Menschen

Florian Hufnagl

von Jasmin Jouhar, 15.12.2009


Schon in seinem Büro sieht es aus wie in einer Ausstellung. Der Leiter des Designmuseums Die Neue Sammlung, Florian Hufnagl, umgibt sich an seinem Arbeitsplatz in der Münchner Pinakothek der Moderne mit ausgesuchten Gegenständen. Er sitzt auf dem Drehstuhl „.04“ von Maarten van Severen an einem Tisch von USM, Licht spendet ihm die Leuchte „Tolomeo“. Besucher dürfen auf Konstantin Grcics „Odin“-Sofa Platz nehmen. Auf dem „Diana“-Beistelltisch, ebenfalls von Grcic, steht ein Aschenbecher von Arne Jacobsen. Und bis auf das Rauchutensil ist alles schwarz. Hufnagl, 1948 geboren, ist promovierter Kunsthistoriker und hat eine Professur an der Münchner Akademie der Bildenden Künste inne. Seit 1980 arbeitet er als Kurator in der Neuen Sammlung, seit 1990 leitet er das Haus. Zu den jüngsten Projekten gehörten unter anderem Ausstellungen über die Rolle des Designs bei Ikea und über die Gestaltung von Autos. Die umfangreiche und schön inszenierte Dauerausstellung des Hauses deckt die ganze historische Bandbreite von Bugholzmöbeln bis Mobiltelefonen ab.


Die Neue Sammlung beherbergt etwa 70.000 Objekte aus Design und Kunsthandwerk. Wo bewahren Sie die alle auf?

Das kann man nicht in den zentralen Lagen einer Großstadt machen. Wir haben sieben verschiedene Depots, die über ganz Bayern verteilt sind. Schon aus konservatorischen Gründen kann man vieles nicht nebeneinander aufbewahren. Papier – Plakate, Grafikdesign – braucht ein anderes Klima als etwa Fahrzeuge, und Porzellan ein anderes als so ein kleines technisches Gerät, wie es gerade vor mir liegt [das Aufnahmegerät, Anm. d. Red.].

Viele Gebrauchsgegenstände aus dem 20. Jahrhundert bestehen aus Materialien, die bis dahin wenig erprobt waren. Wie gut altern beispielsweise Kunststoffmöbel?

Das ist eine entscheidende Frage. Die stellt sich nicht nur bei Kunststoffmöbeln, sondern auch bei technischen Geräten, die einen hohen Anteil an Kunststoff haben. Deshalb sind wir auch anders aufgestellt, als man vielleicht erwartet. Unsere Restauratoren sind Ingenieure aus technischen Fachrichtungen, und der Leiter meiner Restaurierungswerkstatt ist ein anerkannter Experte für die Themen Kunststoff und Kunststoffrestaurierung.

Was sind die Probleme, die sich mit Kunststoff ergeben?

Jeder Kunststoff enthält Weichmacher, jeder Kunststoff verhärtet, vor allen Dingen die frühen. Es gibt auch kaum Erfahrungen, wie solche Materialien altern. Wie sich Holz verhält, weiß man – es wird seit mehreren tausend Jahren verwendet. Kunststoff ist eine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Aber mit der Vergänglichkeit muss man leben. Die Lebenszeit der Dinge, die wir bewahren, wird irgendwann zu Ende sein.

Sie haben das Thema elektronische Geräte schon angesprochen. In der Dauerausstellung zeigen Sie viele Mobiltelefone oder Computer. Funktionieren die alle?

Das ist nicht unsere Aufgabenstellung. Wir sind kein technisches Museum wie das Deutsche Museum. Unsere Aufgabe ist es, die Funktion und Gestaltung aufzuzeigen, und deren Abhängigkeit. Doch die meisten unserer Geräte funktionieren tatsächlich. Sie sind in jedem Fall in einem Originalzustand. Stellen Sie sich zum Beispiel ein Fahrzeug vor: Bei einem Auto, das ich konserviere, muss ich alle Flüssigkeiten rausnehmen, weil etwa die Öle aggressiv auf die Materialien wirken können.

Wie geht das vor sich, wenn ein neues Stück Eingang findet in die Sammlung? Im Falle von Designobjekten gibt es meist kommerzielle Hersteller. Schenken die Ihnen die Objekte?

