Marc Newson
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Die Times hatte Marc Newson einst unter die 100 wichtigsten Entscheider der Welt gewählt, die Queen schlug ihn 2012 zum Ritter. Recht so. Die Entwürfe des Australiers werden gefeiert. Von Mode für G-Star über Turnschuhe und Mobiltelefone bis zum Flugzeug – Marc Newson gestaltet Wirklichkeit zum Anfassen. Coolness mit Understatement. Ein Gespräch über seine Begeisterung für das Fliegen, Auktionsrekorde und ziemlich große Fernseher.
Herr Newson, Sie machen auf langen Flügen die Kabine zu Ihrem Büro ...
Das stimmt. Wobei ich natürlich nicht die ganze Kabine in Beschlag nehme, sondern an meinem Platz arbeite. Es ist sinnvoll, auf Langstrecken zu arbeiten. Man kann nicht angerufen werden, ist meistens alleine unterwegs, wird nicht gestört. Da viele meiner Projekte für die Flugzeugindustrie entstehen, liegt es fast in der Natur der Sache, dass mich Reisen inspirieren.
Ist die hermetische Abgeschlossenheit in einer Flugzeugkabine symptomatisch für Ihre Arbeitsweise?
Ich brauche die völlige Isolation. Das ist die einzige Art und Weise, auf die ich wirklich produktiv arbeiten kann. Insofern ist diese Umgebung genau richtig für mich. Zumal ich die Einrichtung der Business Class von Quantas auch noch selbst entworfen habe.
Entwerfen Sie schnell oder müssen Sie sich quälen?
Wenn ich einmal angefangen habe, geht es schnell. Aber ich brauche lange, bis es soweit ist. Das ist nicht nur auf meine Arbeitsweise zurückzuführen, sondern liegt auch an den Informationen, die ich brauche, wenn etwas Neues entstehen soll.
Was ist für Sie schwieriger, einen ganzen Komplex zu entwerfen oder ein Einzelstück?
Ein Restaurant oder ein Shop hat eine bestimmte Fläche, es gibt Fenster und Türen, die schon vorhanden sind. Ein Raum hat immer eine vorgegebene Bestimmung. Bei einem Möbel ist nur die eigene Vorstellung der Rahmen – das kann viel schwieriger sein.
Sie haben aus eigenem Antrieb ein komplettes Flugzeug entworfen.
Ich bin flugbegeistert und fand die Idee toll, im selbstentworfenen Jet zu reisen. Es ist eine einstrahlige Maschine mit riesigem Lufteinlass, einem Trapezflügel und zwei kleinen Leitwerken. Es heißt Kelvin 40. Das Projekt wurde gefördert von der Fondation Cartier und existiert bereits als Studie in Originalgröße. Ich weiß aber nicht, ob es je realisiert werden wird.
Ein kurzer Sprung in die Zeitmaschine: Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Entwurf?
Ich glaube, es war eine Uhr. Meine ersten Designs wurden nie umgesetzt. Ich habe sehr viel entworfen, bevor etwas realisiert wurde.
Was sind Kriterien, die Sie an Design anlegen?
Ich kümmere mich nicht so sehr um die Dinge, die mich umgeben, wenn ich Sie nicht entworfen habe. Ich bin kein Design–Faschist, der alles bewertet und sofort ein Urteil abgeben muss. Bei vielen Dingen geht es um persönlichen Geschmack. Das muss jeder mit sich selbst ausmachen, was ihm gefällt oder nicht. Es ist aber nie alles, so wie man sich es wünscht. Und wenn dem so wäre, hätte ich meinen Job nicht mehr.
Das heißt, Sie können Scheußlichkeiten übersehen, auch wenn Sie ins Auge springen?
Ich wohne zum Beispiel nie in Designhotels, weil ich das nicht mag. Aber es stimmt schon, Autos und Mobiltelefone bieten oft einen ziemlich traurigen Anblick.
Das lässt sich leicht sagen, wenn man einen alten Aston Martin fährt ...
(lacht) Stimmt. Aber ich habe auch ganz pragmatische Autos für den Alltag.
Wie hat sich Ihr Stil über die Jahre verändert?
Er hat sich in dem Maße verändert, in dem ich mich als Person verändert habe. Und weil ich immer häufiger Jobs für große Industrieunternehmen mache. Ich muss meinen Stil der Industrie anpassen, für die ich arbeite.
Ihre Liege Lockheed Lounge aus dem Jahr 1986 ist 2010 in New York für 2,1 Millionen Dollar versteigert worden. Was bedeutet Ihnen das?
Das macht mich glücklich. Ich habe das natürlich nie erwartet, als ich damals an der Liege gearbeitet habe. Aber mittlerweile es ist eigentlich auch keine Überraschung mehr. Die meisten meiner Sachen aus den frühen Jahren erzielen inzwischen solche Preise.
Haben Sie in Ihrer Wohnung eigene Entwürfe?
Nein. Ich habe nichts von meinen Sachen zu Hause. Dort verbringe ich ohnehin nur wenig Zeit. Die meiste Zeit verbringe ich mit meiner Arbeit. Ich habe definitiv kein Design–Zuhause.
Gibt es ein Lieblingsmöbel?
Ja (lacht) – das ist mein gigantischer Plasma-Fernseher.
Vor London haben Sie in Tokio, Sydney, Seoul und Paris gelebt. Welche Umgebung hat Sie am meisten inspiriert?
Mein Design ist von der Umgebung nicht abhängig, mein Leben hingegen schon. Und da waren die Einflüsse in Australien und Japan am stärksten.
Herr Newson, vielen Dank für das Gespräch.
(Alle Fotos courtesy Marc Newson Limited)
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