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Lievore Altherr Molina

von Katrin Schamun, 20.08.2008


Lievore Altherr Molina ist ein spanisches Designbüro mit Sitz in Barcelona. Hinter dem Namen stehen drei Designer mit unterschiedlichen Interessen und Herkünften, die sich 1991 zu einem Team zusammenschlossen und sich im Bereich Möbeldesign etablierten. Alberto Lievore ist ein Architekt aus Buenos Aires, der in den 1970er Jahren nach Spanien immigrierte und 1984 sein eigenes Designbüro in Barcelona gründete. Er wurde für gute Entwürfe in Architektur und Grafikdesign bekannt, doch mit seinen Stuhlentwürfen, dem Rothko Chair und dem Manolete Armchair, gewann er auch ausserhalb Spaniens viel Aufmerksamkeit. Fünf Jahre später begann seine Zusammenarbeit mit Jeanette Altherr und Manel Molina, die bald Partner des gemeinsamen Büros wurden. Jeanette Altherr ist in Deutschland geboren, begann nach ihrer Schulausbildung ein Industrie- und Produktdesignstudium, ging nach Barcelona und setzte dort ihr Studium fort. Manuel Molina absolvierte ein Studium der Innenarchitektur in seiner Geburtsstadt Barcelona. Nach ersten Büroerfahrungen beim Designer Miguel Mila arbeitete er bei Alberto Lievore. Wir trafen Alberto Lievore und Jeanette Altherr und sprachen mit ihnen über das Besondere im spanischen Design und darüber, wie gut sich drei Designpartner ergänzen können.

Gibt es ein typisches spanisches Design?

Altherr:
Wie überall gibt es in Spanien Gruppen, die versuchen eine nationale Sicht zu forcieren. Ein Grund dafür ist sicher die historische Situation. In Spanien, vor allem in Katalonien gab es schon immer ein großes Interesse an liberalen Ideen auf ganz verschiedenen Ebenen, sei es in der Kunst, Literatur oder der Technik. Doch in der Zeit in der Franco herrschte von 1939 bis 1975 wurde dieses unterdrückt. Als die Diktatur dann endlich zusammenbrach, gab es zunächst kulturelle Strömungen, die sehr fortschrittlich waren. Aber auf kultureller Ebene gab es ein „Vacio“, eine große Leere, denn viele Künstler, Architekten oder Schriftsteller waren emigriert. Auf der einen Seite gab es diese Leere, und auf der anderen Seite eine sich aufstauende Energie, die sich zu großer Kreativität entwickelte.

Lievore:
In dieser Zeit kam ich nach Spanien, ging zuerst für eine kurze Zeit nach Madrid, dann nach Barcelona. Ich spürte dieses Fieber und ließ mich mitreißen. Aus dieser Anfangseuphorie sind viele Firmen und Büros entstanden, die diesen Aufschwung ausgelöst und voran getrieben haben.

Wann war das?

Lievore:
In den 1970er Jahren verließ ich Buenos Aires auf Grund der politischen Verhältnisse. Auf einer Messe in Barcelona traf ich Jorge Pensi wieder, einen Kollegen mit dem ich bereits in Argentinien zusammen gearbeitet hatte. Er offerierte mir später eine Stelle in einer Möbelfirma in Alicante. 1977 gründeten ich mit Norberto Chaves ein Designbüro, die "Grupo Berenguer", dem sich später andere Freunde u. a. auch Jorge Pensi anschlossen.

Altherr:
Was diese Firmen damals mitbrachten - und das ist auch eine sehr spanische Eigenschaften - ist eine gut gemeinte Ignoranz. Sie haben keine Angst, etwas Neues zu beginnen, es auszuprobieren.

Lievore:
Spanier sind sehr dynamisch.

Altherr:
Spanier sind sehr gute Improvisatoren. Wenn sie etwas beginnen, denken sie nicht so viel über das wie nach, sondern beginnen einfach. Sie haben nicht die Faszination für das Perfekte. Dies hat natürlich seine guten Seiten, aber auch seine Nachteile, wie alles im Leben. Oder wie das spanische Sprichwort sagt: „La virtud también is imperfecto.“ Die gute Seite ist, dass viele Projekte mit sehr viel Energie und Frische begonnen wurden, die vielleicht in Deutschland nicht entstanden wären.

Warum denken Sie das?

Altherr:
Ich sehe das bei Firmen in Deutschland, die eine Geschichte haben. Oft habe ich den Eindruck, dass für sie die Vergangenheit ein Gewicht ist, das sie nach unten zieht und wogegen sie ankämpfen müssen. Aber die Erfahrungen, die aus Vergangenem resultieren, sollten kein Ballast sein, sondern eine Basis auf der man etwas Neues aufbaut. Das zu schaffen, scheint für Firmen in Deutschland besonders schwer zu sein.

Zurück zum spanischen Design. Was ist daran das Besondere?

