Luca Brenta
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Luca Brenta hat dem Segeln eine neue Ästhetik gegeben. Schnell, grazil und durchgestaltet bis ins Detail fliegen seine Boote über das Wasser, ohne sich in antiquierter Seemannsoptik zu verirren. Mit der Verbindung aus Sportlichkeit und Komfort wird der heute 56-jährige zum Ideengeber der Yachten-Schmiede „Wally“ und entwickelt mit seiner Firma „Luca Brenta Yacht Design“ Boote von anmutiger Präsenz. Die Yachten „Ghost“, „Wallygator“ oder „Wally B“ werden zum Inbegriff zeitgenössischer Bootsgestaltung und machen in punkto Innovation auch unter Deck nicht halt. Über Kooperationen mit Architekten wie Piero Lissoni oder John Pawson werden die Innenräume von ihrem rustikalen Charme befreit und mit klaren Formen in die Gegenwart versetzt. Zusammen mit seinem Büropartner Lorenzo Argento und vier weiteren Mitarbeitern entwickelt er seine Ideen im Zentrum von Mailand. Dort trafen wir Luca Brenta in seinem Designstudio und sprachen mit ihm über Formel 1 auf dem Wasser, sportliche Kurven und einen Hochseedampfer der anderen Art.
Herr Brenta, Sie gelten als einer der einflussreichsten Bootsgestalter und haben eine grundlegend neue Designsprache im Segelsport eingeführt. Worin unterscheidet sich diese von dem, was bisher auf dem Wasser zu sehen war?
Wir haben einen neuen Typus von Segelboot entwickelt. Es ist eine Art schnelles Cruise-Boot, das auf der einen Seite komfortabel und leicht zu steuern, auf der anderen Seite sehr schnell und sexy ist. Damit unterscheidet es sich deutlich von bisherigen Segelyachten, die eher behäbig im Wasser liegen. Die Herausforderung lag darin, aus einer schwimmenden Villa ein sportliches Boot zu machen.
Was haben Sie an der Konstruktion der Boote verändert?
Um ein Boot schnell zu machen, muss man seine Verdrängung im Wasser reduzieren. Darum haben wir die Rumpfform der von Rennbooten angeglichen und überflüssiges Gewicht eingespart. Viel schwieriger war jedoch die Frage der Steuerung. Denn große Regatta-Boote mussten bisher von einer Crew von mindestens zehn Personen gesteuert werden. Zum entspannten Cruisen am Wochenende, wenn nur zwei Personen an Bord sind und auch unter sich bleiben möchten, sind sie nicht geeignet. Also mussten wir herausfinden, wie sich ein solches Boot auch mit einer kleinen Crew steuern lässt.
Ihre Lösung, die Sie erstmals auf der 107 Fuß langen Segelyacht „Wallygator“ vorgestellt haben, sieht ein komplexes Steuerungssystem aus hydraulischen Pumpen vor. Scheint dies nicht ein wenig übertrieben?
Keineswegs, denn die Hydraulik wird über den Motor des Bootes betrieben. Wenn man den Hafen verlassen hat und Segel setzt, wird dieser zusätzliche Antrieb nicht mehr benötigt und nur als Ballast herumgefahren. Er kann also ebenso gut für die Steuerung des Segels verwendet werden. Als wir dieses System 1991 entwickelt haben, gab es zwar etwas Ähnliches auf dem Markt. Doch in der Bedienung war es sehr schwerfällig und langsam. Hatte man einen Knopf gedrückt, setzte sich alles wie in Zeitlupe in Bewegung. Mit dem Feeling eines Rennbootes hatte dies überhaupt nichts gemeinsam. Wir wollten jedoch dieselbe Geschwindigkeit und dieselbe Dynamik erzielen, als wenn eine große Crew an Bord wäre. Das war gar nicht so einfach. Denn indem man die Maschinerie vergrößert, macht man das Boot schwerer und erhöht seine Verdrängung anstatt sie zu reduzieren. Also mussten wir das Gewicht radikal verringern.
