Menschen

Marcio Kogan

Der Architekt aus São Paolo über Filme, Widescreen-Architektur und Beziehungen in der Badewanne.

von Markus Hieke, 23.01.2014

Marcio Kogan ist einer der angesehensten Architekten Brasiliens. Wenn er seine Häuser plant, müssen Betonwerke definitiv nicht um ihre Aufträge bangen. Denn sein Architekturbüro Studio MK27 bewundert und verfolgt konsequent den Stil der brasilianischen Moderne. Und dennoch stehen die Projekte seines Teams stets im Einklang mit der Natur. Zur Kölner Möbelwoche sprachen wir mit ihm über das Reisen, das Filmemachen und über Streitgespräche in der Badewanne DR, die er gemeinsam mit Mariana Ruzante für Agape entworfen hat.

Marcio Kogan, mögen Sie das Reisen?
Ob ich gerne reise? (lacht) Anfangs, also etwa bis vor zehn Jahren, mochte ich das Reisen überhaupt nicht. Aber das Schicksal setzte mich immerzu in den Flieger. So begann ich zwangsläufig, es zu mögen. Selbst meine Flugangst habe ich überwunden, nachdem ich sieben Jahre ohne Fliegen ausgekommen bin.

Aber Sie haben es geschafft.
Ja. Ich bin irgendwann zum Psychologen gegangen, der mir Pillen verschrieb, damit ich beim Fliegen entspannt schlafen konnte. So lernte ich zu reisen und bin nun ständig unterwegs – etwa achtzig Flüge im Jahr.

Auf diese Weise haben Sie eine gute Chance, die Welt zu erkunden, oder?
Man kommt immer wieder an Orte, die man normalerweise nicht vorrangig bereisen würde. Städte wie Hanoi oder Neu-Delhi. Nicht immer nur Paris, London, Berlin. Das mag ich an meiner Arbeit, sie bringt mich immer wieder auf neue Pfade.

Haben Sie ein Lieblingsreiseziel?
Ja, ich finde London toll! Paris und natürlich auch Berlin, ... (lacht) New York, und ich liebe São Paulo. Ich mag vor allem große Städte – kleine sind okay, aber ich könnte nicht länger als zwei Tage in kleinen Städten sein. Ich bin komplett urbanisiert.

Und wie ist es in São Paulo zu leben?
São Paulo ist eine absolut tolle Stadt. Mit zwanzig Millionen Einwohnern ist sie natürlich riesig. Total chaotisch. Leidenschaftlich. Gewalttätig. Städtisch gesehen eigentlich ein einziges Desaster. Aber dennoch sehr schön. Die Stadt ist voller Energie! Das mag ich. Und sie ist mit keiner anderen Stadt vergleichbar – São Paulo ist São Paulo. Voller Kultur. Einfach wundervoll!

Dann dürften Sie sich ja sehr freuen, bald wieder heimzukehren.
Ja... natürlich mag ich es auch hier zu sein. Vor einer Woche reiste ich nach Tokio. Die Rückreise sonntags dauerte 24 Stunden. Mittwoch musste ich nach Rio de Janeiro und am nächsten Tag zurück. Und am Samstag nahm ich den Flieger hierher nach Köln.

Dann sind Sie ja ebenso viel in Hotels – Orte, an denen man sich oft Entspannung vom Alltag ersehnt. Neben uns steht eine Badewanne, die Sie gemeinsam mit ihrer Kollegin Mariana Ruzante für Agape entworfen haben. Soll diese nicht auch in Hotels verwendet werden?
Ja und nein. Wir gestalteten die Wanne, nachdem der Chef von Agape uns in unserem Büro in São Paulo besuchte hatte. Wir waren uns auf Anhieb sehr sympathisch und er fragte uns, ob wir für sie nicht etwas Spezielles entwickeln wollten. Die Idee war eine Badewanne für zwei Personen, da es so schwierig ist, solch eine zu finden – zumindest, wenn sie auch nicht gleich so riesig sein soll. Bei der Umsetzung unserer Projekte kennen wir dieses Problem ja selbst. Allerdings wollten wir auch nicht, dass eine zu starke sexuelle Konnotation in den Vordergrund tritt. Oder stellen Sie sich vor... eine Wanne, die für drei Personen gedacht ist, wäre doch noch suspekter. Unsere primäre Idee war es, eine Badewanne zu gestalten, in der die Partner einer Beziehung ihre gelegentlichen Kontroversen ausdiskutieren können, während sie sich vollkommen entspannt zurücklehnen. Auf Italienisch nennt man solche Diskussionen in einer Beziehung discussione del rapporto. Dafür stehen auch die Buchstaben DR im Namen der Wanne. Und mit diesem Anspruch gestalteten wir sie: sehr kompakt, für verschiedene Sitzpositionen, nicht frontal, mal mehr relaxt, mal zum Aufrechtsitzen,... Das war uns wichtig.

