Jehs+Laub
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Gemeinsam sind sie stark: Die beiden deutschen Designer Markus Jehs und Jürgen Laub schwören auf die Arbeit im Zweier-Team und das schon seit Studientagen. Sie studierten an der Hochschule für Gestaltung in Schwäbisch Gmünd und gründeten 1994 ihr gemeinsames Büro in Stuttgart. Baden-Württemberg sind sie bis heute treu geblieben, auch wenn sie für Hersteller in ganz Europa und Amerika arbeiten, unter anderem für Cassina, Fritz Hansen, Knoll International oder für die deutschen Unternehmen Renz, Cor und Schönbuch. Zur diesjährigen Orgatec stellten die beiden den Prototyp eines Konferenzstuhls namens Graph für Wilkhahn vor. Der Stuhl, der Mitte 2011 in Serienproduktion gehen soll, ist der Abschluss eines erfolgreichen Jahres für die Designer, das mit der Präsentation der Sofafamilie Jalis zur imm und des Sessels Cloth in Mailand zwei gestalterische Höhepunkte brachte. Wir trafen Jehs+Laub in Köln und sprachen mit ihnen über die Qualitäten von Schalenstühlen, die Herausforderung von „Hardcore-Möbeln“ und die Arbeit am runden Tisch.
Herr Jehs, Herr Laub, bei dem Stuhl Graph handelt es sich um Ihre erste Zusammenarbeit mit Wilkhahn. Wie kam es dazu? Jürgen Laub: Der Designscout von Wilkhahn, Norbert Ruf, hat uns gefragt, ob wir Lust hätten, für Wilkhahn zu arbeiten. Da haben wir sofort Ja gesagt. Die Frage, an was für einem Projekt wir arbeiten sollten, haben wir dann gemeinsam mit Wilkhahn erörtert. Es gab mehrere Vorschläge, die wir verfolgt haben, einer davon war Graph.
Wie lautete das Briefing für Graph? Jürgen Laub: Es ging um einen Konferenzstuhl, also einen Stuhl, der nicht am Schreibtisch steht, sondern an einem Konferenztisch, und wie wir uns so einen Stuhl vorstellen. Wir machen ja auch Schreibtische und Konferenzanlagen für die Firma Renz. Da war es naheliegend, zu überlegen, wie ein Stuhl für „unsere“ Tische aussehen könnte. So offen war zunächst einmal das Thema.
Markus Jehs: Wir gehen gern so vor, dass wir uns Dinge wünschen. Wie sieht „unser“ Stuhl aus, „unser“ Tisch oder „unser“ Sofa? Es ist gut, wenn man primär für sich selbst entwirft.
War bei Wilkhahn die Offenheit da, sich auf Ihren „Wunsch“ einzulassen? Oder wie lief der Prozess ab? Jürgen Laub: Das war wie ein Ping-Pong-Spiel. Norbert Ruf hat uns immer wieder besucht, wir haben über den Stuhl diskutiert und natürlich auch über die Firma Wilkhahn, über die Kultur der Marke und wie sie sich weiterentwickeln kann. Diese Diskussionen sind wichtig, denn wir entwerfen nicht irgendeinen Stuhl, sondern einen, der zu Wilkhahn passen muss. Und zu uns muss er auch passen. Wenn man das fertige Produkt anschaut, sollten Designer und Hersteller nicht austauschbar sein.
Was ist denn die Schnittmenge von Jehs+Laub mit Wilkhahn? Jürgen Laub: Professionalität ist ganz wichtig bei Wilkhahn. Das fängt beim Briefing und den Besprechungen an und geht bei der Umsetzung und den Ingenieuren weiter. Manchmal kann man sich durch Professionalität aber auch behindern. Dazu sind aber genug Köpfe beteiligt, um das zu erkennen und ein wenig zu steuern. Ich glaube, wir haben die gleiche Mission – den Anspruch, in welcher Qualität man Produkte entwickelt. Die Voraussetzungen waren gut, und so lief das Projekt rund.
Markus Jehs: Und sehr schnell! Es gab auch keine Beschränkungen. Bei manchen kleineren Firmen kann man beispielsweise nicht so viel Geld in Werkzeuge investieren. Bei Wilkhahn dagegen kann man alle Register ziehen. Und man arbeitet mit den besten Köpfen zusammen – das ist wichtig im Design, es ist schließlich ein Teamprozess.
