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Ester Bruzkus: Stehlen ist erlaubt

Die Berliner Architektin sagt, stehlen sei erlaubt

von Judith Jenner, 27.08.2019

Auf dem Konferenztisch ihres Büro-Lofts in Prenzlauer Berg liegen Samples für Marmor, Holz und farbige Stoffe, Materialien für ein Restaurant, das Ester Bruzkus gemeinsam mit ihrem Lebens- und Büropartner Peter Greenberg im neuen Suhrkamp-Gebäude in Berlin-Mitte gestaltet. Mit Hotels wie dem Amano und den Restaurants von Tim Raue machte sie sich einen Namen. Aber auch private Wohnungen, Townhouses oder Büros gehören zu den Projekten der Berliner Architektin.

Nach dem Abitur ging die in Haifa, als Tochter russischer Einwanderer, geborene Berlinerin für ein Jahr zu Disneyworld nach Florida, wo sie von der Pike auf alles über Hospitality lernte. Anschließend studierte sie an der Technischen Universität Berlin (TU) und in Paris Architektur mit dem Ziel, Hotels zu bauen. Als Ester Bruzkus 2002 mit dem Studium fertig wer, saß der Welt der Schock von 9/11 noch in den Knochen. Bauprojekte? Fehlanzeige.

Doch die junge Architektin wollte bauen, egal ob innen oder außen, sie wollte arbeiten und etwas lernen. Ester Bruzkus schrieb Bauanträge und setzte Projekte für Freunde um, von einem Brillenladen in der Axel-Springer-Passage bis zu einer Hotellobby in Neumünster. Mit der Innenraumgestaltung der Restaurants von Tim Raue nahm ihre Karriere Fahrt auf. Es folgten Hotelprojekte in Berlin und Russland, aber auch Privatwohnungen, Townhouses und Büros.

Wir treffen die Architektin in ihrem Büro in Berlin Prenzlauer Berg. Sie beendet noch schnell ein Telefonat, bevor sie den Konferenzraum betritt und mit uns über Inspirationen, Ideen und Interior spricht.

Gehen Sie als Architektin anders an Projekte heran als wenn Sie sich von vornherein auf Interior spezialisiert hätten? Es hat mich einige Jahre Arbeit gekostet um zu lernen, wie man Innenarchitektur eigentlich macht. Im Architekturstudium kommt das nicht vor. Weil in Deutschland Innenarchitektur eher abgewertet wird, mache ich bis heute immer klar, dass ich Architektin bin und keine Dekorateurin, Raumausstatterin oder „Kissenknautscherin“. Der große Unterschied zu Innenarchitekten ist vielleicht, dass Peter Greenberg und ich sehr räumlich planen.

Wie gehen Sie bei Ihren Projekten vor? Zu Beginn eines Projektes stellen wir den Grundriss in Frage, überlegen, ob er vollständig neu gedacht werden muss oder der Bestand verbessert werden kann. Nach der Planung des Grundrisses beginnt der Entwurfsprozess. Da kommen dann erst die Materialien und Oberflächen ins Spiel, ganz zum Schluss dann Farben, Stoffe und lose Möbel. Diese sind eigentlich nur ein Extra, um das Ganze letztlich wohnlich zu machen und unsere Arbeit auch von der eines Hochbauarchitekten unterscheidet. Sie sind aber keineswegs ihre Essenz, wie viele denken. Wenn ich meine Arbeit beschreibe, dann sage ich immer: Wir planen präzise, aber mit Überraschungen. Mittlerweile liebe ich die Innenarchitektur und was man damit gestalten und erreichen kann. Sie gibt den Menschen die Möglichkeit, harmonischen Raum zu spüren.

Gehören Maßanfertigungen zu allen Ihrer Projekte? Jedes Projekt hat immer maßgeschneiderte Einbauten und ist ein Unikat. Unsere Art zu arbeiten ist einfach: Alles, was verschwinden soll, wird in eingebauten Möbeln versteckt. Sie machen quasi den Raum und die Architektur aus, sodass dann die Bühne frei ist für den individuellen Nutzer. Stühle und Leuchten sind eigentlich das Einzige, was wir zusätzlich kaufen. Und manchmal Teppiche, wobei wir sie auch entwerfen. Alles andere wie Tische, Sessel oder Sofas kommen aus unserer Feder, also von mir und meinem Team.

Stimmt es, dass nur Frauen in Ihrem Team arbeiten? Wir haben zehn festangestellte Mitarbeiterinnen und bis zu zehn freie. Dabei ist es eher Zufall, dass wir außer Peter nur Frauen sind. Ich finde es wichtig, Frauen zu motivieren, eigenständig zu arbeiten und ein Teil des Teams zu werden. Viele tolle Mitarbeiterinnen haben sich mit der Zeit selbständig gemacht haben und realisieren jetzt eigene schöne Projekte. Ich bin sehr stolz zu sehen, wie sie sich entwickelt haben.

Woher bekommen Sie Ihre Inspirationen? Während des Planungsprozesses suchen wir Inspirationen aus der Kunst, aus dem Film, der Mode. Dann kreieren wir daraus eine Welt, sodass etwas Eigenes entsteht. Ich mag das Zitat von Jean-Luc Godard: Es ist egal wo es herkommt, es geht darum, dass Du es zu Deinem Eigenen machst und zu etwas Besserem kreierst.

Ist es für Sie okay, wenn andere Ihren Stil kopieren? Das von uns gestaltete Restaurant L.A. Pokée wurde mehr als 25.000 Mal auf Instagram geliked und erschien auf allen großen Architekturportalen. Danach haben wir immer mehr Projekte mit Bögen und in ähnlichen Farbkombinationen gesehen. Ich bin daraufhin zurück in mein Moodboard gegangen und habe gezeigt, wo wir unsere Inspirationen herbekommen haben. Farblich waren das beispielsweise die Pool-Bilder von David Hockney. So ist das Stehlen immer ein Kreislauf. Solange man die Sachen nicht eins zu eins kopiert, sondern sich davon inspirieren lässt, ist das auch richtig und wichtig. Denn so kann man immer wieder etwas Neues gestalten, indem man sich von dem Alten inspirieren lässt. Ich fühle mich geehrt, wenn Leute meine Ideen als Grundlage betrachten und weiterentwickeln. Man kann es nicht vermeiden und Gott sei Dank kommen die Ideen immer wieder. Genauso erkennen sich andere wahrscheinlich in meiner Arbeit wieder.

Ihre Wohnung in einem Dachgeschoss in Prenzlauer Berg war schon häufig in den Medien. Dient sie vielen Bauherren als Inspiration? Ich habe lange nach einer Wohnung gesucht, bei der ich den Innenausbau komplett selbst gestalten kann, um sie als „Showroom“ zu nutzen. Außerdem wollte ich mal so wohnen wie ich plane. Für sich selbst, kann man ja gestalterisch oft noch einen Schritt weitergehen als bei anderen und muss dennoch das Budget im Auge behalten. Alle Räume sind mit Einbauschränken versehen und sehr reduziert. Sowohl der Esstisch als auch das Sofa sind Maßanfertigungen. Wenn ich aus dieser Wohnung jemals ausziehen sollte, würde ich sie komplett mit allen Möbeln und der gesamten Kunst verkaufen, quasi als Gesamtkunstwerk.

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Ester Bruzkus

Ester Bruzkus, Foto: Stephan Pramme

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www.esterbruzkus.com

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