Lucidi Pevere
Das italienische Designerduo über Zeitreisen und Handwerk
Paolo Lucidi (*1974) und Luca Pevere (*1977) sind die neuen Hoffnungsträger des italienischen Designs. Sie entwerfen Leuchten und Tische aus Beton, übersetzen LKW-Planen in Outdoor-Sessel und verwandeln ganze Baumstämme in filigrane Beistellmöbel. Wir trafen die beiden in Mailand und sprachen mit ihnen über gestalterisches Zeitreisen, wärmendes Handwerk und transparentes Holz.
Paolo und Luca, Sie beide haben sich während Ihres Designstudiums am Mailänder Politechnico kennengelernt und 2006 Ihr gemeinsames Büro gegründet. Warum haben Sie dessen Sitz von Mailand ins ferne Udine verlegt? Paolo Lucidi: Wir sind beide in der Region aufgewachsen und wollten eigentlich schon viel früher wieder zurückkehren. Udine ist das Zentrum für Holzstühle. Ein Drittel aller Holzstühle, die noch vor zehn Jahren weltweit produziert wurden, stammen aus der Region. Insofern lag dieser Schritt für uns nahe, zumal wir uns schon früh auf Möbel spezialisiert haben. Dennoch haben wir erst jetzt unseren ersten Holzstuhl entworfen.
Warum? Paolo Lucidi: Wenn man in einer Region wie dieser arbeitet und jeden Tag dieselben Produkte sieht, ist es gar nicht so leicht, ein neues Konzept zu finden. Umgekehrt konnten wir sehr viel über all die verschiedenen Holzarten und Konstruktionsweisen lernen. Insofern ging es für uns eher darum, den richtigen Zeitpunkt zu finden. Wir mussten warten, bis uns jemand die Möglichkeit gab, unser Wissen anzuwenden.
Einen Namen haben Sie sich zuvor mit einem eher möbeluntypischen Material gemacht: Beton. Luca Pevere: Es ist spannend, einen Werkstoff auf ungewohnte Weise einzusetzen oder dessen Erscheinung zu verändern. Angefangen hat es mit der Leuchte Aplomb für Foscarini, bei der wir den Betonschirm mit Glasfasern verstärkt haben. Der Entwurf wurde ein großer Erfolg und so haben wir uns gefragt, ob wir nicht auch ein ganzes Tischbein aus Beton fertigen können. So entstand die Idee für den Boiacca-Tisch für Kristalia, der auch von seiner Struktur her ein wenig architektonischer ist und von einem Stahlkern verstärkt wird.
Der Reiz der beiden Entwürfe liegt in ihrer veränderten Anmutung: Schließlich kommt der Beton alles andere als rau oder gar brutal daher. Paolo Lucidi: Wir haben vor allem auf die Behandlung der Oberflächen viel Wert gelegt. Der Beton sollte nicht die Assoziation erwecken, dass er dreckig oder staubig sei. Er sollte sich in den Händen angenehm anfühlen und dennoch als Beton sofort erkennbar sein. Ich denke, dass darin auch unsere Arbeitsweise liegt. Wir entwerfen zwar nur für die Serie. Doch umgekehrt versuchen wir immer, handwerkliche Prozesse in unsere Arbeit mit einzubinden. Es ist spannend, wenn Produkte in großen Stückzahlen hergestellt werden und sich durch minimale Abweichung dennoch voneinander unterscheiden. Das Handwerk verleiht dem Industriellen dabei die nötige Wärme.
Dem Thema Holz haben Sie sich in diesem Jahr gleich auf mehrfache Weise genähert. Den Auftakt bildete der Beistelltisch Alburni für Ligne Roset, der auffallend filigran erscheint. Was hat es mit diesem Entwurf auf sich? Paolo Lucidi: Die Idee kam uns, als wir bei einem Zulieferer einige Materialproben gesehen haben. Sie hatten Baumstämme in extrem dünne Sektionen geschnitten, die weniger als einen Millimeter breit waren. Wenn wir unsere Hand hinter die Scheiben gehalten haben, konnten wir sie sehen. Das Holz wirkte regelrecht transparent. Normalerweise werden Furniere nur in Längstrichtung geschnitten, um sie zu langen Tischen oder Kommoden zu verarbeiten. Doch dieses Holz wird quer geschnitten, sodass die Durchmesser der Baumstämme noch erkennbar sind.