Können Sie etwas sagen zur Form und Ästhetik von Graph? Jürgen Laub: Wir wollten einen anspruchvollen Stuhl haben, einen, der den sitzenden Menschen abbildet. Wichtig war auch, dass man angezogen wird von dem Stuhl, wenn man ihn anfasst oder sich reinsetzt, dass ein positives Gefühl damit verbunden ist. Deswegen haben wir uns für einen Schalenstuhl entschieden – Schalenstühle können das besser. Aber Schalenstühle haben natürlich eine Geschichte, die bis zurück in die fünfziger Jahre reicht, an der man fast nicht vorbeikommt. Daher haben wir die Schale des Stuhls ganz brachial in zwei Richtungen durchgeschnitten, einmal vertikal und einmal horizontal. So hatten wir plötzliches leichtes Spiel: Der Rücken kann in drei Höhen montiert werden, die Armlehnen kann es geschlossen oder offen geben…
Markus Jehs: Wir haben eine Schale am Rechner gebaut und gedanklich damit gespielt: Welche Teile können wir weglassen, welche Teile können wir ersetzen, welche nehmen eine neue Funktion auf? Die Armlehnen haben zum Beispiel eine Art Herzfunktion, denn alle Teile sind daran montiert; und sie tragen die ganze Schale. Das ist neu und eine große Herausforderung für die Ingenieure gewesen. Es ging beim Material um jeden Zentimeter. Wir sind ignorant, wir sagen: Das hält schon irgendwie. Ingenieure dagegen wollen Material draufpacken ohne Ende – aber ich glaube, wir haben einen guten Mittelweg gefunden.
Jürgen Laub: Durch die Schnitte bekommt der Stuhl etwas sehr Grafisches – daher kommt auch der Name.
Markus Jehs: Wir mögen die Büro- oder Konferenzstühle, die eine dominante Mechanik haben, gar nicht. Diese „Maschinen“ machen Räume unansehnlich. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, eine Art des Komforts zu finden wie zum Beispiel bei den alten Freischwingern. Der Komfort soll aus der Materialelastizität kommen. Bei Graph haben wir uns auf die Gabel unter der Sitzfläche konzentriert: An den beiden vorderen Enden sitzen sogenannte Powerjoints. Das sind Lagerungen für Motorblöcke aus weichem Material. Und hinten gibt es eine Blattfeder.
Also lauter Teile aus dem Automobilbereich? Markus Jehs: Ja. Dadurch erreichen wir einen federnden Komfort. Aber durch die Gelenke vorn kann der Stuhl auch nach links und nach rechts schwingen. Das wird noch zusätzlich durch die Rahmenkonstruktion der Sitz- und Rückenschale unterstützt. So haben wir auch ohne Mechanik großen Bewegungskomfort.
Sie arbeiten auch für andere Hersteller im Büro- und Objektbereich – Renz haben Sie bereits angesprochen. Das ist ist generell eine sehr effizienz- und funktionsorientierte Welt. Wie viel Spielraum hat da der Gestalter überhaupt? Beide: Sehr viel!
Jürgen Laub: Man muss allerdings sagen, dass wir noch nie ein „Hardcore-Produkt“ entworfen haben. Wie etwa den Super-Stapelstuhl, der so viele Anforderungen hat, dass tatsächlich wenig Gestaltungsspielraum bleibt. Wenn wir eine Konferenzanlage machen, einen Managementschreibtisch oder ein Loungemöbel für Fritz Hansen, dann gibt es den Spielraum natürlich.
Markus Jehs: Wobei wir die Anforderungen nicht als Eingrenzung betrachten, sondern als Anregung. Uns ist es sogar recht, wenn sich der Hersteller Gedanken macht und ein ganz klares Briefing formuliert. Wir können das dann interpretieren. Wenn wir zu dem Schluss kommen, dass das zwar der Wunsch des Herstellers ist, dass er aber trotzdem etwas anderes braucht, dann machen wir das, was wir für richtig halten.
Sie würden auch ein „Hardcore-Möbel“ machen, wenn das der Auftrag wäre? Beide: Ja, gern.
Wie viel können Möbel denn überhaupt zur Qualität der Arbeitsumgebung beitragen – sind da nicht Licht, Klima und Architektur viel wichtiger? Jürgen Laub: Wenn die Architektur keine gute Umgebung bieten kann, was oft der Fall ist, dann müssen die Möbel herhalten. Die Kunst ist es dann, das Richtige zu finden.