Und was ist mit dem Hotelprojekt?
Nun, da gibt es ein Projekt in Portugal, bei dem wir die Badewanne gerne installieren würden. Aber in dem Fall gab es erst die Wanne und dann entschieden wir, wir sollten sie definitiv auch in dem Hotel verwenden. Eigentlich gibt es sogar viele Objekte, bei denen wir unsere Wanne nun gerne einbauen würden. Die Situation ist oft so: Wir realisieren viele High-End-Häuser. Und da ist es recht schwer, eine passende Badewanne zu finden, wenn auch das Badezimmer nicht gleich so riesig werden soll.

Und wo fanden Sie die Inspirationen zu Ihrer Wanne?
Im brasilianischen Modernismus, der in den vierziger Jahren mit Oscar Niemeyer begann, in seinen kurvigen Entwürfen, mit denen er während seiner Zusammenarbeit mit Le Corbusier anfing. Er brachte brasilianisches Gefühl in Le Corbusiers Gestaltungsansätze. Und dann hat die Wanne natürlich auch eine sehr sinnliche Linienführung. Wir sehen darin einen Bezug zum weiblichen Körper, einer Form, die uns sehr angebracht schien. Unsere Grundidee erforderte einfach eine sehr organische Gestalt.

Und welche Rolle spielte bei der organischen Gestaltung das Material, das Sie verwendet haben?
Den Prototypen, den wir hier sehen, haben wir an der Außenseite mit Holz verkleidet. Aber eigentlich soll es eine große Palette geben – sogar Beton wäre eine Möglichkeit, ansonsten schwarz, brasilianisches helles und dunkles Holz. In Mailand werden wir wohl ein paar mehr Finishings vorstellen.

Meinen Sie nicht, dass das Material auch den Ausgang einer Beziehungsdiskussion beeinflussen könnte?
(lacht) Ja, höchstwahrscheinlich. Holz hat natürlich eine wärmere Anmutung als Beton. Und die Atmosphäre des Umfeldes kann sicherlich viel zu einem bestimmten Resultat betragen.

Sie sagten, die Gestaltung ist auch von Ihrer Architektur beeinflusst. Ihre Entwürfe sind sonst allerdings viel geradliniger – und nun so kurvig?
Wir haben auch ein paar geschwungenere Häuser realisiert. Aber Sie haben recht: 99 Prozent der Gebäude sind eher sehr geradlinig. Bei Studio MK27 gehen wir gerade erst dazu über, etwas kurvenreicher zu entwerfen. Gerade gestalteten wir zum Beispiel ein Hotel in Bali. Vielleicht ist das einfach ein neuer Moment im Leben – etwas emotionaler, gefühlvoller.

Immerhin hatten Sie ja bereits größere Veränderungen im Leben. Sie arbeiteten einst als Filmemacher und kamen später doch wieder zur Architektur zurück.
Während meines Architekturstudiums hatte ich ein paar kurze Filme gedreht. Und nach acht Jahren mit Studio MK27 drehte ich einen Spielfilm, der mich allerdings komplett ruinierte. Also entschied ich mich, mich mit all meiner Seele wieder der Architektur zuzuwenden. Erst vor kurzem drehte ich wieder ein paar Kurzfilme, die aber alle einen Bezug zur Architektur haben. Man lud uns ein, Brasilien zur vergangenen Architekturbiennale in Venedig zu repräsentieren. Also entschied ich, wenigstens ein bisschen zum Film zurückzukehren.
Dokumentation der Studio MK27 Filminstallation zur Architekturbiennale in Venedig 2012.
Es gibt da einen Film über eine Familie, deren Hausangestellte und ihren gemeinsamen Alltag in einem Ihrer Häuser.

Tatsächlich haben wir sechzehn Kameras im Haus installiert und filmten aus allen Perspektiven, wie so ein Haus täglich belebt wird.

Aber in diesem Fall war es keine reale Familie!?
Nein, die Familie ist natürlich fake. Ich meine, sie haben ja auch Sex und so weiter...

Kommt es vor, dass Sie sich einen intimeren Blick in ihre Häuser wünschen – fast voyeuristisch, beispielsweise von der Straße aus? Ihre Filme muten ja ein wenig so an.
Da gibt es ein kleines Problem. Selbst wenn ich wollte: In São Paulo stehen um die meisten Häuser hohe Mauern, die die Grundstücke schützen. Höchstens außerhalb der Stadt mag das manchmal möglich sein.

Fällt es Ihnen eigentlich leicht, ihre Häuser bei der Schlüsselübergabe einfach den neuen Besitzern zu überlassen?
Nein, jedenfalls ist das sehr schwer. Es fühlt sich manchmal an, als sei es ein Kind, das man zur Adoption an eine andere Familie geben muss. Die Gefühle sind dabei verschieden. Manchmal ist es okay. Wenn man weiß, dass die Kunden einen guten Geschmack besitzen und höchstens ein wenig an den Dingen verändern, wie ich sie eigentlich für das Haus vorgesehen hatte. Nur selten denke ich „Oh nein, wie können die das meinem Gebäude antun?“ Nicht, dass es mich verrückt machen würde. Aber so etwas kommt vor. Allerdings ist es ihr Haus. Sollen sie machen wie sie es mögen, wenngleich sie ja eigentlich nicht viele Gründe haben dürften, etwas verändern zu müssen. Schließlich denken wir ja im Entwurfsprozess viel darüber nach, wie die Bewohner ihr Haus benutzen werden. Später geht es wohl eher darum, den Objekten den eigenen Fingerabdruck zu verleihen.

