Menschen

Hiroshi Sugimoto

Der japanische Fotograf und sein neuester Coup: ein gläsernes Teehaus in Venedig.

von Norman Kietzmann, 17.06.2014

Hiroshi Sugimoto kann mehr als Fotografie. 2008 gründete der japanische Künstler das Architekturbüro New Material Research Laboratory und plant sein eigenes Museum unweit von Tokio. Wir trafen den 66-jährigen in Venedig und sprachen mit ihm über holistisches Entwerfen, geschmacklose Sammler und seinen neuesten Coup: ein gläsernes Teehaus auf der venezianischen Insel San Giorgio Maggiore. 

Herr Sugimoto, mit ihrem Glass Tea House Mondrian sind Sie auf diesjährigen Architekturbiennale von Venedig mit einem eigenen Gebäude präsent. Warum haben Sie sich entschieden, mit Ihrer Arbeit in die dritte Dimension zu gehen?
Ich habe nicht die Absicht, mich mit den Architekten zu messen. Ich bin Künstler. Der große Unterschied zwischen Kunst und Architektur ist die Funktion. Architektur muss funktionieren. Kunst nicht. Doch viele Architekten suchen heute nach künstlerischen Formen für ihre Gebäude, die dadurch häufig ihre Funktion verlieren. Ich habe schon so viele Ausstellungen in großen Museen auf der ganzen Welt gemacht. Und es gibt so viele Dinge, über die ich mich als Nutzer aufregen muss. Darum habe ich mich entschieden, meine eigenen Räume zu entwerfen. Das macht es von der Nutzerseite her viel einfacher (lacht).

Zur Architektur führte Sie ab 1997 auch die Fotografie.
Ja, es begann mit einer Auftragsarbeit für das Museum of Contemporary Art in Chicago, für das ich die Gebäude berühmter Architekten fotografiert habe. Ich bekam so die Gelegenheit, diese Bauwerke zu besuchen. Das hat mir einen Eindruck verschafft von dem, was gut ist und was nicht. Vor allem der organische Einsteinturm von Erich Mendelsohn in Potsdam hat mir sehr gut gefallen. Ebenso der Turm von Giuseppe Terragni am Comer See (Denkmal für die Opfer des 1. Weltkrieges in Como, Anm. d. Red.) 


Warum assoziieren Sie Ihr gläsernes Teehaus mit Mondrian? 
Ich erkannte, dass der für Mondrian sehr typische Abstraktionsprozess in Japan bereits seit dem 16. Jahrhundert praktiziert wird. Man könnte auch sagen, dass die Ästhetik der Moderne in Japan vor 500 Jahren begonnen hat. Teemeister wie Sen no Rikyū (1522-1591, Anm. der Red.) haben nicht nur die Teehäuser entworfen, sondern ebenso die Schalen, Vasen bis hin zu den Blumenarrangements. Es war eine Mischung aus Architektur, Installation und Performance. Denn auch die Bewegung der Hände spielte eine große Rolle.

Sehen Sie eine Grenze zwischen Kunst und Architektur?
Kunst und Architektur haben denselben Ursprung. Michelangelo war Architekt und hat Gemälde gemalt. Und Piranesi, der auch ein Architekt war, hat nur ein einziges Gebäude entworfen und die meiste Zeit seines Leben gezeichnet. Die Spezialisierung der Künste und Wissenschaften im 19. Jahrhundert mag ihre guten und schlechten Seiten gehabt haben. Aber ich denke, dass ich als Künstler immer einen globalen Blick haben muss. Ich interessiere mich für Wissenschaft, Soziologie und Politik genauso wie für die Dinge des Alltags. Darum bin ich sehr froh, dass ich nicht nur dieses Gebäude entworfen habe, sondern auch die Teeschalen. Auch wenn die meisten von ihnen Einzelstücke sind: Sie sind viel, viel günstiger als meine Fotografie (lacht).

Geben Sie ein Beispiel, wie sich die Ästhetik der japanischen Teezeremonie von der westlichen Ästhetik unterscheidet.
Ich wohne seit 40 Jahren in New York. Die reichen, amerikanischen Sammler, die mich oft zum Dinner einladen, wollen immer ihre gesamte Kollektion in ihrem Haus zeigen. In der Ästhetik der japanischen Teezeremonie ist das sehr schlechter Geschmack. Man wählt ein oder zwei sehr gute Arbeiten aus und zeigt sie nur besonderen Gästen. Wenn die Gäste ein weiteres Mal kommen, wird ein anderes Bild gezeigt. Aber niemals dasselbe. Das Gleiche gilt für den Tee. Für jede Teezeremonie wird ein anderer, besonderer Tee ausgewählt, sodass sich der Geschmack nie wiederholt. Auch wird der Garten eigens vor der Ankunft der Gäste befeuchtet, damit er möglichst gut aussieht. Diese Sensibilität unterscheidet Japan und den Westen schon sehr deutlich. 