Altherr:
Das, was so hoch stilisiert wird, ist dieses Verrückte, was Dali, Manrique und jetzt im Design Jaime Hayon präsentieren. Sie wollten und wollen provozieren und Grenzen sprengen. Aber es gibt auch eine andere Linie im spanischen Design, die nicht so bekannt in der Welt ist. Sie ist eher traditionell, auch expressiv, aber nicht auf diese frivole Art. Ich würde sie als "Art naturalmente", als natürliche Kunst bezeichnen, da das Design mit einer Natürlichkeit kreiert und entworfen wird, ohne große Anstrengung. Wie beim Tanz; die besten Tänzer zeigen Gesten, die so natürlich wirken, dass man sie gar nicht anders machen könnte, mit einer Leichtigkeit, die einen gar nicht darüber nachdenken, sondern nur den Bewegungen folgen lässt. Ich finde das ist ein Ideal, das wir auch in unserem Entwurfsprozess anstreben.

Lievore:
Unsere Arbeit basiert auf der meiner Meinung, dass die wichtigste Aufgabe des Designs die Erforschung des Wesens der Dinge ist. Design ist eine kulturelle Disziplin.

Altherr:
Wir sind Mitarbeiter der Architektur, das heißt wir entwerfen Produkte, die nicht kompliziert oder auffallend sind, sondern sich in jede Umgebung gut einfügen. Der Stuhl auf dem Sie gerade sitzen, gehört zur Serie Catifa. Seine Form ist nicht explosiv oder kompliziert. Aber in rotem Leder bezogen und in eine Lounge gestellt, wirkt er ganz anders als in grauem Textil, man könnte meinen, es handle sich nicht um den gleichen Stuhl. Er passt überall hinein.

Wie arbeiten Sie drei zusammen. Hat jeder von Ihnen einen Bereich, in dem er spezialisiert ist?

Altherr:
Jeder von uns ist in alle Projekte involviert, zumindest als kritische Stimme. Es ist immer so, dass zwei von uns das Projekt betreuen und der Dritte berät oder kommentiert. Das funktioniert sehr gut, denn jeder von uns hat eine völlig unterschiedliche Perspektive. Ein 60jähriger Architekt argentinischer Herkunft hat einfach ganz andere Ansichten als eine gelernte Industriedesignerin aus Deutschland in den besten Jahren oder ein spanischer Innenarchitekt aus Barcelona. Aber das bereichert die Arbeit ungemein. Wenn die Projekte durch drei verschiedene Filter gelaufen sind, dann kann davon ausgegangen werden, dass das Resultat eine Chance hat, universeller zu sein, als wenn es nur von einer Person gestaltet hätte.

Sie als Produktdesignerin legen im Entwurfsprozess doch sicher
auf andere Dinge Wert als Sie als Architekt?

Altherr:
Um mal ein Klischee als Beispiel zu nehmen: Am Anfang unserer Zusammenarbeit hatte ich weniger Probleme mit der Verwendung des Materials Plastik gehabt als Alberto und Manel. Mich interessierten besonders neue moderne Materialien, die gerade auf den Markt kamen. Alberto dagegen war die Wirkung eines Produktes im Raum immer sehr wichtig. Im Laufe der Zeit hat sich das umgedreht, mittlerweile ist er derjenige der besonderes Interesse neuen Technologien und Materialien entgegenbringt. Und mich beschäftigt zunehmend der Raum und die Beziehung der Objekte im Raum. Alberto hat unsere Zusammenarbeit einmal ganz schön formuliert: Eins und eins und eins ist mehr als drei.

Herr Lievore, wie entwickelten Sie Ihre Faszination für das Design, Sie sind doch ausgebildeter Architekt?

Lievore:
Als ich in Argentinien anfing zu studieren, gab es das Studienfach Design noch gar nicht. Architektur war die einzige Profession in diese Richtung und viele Architekten sind nach ihrer Ausbildung Designer geworden. Was mich von der Architektur zum Design gebracht hat, war „la escala“ – der Maßstab. Design orientiert sich in konkreter und sehr sinnlicher Weise an den Menschen, was ich in der Architektur nie so stark empfunden habe.

Altherr:
Ich habe mich von klein auf für Kunst interessiert, habe später aber gemerkt, in der Kunst geht es häufig nur um das Ego und um Marktinteressen, Aspekte die mir eine Beschäftigung mit der Kunst völlig unmöglich machen. Dann habe ich begonnen, mich für Theater zu interessieren. Doch irgendwann habe ich eine Fernsehreportage über verschiedene Designer gesehen, die Isamu Noguchi, Richard Sapper und Verner Panton vorstellte. Ich war fasziniert von den Möglichkeiten, die ein Designer hat und die verschiedenen Ebenen mit denen er sich beschäftigt. Dazu kommt die Faszination des Objekts als solches. Für mich war schnell klar, dass Design für mich greifbarer ist als Architektur.

Vielen Dank für das Gespräch.

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Links

Lievore Altherr Molina

www.lievorealtherrmolina.com

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