Mette und Rolf Hay
Frische Energie und hohe Verkaufszahlen: ein Gespräch mit den Gründern von Hay.

Einer der populärsten Auftritte dieses Jahr in Mailand zum Salone del Mobile 2014 war die Präsentation der dänische Marke Hay in der Innenstadt. Auf zwei Etagen zeigte Hay jede Menge Neuheiten und Prototypen, ergänzt um einen Shop namens Mini Market. Im Zentrum der Präsentation stand das neue Label Wrong for Hay, das der ehemalige Designdirektor von Established & Sons, Sebastian Wrong, betreut und das seine Premiere vergangenen Herbst zum London Design Festival gefeiert hatte. Wir trafen die Gründer von Hay, Mette und Rolf Hay, letzte Woche in Mailand zum Gespräch über die richtige Energie, hohe Verkaufszahlen und darüber, wie sie ihre Marke jung und frisch halten.
Hay zeigt das erste Mal seit einigen Jahren wieder eine Kollektion in Mailand. Warum waren Sie so lange nicht dabei?
Rolf: Wir halten Messen nicht für die einzige Möglichkeit, unsere Produkte zu verkaufen. Natürlich sind Messen wichtig als Marktplätze. Wir haben schon verschiedene ausprobiert, meistens haben wir in Stockholm gezeigt. Letztes Jahr waren wir in Paris. Es kommt immer darauf an, was man erzählen will. Weil wir das neue Sublabel mit Sebastian Wrong haben, fand ich es naheliegend, nach Mailand zu kommen. Aber generell nehmen wir lieber an weniger Messen teil, aber dafür richtig.
Mette: Wir haben dieses Jahr so viele neue Produkte, die wollten wir einem möglichst großen Publikum zeigen. In Stockholm oder Paris erreicht man einfach nicht so viele Menschen. In Mailand sind alle.
Was genau ist die Wrong für Hay-Kollektion? Eine Art Capsule Collection wie in der Mode oder eine eigenständige Marke?
Rolf: Es ist keine Kollektion, wir haben es als unabhängige Marke konzipiert. Aber nicht, weil wir neue Kunden erreichen oder neue Märkte erschließen wollten. Wir wollen in dem, was wir machen, noch besser werden. Wir richten uns damit an dieselben Leute, dieselben Märkte. Es bleibt bei unserem Konzept, qualitativ gute Produkte zu einem erschwinglichen Preis anzubieten. Sebastian ist an Bord, weil wir ihn für einen fantastischen Designer und Kurator halten.
Gibt es Unterschiede zwischen den Produkten, die Sebastian Wrong macht und den klassischen Hay-Produkten?
Mette: Sebastian hat bereits eine eigene DNA für Wrong for Hay gefunden. Wenn ich ein neues Produkt sehe, kann ich sagen, zu welcher der beiden Marken es gehört. Bei den Textilien ist es beispielsweise ziemlich offensichtlich. Ich hoffe, den Kunden geht es genauso.
Könnten Sie ein Beispiel geben für die Unterschiede?
Rolf: Wrong for Hay ist verspielter, einige Produkte haben vielleicht mehr Humor. Aber ich habe mit solchen Einordnungen meine Schwierigkeiten: Hay wird oft in den Kontext des skandinavischen Designs gestellt. Natürlich sind wir aus Skandinavien. Aber wir arbeiten mit Designern aus der ganzen Welt zusammen. Für uns ist es nicht wichtig, woher jemand kommt, sondern was er macht. Ich finde nicht, dass die Designsprache von Hay skandinavischer wäre als die von Wrong for Hay. Viele der Wrong-Produkte hätten auch in der Hay-Kollektion sein können.
Vielleicht geht es auch nicht um eine skandinavische Designsprache, sondern eher um das Gesellschaftsmodell. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ist Gleichheit in Dänemark oder Schweden besonders ausgeprägt: Der Unterschied zwischen arm und reich ist kleiner. Vielleicht ist das das Besondere an der skandinavischen Designkultur?
Rolf: Ich halte zeitgenössisches Design für eine globale Sprache. Aber tatsächlich passiert in Dänemark gerade etwas sehr Aufregendes. Es ist das Geschäftsmodell von Firmen wie Muuto, Normann Copenhagen oder eben Hay, die sich dem Konzept von erschwinglichen Designprodukten verschrieben haben. Aber die Designsprache dieser Produkte ist nicht unbedingt typisch dänisch.
Wie sind Sie auf dieses Geschäftsmodell gekommen?
Rolf: Mette und ich haben bei Gubi gearbeitet und da unter anderem Möbel von Cappellini verkauft. In den Neunzigern war Cappellini sehr populär, aber die Leute, die Cappellini mochten, konnten sich die Produkte nicht leisten. Und die Leute, die sich Cappellini leisten konnten, verstanden die Produkte nicht. Diese Beobachtung war einer unserer Ausgangspunkte. Um Produkte mit fortschrittlichem Design zu verstehen, braucht man besonderes Wissen.