Das ist ein komplexer Vorgang. Wir sind im aktuellen Designgeschehen stark involviert. Sie werden meine wissenschaftlichen Mitarbeiter und mich auf nahezu jeder Messe finden. Wir nehmen an vielen internationalen Jury-Entscheidungen teil, das heißt, wir wissen, was auf den Markt kommt. Wir haben eine wunderbare Bibliothek mit über 60 Zeitschriften, die sich international dem Thema Design widmen. Wir pflegen seit Jahrzehnten den Dialog mit den Gestaltern. Wir beobachten, und das ist mir besonders wichtig, was der Nachwuchs macht.

Die Entscheidung, was in die Sammlung aufgenommen wird, ist die Ihnen und Ihrem Team überlassen?

Die Entscheidung trifft Die Neue Sammlung, also wir. Das ist immer ein Entscheidungsfindungsprozess, da wird diskutiert. Jedes Produkt, das nichts wirklich Neues bringt, ist überflüssig angesichts schwindender Ressourcen. Und die Frage, was ein Ding Neues bringt, die stellen wir nicht nur unter technischen Gesichtpunkten, sondern auch unter formalen. Unser Problem ist doch, dass wir viel zu viele Dinge haben, die das Gleiche können und letztendlich auch gleich ausschauen. Uns überzeugen meist die stillen, die zurückhaltenden Dinge, die sich in die Alltagswelt eingliedern, anstatt laut zu schreien: „Bitte bewundert mich!“

Kaufen Sie das Objekt Ihrer Wahl dann?

Es kommt darauf an. Ja, wir kaufen Stücke für die Sammlung. Wenn es aktuelle Produkte sind, dann fragen wir beim Designer oder Hersteller an. Alle staatlichen Museen sind nicht gerade gesegnet mit üppigem Manna. Das heißt, wir gehen mit den uns gegebenen Steuermitteln möglichst ökonomisch um. Wir kaufen meistens historische Objekte, Dinge, die man versäumt oder nicht erkannt hatte.

Gibt es auch den umgekehrten Fall, dass ein Hersteller Ihnen ein neues Produkt für die Sammlung anbietet?

Ja, das gibt es in Ausnahmefällen auch. Das sind aber meistens die falschen Produkte mit der falschen Gestaltung von einem Unternehmen, das gerade nicht designorientiert ist.

So ein Angebot lehnen Sie im Zweifelsfall ab?

Mit Sicherheit! Als Staatsunternehmen sind wir in unserer Entscheidung frei. Eine wunderbare Situation …

Sie haben schon über die Kriterien gesprochen, nach denen Sie die Objekte für die Sammlung auswählen. Wie ist das Verhältnis von Autorendesign und anonymen Produkten?

Die längste Zeit in der Geschichte des Designs waren die Entwerfer anonym. Dass wir heute so einen Designer-Starkult haben, ist eine ganz aktuelle Entwicklung. Ich erinnere mich noch sehr gut an ein damals sehr bedeutendes deutsches Unternehmen, das fast paradigmatisch für deutsches Design stand.

Ich nehme an, Sie sprechen von Braun?

Da wurde über die Namen nie diskutiert, es hieß immer Werksentwurf. Heute gehen die Unternehmen sehr unterschiedlich vor. Es gibt Unternehmen, die kaufen sich einen Namen. Meistens weniger wegen der Qualität des Produktes, als wegen des damit verbundenen Werbeeffekts.

Sie sind täglich von historischen Stücken umgeben, auch von den heute so beliebten „Designklassikern“. Wie schätzen Sie den Einfluss der Designgeschichte auf die aktuelle Gestaltung ein?

Die Geschichte tragen wir alle in uns, denn natürlich gibt es so etwas wie ein kollektives Gedächtnis. Aber, um das mal ganz klar zu sagen: Klassiker aus der Designgeschichte sind heute mausetot, weil sie nicht mehr unsere Probleme ansprechen. Es geht nicht mehr nur um die äußere Form. Die Frage ist vielmehr, wie man die Schnittstelle schafft zwischen dem technischen Können eines Gegenstandes und seiner Benutzbarkeit? Wie erklärt sich ein Ding dem Menschen? Wir haben mittlerweile so viele Dinge, die fast alles können, aber der Mensch muss damit umgehen können. So einfach das klingt, so kompliziert ist das.

