Menschen

Holger Hampf

Wann geben wir das Lenkrad ab? der Leiter User Experience Design der BMW Group im Gespräch.

von Stephan Burkoff, 14.03.2017

Kürzlich war BMW auf der Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas vertreten. Ein Autohersteller auf einer Elektronikmesse? Wir haben mit Holger Hampf, Leiter User Experience Design bei der BMW Group, über die fünf Stufen des autonomen Fahrens gesprochen, über Autos ohne Lenkrad und ein Auto, das selbstständig Reisen organisieren könnte.

Das Forschungs- und Innovationszentrum der BMW Group (kurz: FIZ) liegt im Münchner Norden. Es ist ein Ort, der am Mittag eine Campusatmosphäre bietet. Junge Leute in adretter Kleidung, asiatische Gäste, die eine Limousine besteigen, alle haben es eilig. Warum eigentlich? Im Frühjahr 1990 wurde das FIZ eröffnet, eine „Denkfabrik“ mit über 10.000 Arbeitsplätzen. Heute forschen hier Designer, Psychologen und andere Spezialisten nach den blauweißen Antworten auf die Fragen der Mobilität der Zukunft. Wir konnten einen Blick hinter die Kulissen erhaschen und sitzen in einer Start-up-haften Umgebung, um mit Holger Hampf zu sprechen.

Stichwort autonomes Fahren: Wie ist der Status Quo, wann geben wir das Lenkrad ab?
Holger Hampf: Wir sehen das Ganze als eine progressive Kurve, die uns durch fünf Level des autonomen Fahrens führt. Wobei Level 1 das ist, was wir heute schon erleben - assistiertes Fahren durch unterstützende Systeme, bis zum Level 5, wo das Auto möglicherweise kein Lenkrad mehr haben wird. Diese fünf Stufen werden wir in den nächsten 10 bis 15 Jahren durchlaufen.

Wo sehen Sie die Vorteile des Autonomen Fahrens im Straßenverkehr?
Es geht darum, Zeit zurückzugeben! Der Kunde ist durch immer angespanntere Verkehrsverhältnisse häufig im Straßenverkehr in Situationen, die wenig Spaß bedeuten und in denen er sich trotzdem konzentrieren muss. Übernimmt das Auto diese Aufgaben, kann er sich anderen Dingen widmen. Es passiert ja heute schon, dass  Leute versuchen, die Zeit während des Autofahrens produktiv zu nutzen. Aber das führt häufig zu gefährlichen Situationen, weil es eben Blickabwendungen gibt und der Verkehr nach wie vor Aufmerksamkeit benötigt.


Freude am Fahren und Automation – ist das nicht ein Widerspruch?
Für uns überhaupt nicht! Wir haben zwar bisher noch keine Autovisionen ohne Lenkrad gezeigt, sondern nach wie vor Fahrzeuginnenräume, in denen das Fahren wichtig ist und zelebriert wird. Aber wir halten auch die anderen Plätze im Auto für extrem wichtig und möchten jedem Insassen eine gute Zeit während der Fahrt bieten.

BMW Connected,  Ecall oder die Mobility Cloud: im Verkehr wird alles immer vernetzter. Beschäftigen Sie sich mit den Risiken dieser Technologien?
Absolut: Das ist für uns als Premium-Marke besonders wichtig. Wir haben eine große Verantwortung – wir wollen unseren Kunden ein Premium-Erlebnis bieten. Und dazu, wenn ich das mal aus einer Usability-Perspektive betrachte, gehören auch Themen wie Datensicherheit und Privacy.

Wird der Kunde zukünftig auch die Möglichkeit haben, all diese Services nicht in Anspruch zu nehmen? Gibt es einen Knopf zum Abschalten?
Ich weiß nicht, ob es so einen Knopf geben wird. Aber wir sind uns bewusst, dass wir teilweise mit Technologien an die Grenzen kognitiver Leistung stoßen. Das heißt, dass wir ebenfalls Situationen im Auto schaffen möchten, die sich weniger digital, weniger „connected“ anfühlen.

Die Studie „BMW i Inside Future“ sieht in vielerlei Hinsicht futuristisch aus, der Fond allerdings ist mit einem Bücherregal ausgestattet. Wie erklären Sie diesen Anachronismus?
Wir haben das auf der CES als eine positive Provokation dargestellt, und zwar insofern, dass es natürlich ein Anachronismus ist – aber auch ein Zeichen für eine menschliche Qualität, die wir bei BMW für sehr wichtig ansehen. Es muss Touch Points, also Elemente im Auto geben, die mir als Mensch nahe sind. Vielleicht ist es dann im Endeffekt kein Bücherregal – aber es provoziert diesen Punkt, dass ein Auto immer noch haptische Erlebnisse bieten muss: über das Material, die Geometrie und die Ergonomie.

Was bedeutet das konkret?
Viele menschliche Bedürfnisse lassen sich nicht nur durch Technologie befriedigen. Im Endeffekt ging es bei der Studie BMW i Inside Future auf der CES genau um diese Balance oder die Dualität von analogen und digitalen Erlebnissen im Auto. Wie bringe ich die zusammen, wie kann ich ein digitales Erlebnis teilweise auch mal in den Hintergrund schieben und wirklich ein reines Wohngefühl vermitteln, auf der anderen Seite dann aber wieder ein hochvernetztes Erlebnis bieten, wo ich mich absolut im Einklang mit meinem Digital Life befinde.

