Ineke Hans
Ineke Hans' Erscheinung ist so unkonventionell wie ihre Entwürfe. Die 1966 in den Niederlanden geborene Gestalterin trägt stets farbenfrohe Outfits und zwei jugendliche Zöpfe. Mit ähnlicher Leichtigkeit geht sie auch an den Gestaltungsprozess heran, ohne dabei jedoch an Ernsthaftigkeit zu verlieren. Sie studierte von 1986 bis 1995 an der Kunsthochschule Arnheim und am Royal College of Art in London und arbeitete nach ihrem Abschluss drei Jahre für Habitat. 1998 gründete Ineke Hans schließlich ihr eigenes Studio in Arnheim. Die Bandbreite ihrer Arbeit reicht vom Nussknacker über Bürostühle bis zur Kinderkollektion, die sie für internationale Unternehmen wie Cappellini, Magis oder Royal VKB entworfen hat. Wir trafen die lebhafte Designerin in Mailand und sprachen mit ihr über die Produkte, die durch die Beschäftigung mit technologischen Innovationen entstehen, warum ihre Regale nicht zu Giraffen werden und die Gemeinsamkeiten von Design und Sudoku.
Frau Hans, wenn man sich Ihr Stauraummöbel My Storage für Magis, aber auch ihre anderen Arbeiten anschaut, bekommt man den Eindruck, dass Sie sich intensiv mit unseren alltäglichen Ritualen auseinandersetzen. Stimmt das?
Wenn man in der heutigen Zeit etwas entwirft, muss man sich immer fragen, ob es auch wirklich notwendig ist. Wir haben doch schon alles: Wir sitzen schon auf einem Stuhl, wir haben schon einen Tisch und Millionen Becher. Wenn ich etwas Neues mache, dann muss es auch einen guten Grund dafür geben. Für mich ist es wichtig, dass dabei etwas Innovatives entsteht: ein neues Material oder eine neue Technik. Innovationen kann man aber auch im sozialen Miteinander finden. Vor dreißig Jahren haben die Menschen beim Essen noch alle um einen runden Tisch gesessen, heute sitzen sie vor dem Fernseher. Wir haben also heute eine andere Realität, einen anderen Alltag als damals und müssen dafür auch andere Produkte bereitstellen.
Sie wollen den Nutzer zur Interaktion mit dem Produkt einladen?
Interaktion – das kann ja viel bedeuten. Es kann zum Beispiel heißen, dass man ein Produkt so attraktiv gestaltet, dass der Nutzer es sofort ausprobieren möchte. Oder man lässt das Produkt leise Signale aussenden: Wie kann ich das benutzen, wo finde ich den Griff? Diese „Kommunikation“ kann man in der Produktsprache auch mal ganz bewusst übertreiben. Manchmal. An anderer Stelle ist es vielleicht wichtig, zurückhaltender zu bleiben.
Das modulare Regal My Storage für die Kinderkollektion von Magis scheint, thematisch passend, vom Baukasten inspiriert. Wie funktioniert es genau?
Das System kann man immer wieder erweitern und neue Module anbinden. Aber trotzdem ist es ein supersimples Ding. Es lässt sich nicht in eine Giraffe verwandeln. Es gibt die Seitenwangen und die Schrauben, und indem man die verschiedenen Elemente – die Schubladen und Böden – dazwischen steckt, wird es aufgebaut. Die Schraube ist ziemlich clever, weil man nichts von ihr sieht.
Wie gestaltet man für Kinder?
Kindermöbel sind eine schöne Sache – aber ich wollte etwas machen, das die Menschen über einen längeren Zeitraum begleitet. Mit Kindersachen ist es doch so: Nach ein paar Jahren muss man alles wieder wegwerfen, weil es zu klein geworden ist. Das ist doch Wahnsinn! Wir produzieren heute Möbel, die nur eine bestimmte Zeit passen, danach landen sie im Container. Deswegen wächst My Storage mit. Es ist eben nicht nur für Kinder: Man kann es sich auch in Architekturstudios vorstellen, oder irgendwo sonst, wo Leute arbeiten.
Geht es Ihnen da auch um Aneignung und Personalisierung?
Ich habe versucht, etwas mit möglichst wenigen Komponenten zu machen. Wenn man das System als Spielzeug einstufen wollte, würde man möglichst viele verschiedene Elemente und unendliche Kombinationsmöglichkeiten anbieten. Das habe ich aber bewusst nicht getan. Mit ging es lediglich darum, dass der Nutzer die Möglichkeit hat, bei Bedarf auf unkomplizierte Art eine Schublade oder einen Boden mehr einzubauen. Eigentlich stellt man Regale doch nur einmal auf, und das ist es dann. Wer organisiert schon ständig seine Möbel um?
Sie haben ja selber Kinder. Gestaltet man Produkte als Eltern anders, weil sich der Blick verändert?
Vor zehn Jahren habe ich schon einmal eine große Kinderkollektion gemacht. Da war mein Sohn ein halbes Jahr alt. Eigene Kinder zu haben, schärft den Blick für das, was alles schief gehen kann. Man weiß, an welchen Ecken man aufpassen muss.