Also ist die Welt des Designs komplexer geworden, verglichen etwa mit den fünfziger Jahren?

Eindeutig. Die Themen von damals sind nicht mehr unsere. Themen des Designs sind ganz aktuelle Probleme – nehmen Sie als Beispiel Nachhaltigkeit. Darüber musste man sich in den fünfziger Jahren kaum Gedanken machen. In der unmittelbaren Nachkriegszeit war man froh, wenn man ein Ding hatte, und es war wunderbar, wenn es dann auch noch gestaltet war.

Kennen Sie denn Beispiele aus dem aktuellen Design, bei denen der Aspekt der Nachhaltigkeit überzeugend gelöst ist? Oder ist da vor allem Marketing im Spiel?

Ja, es gibt Lösungen, aber sie könnten noch viel besser werden. Wichtig ist zunächst, dass man sich überhaupt auf diesen Weg macht. Ich kenne keinen Weg, der gleich von Anfang an die ultima ratio ist. Natürlich ist das Design sehr stark marketingorientiert, das ist ganz klar. Eine Produktentwicklung kostet aber auch jede Menge, und die Zeiten, wo man, bloß weil man in der Lage ist, ein Produkt auf den Markt zu bringen, dafür auch Käufer findet, sind vorbei. Es ist wichtig, Werbeaussagen daraufhin abzuklopfen, ob sie bloße Lippenbekenntnisse sind.

Hat Sie denn schon ein Produkt überzeugt, das mit dem Thema beworben wird?

Der erste Schritt ist es, sich zu überlegen, wie man bei einem Produkt, das unter Umständen aus vielen tausend Teilen besteht, deren Anzahl reduzieren kann. Und die Materialien so zu verwenden, dass sie in einen Verwertungskreislauf eingebracht werden können. Und der nächste Schritt wäre, sich vor einem Entwurf zu fragen: Braucht man das auch? Denn die Kunst liegt wie immer in der Beschränkung. Machbar ist vieles, es fragt sich nur, zu welchem Preis. Danach fragt letztendlich auch der Käufer. Ist es mir das im wahrsten Sinne des Wortes wert?

Wobei Kaufentscheidungen sicher noch nach anderen Kriterien getroffen werden, Stichwort „Begehrlichkeit“.

Aber das sehe ich durchaus positiv. Denn Begehrlichkeiten verschönern auch das Leben. Und es ist eine Frage des Maßes: Man muss nicht alles und zu jeder Zeit und um jeden Preis haben. Aber Emotionen sind schon bereichernd. Und Gestaltung nur unter dem Motto form follows function zu sehen, das ist auch „letztes Jahrhundert“, um es mal liebevoll auszudrücken [lacht].

Wie beurteilen Sie das aktuelle Design in Deutschland? Hat es das Potenzial, sich auch künftig international zu behaupten?

Deutsches Design bedeutet immer eine ernsthafte Beschäftigung mit den Fähigkeiten eines Produktes. Es geht nie um das Überziehen einer Art Maske über einen technischen Gegenstand. Man kann form follows function auch positiv sehen, denn so findet immer eine tiefe Auseinandersetzung mit dem Produkt statt. Wenn diese Designhaltung heute auch mit den Themen Emotion und Verständnis für den Benutzer einhergeht, dann ist das eine erfreuliche Entwicklung. Außerdem gibt es kaum ein Land, das sich so mit Ökologie auseinandersetzt, wie Deutschland – auch die Unternehmen. Darin liegt eine große Chance für deutsche Produkte.

Können Sie sich für Ihren persönlichen Gebrauch noch irgendeinen Gegenstand kaufen, ohne über die Gestaltung des Gegenstandes nachzudenken?

Nein. Und ich hoffe, jeder überlegt sich, was ziehe ich an, mit was umgebe ich mich? Ich bin allerdings unglaublich privilegiert, ich darf sammeln, ohne besitzen zu müssen. Ich kann mich zu Hause auf wenige Dinge beschränken, die mir wirklich wichtig sind, weil ich meine Sammlerwut beruflich austoben kann. Das können die wenigsten Menschen.

Vielen Dank für das Gespräch.
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Links

Die Neue Sammlung

Staatliches Museum für angewandte Kunst und Design

die-neue-sammlung.de

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