Insgesamt erscheint mir die Innenraumgestaltung dieser Studie doch relativ traditionell. Hängt es damit zusammen, dass die Bedürfnisse der Insassen eigentlich die sind, dass alle vier nach vorne schauen wollen und dass man eine ganz klare Aufteilung hat – oder glauben Sie, dass es sich noch weiter verändern kann und ganz anders werden könnte?
Es kann sich noch weiter verändern. Vor allen Dingen, wenn man über das autonome Fahren nachdenkt. Wenn das Auto irgendwann mal kein Lenkrad mehr – oder in einigen Nutzungssituationen keines mehr – hätte, dann ist sicher auch eine andere Sitzkonfiguration denkbar. Solange man aber nach wie vor eine Fahrerorientierung hat, ist es extrem wichtig, dass man berücksichtigt, wie sicher und wie komfortabel – auch mental komfortabel – der Fahrer und die Insassen im Auto sitzen und fühlen.

Die Sharing-Economy steht für weniger Eigentum. Wie verändert sich damit Ihr Unternehmen?
Wir haben uns bereits verändert. Interessanterweise findet jedoch die öffentliche Debatte bei Mobility-as-a-Service-Szenarien weitestgehend in einer kommenden Zukunft statt. Tatsächlich finden aber viele dieser multimodalen Aktionen schon heute statt – wie beispielsweise mit unserem Carsharing-Service DriveNow. Ich zum Beispiel bewege mich in München auch heute schon sehr multimodal, also nicht nur mit meinem eigenen Auto. Und da bin ich in einem urbanen Kontext sicherlich nicht der einzige. Diese Modelle zu verstehen, und zu antizipieren, wie sie sich in der Zukunft weiter entwickeln werden, ist extrem wichtig für uns als Unternehmen.

Das heißt aber auch, dass Sie im Grunde davon ausgehen, dass Sharing und Besitz sich nicht ausschließen?
Nein, das schließt sich nicht aus.

Inwiefern fließen Veränderungen der Arbeitswelt in Ihre Forschungen ein?
Wann, wie und wo Menschen arbeiten ändert sich sehr stark, und diese Veränderungen haben auch einen Einfluss auf unsere Mobilitätskonzepte der Zukunft. Wenn wir uns nur den Zustand der Fortbewegung genau anschauen und untersuchen, lernen wir bereits sehr viel! Zum Beispiel, ab welchem Zeitpunkt Autofahrer im Stoßverkehr zur und von ihrer Arbeitsstätte empfinden, dass sie jetzt eigentlich schon produktiv sein könnten. Wenn ich es richtig wiedergebe, liegt dieser Wert bei knapp unter 30 Minuten. Danach ist es so, dass viele Menschen sogar zugeben: „Wenn ich jetzt was Anderes tun könnte, dann würde ich dafür sogar Geld bezahlen.“

Wird das autonome Fahren also ein kostenpflichtiger Service sein?
Es ist heute noch zu früh, dazu konkrete Aussagen zu treffen. Aber ich denke, dass es in Anbetracht des erweiterten Wettbewerbsumfeldes wahrscheinlich ist, dass Services für uns als Automobilbauer einen wichtigeren Stellenwert in unserem Businessmodell haben werden.

Ihr Szenario der Mobilität in 20 Jahren?
(schweigt lange und überlegt) Szenarien? Ich denke, dass man in unserem Markt noch viel stärker auf bestimmte Kundenbedürfnisse und Kundenverhaltensweisen eingehen kann – also auch auf die deren Veränderung an sich. Ein Beispiel, das ich Ihnen nennen kann, ist das Reisen. Reisen ist heute noch ein extrem intensiver Planungsvorgang, bei dem ich wochenlang vorher am Computer sitze, Hotels und die Anreise recherchiere: Das Gegenteil von Spontaneität. Der MINI VISION NEXT 100, den wir anlässlich unseres 100-jährigen Jubiläums 2016 präsentiert haben, hatte einen Inspire-me-Button, der im Grunde genommen mit dieser Planungsphase spielt und Vorschläge generiert. Das Auto schlägt dem Nutzer eine Reise vor. Das heißt: Ich gebe ein Zeitfenster vor, und den Rest erledigt das Auto für mich. Und natürlich würde das Auto dann auch vollkommen selbstständig berechnen, dass ich nicht schon nach einer halben Stunde Fahrt auf der A9 im Stau stehe! Solche Szenarien basieren auf zunehmender Intelligenz in unseren Fahrzeugen und sind in der Zukunft denkbar. Also: Wie kann ich ein intelligentes System und gesammeltes Wissen über den Nutzer gebrauchen, um letztendlich neue Erlebnisse schöner und begehrlicher zu gestalten.

Und das wäre dann im Prinzip der Fahrspaß von morgen?
Könnte gut sein, absolut!

Vielen Dank für das Gespräch!

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