Menschen

Jean-Marie Massaud

von Norman Kietzmann, 22.11.2006

Geboren 1966 in Toulouse, machte er 1990 seinen Abschluss an der Designschule ENCSI in Paris und arbeitete schließlich mit seinem ehemaligen Professor Marc Berthier zusammen. Im Jahr 2000 gründete er mit „studio massaud“ sein eigenes Büro in Paris. Was daraufhin folgte, war eine rasante Karriere in der Designwelt, die ihn mit prominenten Kunden wie Axor, Cappellini, Cassina, Porro oder Renault zusammenführte. Wir trafen Jean-Marie Massaud in seinem Studio im 20. Arrondissement von Paris und sprachen über seine Beziehung zu Wasser, warum ihn organische Formen interessieren und wie das Reisen in der Zukunft aussehen könnte.

Bäder waren früher meist winzige Zimmer, denen im Vergleich zu den übrigen Räumen der Wohnung kaum Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Das hat sich in der letzten Zeit grundlegend verändert...
Ja, es gibt die Tendenz zu immer größeren Badezimmern. Die Hochglanzmagazine sind voll davon. Das Bad wird geradezu eine Lounge. Aber das ist noch nicht die gängige Praxis. Denn auch wenn die Menschen gerne mehr Platz im Bad hätten, sind die baulichen Möglichkeiten oft begrenzt. Also muss man das Beste aus dem Platz machen, der einem zur Verfügung steht.
Wie sieht Ihr ideales Badezimmer aus?
Ich erwarte etwas anderes in der Beziehung zum Wasser, denn Wasser ist eines der wichtigsten Elemente für uns. Es bedeutet mehr als nur Reinigung. Die Idee ist es, einen Ort zu schaffen, bei dem die Keramik und die Metallelemente alle Codes von Kälte oder dem Klinischen verlieren. Ein Ort zum Leben, indem Licht, das Klima, das Amiente, die Materialien wärmer werden, da wir mehr Zeit in ihm verbringen. Um mit Wasser in Einklang zu leben, kann man ihm nicht mit Prothesen begegnen.
Was genau meinen Sie mit Prothesen?
Ich meine die einzelnen Objekte im Bad. Es gibt das Waschbecken, Toilette, Bidet, die Dusche und Badewanne. Das sind bereits fünf große Teile aus Keramik. Hinzu kommen noch alle Armaturen. Ich möchte diese Prothesen vermeiden, im Sinne einer Vereinfachung für das Waschen und für mehr Wohlbefinden.
Sie wollen das Bad von seinem technisch kühlen Charakter befreien?
Es geht darum, das Maximum an Potential aus einem kleinen Raum herauszuholen. Man muss die Mechanik dieser Prothesen vergessen und in eine Welt eintauchen, die nur Emotion und Service kennt. Als Designer interessiert es mich, Szenarien für das Leben zu entwerfen und vor allem an diesen Themen zu arbeiten. Daraus entwickelt sich schließlich ein Objekt, bei dem erst zum Schluss klar wird, was es eigentlich ist.

Für Axor haben Sie gerade eine ganze Badkollektion entworfen. Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Bei der Armaturenserie für Axor war es folgendermaßen: Was mich daran interessiert ist, das Wasser zu sehen. Aber in einem Badezimmer, in dem man normalerweise nicht viel Platz hat, ging es mir um die Beziehung zum Wasser und dessen Qualität. Voilà, das Gleiche gilt für den ökologischen Aspekt: Wie kann ich mit so wenig Wasser wie möglich, ein Maximum an Vergnügen bereiten? Die Antwort, die wir darauf gefunden haben, war ein Wasserfall der ganz weich in die Hände fällt.
Und aus einem Tablett heraustritt...
Ja, auf diesem kann man alle möglichen Gegenstände ablegen: eine Seife, eine Zahnbürste, ein Shampoo oder die Uhr, die man sich zum Waschen abnimmt. Es ging mir darum Synthesen zu schaffen. Wenn man schon mit einer Prothese, wie einer Armatur leben muss, dann soll sie noch eine weitere Funktion bekommen, einen Mehrwert. Nehmen Sie die Badewanne: ich lege mich hinein, entspanne mich, doch mit einem Mal fange ich an zu suchen, wohin ich denn die Seife oder das Shampoo gepackt habe. Oder vielleicht bekomme ich Lust, ein Buch zu lesen, eine Kleinigkeit zu essen oder ein Glas Champagner zu trinken. Dann muss ich erst wieder aus der Wanne herausklettern, um diese Dinge zu holen und neben die Wanne zu stellen. Das ist nicht sehr elegant. Das Bad ist ein Ort, der zur Lounge geworden ist. Deshalb sollte alles so gestaltet sein, dass man gerne Zeit darin verbringen möchte.
Ihr Design wird stark von einer weichen und runden Formensprache bestimmt. Woher kommt Ihre Faszination für das Organische?
„Design inspired by nature“ haben sie es bei Axor genannt. Also, die Idee dabei ist für mich, dass die Natur immer Systeme vorschlägt, die effizient sind und in Zusammenhängen existieren, in Harmonie mit dem Wasser zu leben beispielsweise. Die Natur ist äußerst komplex. Es gibt sehr viele Parameter zu beachten. Wenn eine Pflanze in Richtung Sonne wächst, tut sie dies mit so wenig Aufwand und so sparsam wie möglich. Das ist es, was mich interessiert. Es sind weniger die organischen Formen, sondern die Effizienz von Form und Material. Design ist für mich nicht Form sondern Strategie. Es geht mir um formale Konsequenz.
Wie wichtig sind für Sie neue Technologien im Design?
Design ist vor allem die Kultur eines Projektes. Dabei darf man sich nicht von Technologie und Wissenschaft blenden lassen. Sie sind Potentiale, doch müssen wir Designer diesen eine Richtung, einen Sinn geben. Was ich möchte, ist eine Überschneidung von Qualität und Quantität, die letztendlich eine wirkliche Verbesserung bewirkt, auch im ökologischen Sinne. Wir verbrauchen bereits zu viele Ressourcen. Deshalb möchte ich in meinen Entwürfen möglichst sparsam damit umgehen. Ich bin kein Minimalist sondern ein Essentialist.