Luca Pevere: Dieses Verfahren ist auch aus nachhaltiger Sicht interessant. Immerhin lassen sich aus einem Abschnitt von nur einem Zentimeter ganze zehn Tische produzieren. Übersetzt auf die Länge eines einzelnen Baumes ergibt das eine enorme Ausbeute. Im Anschluss haben wir versucht, diese extrem dünne Holzschicht mit einem möglichst leichten Unterbau zu kombinieren. In gewisser Weise gibt es dabei auch eine Verbindung zu unseren Beton-Entwürfen: Man erkennt ein Material, das normalerweise eher grob und schwer wirkt. Und plötzlich bekommt es eine ungewohnt leichte Seite.
Die Wirkung der Materialität geht zugleich mit einer Reduktion der Form einher. Paolo Lucidi: Absolut. Die Form soll dem Material Vorrang lassen. Alles andere wäre auch zuviel gewesen. Uns gefallen Dinge, die recht geradlinig, klar und aufgeräumt sind. Ich denke, dass unsere Designhaltung sehr nah am deutschen oder österreichischen Design ist, das auch eher minimalistisch und weniger schnörkelig und exzentrisch ist. Udine liegt schließlich nah an der österreichischen Grenze. Und auch viele unserer Entwürfe haben ihren meisten Umsatz in Deutschland erzielt. Es sind also viele Punkte, die sich miteinander verbinden. Wir mögen einfache Produkte, die komplexe Geschichten zu erzählen haben.
Anlässlich der Mailänder Möbelmesse 2014 haben Sie gleich zwei Holzstühle vorgestellt: Den Brezel Chair für Gebrüder Thonet sowie den Gerla-Stuhl für das junge italienische Möbellabel VeryWood. Worin unterscheiden sich die beiden Entwürfe? Luca Pevere: Die meisten denken bei Gebrüder Thonet Vienna an die Möbel von Adolf Loos und ihre weichen, fließenden Formen aus Bugholz. Wir wollten etwas ähnliches machen, wenngleich mit einer heutigen Sensibilität. Das Risiko war, einen Stuhl aus Sicht der Vergangenheit zu entwerfen, anstatt die Vergangenheit zu reflektieren. Die Herausforderung bestand darin, eine Balance zwischen der Vergangenheit und Gegenwart zu finden.
Und wie sieht die aus?
Luca Pevere: Wir haben auf die Kombination von vielen Radien gesetzt und uns dabei eine Brezel als Vorbild genommen. Die traditionellen Gebrüder-Thonet-Stühle haben viele dekorative Details, die in diesem Falle vollständig verschwunden sind. Auch behalten die Bugholzelemente stets denselben Durchmesser, anstatt wie bei Adolf Loos zwischen schlank und massiv zu changieren. Das Zusammenspiel aus runden und geraden Linien entspricht auch einer heutigen Ästhetik, ebenso wie die kompakte Größe des Möbels.
Paolo Lucidi: Bei Gerla sind wir in eine vollkommen andere Richtung gegangen. Anstelle von Bugholz haben wir Elemente aus geschnittenem Schichtholz verwendet. Diese Module haben die Form einer 8 und wurden zu einer Art Korb addiert. Das Möbel wirkt auf den ersten Blick wie ein Bugholzmöbel. Doch aufgrund der viel zu kleinen Radien wäre er so allein aus technischer Weise nicht umsetzbar. Das macht den Stuhl zu einem mysteriösen wie komfortablen Objekt gleichermaßen.
Sie arbeiten bis heute nur zu zweit. Wie gehen Sie an einen neuen Entwurf heran? Paolo Lucidi: Meistens beginnen wir mit Zeichnungen, manchmal auch mit Materialproben. Andere Male sprechen wir nur. Das Konzept für den Sessel Poncho zum Beispiel entstand auf einer Reise von Udine nach Mailand. Wir saßen beide im Auto und haben gerade einen LKW überholt, als wir das Befestigungssystem der Planen gesehen haben. Plötzlich hat es Klick gemacht und wir hatten die richtige Idee für unseren Outdoor-Sessel.
Luca Pevere: Vier Augen sind besser als zwei Augen, um den roten Faden für ein Produkt zu finden. Darum entscheiden wir alle Schritte immer gemeinsam. Wenn einer Nein sagt, gehen wir in eine andere Richtung oder fangen wieder von vorne an. Auch machen wir immer sehr viele Fotos, um die Entstehung eines Produkts zu dokumentieren. Wenn wir nur die Bilder der Firmen nehmen würden, hätten unsere Entwürfe sehr unterschiedliche Identitäten. Nach all der langen Entwicklungsarbeit ist das manchmal schade, weil bestimmte Details verloren gehen. Darum machen wir lieber unsere eigenen Fotos, anstatt dies außer Hand zu geben (lacht).