Menschen

Lex Pott

von Tanja Pabelick, 24.06.2013


Lex Pott hat dort studiert, wo Querdenken Teil des Stundenplans zu sein scheint: an der Design Academy Eindhoven. Nach Tätigkeiten bei Scholten und Baijings und Hella Jongerius eröffnete er bald ein eigenes Studio in einer alten Amsterdamer Schiffswerft. Seine eigenwilligen wie einnehmenden Objekte, die er aus archaischen Materialien wie Holz, Stein und Kupfer entwirft, machten ihn schnell zu einem der vielversprechendsten zeitgenössischen Nachwuchsdesigner. Wir trafen Lex Pott in Mailand und sprachen mit ihm über die Essenz der Reduktion, Materialien auf Zeitreise und demokratische Geschichtenerzähler
.
 
Als Du eines deiner ersten Projekte, True Colours, vorgestellt hast, waren die Designblogs über Wochen von Dir besetzt... Wie kam es zu dieser Reihe oxidierter Kupferplatten?
 
Ich habe damals an dem Farbforschungsprojekt von Hella Jongerius für Vitra mitgearbeitet. Über zwei Monate hielten wir eine Art Sommercamp in Berlin ab und experimentierten viel – aber das Ergebnis musste natürlich Hellas Handschrift tragen. Das ließ mich die eigene Arbeitsweise reflektieren. Ich habe mich gefragt, wie ich selbst an Farbe herangehe. Weil ich immer direkt mit Materialien und ihren Qualitäten arbeite, waren Metalle und ihre Patina ein naheliegender Transfer. Kirchen und alte Statuen haben diesen wunderschönen grünen Farbton, altes Metall rostet rotbraun. Je mehr ich mich vertieft habe, umso mehr faszinierte mich das.
 
Wie erzeugt man denn unterschiedliche Patina auf einem Material?
 
Ich habe Chemiebücher gewälzt und fand darin Rezepte für neue Farben. Und so habe ich erst einmal einen Satz Probestücke hergestellt. Was ich an dem ganzen Prozess übrigens besonders mag ist, dass Du keine Farbe auf das Material aufträgst, sondern dass die Farbe quasi von Innen kommt.
 
Ein Spiel mit dem Design der Natur ...
 
Genau. Ich beschleunige einen eigentlich natürlichen Prozess. Und das Produkt behält seine Material-Informationen. Denn wenn du es zum Beispiel lackierst, dann kaschierst du seine Identität. Farbe und Material haben keine Beziehung zueinander, jede Farbe kann mit jedem Material zusammenkommen. Aber bei der Kupfer-Patina gibt es eine limitierte Palette mit nur sechs oder acht Nuancen. Und alle sind verwandt mit dem Originalfarbton des Materials.
 
Bei Arbeitsmustern ist es ja nicht geblieben.
 
Ich habe die Kupferplatten zur Dutch Design Week gezeigt – als Experiment. Die Reaktionen darauf waren erstaunlich und die Platten in kurzer Zeit komplett verkauft. Irgendetwas daran schien die Menschen anzusprechen. Deswegen entschied ich mich, das Ganze noch weiter zu denken. Die Platten waren als Produkt eher abstrakt, zumindest ohne einen direkten Gebrauchswert. Sie haben nur eine Geschichte erzählt. Diese Geschichte habe ich daraufhin über funktionale Objekte gelegt, wie das Regal oder die Vasen.
 
Warum bewegen diese Arbeiten den Betrachter so?
 
Eine der Qualitäten ist die „ikonische“ Palette. Jeder kennt die Farben und bringt sie mit etwas Persönlichem in Verbindung. Und dann ist da die Imperfektion der Objekte. Am Anfang wollte ich noch glatte Oberflächen. Doch dann habe ich die Unregelmäßigkeiten zu schätzen gelernt. Mir gefällt, dass jede Platte anders aussieht und kein Objekt dem anderen gleicht. Mit meiner Arbeit schaffe ich den Rahmen für ein Produkt. Diesen Rahmen kontrolliere ich, aber alles andere, was innerhalb dieser Grenzen stattfindet, ist außer Kontrolle. Das ist etwas sehr Geordnetes einerseits und etwas sehr Chaotisches andererseits – eine gute Kombination.
 
Von der Kupferoxidation zur Silbermanipulation von Spiegeln: War das ein logischer, weil verwandter Schritt?
 