Was Sie durch den Einsatz von Leichtbaumaterialien wie Karbon umgesetzt haben. In welchem Umfang ließ sich das Gewicht reduzieren?
Allein in der Maschinerie um ungefähr die Hälfte von dem, was vorher nötig gewesen wäre. Hinzu kommt noch ein anderer Aspekt: Je stärker das Gewicht von Rumpf und Mast verringert wird, desto leichter kann auch die Kielbombe unter Wasser sein. Am Ende des Flossenkiels balanciert sie das Boot gegen den Wind aus und sorgt für ein aufrichtendes Moment. Wenn man zwei Tonnen vom Schiff abzieht, kann die Kielbombe um sechs Tonnen leichter werden, so dass die Reduktion bei insgesamt acht Tonnen liegt. Bei einem Boot mit einer Verdrängung von 33 Tonnen bringen diese acht Tonnen deutlich mehr Geschwindigkeit.
Die Innovationen, die Sie mit diesem Boot vorgestellt haben, wurden zugleich zum Initialzünder für die Firma „Wally“, die heute weltweit als Synonym für sportliche Segel- und Motoryachten steht. Wie kam diese Zusammenarbeit zustande?
Als ich 23 war, habe ich mein erstes Segelboot entworfen, eine Rennyacht. Später kamen immer weitere hinzu. Luca Bassani sah 1987 eines der Boote und gab mir den Auftrag, ein schnelles Segel-Rennboot für ihn zu entwerfen. Als wir es schließlich vorstellten, waren die Leute überrascht über dessen Performance und die Erscheinung. Zwei oder drei Jahre später kam er erneut zu mir und wollte ein noch größeres Boot, die spätere „Wallygator“. Das war eine wundervolle Erfahrung. Denn er gab mir ein ungewöhnlich hohes Budget für die Konstruktion und Planung dieses Bootes. Er wollte, dass ich noch weiter gehe und in allen Bereichen des Bootes neue Lösungen entwickele. Zum Schluss sind 90 Prozent aller Bauteile von Grund auf neu entwickelt worden. In diesem Aufwand lag zugleich der Auslöser. Denn als wir fertig waren, meinte er: „Ok, ich habe so viel Geld ausgegeben, dass ich gerne eine Firma gründen möchte, die Boote dieser Art produziert und die Ideen kommerzialisiert.“ So entstand 1993 die Firma Wally. Wir haben die ersten sechs Jahre weiter bei Wally zusammen gearbeitet, bis das Design von einem internen Studio übernommen wurde. Ich war allerdings auch in dieser Zeit weiterhin unabhängig und habe Boote für andere Kunden entwickelt. Dennoch gehen wir seitdem getrennte Wege.
Was ist Ihnen wichtiger, wenn Sie ein neues Boot entwickeln: seine Erscheinung oder seine Performance?
Beides zur selben Zeit. Es ist wie bei der Ästhetik eines Formel-1-Wagens. Auch hier steht die Form in direktem Zusammenhang mit der Leistung, die er erbringt. Die Ästhetik eines Bootes zeigt sich dabei vor allem in den Details, wodurch das Design für eine Super-Yacht zu einer sehr komplexen Aufgabe wird. Wir entwerfen jedes Mal selbst die Positionslichter neu, um unseren Booten einen ganzheitlichen Eindruck zu geben.
Auffällig ist hierbei auch die Kontinuität zwischen Innen- und Außenraum. Während noch immer viele neue Yachten mit traditionellen Interieurs ausgestattet sind, haben Sie bereits vor über zehn Jahren eine zeitgenössische Formensprache auch unter Deck etabliert.