Was kann das sein? Jürgen Laub: Die Zielgruppen sind sehr unterschiedlich. Ein Konferenzmöbel in einer Politikerrunde sieht sicher anders aus als eines in einer Werbeagentur. Das fängt an mit dem Sichtschutz unter dem Tisch – unangenehme Dinge, an die der Designer erst ganz zum Schluss denken möchte, die aber wichtig sind. Sonst passiert das, was man in der Tagesschau sieht: Man erkennt die Möbel gar nicht mehr, weil eine riesige Tischdecke darüber geworfen ist für den Sichtschutz. Wichtig ist auch die haptische Komponente. Materialien, die man anfassen kann, müssen authentisch sein: Holzplatten sollen sich wie Holz anfühlen. Man sollte ein gutes Leder verwenden. Das weiß eigentlich jeder Designer, aber das geht leider im Prozess bis zur Herstellung oft verloren.
Wie sehen Sie denn die Zukunft im Büro- und Objektbereich? Bleibt es bei Stuhl, Tisch, Regal oder gibt es neue typologische Entwicklungen? Markus Jehs: Es gibt natürlich Modeerscheinungen, beispielweise das Konferieren in Loungesesseln. Aber die Klassiker wird es immer geben müssen.
Jürgen Laub: Der Bereich ist relativ konservativ. Durch die neuen Technologien hat sich viel verändert, aber die Auswirkungen sind nicht so groß. Man kann zwar jetzt alles Mögliche in Tischplatten einlassen und elektrisch rauf- und runterfahren, aber das ist nicht das Entscheidende. Nach wie vor trifft man sich, redet, schreibt etwas auf. Das meiste passiert in den Köpfen. Der Tisch ist wichtiger als der Beamer. Man braucht die Platte, um eine entsprechende Haltung und Distanz zu haben. Das Besprechen in der Lounge ist eine andere Art der Besprechung. Da kann man vielleicht über Privates oder Allgemeines reden, aber vom eigentlichen Thema ist man eher abgelenkt.
Sie haben in diesem Jahr sowohl Neuheiten für deutsche wie für italienische Firmen vorgestellt, in Mailand beispielsweise Cloth für Cassina. Gibt es Unterschiede in der Arbeitweise diesseits und jenseits der Alpen? Jürgen Laub: Ja! Die Italiener sind zwar chaotisch, aber in der Lage, in kürzester Zeit etwas auf die Beine zu stellen. Sie sind auf eigene Art professionell – es geht schneller, aber sie wenden sich auch schneller wieder von einem Projekt ab. Ein Projekt wird nicht erkämpft. Wenn es aufhört, Spaß zu machen, lässt man es eher fallen. Das kann auch ein Nachteil sein. Manche Dinge muss man sich eben hart erarbeiten. Warum stimmt das Detail noch nicht? Was kann ich verbessern? Ist es wirklich richtig, das Produkt auslaufen zu lassen? Das sind alles Entscheidungen, die man nicht einfach so wegschieben kann. Aber wir beide können schön switchen zwischen Deutschland und Italien, denn wir sind ja aus Stuttgart – das liegt genau zwischen Mailand und Hannover.
Welche Mentalität ist Ihnen den selbst am nächsten? Sind Sie in Ihrer Arbeit deutsch? Markus Jehs: Ja. Wir haben uns zwar immer dagegen gewehrt, vor allem zu Beginn, weil wir mit italienischen Firmen angefangen haben. Wir fanden, die Deutschen seien zu verkopft. Wenn man an die Ulmer Schule denkt, die Gestaltung wissenschaftlich erklären wollte. Dabei geht es um Emotionales und Intuitives, das kann man nicht rational erfassen. Im Laufe der Jahre haben wir gemerkt, dass wir schon deutsch sind. Mittlerweile wissen wir die deutschen Tugenden zu schätzen, die wir im Studium vermittelt bekommen haben.
