Menschen

Marie Christine Dorner

Die Pariser Innenarchitektin und Designerin im Gespräch

von Norman Kietzmann, 29.03.2016

Die französische Innenarchitektin Marie Christine Dorner richtet Hotels, Apartments, Botschaftsresidenzen und Boutiquen ein und überträgt ihr Gespür für Räume auf die Gestaltung von Serienprodukten. Wir trafen die gebürtige Elsässerin in Köln und sprachen mit ihr über perspektivische Wechsel, materiellen Vielklang und die Abkehr von der weißen Wand. 

Marie Christine Dorner, Sie planen Wohnungen und Häuser rund um den Globus und haben 1988 mit La Villa das erste Designhotel von Paris gestaltet. Worin liegt das Geheimnis eines guten Raumes?
Es ist mit Sicherheit das Licht – ganz gleich, ob natürlich oder künstlich. Gutes Licht ist etwas Fundamentales. Danach kommen die Proportionen des Raumes. Ich merke sofort, wenn es sinnvoll ist, eine Wand zu entfernen. Ich reiße gerne ein, das macht mir wirklich Spaß (lacht). Im selben Moment sind all die Materialien wichtig, die sich angenehm anfühlen und Geräusche absorbieren sollen. Wenn alles nur aus glatten Oberflächen besteht, funktioniert das nicht. Darum sind Stoffe und haptische Texturen besonders wichtig. Die Innenarchitektur dreht sich tatsächlich um alle fünf Sinne. Genau das mag ich an diesem Beruf. 

Wer ist der Star im Wohnzimmer?
Das Sofa ist wichtig, weil es einem Wohnzimmer Struktur verleiht. Allein schon aufgrund seines Volumens besitzt es einen überaus architektonisch Charakter. Dennoch darf es nicht aufdringlich sein, damit sich die übrigen Elemente ausdrücken können. Sofas sind auch wichtig, weil sie in direktem Kontakt mit dem Körper sind, genau wie Stühle. Nach dem Sofa ist der Stuhl das wichtigste Möbel, allein schon, weil es die Übung für jeden Designer par excellence ist. Wer einen guten Stuhl entwirft, kann alles andere auch. 

Wie meistern Sie den Sprung von einem Möbel, das Sie für eine bestimmte Wohnung entwerfen, zu einem seriellen Möbel, das in vielen verschiedenen Umgebungen funktionieren soll?
Möbel und Objekte existieren nicht alleine, sondern immer im Kontext. Bei einem Serienmöbel stelle mir kein Produkt für ein bestimmtes Gebäude oder eine bestimmte Wohnung vor. Ich stelle mir ein Produkt im Raum vor. Ein wichtiger Punkt ist die Bewegung: Ich überlege mir, wie ein Möbelstück wirkt,  wenn ich mich frontal oder von der Seite darauf zubewege. Es gefällt mir, Volumen zu kreieren, die leicht zugänglich sind und den Raum nicht versperren. Bei Tischen ist entscheidend, dass ich mir beim Herumgehen nicht die Füße stoße. Darum vermeide ich geschlossene Blöcke. 

Sie sprachen gerade die Annäherung aus unterschiedlichen Richtungen an: Es gibt also keine Schokoladenseite?
Genau das interessiert mich. Man kann ein Produkt vor einem weißen Hintergrund oder in einer inszenierten Umgebung fotografieren. Doch so sieht man es später nie in der Realität. Es ist immer spannend, sich ein Produkt aus allen Blickwinkeln heraus vorzustellen. Darum sind die heutigen 3D-Programme großartig, weil es tatsächlich gelingt, alles wahrzunehmen. Die Arbeit am Computer übernehmen jedoch meine Assistenten. Ich stamme noch aus einer Generation, die per Hand zeichnet (lacht). Ich fülle meine Zeichenblöcke und baue manchmal kleine Modelle aus Papier. Die sind nicht besonders raffiniert, doch sie zeigen die Proportionen sehr gut und lassen sich leicht von allen Seiten betrachten.

Ein Möbel, das seine Erscheinung mit dem Blickwinkel verändert, ist Ihr Regal Allitération für Ligne Roset, das auf der imm cologne 2016 vorgestellt wurde. Erklären Sie uns, was es besonders macht.
Das Regal verschlankt sich sowohl in der Vertikalen als auch in der Horizontalen. Von unten nach oben verringert sich die Tiefe der Regelböden. Gleichzeitig nimmt die Breite der Stützen ab – je nachdem, wie herum das Möbel aufgestellt wurde, von der linken zur rechten Seite oder umgekehrt. Werden mehrere Regal nebeneinander gestellt, lassen sich daraus richtige Wellen erzeugen. Ich mag es, aus der Symmetrie auszubrechen, weil mich ihre Strenge schnell ermüdet. 

Die unterschiedliche Tiefe erlaubt eine flexible Bespieglung der einzelnen Ablagen.
Genau. Größere Bildbände und Objekte werden in den unteren Ablagen verstaut, Romane und Taschenbücher kommen nach oben. Man kann auf den unteren Ebenen aber auch Objekte vor den Büchern präsentieren – wie auf einer Art Bühne. Es ging mir um einen spielerischer Umgang mit der Geometrie, ohne den praktischen Nutzen aus den Augen zu verlieren. Häufig wirken Regale visuell beunruhigend und unausgeglichen. Hier hat man überhaupt nicht dieses Gefühl. 