Ja, allerdings hat auch das eine gewisse Zeit gebraucht. Es war viel schwieriger, die Kunden beim Interieur von einer zeitgemäßen Lösung zu überzeugen als im Außenbereich. Auch die ersten Boote für Wally waren trotz ihrer neuen Linien mit einem altmodischen Navy-Interieur ausgestattet. Heute arbeiten wir für die Innenraumgestaltung sehr oft mit Architekten zusammen wie John Pawson, Piero Lissoni oder Gillian Brown. Denn wir können nicht in allem perfekt sein. Wir kennen zwar die Probleme von maritimer Seite und können ein Projekt so weit wie möglich in eine bestimmte Richtung lenken. Mit Architekten zu arbeiten ermöglicht einen anderen Zugang, der auch beim Interieur neue Lösungen erlaubt. Dennoch ist das Ergebnis stets Teamarbeit, was den Prozess auch für uns interessant macht.
Bei welchem Boot haben Sie erstmals Außen- und Innenraum aus einem Guss gestaltet?
Auf der „Wally B“ von 1996, deren Interieur wir mit Claudio Lazzarini und Carl Pickering entwickelt haben. Die Anfrage kam hierbei überraschender Weise vom Kunden, der sich den Innenraum der 106 Fuß langen Yacht als eine Art großzügiges Loft vorstellte, das an unterschiedliche Nutzungen angepasst werden kann. Dieser Ansatz war weit gedacht, denn der Besitzer war zu diesem Zeitpunkt weder verheiratet noch hatte er Kinder. Er flog am Wochenende von London ans Mittelmeer und segelte dort mit Freunden oder feierte auf dem Boot Parties. Aus diesem Grunde sind alle Räume veränderlich gestaltet. Es ist möglich, einen großen Tisch zu haben, gar keinen Tisch haben, den Innenraum zur Tanzfläche umzuwandeln oder Platz für ein zusätzliches Gästezimmer zu schaffen. Auch wenn dieses Maß an Flexibilität speziell für dieses Boot entworfen wurde, haben wir es auch bei späteren Projekten übernommen.
Das Boot ist somit auf die unterschiedlichen Lebensphasen vorbereitet...
Ja, denn Kinder sind oft nur eine kurze Zeit an Bord. Sie gehen mit ihren Eltern segeln, bis sie maximal 18 oder 20 Jahre alt sind. Danach ändert sich die Nutzung des Bootes vollständig. Ein Boot mit vier oder fünf Kabinen wird dann oft nur noch von zwei Personen genutzt, die sich eine kleine Kabine teilen müssen, während der Rest leer steht. Darum ist es besser, den Innenraum flexibel zu gestalten, egal ob auf einer großen Yacht wie der „Wally B“ oder auf einem kleineren Segelschiff von 40 oder 60 Fuß Länge. Auch dort sind 90 Prozent der Zeit nur zwei Personen an Bord.
Was kostet eines Ihrer Boote?
Das hängt davon ab. Es gibt einige Serienmodelle, die von 30 bis 60 Fuß reichen. Die 30-Fuß-Version (8,92 Meter) kostet rund 100.000 Euro, die 60-Fuß-Version (18,62 Meter) ungefähr zwei Millionen. Die 30 Fuß kann man alleine segeln. Sie ist speziell für eine hohe Geschwindigkeit entworfen und aus Karbon gefertigt. 100.000 Euro sind für ein Segelboot nicht viel, aber dennoch ist es teuer. Man kann ein Boot in derselben Größe für die Hälfte bekommen, wenn auch nicht in dieser Qualität und Geschwindigkeit. Deutlich teurer wird es bei den Einzelanfertigungen. Wenn man ein Schwesterschiff der „Ghost“ bauen würde, die 122 Fuß (37,25 Meter) lang ist, müsste man ungefähr 15 Millionen Euro einplanen. Wenn auch hier ausschließlich Hightech-Materialien verwendet werden sollen, um noch mehr Gewicht zu sparen, sind nochmals 20 Prozent mehr einzurechnen.
Wie viele Boote entwerfen Sie pro Jahr?