Sie arbeiten zu zweit – könnten Sie einen Stuhl auch jeweils allein entwerfen? Jürgen Laub: Ja, aber der wäre dann nicht so gut. Wir diskutieren viel über die Projekte, denn wir sind am Anfang oft unterschiedlicher, am Ende aber immer derselben Meinung. Der Prozess ist wichtig, man muss sich öffnen, die Dinge richtig anpacken. So entsteht ein Konsens. Das Gute daran ist, dass wir uns mit der Kritik, den Fragen, die im Laufe eines Projekts von außen auf uns zukommen, schon beschäftigt haben. Diese Auseinandersetzung haben wir bereits vorher durchschritten.
Markus Jehs: Wir sitzen beide gemeinsam an einem großen, runden Tisch und können schnell auf die andere Seite rollen, wenn der eine eine Frage hat. So gibt es einen ständigen Dialog beim Entwerfen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Herr Jehs, Herr Laub, bei dem Stuhl Graph handelt es sich um Ihre erste Zusammenarbeit mit Wilkhahn. Wie kam es dazu? Jürgen Laub: Der Designscout von Wilkhahn, Norbert Ruf, hat uns gefragt, ob wir Lust hätten, für Wilkhahn zu arbeiten. Da haben wir sofort Ja gesagt. Die Frage, an was für einem Projekt wir arbeiten sollten, haben wir dann gemeinsam mit Wilkhahn erörtert. Es gab mehrere Vorschläge, die wir verfolgt haben, einer davon war Graph.
Wie lautete das Briefing für Graph? Jürgen Laub: Es ging um einen Konferenzstuhl, also einen Stuhl, der nicht am Schreibtisch steht, sondern an einem Konferenztisch, und wie wir uns so einen Stuhl vorstellen. Wir machen ja auch Schreibtische und Konferenzanlagen für die Firma Renz. Da war es naheliegend, zu überlegen, wie ein Stuhl für „unsere“ Tische aussehen könnte. So offen war zunächst einmal das Thema.
Markus Jehs: Wir gehen gern so vor, dass wir uns Dinge wünschen. Wie sieht „unser“ Stuhl aus, „unser“ Tisch oder „unser“ Sofa? Es ist gut, wenn man primär für sich selbst entwirft.
War bei Wilkhahn die Offenheit da, sich auf Ihren „Wunsch“ einzulassen? Oder wie lief der Prozess ab? Jürgen Laub: Das war wie ein Ping-Pong-Spiel. Norbert Ruf hat uns immer wieder besucht, wir haben über den Stuhl diskutiert und natürlich auch über die Firma Wilkhahn, über die Kultur der Marke und wie sie sich weiterentwickeln kann. Diese Diskussionen sind wichtig, denn wir entwerfen nicht irgendeinen Stuhl, sondern einen, der zu Wilkhahn passen muss. Und zu uns muss er auch passen. Wenn man das fertige Produkt anschaut, sollten Designer und Hersteller nicht austauschbar sein.
Was ist denn die Schnittmenge von Jehs+Laub mit Wilkhahn? Jürgen Laub: Professionalität ist ganz wichtig bei Wilkhahn. Das fängt beim Briefing und den Besprechungen an und geht bei der Umsetzung und den Ingenieuren weiter. Manchmal kann man sich durch Professionalität aber auch behindern. Dazu sind aber genug Köpfe beteiligt, um das zu erkennen und ein wenig zu steuern. Ich glaube, wir haben die gleiche Mission – den Anspruch, in welcher Qualität man Produkte entwickelt. Die Voraussetzungen waren gut, und so lief das Projekt rund.
Markus Jehs: Und sehr schnell! Es gab auch keine Beschränkungen. Bei manchen kleineren Firmen kann man beispielsweise nicht so viel Geld in Werkzeuge investieren. Bei Wilkhahn dagegen kann man alle Register ziehen. Und man arbeitet mit den besten Köpfen zusammen – das ist wichtig im Design, es ist schließlich ein Teamprozess.