Beziehen Sie generell alltägliche Erfahrungen in Ihren Gestaltungsprozess mit ein?
Ich bin zwar Gestalter, aber auch Konsument. Auch ich muss Sachen kaufen. Und ich setze mich dann immer damit auseinander, wofür man etwas braucht und wie man es verwendet. Es ist einfach gut, wenn ein Objekt auch ein bisschen funktioniert.
Sind Sie eine Designerin, die als Konsumentin nicht das richtige findet und es dann einfach selbst gestaltet?
Bei mir funktioniert das eher umgekehrt. Ich trage zum Beispiel nie Schmuck, aber wenn man mich darum bittet, welchen zu entwerfen, dann kann ich mich in die Situation hineinversetzen und das auch umsetzen. Ich kann mir vorstellen, wie jemand Schmuck tragen will.
Welche Attribute sollte ein Möbelstück besitzen? Sollte es langlebig und nachhaltig sein, vielleicht sogar Spaß machen?
Natürlich soll ein Produkt auch Spaß machen. Ich vergleiche den Designprozess oft mit dem Spiel Sudoku. Wenn man etwas entwirft, muss man über Aussehen, Material, Kosten und Wirkung eines Produkts nachdenken, aber auch an die Menschen, die es zusammenschrauben müssen. Haben die noch Spaß? All das muss berücksichtigt werden. Wichtig ist eben, dass man nicht einfach die Acht oder die Sieben – wie beim Sudoku – vergisst.
Wie lange arbeiten Sie an ihren Projekten?
Lange. Ich habe einen Stuhl für Ahrendt gemacht. Einen sehr bequemen mit einem flexiblen Sitz. Er sieht vielleicht gar nicht danach aus, aber die Entwicklung hat sehr viel Zeit gekostet, weil ich viel Zeit in die Forschung investiert und mich lange mit Materialien beschäftigt habe. Die Rückenlehne etwa ist aus recyceltem PET, überhaupt ist alles aus ökologischen Materialien im Sinne des Cradle-to-cradle-Prinzips hergestellt. Das hat fast drei Jahre gedauert, genau wie die Entwicklung des Magis-Regals. Für die Produktion der Formen für die Spritzguss-Schubladen muss man sicher sein, dass alles stimmt – die sind nämlich sehr teuer.
Arbeiten Sie lieber allein oder haben Sie ein größeres Studio?
Wir sind fünf Leute, und das gefällt mir sehr. Bei mehr Mitarbeitern wüsste ich im Moment gar nicht, wie ich das organisieren sollte.
Sie entwerfen aber nicht nur Möbel – für Royal VKB haben Sie etwa ein Besteck gestaltet.
Ja, das stimmt. Es gibt eine neue Technik, mit der man ziemlich schmale Linien in Stahl stanzen kann. Das hat mich fasziniert, und ich wollte unbedingt damit arbeiten. Ich finde es spannend, etwas zu benutzen, das es vor zwanzig Jahren noch nicht gab. Aber zugleich wollte ich auch gern ein geradliniges und einfaches Besteck machen. Deswegen habe ich mich dazu entschieden, das „Trallala“ auf der Rückseite zu platzieren. Die Dekoration mit den Linien ist also auf den ersten Blick nicht zu sehen, und auch das Besteck ist von seiner Form her ganz einfach gehalten – es sieht fast aus wie ein Piktogramm. Dazu gibt es auch noch eine Geschichte: Wenn früher in Deutschland Bestecke produziert wurden, wurde auf der Rückseite eine silberne Nase gemacht. Bei den Franzosen war die vorn, weil man in Frankreich das Besteck anders herum ablegt. Man kann also sagen, es gibt eine holländische und eine deutsche Seite – und die Trallala-Seite ist die französische.
Das Besteck erzählt also eine Geschichte ...
... die der Nutzer aber nicht realisiert. Ich als Designer muss Dinge entwerfen, die man ohne diese Geschichte benutzen kann. Und wenn das Objekt noch Interpretationsspielraum hat, gefällt mir das. Aber ich kann von niemandem erwarten, dass er aus meinen Produkten herausliest, was ich mir im Vorhinein alles gedacht habe. Sicher gibt es immer viele tolle, kleine Sachen an meinen Produkten zu entdecken – nur sind sie für den Konsumenten nicht wichtig.
Passiert es öfter, dass ein Herstellungsprozess Sie zu einem Produkt inspiriert?
Oh ja. Schon vor zehn Jahren habe ich einen Stuhl mit einem Laserschneider produzieren lassen – heute ist das schon fast normal, damals war es eine ganz neue Technik. Für Cappellini habe ich einen Stuhl aus einer Art Gips gemacht, ein Material, das eigentlich aus der Medizintechnik kommt. Leicht und sehr stark. Ich empfinde das als einen interessanten Ansatz und glaube, dass man sich als Designer damit beschäftigen sollte. Viele Methoden sind so gut, dass man sie nicht mehr verlieren möchte. Aber man muss oft lange quetschen, bis ein paar Tropfen herauskommen.
Vielen Dank für das Gespräch.
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