Fabio Novembre
Fabio Novembre polarisiert die Mailänder Designszene derweil wie kein anderer. Der 1966 in Mailand geborene Architekt machte sich nicht nur mit seinen exzentrischen Möbelentwürfen für Cappellini oder Driade einen Namen sowie den opulenten Showrooms, die er als Kreativdirektor für Bisazza in den Jahren 2000 bis 2004 entwarf. Es ist vielmehr seine nicht minder exzentrische Selbstdarstellung, mit der er in den Medien und der Öffentlichkeit erscheint. So lässt er sich auf seiner Homepage als Jesus ablichten und sagt Dinge wie „I want to breathe till I choke. I want to love till I die.“ Auch auf der diesjährigen Mailänder Möbelmesse hat Fabio Novembre seinen Sinn für extravagante Ideen bewiesen und seine Chaiselongue „Divina“ als Mischung aus der klassischen Mies-van-der-Rohe-Liege und einer liegenden femininen Figur entworfen. Wir trafen Fabio Novembre in Mailand und sprachen mit ihm über das Ende der Ismen, Giganten als Vorbilder und wie er die italienischen Piazze neu beleben will.
Herr Novembre, was Ihre Selbstdarstellung anbelangt, stellen Sie selbst Philippe Starck in den Schatten und inszenieren sich auf Ihrer Homepage gar als biblischen Erlöser. Glauben Sie, Sie sind Jesus?
(lacht) Das kommt aus meiner Vergangenheit. Ich war als kleiner Junge viele Jahre Messdiener. Wenn man dann aber erwachsen wird und versteht, dass die Welt viel größer ist und es keinen Grund gibt, auf einen Erlöser zu warten, dann muss man eben sein eigener Messias sein. Dass ich auf den Bildern immer wie Jesus aussah, lag aber wohl auch an meinen langen Haaren damals. Ich habe sie vor sechs Monaten abgeschnitten und erkenne mich im Spiegel selbst kaum noch wieder. Haare sind wie eine Dekoration. Wenn man sie abschneidet, steht das Gesicht wieder mehr im Mittelpunkt. Das hat sich hinter dem Jesus-Bild auf meiner Webesite verborgen.
Sie suchen auch immer wieder gern die Nähe zu den Altmeistern des postmodernen Designs wie Alessandro Mendini und Ettore Sottsass. Sehen Sie sich als ein direkter Nachfolger jener Generation?
Alessandro Mendini ist ein sehr guter Freund von mir und zugleich auch mein langjähriger Mentor. Ich würde wirklich gern das erreichen, was er in seinem Leben erreicht hat. Er ist ein großer Referenzpunkt für mich, sowohl was die Ehrlichkeit und Bedeutung seiner Arbeit anbelangt als auch auf menschlicher Ebene. Er und Ettore Sottsass, der im letzten Jahr gestorben ist, sind für mich die wahren Helden des historischen italienischen Designs. Isaak Newton hat einmal gesagt: „Ich konnte so weit sehen, weil ich auf den Schultern von Giganten stand.“ Ettore Sottsass und Alessandro Mendini sind die Giganten, die mir erlaubt haben, auf ihre Schultern zu steigen.
Wie würden Sie den Stil ihrer Arbeiten bezeichnen: als neo-postmodern?
Ich habe zu meinen Helden eher eine Beziehung, die rein mentaler Natur ist. Ich lehne eigentlich jede Form von Definition ab und versuche, möglichst keine Etikette zu bekommen. Das ist etwas vollkommen Anderes als in der Generation von Mendini. Sie haben damals den Gedanken, einer bestimmten Gruppe anzugehören und einen speziellen Titel zu tragen, sehr gemocht. Ich möchte das aber nicht, da ich mich sehr individuell fühle. Ich glaube, jeder ist sein eigener Filter gegenüber der Umwelt, erst recht, wenn man Individualität unter einem kreativen Blickwinkel betrachtet. Die heutige Zeit ist für mich daher auch das Ende der Ismen. Dennoch gibt es natürlich eine direkte Verbindung zwischen Alessandro Mendini und mir. Schließlich habe ich nach ihm die kreative Leitung von Bisazza bis in das Jahr 2004 übernommen. Doch die Art und Weise, wie wir mit dem Material umgegangen sind, könnte unterschiedlicher kaum sein.
Sie sprechen gerade Ihre Arbeit für Bisazza an. Dort haben Sie sich vor allem mit Ihren phantasievollen und stark von der Op-Art inspirierten Showrooms einen Namen gemacht. Dem Produktdeisgn haben Sie sich dagegen erst viel später zugewandt. Warum?
Ich habe meine Karriere mit der Gestaltung von Interieurs begonnen, weil Interieurs zunächst viel leichter als einzelne Produkte zu entwerfen sind. Denn wenn man Designgegenstände entwirft, ist der Referenzpunkt immer das Unternehmen, für das man arbeitet. Aber das Unternehmen ist nicht der eigentliche Kunde, denn dieser sollte immer der Verbraucher sein, der das Produkt schließlich kauft. Darum ist es in den ersten Jahren sehr schwierig, einen Hersteller zu finden, der in Deine Ideen investiert und ein Risiko eingeht. Bei Interieurs dagegen gibt es einen einzelnen privaten Kunden, der das Projekt finanziert. Das ist deutlich unkomplizierter.