Abgesehen von den Mauern ist eigentlich die vollkommene Offenheit Ihrer Gebäude sehr auffällig. Wie beeinflusst denn die Natur und das Klima Ihre Architektur?
Der Einfluss des Klimas ist tatsächlich sehr groß. Hier befinden wir uns ja in einem geschlossenen Gebäude, völlig abgeschirmt vom wechselhaften Wetter. In Brasilien hingegen haben wir die Möglichkeit, das Haus vollkommen zu öffnen, sodass man kaum weiß, ob man sich draußen oder drinnen befindet. Haus und Garten fusionieren zu einer Einheit. Und mit jedem Projekt versuchen wir, dieses Konzept radikaler umzusetzen. In vielen unserer Gebäude sieht man die Fenster nicht, wenn man die großen Fronten öffnet, da sie sich komplett in den Wänden verbergen lassen. So entstehen völlig offene Räume, für die Brasilien natürlich der beste Ort ist, da die Mehrzahl der Tage ziemlich heiß ist. Und wie erkennt man Ihren Film-Hintergrund in Ihren Entwürfen wieder?
Ein Hauptmerkmal meiner filmischen Vergangenheit ist natürlich sehr ausgeprägt. Alle Arbeiten basieren komplett auf einem Widescreen-Bezug, einer völligen horizontalen Ausrichtung der Gebäude. Das rührt vom Kamerasucher her, und ich liebe diese Perspektive. Durch das Filmemachen lernte ich auch eine Menge anderer Aspekte, die sich in meiner Architektur widerspiegeln: etwa die Proportionen oder das Arrangement der Lichtverhältnisse. Zudem versuchen wir über die Komposition auch Emotionen zu reflektieren. In ihrer Art und Weise, wie Flur, Küche und Wohnzimmer angeordnet sind, erzählen sie eine Geschichte, eine eigene Handlung. In dieser Hinsicht sind Film und Architektur für mich eigentlich sogar völlig identisch.

Und wenn es um öffentliche Gebäude geht? Da gestaltet es sich ja ein wenig komplexer. Wer sind da Ihre Kunden?
Das stimmt natürlich. Neben etwa fünfzig Prozent privater Objekte realisieren wir hauptsächlich Hotelanlagen. Die ähneln den Einfamilienhäusern teilweise. Aber eines unserer jüngsten Projekte entsteht gerade für das Theatro Municipal in Rio de Janeiro, ein sehr klassisches Opernhaus. Wir haben dafür das Produktionszentrum geplant, für das ein früheres Lagerhaus im Hafen von Rio komplett umgebaut wird. Neben der kompletten Produktion für das Theater wird dort eine technische Schule unterkommen, in der man die Technik für Theater, Film und Fernsehen erlernen kann. Das ganze Projekt gehört zum Erneuerungsprogramm der Stadt, in Vorbereitung auf die Olympischen Sommerspiele 2016.

Die Olympischen Spiele stehen ja für Frieden und Völkerverständigung. Wenn sie könnten, würden Sie mit Ihrer Arbeit gerne Dinge in der Welt ändern?
Natürlich hat Architektur die Fähigkeit, das Leben angenehmer zu machen. Nur gesellschaftlich lässt sich das schwer beantworten. Mich erinnert das an eine Anekdote über Oscar Niemeyer, der während der militärischen Machtergreifung des rechten Flügels Ende der sechziger Jahre festgehalten und vernommen wurde. Man fragte ihn, warum er Kommunist sei und was er bitte ändern wolle. Und er sagte: „Ich will die Welt verändern!“ Doch als der Beamte den Raum verließ, antwortete ihm ein Wachmann: „Sorry Mann, aber das ist nicht möglich.“ Das glaube ich auch. Die Hauptabsicht der Architekten sollte es sein, immer wieder kleine Dinge im gesellschaftlichen Zusammenleben zu verbessern. Selbst, wenn man dabei niemals vorher wissen kann, ob man damit Erfolg hat oder nicht: Es geht nicht darum, Dinge lediglich schöner zu gestalten. Es geht darum, das Leben angenehm zu gestalten.

Und wenn es um die großen Probleme der Welt geht, vielleicht sollten sich die Streitpartner einfach mal ganz bequem in Ihrer neuen Badewanne zurücklehnen und ihre Konflikte friedlich und im Sinne der Bevölkerung lösen.
Ja, genau! (lacht) Das ist wohl der richtige Weg. Das könnte ich mir sehr gut vorstellen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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