Gonzalez Haase
Das Berliner Architektenduo im Gespräch über die Inszenierung von Luxus als Kunst.

Wer in der Kunst- und Kulturwelt Berlins unterwegs ist, der wird um Gonzalez Haase nicht herumkommen, zumindest nicht um ihre Räume: Kaum jemand hat so viele Galerien, Concept Stores und Modegeschäfte gestaltet wie das deutsch-französische Duo. Judith Haase und Pierre Jorge Gonzalez sind eines der spannendsten Architekturbüros der Hauptstadt, und wir haben mit ihnen über Gestaltung ohne Geflunker, die Watermill-Connection und die Farben von Katastrophen gesprochen.
Wo und wie habt ihr euch kennengelernt?
JH: Das war 1997 im Watermill Center von Robert Wilson. Pierre Jorge war eingeladen, und ich war es auch. Ich arbeitete dort seit 1992 an der Entwicklung des Ortes als Teil meiner Diplomarbeit.
PJG: Ich war über einen meiner Pariser Professoren dorthin gekommen, denn ich studierte zu dem Zeitpunkt noch Bühnenbild. Weil ich kaum Englisch sprach, war meine einzige Chance, mit den anderen zu kommunizieren, durch meine Arbeit. Das machte nicht nur Robert Wilson auf mich aufmerksam, sondern auch Judith. Für uns war es von Anfang an etwas sehr natürliches, miteinander zu arbeiten, da sich unsere Fähigkeiten sehr gut ergänzten. Wilson bat uns dann, auf Dauer zu bleiben und die Entwicklung des Watermill Center voranzutreiben.
Wie kam es dann zu eurem Zusammenschluss als Gonzalez Haase?
JH: Das war 1999. Wir hatten die Planungen für das Center beendet, und Wilson musste erstmal das Geld auftreiben, um mit dem Bau starten zu können.
PJG: Wir hatten zu diesem Zeitpunkt auch beide etwas Heimweh: Und so kam alles zusammen, und wir entschlossen uns dazu, unser eigenes Büro zu gründen. Am Anfang saßen wir noch in Berlin und Paris, aber die Tendenz ging klar in Richtung Berlin, weil viele unserer Freunde und Bekannten hierher zogen. Die Stadt war zum Anziehungspunkt für Künstler aus aller Welt geworden. Und so war unser erstes Projekt auch die Galerie Nordenhake.
Ihr habt zu Beginn eurer Karriere fast ausschließlich Galerien geplant: War das die Watermill-Connection?
JH: Ja, aber es war auch unsere Sozialisierung als Architekten, die uns für die Konzeption von Ausstellungsorten begeisterte. Wir haben beide für Richard Gluckman gearbeitet, der neben dem Watermill Center auch eine Reihe anderer Kunstorte entworfen hat. Das hat uns für diese spezielle Raumtypologie sensibilisiert und auch eine Menge Erfahrungen verschafft: Das Wissen haben wir aus New York mit nach Berlin gebracht.
Wie würdet ihr euren Designansatz beschreiben?
PJG: Wir versuchen zuerst, eine größere Distanz zu unseren „Objekten“ zu wahren und betrachten den Raum als pure architektonische Struktur, fast wie ein Skelett. Natürlich spielen auch die Realitäten unserer Zeit eine Rolle: Wir wollen, dass sich unsere Arbeit weiterentwickelt, genau wie es bei zeitgenössischen Künstlern oder der gerade sehr präsenten neuen Generation junger Köche wahrzunehmen ist. Unser Gestaltungsansatz basiert nicht auf einer Idee oder der Ansammlung von Ideen. Er entspricht vielmehr einem Apparat, in dem sich sehr viele Ebenen überlagern, jede einzeln aber erkennbar bleibt, ohne eine Hierarchie.
JH: Unsere Annäherungsweise an Projekte ist immer zuerst konzeptioneller Art. Der Raum und seine Lichtverhältnisse: natürlich und künstlich. Dann denken wir im nächsten Schritt über Materialität und Farbe nach und wie sich die Elemente zusammenfügen sollen.
Ihr habt, ähnlich wie in der Mode- oder der Kunstwelt, eine eigene Handschrift entwickelt, die zwar einen roten Faden erkennen lässt, sich aber trotzdem stetig verändert und der jeweiligen Situation anpasst: Woher kommt das?
JH: Das immer gleiche Design zu wiederholen, wäre zu langweilig für uns: Wir stecken in einem permanenten Prozess, und das ist sehr herausfordernd. Wir entwickeln die Entwürfe gemeinsam, werfen unsere Ideen in einen Topf, und dann kommt es auf die jeweilige Tagesform an, wer sein Konzept besser verteidigen und am Ende durchsetzen kann. Der bessere Ansatz gewinnt! Da geht es nicht um persönliche Eitelkeiten – es geht darum, die beste Lösung für das Projekt zu finden. Wir kommen aus unterschiedlichen Kulturen, und wir sprechen verschiedene Sprachen: Das verleiht unserem Gestaltungsprozess eine gewisse Spannung. Ich glaube, dass es uns nicht in erster Linie um Schönheit oder Harmonie geht, sondern auch um das Spiel mit Gegensätzlichkeiten. In jedem unserer Projekte findet sich ein etwas verstörendes Element.