Können Sie etwas sagen zur Form und Ästhetik von Graph? Jürgen Laub: Wir wollten einen anspruchvollen Stuhl haben, einen, der den sitzenden Menschen abbildet. Wichtig war auch, dass man angezogen wird von dem Stuhl, wenn man ihn anfasst oder sich reinsetzt, dass ein positives Gefühl damit verbunden ist. Deswegen haben wir uns für einen Schalenstuhl entschieden – Schalenstühle können das besser. Aber Schalenstühle haben natürlich eine Geschichte, die bis zurück in die fünfziger Jahre reicht, an der man fast nicht vorbeikommt. Daher haben wir die Schale des Stuhls ganz brachial in zwei Richtungen durchgeschnitten, einmal vertikal und einmal horizontal. So hatten wir plötzliches leichtes Spiel: Der Rücken kann in drei Höhen montiert werden, die Armlehnen kann es geschlossen oder offen geben…
Markus Jehs: Wir haben eine Schale am Rechner gebaut und gedanklich damit gespielt: Welche Teile können wir weglassen, welche Teile können wir ersetzen, welche nehmen eine neue Funktion auf? Die Armlehnen haben zum Beispiel eine Art Herzfunktion, denn alle Teile sind daran montiert; und sie tragen die ganze Schale. Das ist neu und eine große Herausforderung für die Ingenieure gewesen. Es ging beim Material um jeden Zentimeter. Wir sind ignorant, wir sagen: Das hält schon irgendwie. Ingenieure dagegen wollen Material draufpacken ohne Ende – aber ich glaube, wir haben einen guten Mittelweg gefunden.
Jürgen Laub: Durch die Schnitte bekommt der Stuhl etwas sehr Grafisches – daher kommt auch der Name.
Markus Jehs: Wir mögen die Büro- oder Konferenzstühle, die eine dominante Mechanik haben, gar nicht. Diese „Maschinen“ machen Räume unansehnlich. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, eine Art des Komforts zu finden wie zum Beispiel bei den alten Freischwingern. Der Komfort soll aus der Materialelastizität kommen. Bei Graph haben wir uns auf die Gabel unter der Sitzfläche konzentriert: An den beiden vorderen Enden sitzen sogenannte Powerjoints. Das sind Lagerungen für Motorblöcke aus weichem Material. Und hinten gibt es eine Blattfeder.
Also lauter Teile aus dem Automobilbereich? Markus Jehs: Ja. Dadurch erreichen wir einen federnden Komfort. Aber durch die Gelenke vorn kann der Stuhl auch nach links und nach rechts schwingen. Das wird noch zusätzlich durch die Rahmenkonstruktion der Sitz- und Rückenschale unterstützt. So haben wir auch ohne Mechanik großen Bewegungskomfort.
Sie arbeiten auch für andere Hersteller im Büro- und Objektbereich – Renz haben Sie bereits angesprochen. Das ist ist generell eine sehr effizienz- und funktionsorientierte Welt. Wie viel Spielraum hat da der Gestalter überhaupt? Beide: Sehr viel!
Jürgen Laub: Man muss allerdings sagen, dass wir noch nie ein „Hardcore-Produkt“ entworfen haben. Wie etwa den Super-Stapelstuhl, der so viele Anforderungen hat, dass tatsächlich wenig Gestaltungsspielraum bleibt. Wenn wir eine Konferenzanlage machen, einen Managementschreibtisch oder ein Loungemöbel für Fritz Hansen, dann gibt es den Spielraum natürlich.
Markus Jehs: Wobei wir die Anforderungen nicht als Eingrenzung betrachten, sondern als Anregung. Uns ist es sogar recht, wenn sich der Hersteller Gedanken macht und ein ganz klares Briefing formuliert. Wir können das dann interpretieren. Wenn wir zu dem Schluss kommen, dass das zwar der Wunsch des Herstellers ist, dass er aber trotzdem etwas anderes braucht, dann machen wir das, was wir für richtig halten.
Sie würden auch ein „Hardcore-Möbel“ machen, wenn das der Auftrag wäre? Beide: Ja, gern.
Wie viel können Möbel denn überhaupt zur Qualität der Arbeitsumgebung beitragen – sind da nicht Licht, Klima und Architektur viel wichtiger? Jürgen Laub: Wenn die Architektur keine gute Umgebung bieten kann, was oft der Fall ist, dann müssen die Möbel herhalten. Die Kunst ist es dann, das Richtige zu finden.
Was kann das sein? Jürgen Laub: Die Zielgruppen sind sehr unterschiedlich. Ein Konferenzmöbel in einer Politikerrunde sieht sicher anders aus als eines in einer Werbeagentur. Das fängt an mit dem Sichtschutz unter dem Tisch – unangenehme Dinge, an die der Designer erst ganz zum Schluss denken möchte, die aber wichtig sind. Sonst passiert das, was man in der Tagesschau sieht: Man erkennt die Möbel gar nicht mehr, weil eine riesige Tischdecke darüber geworfen ist für den Sichtschutz. Wichtig ist auch die haptische Komponente. Materialien, die man anfassen kann, müssen authentisch sein: Holzplatten sollen sich wie Holz anfühlen. Man sollte ein gutes Leder verwenden. Das weiß eigentlich jeder Designer, aber das geht leider im Prozess bis zur Herstellung oft verloren.
