Menschen

Gadi Amit

Der israelische Designer im Gespräch.

von Katharina Horstmann, 07.04.2016

Nach Gadi Amits Meinung soll Technologie für den Menschen arbeiten, und nicht umgekehrt. Dementsprechend kreisen die Entwürfe des in San Francisco lebenden Industriedesigners um den menschlichen Umgang mit digitalen Geräten und den Versuchen, sie sinnvoller in den Alltag zu integrieren. Ein Gespräch über Google, ein Smartphone nach Baukastenprinzip und die Entwicklung der Augmented Reality.

Gadi Amit, Ihr Project Ara für Google soll eine Alternative zu den gängigen Smartphones darstellen. Erklären Sie uns bitte das Konzept.
Das Kernstück von Project Ara ist die Grundplatte, das sogenannte Endoskelett. Es kann vom Nutzer selbst mit Komponenten wie Batterie, Speicherplatz, Displaygröße, Kameraauflösung, aber auch Gehäuse bestückt werden. Sowie die einzelnen Bestandteile veraltet oder defekt sind, können sie gegen neue ausgetauscht werden – und nicht das ganze Gerät. Der Nutzer kann mit einfachen, kostengünstigen Komponenten anfangen und mit der Zeit aufrüsten und die Bausteine austauschen. Dadurch wird das Veralten des Smartphones verlangsamt und weniger Elektroschrott produziert.

Neben großen Konzernen wie Google entwerfen Sie auch viel für kleine Start-Up-Firmen.
In Silicon Valley hat sich in den letzten Jahren viel verändert. Viele Ideen sind heute möglich, weil auch Einzelne ein Produkt inklusive Software und Hardware entwickeln können. Vor zehn, fünfzehn Jahren wäre es unmöglich gewesen, etwas ohne einen großen Konzern auszubauen, weswegen auch viele gute Ideen im Sand verlaufen sind beziehungsweise von den Unternehmen zunichte gemacht wurden.

Eine dieser Firmen ist Sproutling, für die Sie ein tragbares Computersystem für Babys entworfen haben.
In der Regel handelte es sich bisher bei Wearables um automatisierte Vorgänge, die einsetzen, wenn etwas sie auslöst. Sie werden zwar smart genannt, aber im Grunde genommen sind sie relativ primitiv. Der Sproutling Baby Monitor gehört zu einer neuen Generation von Geräten, die smarter werden – und vor allem weiser. Das Wearable wird um die Fessel des Babys gelegt, um dessen Körpertemperatur und Körperbewegung zu messen und um Schlafmuster und optimale Schlafbedingungen zu registrieren und zu prognostizieren. Gleichzeitig kontrolliert eine Basisstation Raumtemperatur und Lärmpegel. Die Daten werden über eine App nicht nur an das elterliche Smartphone übermittelt. Eine zusätzliche Elternstation visualisiert sie über ein verständliches Farbensystem, sodass das Telefon auch außer Acht gelassen werden kann und man nicht immer auf die App blicken muss.

Das heißt, die Technologie soll die Aufmerksamkeit des Nutzers nur dann auf sich ziehen, wenn es wirklich notwendig ist?
Das ist ein wichtiger Ansatz, den wir verfolgen. Wie bei Sproutling kann das zum Beispiel mit Lichtimpulsen über ein zusätzliches Gerät passieren, anstatt über die grafische Benutzeroberfläche eines Smartphones. Letztendlich soll Technologie für den Menschen arbeiten, und nicht umgekehrt.

Inwieweit spielt Crowdfunding bei Projekten wie diesem eine Rolle?
Nur in wenigen Fällen hat Crowdfunding hohe Summen erzielt, weswegen ich dieses Finanzierungsmodell vor allem als PR-Plattform sehe. Letztendlich ist es doch immer so, dass es bei guter PR auch kein Problem mit der Finanzierung gibt. Crowdfunding hat die Wahrnehmung von kleinen Unternehmern gesteigert. Während früher alles ganz leise innerhalb der großen Konzerne vor sich ging, können heute zwei Personen eine Idee haben, viel Lärm machen, eine Finanzierung für sie finden und ein Produkt auf den Markt bringen. Das ist eine gute Sache.