Woher kommt euer Faible für Licht?
PJG: In der Architektur wird Beleuchtung oft als technisches Hilfsmittel betrachtet und spielt selten eine Rolle in der Strukturierung von Raum: Für uns ist Licht genauso wichtig wie die Stützen, die ein Haus tragen. Das Gebäude wird mit ihm geboren! Es geht um die Reduktion der Oberflächen: Wir wollen der Substanz der Gebäude, in denen wir bauen, auf den Grund gehen. Und gleichzeitig räumen wir damit auf. Das Licht, egal ob natürlich oder künstlich, definiert, was Raum ist und was nicht.
Es gibt auch Möbel von euch. Könntet ihr euch vorstellen, mal einen Stuhl für ein großes Möbelunternehmen zu entwerfen?
PJG: Das Objekt an sich ist für uns erstmal nicht so wichtig – nur als Teil des Raumes. Wir entwerfen keine Einbauten, die man beliebig hin- und herschieben oder an verschiedenen Orten aufstellen könnte: Das ist nicht unsere Idee von einem Objekt. Aber wenn Vitra uns fragen würde, einen Stuhl für sie zu entwerfen, würden wir natürlich nicht Nein sagen.
Nächstes Thema: Farbe! Ihr habt das Buch The Catastrophe Colours herausgegeben. Was steckt hinter diesem Werk?
PJG: Das Buch entstand für die Ausstellung How Soon Is Now, an der eine Menge großartiger Architekten und Designer aus Berlin teilgenommen haben. Es ist ein Versuch, den Farben ihre anheftende Poesie zu entziehen und sie in einen neuen, symbolischen Kontext zu transferieren. Farben, wie sie in der Architektur angewandt werden, sind ein menschliches Konstrukt, genau wie die meisten Katastrophen: Deshalb wollten wir sie verknüpfen. Die Medien sind voller Nachrichten von Unglücken, und was am Ende in unserer Erinnerung übrig bleibt, sind schwammige Bilder – die sich leicht auf eine Farbe reduzieren lassen. So besitzt jede Katastrophe ihre eigene Farbe. Und was wäre, wenn man die Farbe für sein Wohnzimmer nach ihrer Herkunft, ihrer Geschichte auswählen würde. Genau wie wir es mit Essen und Kleidung immer mehr tun.
Ihr habt einen sehr exklusiven Kundenkreis: Andreas Murkudis, Vitra, die Deutsche Guggenheim und Manufactum. Wie passt die Modekette Weekday in diese Aufzählung?
PJG: Weekday war ein wichtiger Entwicklungsschritt für uns, um zu zeigen, dass wir nicht nur Galerien und Shops für exklusive Mode planen können. Wir haben einen Prototypen entwickelt, der mehr oder weniger horizontal in zwei Hälften geteilt ist: unten Plattformen voller Ware, oben vertikale Monitore wie auf einem Flughafen. Kommunikation über Konsum! Keine Schummelei, alles echt. Wir glauben, dass der Kunde das heutzutage verlangt. Und auf eine bestimmte Art und Weise ist es genau das gleiche, was wir auch für Andreas Murkudis machen, nur dass es sich dort um Luxusware handelt.
Welche Rolle spielt denn Andreas Murkudis für euch?
JH: Durch Andreas sind wir dazu gekommen, Modeläden zu gestalten.
PJG: Ja, und wir sind glücklich, dass er unser Einstieg in diesen Bereich war. Es ist eine wichtige Referenz für uns, und wir werden oft deswegen kontaktiert.
JH: Wir sollten sein erstes Geschäft wie eine Galerie entwerfen, alle technischen Elemente sollten versteckt sein: keine Schalter, keine Steckdosen, keine Leuchten. Der Raum war klar lesbar, und das aus dem verborgenen kommende Licht unterstrich seine Schönheit. Die Kollektion wirkte ausgestellt wie Kunst! Das war 2003, und seitdem entwickeln wir gemeinsam mit ihm alle seine Projekte.
PJG: Zusammen mit Andreas haben wir einen Gestaltungsansatz entwickelt, bei dem es um die Qualität des Produkts geht und nicht um die Marke. Es geht nicht um den Preis, sondern um das erhabene Gefühl, ein gutes Objekt erstanden zu haben: ein bisschen so, wie wenn man neu gekaufte Handschuhe das erste Mal anzieht und sie perfekt passen.
Wie steht es mit der Architektur: Wollt ihr richtige Häuser bauen?
JH: Wir haben gerade ein erstes Wohnhaus in Berlin-Mitte fertiggestellt, und es wird bald weitere Projekte geben. Aber einer unserer größten Wünsche ist es, mal ein Museum oder ein Haus für eine Sammlung zu bauen.
Vielen Dank für das Gespräch!

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