Experimentator mit Weitsicht
Rising Star 2000: Werner Aisslinger
Der Berliner Designer Werner Aisslinger (*1964) war mit seinen Arbeiten im Jahre 2000 in aller Munde. Dabei war sein Studio zu dieser Zeit gerade einmal sieben Jahre alt. Bereits 1994 gewann er mit dem Regal Endless Shelf den Red Dot Design Award und 1996 nahm das MoMA seinen Juli Chair in die Sammlung auf. Mit seinen Entwürfen schafft Werner Aisslinger es, den Zeitgeist widerzuspiegeln, ohne modische Produkte zu entwerfen. Im Jahre 2003 stellte er den LoftCube vor: Eine mobile Wohneinheit mit weniger als 40 Quadratmetern, die heute, wo Begriffe wie Micro-Living und Cabins in aller Munde sind, aktueller scheint als vor 17 Jahren. Aber beim Produktdesign blieb das Studio Werner Aisslinger nicht. In den bereits 27 Jahren des Schaffens hat Werner Aisslinger zahlreiche Restaurants und Bars, Hotels und Läden, Markenauftritte, Ausstellungen oder Räume gestaltet – ohne dabei von seinem Interesse an Materialien und Technologien abzulassen.
Welches Produkt hatten Sie im Jahr 2000 in Mailand vorgestellt?
Das war Soft Chaise für Zanotta, eine Liege mit Technogel. Mich hatte 1995 die Ausstellung „Mutant Materials in Contemporary Design“, kuratiert von Paola Antonelli, im MoMA dazu inspiriert. Dort wurde einer der ersten Gel-Fahrradsättel der Firma Selle Royal gezeigt. Mit denen habe ich dann Kontakt aufgenommen und die Firma für das Projekt im norditalienischen Pozzoleone besucht. Damals war man noch analoger unterwegs… (lacht)
Was trieb Sie damals an?
Ich war der Meinung, dass die Evolution im Design über die Materialien und Produktionsmethoden angetrieben wird. Wenn man die Objekte anschaut, die Designgeschichte geschrieben haben, standen diese immer auch für Materialevolution – man denke an die Kunststoffprodukte aus den Fünfzigern. Ich wollte mit bisher unbekannten Materialien und Materialkombinationen arbeiten. Im Jahr 2000 war das noch sehr aufregend. Heute ist dieses Vorgehen in vielen Hochschulen zum Standard geworden.
Wie unterscheidet sich die Praxis von heute zu „damals“ vor 20 Jahren?
Manchmal frage ich mich heute: Wie haben wir das damals eigentlich gemacht? Wir haben intensiv und lange an Prototypen und Themen gearbeitet. Heute haben sich die Prozesse extrem beschleunigt, die Entwicklungszyklen für Produkte sind erheblich kürzer – und die Budgets erheblich kleiner. Die Frage ist: Wo kommt die Qualität her? Wir können den Druck hier im Studio aufgrund unserer Erfahrung und Routine abfangen, aber jüngere Büros – ich weiß nicht, wie die das schaffen…
Was genau hat denn die Prozesse verändert?
Vor 20 Jahren saß man mit der Familie Zanotta zu Hause beim Risotto und hat dort über Ideen gesprochen.
Aber mittlerweile gibt es kaum noch familiengeführte Unternehmen, sondern nur noch Marken, die mit wechselnden Managern ausgestattet werden. Und damit geht der kulturelle Geist eines Unternehmens verloren. Darf ich etwas ausführen?
Natürlich!
Mailand ist deswegen ein Zentrum in der Szene, weil sich hier schon seit jeher kluge Geschäftigkeit und Vermögen mit Innovationskraft und Kultiviertheit zusammengefunden haben. Für großbürgerliche Familien aus Mailand gehörte es praktisch zum guten Ton, eine Möbelmarke zu betreiben. Zwischen Designer und Firmenbesitzer gab es in der Regel einen direkten Kontakt und einen geistreichen Austausch. Und es reichte praktisch ein Handschlag, um das Produkt zu entwickeln. Der Chef als kultureller Kopf war immer mit dabei. Heute sind es häufig künstlich komplexe Abstimmungsprozesse. Und in denen sitzt kein Firmenboss mehr. Dafür gibt es Produktentwicklungsabteilungen und Projektmanagement. Man sitzt in den Gesprächen nicht mehr zu dritt, sondern zu zwölft – samt Marketingabteilung und Controlling. Der Gestaltung wie auch der Qualität des Produktes tut das meist nicht gut.
Und wie hat sich die Szene verändert?
Vor 20 Jahren war es familiärer. 1988 habe ich für Ron Arad gearbeitet und im selben Jahr als Jasper Morrisons erster Praktikant überhaupt. Die Szene war klein, in meiner Generation – aus deutscher Sicht – gab es noch Konstantin Grcic. International wurde das „Spielfeld“ von den Designern bestimmt, die fünf bis zehn Jahre älter waren als ich. Früher war die einzige Chance, sich als Designer zu positionieren, mit Firmen in Kontakt zu kommen. Heute ist es für die Designer, die zehn, fünfzehn Jahre jünger sind, schwer ins Business zu kommen. Dafür sind die Jungen aber sehr geschäftig, gründen eigene Marken, nutzen die Selbstpositionierung und einen Eigenvertrieb via Internet. Zudem ist der Markt einfach viel heterogener geworden: Die italienischen Marken haben zehn Jahre komplett verschlafen – im Sinne dessen, dass die Welt nicht nur 5-Sterne-Hotels und luxuriöse 20.000-Euro-Sofas braucht. Unternehmen wie Hay, Muuto und Co haben diesen Markt zwischen Ikea und Luxus für sich entdeckt und relativ günstige, gute und alltagstaugliche Produkte auf den Markt gebracht, die zu der Wohnwirklichkeit der meisten Menschen passen. Und das gibt wiederum auch Raum für die jüngeren Designer.