Ihre Kunden stammen mehrheitlich aus der Technologiebranche. Wie fließt das in Ihren Gestaltungsansatz ein?
Es wird häufig davon ausgegangen, dass ich einen sehr rationalen Gestaltungsansatz verfolge. Doch das Gegenteil ist der Fall. Es handelt sich um einen emotionalen Prozess, denn es geht darum, wie die Menschen auf Technologie reagieren – oder eben nicht. Wenn wir im Studio mit einem neuen Projekt beginnen, passiert das auf eine sehr klassische und intuitive Art und Weise: Wir experimentieren mit den Händen. Dabei spielt der Zufall eine wichtige Rolle. Oft macht die Hand etwas anderes, als sie sollte. Sie zeichnet zum Beispiel ein Oval anstatt eines Kreises. Häufig passiert das intuitiv, was ich sehr informativ finde und was zum Kern des kreativen Prozesses werden kann. In vielen Fällen haben diese Zufallsfunde zu besseren Designlösungen geführt. Der Prozess in unserem Studio basiert also auf dem Kultivieren und Ausarbeiten von Versehen. Ich wollte den Ansatz aber nicht „Versehen der Hand“ nennen, weswegen wir immer von der „Weisheit der Hand“ sprechen.

Die Hand spielt auch eine große Rolle bei Ihrem Zukunftsszenario Project Underskin.
Project Underskin ist ein Experiment – und eine provokative Idee. Heutzutage haben wir vermehrt das Problem mit der Bedienung unserer verschiedenen mobilen Gerätschaften, weswegen wir ein Instrument für die Zukunft schaffen wollten, das alle steuern kann. Bei dem Projekt wird eine betriebsübergreifende Benutzeroberfläche als Chip im Handbereich unter die Haut implantiert, die als Schnittstelle zur omnipräsenten Datenwolke dient. Die Idee nimmt Bezug auf eine lange Tradition von Körperverzierungen, nicht nur von Tätowierungen, sondern auch von Edelsteinen, die in den vergangenen Jahrhunderten unter die Haut eingesetzt wurden.

Wie funktioniert die Benutzeroberfläche?
Für die Bedienoberfläche haben wir ein Konzept entwickelt, das alleine vom Benutzer festgelegt wird. Bei einem Blinken kennt nur er die genaue Bedeutung. Wir nennen es auch „introvertiertes Auge“. Sie könnte beispielsweise auf einen Anruf aufmerksam machen, mitteilen, nach dem Baby zu sehen, oder auch vor erhöhter Herzfrequenz oder erhöhtem Blutzucker warnen. Sie könnte aber genutzt werden, um sich auszuweisen, um zum Beispiel eine Tür zu öffnen oder die Kreditkarte zu nutzen. Den Kontext kann der Benutzer selbst festlegen. Auch hier versuchen wir, Probleme anzugehen, die dem aktuellen Stand der Technologie und dem menschlichen Verhalten in der Zeit voraus sind.

Vor fast 15 Jahren haben Sie für das Unternehmen Microvision Nomad entworfen, eine Datenbrille für Techniker, die damit, ohne ihre Hände benutzen zu müssen auf Baupläne zugreifen konnten. Wie sehen Sie die Entwicklung der Augmented Reality?
Heute stehe ich dem Thema skeptisch gegenüber. Bei der Augmented Reality werden Informationen in das Sichtfeld des Nutzers eingeblendet. Wenn er zum Beispiel eine neue E-Mail erhält, wird er alarmiert. Das Problem daran ist, dass der Ansatz sehr technisch ist und den Menschen außer Acht lässt. Gegenwärtig macht sich eine, wie ich sie nenne, „Alarmermüdung“ breit. Wir werden einfach den verschiedenen Alarmen überdrüssig. Wer benötigt da noch eine Datenbrille, die ständig die Aufmerksamkeit auf sich lenkt? Meiner Ansicht nach ist die Augmented Reality nicht für die Allgemeinheit bestimmt. Für ein paar Bereiche ist sie interessant, in denen die Hände frei sein sollten, wie zum Beispiel für Chirurgen oder auch Polizeibeamte. Ich finde, die Google Glass bezeichnend dafür, was Technologie über die Menschen denkt und was Menschen wirklich sind. Um ehrlich zu sein, bin ich fast darüber überrascht, dass im Unternehmen niemand gefeuert wurde. Anderseits ist es eine Bestätigung für mich als Designer. Es zeigt, dass erfahrene Entwickler relativ töricht agieren können, wenn es um menschliche Aspekte geht. Also gibt es immer noch den Bedarf für Designer wie mich (lacht).

Vielen Dank für das Gespräch

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Gadi Amit

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