Wie sehen Sie denn die Zukunft im Büro- und Objektbereich? Bleibt es bei Stuhl, Tisch, Regal oder gibt es neue typologische Entwicklungen? Markus Jehs: Es gibt natürlich Modeerscheinungen, beispielweise das Konferieren in Loungesesseln. Aber die Klassiker wird es immer geben müssen.
Jürgen Laub: Der Bereich ist relativ konservativ. Durch die neuen Technologien hat sich viel verändert, aber die Auswirkungen sind nicht so groß. Man kann zwar jetzt alles Mögliche in Tischplatten einlassen und elektrisch rauf- und runterfahren, aber das ist nicht das Entscheidende. Nach wie vor trifft man sich, redet, schreibt etwas auf. Das meiste passiert in den Köpfen. Der Tisch ist wichtiger als der Beamer. Man braucht die Platte, um eine entsprechende Haltung und Distanz zu haben. Das Besprechen in der Lounge ist eine andere Art der Besprechung. Da kann man vielleicht über Privates oder Allgemeines reden, aber vom eigentlichen Thema ist man eher abgelenkt.
Sie haben in diesem Jahr sowohl Neuheiten für deutsche wie für italienische Firmen vorgestellt, in Mailand beispielsweise Cloth für Cassina. Gibt es Unterschiede in der Arbeitweise diesseits und jenseits der Alpen? Jürgen Laub: Ja! Die Italiener sind zwar chaotisch, aber in der Lage, in kürzester Zeit etwas auf die Beine zu stellen. Sie sind auf eigene Art professionell – es geht schneller, aber sie wenden sich auch schneller wieder von einem Projekt ab. Ein Projekt wird nicht erkämpft. Wenn es aufhört, Spaß zu machen, lässt man es eher fallen. Das kann auch ein Nachteil sein. Manche Dinge muss man sich eben hart erarbeiten. Warum stimmt das Detail noch nicht? Was kann ich verbessern? Ist es wirklich richtig, das Produkt auslaufen zu lassen? Das sind alles Entscheidungen, die man nicht einfach so wegschieben kann. Aber wir beide können schön switchen zwischen Deutschland und Italien, denn wir sind ja aus Stuttgart – das liegt genau zwischen Mailand und Hannover.
Welche Mentalität ist Ihnen den selbst am nächsten? Sind Sie in Ihrer Arbeit deutsch? Markus Jehs: Ja. Wir haben uns zwar immer dagegen gewehrt, vor allem zu Beginn, weil wir mit italienischen Firmen angefangen haben. Wir fanden, die Deutschen seien zu verkopft. Wenn man an die Ulmer Schule denkt, die Gestaltung wissenschaftlich erklären wollte. Dabei geht es um Emotionales und Intuitives, das kann man nicht rational erfassen. Im Laufe der Jahre haben wir gemerkt, dass wir schon deutsch sind. Mittlerweile wissen wir die deutschen Tugenden zu schätzen, die wir im Studium vermittelt bekommen haben.
Sie arbeiten zu zweit – könnten Sie einen Stuhl auch jeweils allein entwerfen? Jürgen Laub: Ja, aber der wäre dann nicht so gut. Wir diskutieren viel über die Projekte, denn wir sind am Anfang oft unterschiedlicher, am Ende aber immer derselben Meinung. Der Prozess ist wichtig, man muss sich öffnen, die Dinge richtig anpacken. So entsteht ein Konsens. Das Gute daran ist, dass wir uns mit der Kritik, den Fragen, die im Laufe eines Projekts von außen auf uns zukommen, schon beschäftigt haben. Diese Auseinandersetzung haben wir bereits vorher durchschritten.
Markus Jehs: Wir sitzen beide gemeinsam an einem großen, runden Tisch und können schnell auf die andere Seite rollen, wenn der eine eine Frage hat. So gibt es einen ständigen Dialog beim Entwerfen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Links
Jehs+Laub
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