Mit anderen Worten: Es geht um die Einzigartigkeit des Moments – gepaart mit einer formalen Reduktion.
Sehen Sie: Sobald die meisten Leute reich geworden sind, versuchen sie, so groß möglich zu bauen. Auch Japaner bauen heute große Häuser. Doch daneben bauen sie ein zweites Haus für die Teezeremonie, das so klein wie möglich sein soll. Je reicher man wird, desto kleiner versucht man zu bauen. Das zeigt sich auch an den Canon-Kameras und Sony-Walkmans. Japaner sehen es als Herausforderung, komplexe Dinge so kompakt wie möglich zu machen. Auch wenn bei der Teezeremonie alles auf kleinem Raum passiert, steckt sehr viel Zeit und Handwerkskunst darin. Das verwendete Holz wird nicht von Maschinen geschnitten, sondern von Hand gesägt oder gespalten, um keine maschinelle Oberfläche zu zeigen. Wenn man möchte, lassen sich die Teehäuser auf ganz billige Weise umzusetzen. Umgekehrt kann ein Meister eine ganze Woche damit verbringen, nur um das richtige Holz für eine Tür auszuwählen. Gemessen auf den Quadratmeter, sind das die höchsten Kosten, die ein so kleines Gebäude erzielen kann. Den Preis treiben weniger die Materialien als die Vielzahl an Arbeitsstunden in die Höhe.

Ihr Teehaus ist ein Hybrid aus Tradition und Moderne, indem Sie eine gläserne Hülle mit handgeschnitzten Elementen aus Massivholz verbunden haben. 
Man muss die Vergangenheit nicht zurückweisen, um ein Modernist zu sein. Im Grunde genommen bin ich ein traditioneller Modernist. (lacht) Es war mir wichtig, dass die Glasscheiben nicht durch metallene Elemente verbunden werden. Darum sind die Scheiben nur miteinander verklebt. In der Mitte ist das Dach um vier Millimeter nach oben gewölbt, sodass das Regenwasser zu allen Seiten abfließt. Das sieht jedes Mal sehr interessant aus. Wenn man in den gläsernen Kubus steigt, spürt man die Präsenz des Raumes. Man sieht die Stellen, an denen die Glasscheiben aufeinandertreffen und den Pavillon begrenzen. Auch erfahren die Stimmen ein Echo. Ich habe den Garten außen herum so entworfen, dass er vom Inneren des Glaskubus gut aussieht. Während man dort vor Regen, Wind und Wetter geschützt ist, kann man die schöne Umgebung betrachten. Ich wollte auf diese Weise einen Raum im Raum zu erzeugen, wo man sich gleichzeitig in einem Gebäude und in einem Garten befindet.

Wie sind Sie beim Entwerfen des Hauses vorgegangen?
Ich plane nicht alles voraus, sondern finde zuerst das Material. Dann denke ich darüber nach, wie ich dieses Material verwenden kann. Normalerweise zeichnen Architekten zuerst die Pläne und bestimmen dann die Materialien. Oder sie fertigen eine Skizze an und überlassen den Rest ihren Assistenten. In diesem Fall war es der umgekehrte Weg. Ich habe die letzten Tage von morgens bis abends auf der Baustelle verbracht und deswegen auch so viel Farbe im Gesicht bekommen (lacht). Ohne mich würden die Handwerker ganz andere Steine auswählen und alles anders zusammensetzen. Im Ergebnis würde etwas Anderes dabei herauskommen. Die Arbeit ist also wirklich zu 100 Prozent von mir kontrolliert. Da fällt mir ein, dass ich für diesen Mehraufwand eigentlich gar nicht bezahlt werde (lacht). Aber so ist es eben: Und ich bin noch ein junger Architekt und nicht sehr teuer. 

Um das Haus zu betreten, passieren die Besucher die Wasserfläche über besondere Steine: Es sind dieselben, mit denen die Bürgersteige von Venedig ausgelegt wurden. Welche Rolle spielt die Authentizität der Materialien?
Alle Materialien, die ich verwende, sind massive Materialien. In vielen Fällen sind die Materialien in der modernen Architektur nur Oberflächen, die gestrichen, kaschiert oder verklebt wurden. Meine Herangehensweise ist eine andere. Ich gebrauche nur Beton, Stein, Glas oder Holz. Das erzeugt etwas, das von der Oberfläche nicht gleich erkennbar ist. Doch man fühlt intuitiv, ob etwas massiv ist oder im Inneren hohl. Darauf verwende ich viel Aufmerksamkeit.

Kommen wir noch einmal auf die Teezeremonie zurück: Welchen Tee trinken Sie eigentlich am Liebsten?
Um ehrlich zu sein: Ich trinke eigentlich jeden Tag Kaffee. (lacht) 

Vielen Dank für das Gespräch.


Hiroshi Sugimoto: Glass Tea House Mondrian
Le Stanze del Vetro: Fondazione Cini und Pentagram Stiftung
Isola di San Giorgio Maggiore, Venedig 
Noch bis 29. November 2014

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Le Stanze del Vetro

Fondazione Cini und Pentagram Stiftung

www.lestanzedelvetro.it

Hiroshi Sugimoto

www.sugimotohiroshi.com

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