In Mexiko realisieren Sie gerade ein Architektur-Projekt, das Stadion für die Fußballmannschaft Chivas. Wie kam es dazu?
Das ganze fing so an: Als mich ein Auftraggeber von der Firma Omnilife besuchte, um ein Hotelprojekt mit mir zu besprechen, erzählte er mir, dass er zuvor gerade bei Jean Nouvel gewesen sei, um ein Fußballstadion in Auftrag zu geben. Es solle ein Tempel für die „Chivas“ werden, die derzeit beliebteste Mannschaft in Mexico. Daraufhin erklärte ich ihm, dass die geplante Architektur nicht die richtige Lösung für eine Fußballarena sei. Ein Stadion wird nur zweimal pro Woche bespielt, den Rest der Zeit verbringt es als leerer Körper und wird zum Niemandsland für das Leben und die Gegend, in die man es implantiert hat. Über die riesigen Parkplätze fegt ein kalter Wind und macht sie zu einer idealen Spielfläche für Hooligans oder Drogendealer. Alles in allem ist es ein schwieriges Objekt.
Wie sah Ihre Lösung aus?
Nun, ich sagte auch erst einmal, dass ich keine Lösung hätte. Für welchen Kontext? Ich habe zwar immer eine globale Vision, aber einen kontextuellen Zugang. Was man machen müsse, sei ein positives Symbol zu finden. Etwas das auffordert zu bleiben und den Ort nicht verwaisen lässt. Schließlich schlug ich ihm eine große Rasenfläche vor, die das Stadion umschließt und die Parkplätze überdeckt. Man kann darauf eine Videowand aufstellen und dort die Spiele und Konzerte übertragen, die im Stadion stattfinden. So können auch die Menschen davon profitieren, die nicht das Geld haben, um sich eine Karte zu kaufen. 50.000 Plätze sind nicht viel für eine Stadt von knapp zwanzig Millionen Einwohnern. Das ist doch eine demokratische Geste.
Das Stadion wäre dann auch ein großer öffentlicher Park...
Ja, auf den Rasenflächen können die Menschen picknicken und sie für sich nutzen. Es ist ihr Territorium. Als ein Park wird dieser Ort ein Teil des Lebens der Menschen, die dort wohnen und keine Architektur, die verdrängt oder abweist. Anstatt zweimal pro Woche wird es tagtäglich genutzt, auch von Menschen die sich für Fußball gar nicht interessieren. Damit wird der Ort ein neues Logo, ein positives Symbol. Darüber hinaus wird er leicht und immateriell, da er nicht als Gebäude, sondern als Park wahrgenommen wird. Sehen Sie, beim „Stade de France“ hier in Paris hat man bei der Dachstruktur dreimal so viel Material verbaut wie für den Eiffelturm. Das sind viel zuviel Energie, Virtuosität und Material. Wir sollten die Welt lieber entmaterialisieren.
Welches Projekt würden Sie gerne als nächstes realisieren?
Das Luftschiff „Maned Cloud“ zum Beispiel, das ich letztes Jahr entwickelt habe. Es ist die Idee eines fliegenden Grandhotels, mit dem man um die Welt reisen kann. So kann man zu außergewöhnlichen Orten fahren, ohne die Natur vor Ort zu berühren oder zu beschädigen. Ein herkömmliches Hotel braucht immer eine aufwändige Infrastruktur und bildet im Endeffekt selbst einen Fremdkörper inmitten der Landschaft. Ein Luftschiff wäre eine viel respektvollere und intensivere Art zu Reisen. Sicher ist dies kein endgültiger Vorschlag, doch ich finde es spannend, alternative Modelle zu entwickeln. Das ist es, was mich interessiert.
Vielen Dank für das Gespräch.
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Links

Jean-Marie Massaud

studio massaud

www.massaud.com

Axor/Hansgrohe

www.axor-design.com

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