Interessant ist auch die Öffnung an den Ecken. Anstatt das Regal als geschlossenen Block zu konzipieren, kragen die Ablagen seitlich aus. 
Diese Öffnungen machen das Regal viel leichter – erst recht, wenn man sich seitlich darauf zubewegt. Man sieht dann keinen geschlossenen Schrankkubus, sondern die Bücher und Objekte, die in den Ecken präsentiert werden. Werden zwei Regale Rücken an Rücken gestellt, verstärkt sich dieser Effekt. Das Möbel wirkt dann wie ein Turm voller schöner Dinge, durch den die Blicke hindurch wandern können. 

Wie konkret sind die Briefings, mit denen Kunden für das Interieur einer Wohnung oder eines Hauses auf Sie zukommen?
Es hängt von Projekt zu Projekt ab. Gerade bei kleinen Wohnungen gibt es nicht unendlich viele Möglichkeiten, sodass sich vieles auf die naheliegenden Lösungen konzentriert. Bei größeren Umbauten nimmt der Austausch zu. In den meisten Fällen besitzen die Kunden bereits Möbel und bringen sie in das neue Zuhause ein. Das muss man respektieren. Doch man muss auch etwas Neues hinzufügen, ohne die Erinnerung an die Vergangenheit auszulöschen. Meine Aufgabe besteht darin, die richtige Mischung zu finden: aus Vorhandenem, neu Hinzugekauftem und eigens angefertigten Möbeln. 

Können Sie dafür ein Beispiel geben?
Ich habe für das französische Außenministerium mehrere Botschafter-Residenzen eingerichtet. Diese Räume sollen Frankreich repräsentieren, auch wenn das Budget nicht verrückt war. Also mussten wir die vorhandenen Möbel und Porzellanobjekte beihalten. Dennoch sollte ein neuer Weg gefunden werden. Also habe ich in Frankreich passende Dinge gekauft und anderes wiederum selbst entworfen und vor Ort in Asien produzieren lassen. Es ist immer wichtig, etwas vom Esprit und den Materialien des Ortes einzubringen. Doch es ist auch wichtig, dass ein Interieur nicht überdesignt ist. Es muss noch Platz geben für die Vorstellungskraft. Sonst wirkt alles mausetot. 
Sie sprachen gerade davon, das Vorhandene in ein neues Licht zu setzen. Welche Rolle spielen die Farben von Wänden?
Sie können einen ganz neuen Kontext erzeugen. Ich mag es, wenn Wände nicht neutral sind, sondern in dunklen, kräftigen, interessanten Farben mit den der Möbeln spielen. Das ist immer spannend. Fast wie bei einer Art dreidimensionalem Gemälde.

Also hat die weiße Wand ausgedient?
Nun, es gibt viele Menschen, die auf weißen Wänden bestehen (lacht).  Das wird meistens gar nicht hinterfragt. Dabei ist es gerade bei kleinen Wohnungen hilfreich, mit Farbe zu spielen. Man darf es nur nicht übertreiben. Bei zu vielen oder besonders grellen Farben läuft man schnell Gefahr, sich an ihnen satt zu sehen. Dennoch gibt es weit mehr Möglichkeiten als das ewige Weiß.

Welche Vorbehalte werden gegen Farbe eingebracht?
Die meisten Leute sagen mir, dass sie sich ein Maximum an Licht wünschen. Und darum soll alles Weiß sein. Dabei ist das gar nicht der springende Punkt. Es ist viel wichtiger, darauf zu achten, wie das Licht auf natürliche Weise den Raum durchdringt. Wenn Licht auf eine Wand fällt, macht es keinen Sinn, sie dunkel zu streichen. Trifft das Licht auf eine weiße Wand, verwandelt sie sich in einen riesigen Leuchtschirm. Das ist wunderbar! Doch bei denjenigen Wänden, auf die kein Licht fällt, kann man sehr wohl mit dunkleren Farben arbeiten, ohne den Raum düster zu machen. 

Klingt einleuchtend.
Dennoch ist das nicht einfach zu erklären. In der Innenarchitektur muss man sehr viel Überzeugungsarbeit leisten (lacht). Ich habe kein überdimensioniertes Ego und will nur meine Ideen durchsetzen. Ich mache, was ich denke und folge meinen Überzeugungen. Doch schlussendlich sind die Wohnungen und Häuser, die ich einrichte, nicht mein eigenes Zuhause, sondern das meiner Kunden. Dieser Abstand ist sehr wichtig. Darum freut es mich, wenn ich nach einigen Jahren wiederkomme und alles genauso aussieht wie bei der Fertigstellung. Das ist ein schönes Kompliment. Denn es zeigt, dass wir genau das Richtige gefunden haben.

Vielen Dank für das Gespräch.

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Ligne Roset

Fertigungsstandorte von Ligne Roset mit ca 800 Mitarbeitern. 95% der Sitz-, Kasten-, Kleinmöbel und Accessoires werden hier gefertigt. Das seit 1860 bestehende Familienunternehmen exportiert in 5. Generation weltweit in 70 Länder und begeistert überall Menschen für hochwertige französische Möbel. Anspruchsvolle und zeitlose Ästhetik prägen die Marke sowie ein hohes Maß an Innovation und Kreativität. Möbel von Ligne Roset werden im gehobenen stationären Handel, in Exklusivgeschäften sowie über einen eigenen Onlineshop vertrieben. Darüber hinaus sind Hotels, Sternerestaurants, Kreuzfahrtschiffe und Luxusboutiquen ein wichtiges Geschäftsfeld.

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