Manchmal ist es ein großes Boot und manchmal sind es drei kleinere. Für ein mittelgroßes Boot nimmt der Entwurf rund sechs Monate in Anspruch und die Konstruktion weitere zwei Jahre. Das macht es schwer, eine konkrete Zahl zu nennen. Im Moment ist es etwas ruhiger aufgrund der Krise. Aber der Markt erholt sich. Langsam, aber er erholt sich.
Inwieweit hat sich die Krise in diesem Bereich bemerkbar gemacht?
In den letzten anderthalb Jahren gab es einen spürbaren Einschnitt. Der Markt von Booten, die 150 Fuß (45,72 Meter) oder länger sind, ist dabei allerdings weniger stark betroffen. Dort sind die Umsätze um rund 30 Prozent eingebrochen, während der Markt von 60 Fuß und kleiner über 80 Prozent Einbußen hatte. Zwar wird der Rückgang bei den großen Booten noch länger anhalten, dafür wird sich die Nachfrage bei kleineren Booten umso schneller wieder erholen. Dennoch hat auch diese Phase etwas Gutes: Denn fast alle Bootshersteller denken derzeit über neue Modelle nach, um vorbereitet zu sein, wenn sich der Markt wieder erholt. Auch wir entwickeln derzeit neue Vorschläge, darunter unser erstes Motor-Boot sowie ein kleines Segel-Boot von 50 Fuß.
Sie haben Ihre ersten Segelerfahrungen auf dem Boot Ihrer Eltern gesammelt und nehmen bis heute auch regelmäßg an Regatten teil. Würden sie dennoch nicht auch ein anderes Transportmittel als ein Boot entwerfen?
Wir haben im letzten Jahr an einer Studie für Lancia gearbeitet. Sie hatten fünf verschiedene Designer gefragt, ein Redesign für den Mittelklasse-Wagen „Delta“ anzufertigen. Das war schwieriger, als wir uns anfangs vorgestellt hatten. Wenn wir die Elemente, die uns nicht gefielen, in die eine Richtung entwickelt haben, sah der Wagen plötzlich aus wie ein Audi. Haben wir alles wieder geändert, kam ein BMW heraus oder irgendwann ein Volvo (lacht). Es ist schwer, in diesem Bereich etwas vollkommen Anderes zu machen, weil schon alles auf dem Markt ist. Man kann Autos über das Ändern von Details behutsam in eine Richtung lenken. Aber ein vollkommen neues Auto zu entwerfen ist fast unmöglich. Vielleicht liegt es daran, dass ich mich auf dem Wasser deutlich wohler fühle. Bei Booten lassen sich noch immer zahlreiche neue Dinge ausprobieren.
Trotz Ihrer Leidenschaft für schnelle Segelboote: Würden Sie auch ein riesiges Kreuzfahrtschiff entwerfen?
Es kam einmal ein Kunde zu uns, der ein solches Schiff wollte. Er hatte etwas anderes im Sinn als diese schwimmenden Kästen, die alle vollkommen gleich aussehen und auch nicht besondern sexy sind. Also haben wir uns gefragt, was wir ändern könnten. Lorenzo und ich haben daraufhin unsere Söhne gebeten, ein Schiff zu zeichnen. Das Ergebnis war bei beiden dasselbe: ein schlanker Rumpf und darüber zwei riesige Schornsteine. Das war es, was wir vorgeschlagen haben: ein langes flaches Deck und darüber zwei große Schornsteine, um die herum die Apartments angeordnet sind. Wie zwei schwimmende Hochhäuser auf einer flachen Scheibe. Dem Kunden war dieser Vorschlag dann allerdings doch ein wenig zu radikal, so dass aus dem Projekt nichts wurde. Das war die einzige Erfahrung, die wir mit Booten dieser Art bisher hatten. Aber Spaß gemacht hat es trotzdem.
Vielen Dank für das Gespräch.
Links
Luca Brenta Yacht Design
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