Ganz so geradlinig war es nicht. Ein Spiegel besteht aus einer dünnen Silberschicht, die auf Glas aufgetragen und dann versiegelt wird. Wenn Silber der Luft ausgesetzt ist, oxidiert es. Manchmal sieht man das in Museen oder auf dem Flohmarkt. Sehr alte Spiegel beginnen anzulaufen, weil die Schutzschicht nicht für immer hält. Mein Projektpartner David Derksen und ich haben also in einer Spiegelproduktion nach Spiegeln ohne Schutzschicht gefragt. Wir haben sie mit Säuren und Chemikalien behandelt – und dann erst versiegelt. Das ist wie in einer Zeitmaschine: Erst beschleunigt man die Zeit, um sie dann wieder zu bremsen. Die Farben sind dabei der Zeitstrahl des Materiallebens.
 
Du verwendest viele natürlich vorkommende Materialien: Holz, Kupfer, Stein. Hat das Methode?
 
Ich finde, dass Design oftmals zu anmaßend ist. Es fühlt sich so an, als sei es für immer, mit seiner perfekten Oberfläche. Aber viele Dinge, besonders das billige Zeug, werden schnell hässlich oder gehen kaputt. Materialien wie Kupfer, Glas oder Silber altern in einer schönen Art und Weise. Es ist so, als würden sie mit jedem Jahr wertvoller. Man kann das Altern als Nachteil sehen, aber ich nutze es zum Vorteil des Objektes.
 
Machst Du aus einem Spiegel, der ja sonst als Reflektor mehr ein Zustand ist, ein Produkt?
 
Ja, vielleicht. Er hat durch die Intervention schon einen skulpturalen Charakter. Aber er ist immer noch funktional, weil jede der Farbflächen auch noch spiegelt. Das war auch das Ziel – unbenutzt wird er zum dekorativen und eigenständigen Objekt – im Gebrauch ist er aber funktional. Es ist interessant, die Wirkung des Spiegels in Ausstellungen zu beobachten – die Leute machen Bilder über den Spiegel in den Raum, oder von sich selbst, um es auf Facebook zu posten.
 
Ist die Produktion noch Handarbeit?
 
Teilweise. Wir haben eine Fabrik, die uns das Glas zuschneidet und versilbert – die Oxidation nehmen wir noch selbst in der Hand. Langsam wird die Nachfrage dafür aber auch zu hoch.
 
Du hast ja auch ein neues Projekt. Es geht auch um Metall, aber mit Nutzungsverschiebung.
 
Ja, ich habe Ringe aus Euromünzen gefräst. Der Ansatz ist trotzdem verwandt mit dem meiner anderen Arbeiten: Ich nehme ein Material und schaue, welche Qualitäten ich darin finden kann. Münzen haben eine interessante Geschichte. Weil sie früher noch aus echtem Gold waren, eben dem aufgeprägten Wert entsprechend, war es üblich, dass sie mit der Zeit immer schlanker wurden. Die Leute haben das Gold langsam heruntergekratzt. Heute ist Geld lange nicht das wert, was draufsteht. Damit wollte ich spielen: Ich nehme 90 Prozent des Materials weg und steigere damit ihren Wert.
 
Hast Du überlegt, das Konzept auf andere Münzen zu übertragen? Yen und Pfund?
 
Theoretisch lässt sich das Projekt übertragen. Aber Europa ist schon groß genug fürs Erste. Außerdem sind die Euromünzen komplett aus Zinn und Messing. Bei anderen Münzen ist das nicht unbedingt so. Sie sind aus Stahl und nur von einer dünnen Hülle umgeben. Wenn man da hineinbohrt, kann man den Stahl sehen.
 
Ist es überhaupt erlaubt Geld zu manipulieren?
 
Es ist grenzwertig. Das Gesetz verbietet, etwas mit Geld anzustellen – vor allem geht es da natürlich ums Fälschen. Ich darf eine Münze nicht als Zahlungsmittel manipulieren. Für eine künstlerische Verwertung, wenn die Münze zum Schmuckstück wird, sieht das anders aus. Es wird nicht gerade zur Manipulation aufgerufen, aber bisher gab es auch keine Beschwerden.
 
Zumindest ist es ein demokratischer Akt, denn im Gegensatz zu einem Designermöbel in Kleinauflage kann sich den Ring jeder leisten. Welche Rolle spielt die Zielgruppe in Deiner Arbeit?
 
Ich finde es gut, sich Gedanken über die kleinen Dinge zu machen. Ein Regal für 5.000 Euro kaufen vielleicht zehn Leute. Aber Tausend Leute hätten die gleiche Geschichte gern als Objekt auf ihrem Schreibtisch, wenn sie 20 Euro kostet. Ich mache mir tatsächlich viele Gedanken darüber, wie man Design demokratischer machen kann. Die meisten Gestalter könnten sich ihre Arbeiten selbst nicht kaufen. Das ist doch absurd. Dafür sind wir doch nicht Designer geworden – sondern, weil wir Dinge erschaffen wollten, die auch benutzt werden.
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