wie eine Requisite aus einem Star-Trek-Film (lacht). Ich mag es, wenn Möbel zunächst sehr schwer anmuten und plötzlich Bewegung in sich haben. Dieses Maß an Flexibilität ist wichtig, damit Möbel nicht zu statisch erscheinen. Umgekehrt sollten Möbel niemals angestrengt wirken. Idealerweise verschwinden sie sogar aus der Wahrnehmung, sobald man sich auf einen Stuhl oder Sessel gesetzt hat. Die Person sollte das Möbel übernehmen und nicht umgekehrt. Andernfalls werden Möbel zu einer lustigen Architektur und sind keine Möbel mehr (lacht).
Sie bewegen sich mit Ihrer Arbeit zwischen den Kontinenten und Kulturen. Welchen Einfluss hat das Lokale auf Ihre Arbeit?
Ich habe in London angefangen und in den letzten zehn Jahren viele Projekte vor Ort realisiert. Wenn ich nun in Oslo, Washington oder Denver baue, muss ich meine bisherige Erfahrung in etwas Neues übersetzen. Es ist wichtig, die eigene Herangehensweise zu deformieren und nie archetypisch zu arbeiten. Die Idee von Archetypen hat sich erledigt. Sie hat keine Berechtigung mehr. Wir sehen durch das Internet so viele Dinge auf der Welt, die wir verstehen wollen. Das Internet ist wie Reisen. Wir kennen mehr Dinge, als jemand vor 100 Jahren wissen und erleben konnte. Und genau damit müssen wir uns auch in der Architektur auseinandersetzen. Indem wir die Unterschiedlichkeit der Orte, ihrer Geschichte und des kollektiven Gedächtnisses anerkennen, erhält unsere Arbeit Relevanz. Es reicht nicht mehr aus, Formen allein um ihrer selbst willen zu generieren. Nur wenn es eine wirklich fundamentale Verbindung mit einem bestimmten Ort und einem bestimmten Nutzen gibt, können wir die Form schätzen. Die Form ist eine Sprache, die wir auf unterschiedliche Weise nutzen können. Ich mag keine Gleichförmigkeit und Serialität. Sie macht mir sogar Angst.
Wie wichtig sind da Ihre Erfahrungen aus den afrikanischen Ländern. Sie selbst sind in Tansania geboren und haben als Kind in Ägypten, Yemen und im Libanon gelebt, bevor Sie nach London gezogen sind.
Ich denke, dass mir mein gesamtes Architekturverständnis auf meinen Reisen durch Afrika klar wurde. Ganz gleich, in welchem Land oder welcher Region man sich befindet: Die Kultur ist immer sehr spezifisch auf die jeweilige Geografie und das jeweilige Klima ausgerichtet. Die moderne Welt hat alles über einen Kamm geschoren und standardisiert. Das ist unglaublich dumm! Wir sollten in unserer heutigen Zeit zu den spezifischen Dingen zurückkehren, weil es unserem natürlichen Instinkt entspricht. Die Menschen haben schon immer ihre Umgebung verändert und werden das auch weiterhin tun.
Doch wie wortwörtlich soll das Lokale aufgegriffen werden: Braucht es nicht auch ein gewisses Maß an Abstraktion?
Absolut. Nehmen sie die afrikanischen Masken und Figuren. Auch wenn sie sehr figürlich erscheinen, liegt ihnen dennoch ein hoher Grad an Abstraktion zugrunde. Erst die Abstraktion lässt die Dinge für uns so wichtig werden, dass wir sie mit in die Zukunft nehmen können. Darum können 200 Jahre alte Figuren von einem Priester in Afrika oder von einem Sammler in Brüssel gleichermaßen geschätzt werden. Abstraktion erlaubt eine hohe Lesbarkeit. Die Leute können die Dinge verstehen und eine Beziehung zu ihnen aufbauen. Das ist immer wieder faszinierend.
Kommen wir noch einmal zu Ihren Stühlen zurück. Haben Sie ihren Namen in Anlehnung an das National Museum of African American History and Culture gewählt, das Sie bis 2015 in Washington D.C. realisieren?
Ich realisiere gerade fünf Projekte in Washington. Wenn sie abgeschlossen sind, ist beinahe eine Dekade vergangen, in der ich in der Stadt gearbeitet habe. Für mich war es eine wichtige Zeit, in der ich viele meiner bisherigen Ideen konkretisieren konnte. Darum wollte ich diesen Ort würdigen. Hinzu kommt, dass ich kein Möbelstück für ein spezifisches Gebäude machen wollte nach dem Motto: Das ist der Bibliotheksstuhl und das ist der Museumsstuhl. Ich wollte lediglich sagen, dass dieses Möbel durch die Projekte in der Region ermöglicht wurde. Aber mit Sicherheit werden sie später auch in meinen Gebäuden stehen (lacht).
Vielen Dank für das Gespräch.
Über David Adjaye
Geboren 1966 im tansanischen Dar es Salaam, zieht David Adjaye im Alter von neun Jahren nach London. Nach seinem Architekturstudium an der London South Bank University und dem Royal College of Art sammelt er erste Erfahrungen in den Büros von David Chipperfield und Edouardo Souto de Moura. 1994 gründet er sein eigenes Büro an der Themse und plant das Nobel Peace Center in Oslo, das Museum for Contemporary Art in Denver bis hin zu Privatwohnungen für Alexander McQueen und Jürgen Teller.
David Adjaye Associates
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