Wie kam es, dass Sie sich dennoch dem Design zugewandt haben?
Das passierte erst relativ spät. Ich habe ja bereits 1994 angefangen, Interieurs zu entwerfen. Doch erst 2001 begann ich als Designer für Cappellini zu arbeiten, also erst sieben Jahre nach der Gründung meines Studios. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt schon einen Namen als Interieurdesigner, sodass mich Guilio Cappellini machen ließ, was ich wollte. Ich konnte ihm somit auch Dinge vorschlagen, die ein wenig verrückter waren. Das wäre in meinen Anfangsjahren sicher nicht gegangen.
Was hat für Sie heute Priorität: Interieurs oder Produkte?
Das Design von Produkten ist für mich sehr experimentell und spielerisch. Ich bin ja nicht wie Antonio Citterio und mache jene Art von Design, das sehr einfach und puristisch ist. Die Objekte, die ich entwerfe, sind sehr emotional und deutlich schwieriger an eine breite Masse zu verkaufen. Wenn ich also nur noch Produkte entwerfen würde, müsste ich mein Studio morgen schließen. Dennoch muss ich einfach Produkte machen, damit ich selbst nicht verrückt werde. Sie sind meine beste Therapie.
Ihre Chaiselongue Divina ist sicher einer der sonderbarsten Entwürfe der diesjährigen Mailänder Möbelmesse. Was hat es damit auf sich?
Das Divina-Sofa nimmt eines der klassischen Motive der Kunstgeschichte zum Vorbild. Künstler aus den verschiedensten Epochen haben Frauen stets wie göttliche Wesen betrachtet und sie immer wieder auf ein Sofa oder ein Bett platziert. Das war eine wesentliche Inspiration für sie. Ich selbst fühle diese klassische Liebe zu Frauen auf ähnlich intensive Art. Darum habe ich dieses Sofa gestaltet, als würde ich mich dem weiblichen Körper annähern, ihn berühren, mich an ihn lehnen. Für mich stand vor allem die sinnliche Erfahrung im Mittelpunkt und weniger Fragen des reinen Gebrauchs, die mir nichts bedeuten.
Wir sitzen ja gerade auf diesem Sofa während unseres Gesprächs. Obwohl sie auf den ersten Blick nicht so aussieht, ist die Lehne sogar ziemlich bequem…
Natürlich habe ich lange an der Form gearbeitet, damit sie zum Schluss auch ergonomisch ist. Ich bin dabei fast wie ein Bildhauer vorgegangen und habe zugleich mit allen Formen von Geschichte gespielt. Die Sitzfläche sieht aus wie von Mies van der Rohe, während die Rückenlehne an Henry Moore erinnert. Kunst, Architektur, Poesie und Musik kommen so zusammen. Ich glaube, man muss alles miteinander vermischen wie in einem großen Mixer. Man nimmt die Dinge, die einem gefallen und mischt aus ihnen einen neuen Cocktail. Ein Cocktail, an dem die Menschen Spaß haben sollen.
Bei ihrem Tablettserie 100 Piazze haben Sie die Form bekannter italienischer Plätze zum Vorbild genommen, darunter die Mailänder Piazza della Scala oder der Piazza Campidoglia in Rom.
Ja, wir haben die Plätze auf den Maßstab von 1:250 verkleinert, sodass man sie auch gut vergleichen kann in Größe und Aufbau. Für mich sind sie ein Mix aus meiner architektonischen Herangehensweise – schließlich musste ich an der Uni auch ständig Modelle verschiedenster Plätzen bauen. Auf der anderen Seite gibt es heute „Google-Earth“, das uns eine vollkommen neue Betrachtungsweise von Städten ermöglicht. Man kann sie aus der Perspektive eines Flugzeuges betrachten und somit neu entdecken. Das ist wunderschön. Ich mag es, diese beiden Sinneseindrücke zu kombinieren: meine Sichtweise als Architekt und meine Sichtweise als jemand, der fast immer im Internet und mit dem Rest der Welt verbunden ist.
Die italienische Piazza hat auch stets eine soziale Funktion gehabt. Wie kamen Sie auf die Idee, den Städtebau in den Haushalt zu transportieren?
Für meine und die vorherigen Generationen waren die Plätze die Treffpunkte in der Stadt. Aber wir sind die Vor-Mobiltelefon-Generation. Heute hat sich das grundlegend geändert. Mit dem Handy haben wir jeden Referenzpunkt verloren. Früher hieß es noch: „Lasst uns auf der Piazza Fußball spielen und dort den Mädchen hinterher jagen!“ Doch heute gehen die Italiener nicht mehr auf die Piazza wie früher. Meine Absicht war es, die Menschen wieder zu ermutigen, dorthin zurückzugehen. Indem sie sie als Tablett vor sich sehen, fangen sie vielleicht an, sich zu fragen, wie lange sie nicht mehr dort gewesen sind. Hinzu kommt: Wenn man die Tabletts in die Mitte des Tisches stellt, werden die Dinge und Menschen um ihn herum mit einem Mal selbst zu einer kleinen Stadt. Das ist für mich ein sehr poetischer Filter zur Realität.
Vielen Dank für das Gespräch.
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