Mette: Das gilt im Übrigen ja auch für viele Produkte von Established & Sons. Wir haben das Gefühl, dass wir mit Hay jetzt eine Gruppe von Menschen erreichen, die unsere Produkte verstehen und mit ihnen leben möchten.
Aber wie schaffen Sie das? Hochwertiges Design zu produzieren, teilweise von prominenten Gestaltern, das zumindest mit einem Mittelklasse-Einkommen bezahlbar ist. Warum sind italienische Firmen dazu nicht in der Lage?
Rolf: Es ist ziemlich einfach. Wir verdienen weniger an unseren Produkten.
Sparen Sie bei der Herstellung oder der Logistik?
Rolf: Wir sind ganz gut darin, Produkte im industriellen Kontext herzustellen. Unser neues Regalsystem New Order von Stefan Diez ist das ultimative industriell produzierte Produkt. Am Anfang stand ein relativ hohes Investment, aber jetzt können wir es zu einem vernünftigen Preis verkaufen. Wenn man eine gute Idee hat, muss man an sie glauben und durchhalten. Die Konstruktion unseres neuen Lounge Chairs von Doshi Levien ist ziemlich ungewöhnlich: Sie besteht aus spritzgegossenem Kunststoff. Normalerweise macht man eine Stahlkonstruktion und verkleidet sie mit Schaumstoff. Durch den Kunststoff ist die Konstruktion stärker und leichter. Aber für die Herstellung braucht man eine sehr teure Maschine.
Mette: Wir gehen Risiken ein und glauben an hohe Verkaufszahlen. Und man muss sich vorher genau überlegen, was man will. Der neue Stuhl Kitt Chair von Stefan Diez beispielsweise ist explizit für den Online-Handel konzipiert. Er wird in Einzelteilen und sehr flach verpackt geliefert.
Gab es Produkte, bei denen Sie sich verkalkuliert haben?
Mette: Weil wir unsere eigenen Läden haben, sind wir ziemlich nah dran an unseren Kunden. Wir haben es ganz gut im Gefühl, was sich verkaufen wird. Natürlich macht jeder auch mal Fehler, aber insgesamt läuft es sehr gut.
Sie haben Hay vor über zehn Jahren gegründet. Fühlt sich Ihre Firma für Sie immer noch jung an?
Rolf: Die letzten drei Jahre habe ich immer gesagt, dass es die Firma seit neun Jahren gibt. Nun sind es zwölf Jahre. Es hat fünf Jahre gebraucht, die DNA der Firma zu finden. Das war ein ganz schöner Kampf am Anfang. Ich erinnere mich gut, wie schwer es war, als du mit den Accessoires angefangen hast, Mette.
Mette: Als wir die Accessoires auf den Markt brachten, fragten viele Leute, ob wir einen Businessplan hätten. Ob wir wegen der Finanzkrise billigere Produkte ins Sortiment aufnähmen. Aber so war es gar nicht: Wir versuchen eben nur, immer wieder etwas Neues zu machen. Wie jetzt mit Sebastian. Das ist auch der Grund, warum wir uns immer noch jung und frisch fühlen mit Hay. Weil immer wieder neue Dinge passieren, die die Energie am Leben halten. Wir versuchen, so zu agieren, als wären wir noch ein junges Unternehmen, obwohl wir bei der jährlichen Firmenparty regelrecht geschockt sind, wie viele Leute an den Tischen sitzen.
Wenn Sie neue Produkte entwickeln, denken Sie dabei an sich selbst? Oder an Freunde? Oder an bestimmte Zielgruppen?
Mette: Wir machen ein bestimmtes Produkt, weil wir es nicht lassen können. Aus dieser Leidenschaft kommt die Energie. Bei Rolf sind es die Möbel, bei mir die Accessoires und Textilien. Und bei Sebastian ist es nicht anders.
Sie beschreiben Hay selbst als zwischen Mode und Architektur angesiedelt. Was bedeutet Mode für Sie?
Mette: Mode ist Geschwindigkeit, Energie, Farben…
Rolf: … die Texturen, der Ansatz. Architektur war uns schon immer sehr wichtig. Unsere Produkte sind für Räume gedacht. Sie sind vielleicht nicht Teil der Architektur, aber sie sollten sich ihr anpassen. Die Stabilität der Architektur ist eine gute Schulter zum Anlehnen. Die Möbelserie der Bouroullecs entstand für das neue Gebäude der Universität in Kopenhagen. Es war sehr interessant, sich die bestehenden Unigebäude anzuschauen und zu sehen, wie die Leute dort kommunizieren, was sie dort machen. In unserer Industrie haben wir vielleicht ein bisschen den Anschluss an die Architektur verloren. In den Fünfzigern und Sechzigern wurden einige der besten Produkte von Architekten entworfen. Denken Sie an Arne Jacobsen. Oder Aalto. Le Corbusier. Sie machten ihre Produkte für bestimmte Gebäude. Im Moment arbeiten wir an einem großen Hotelprojekt, für das wir entwerfen.
Und wie gehen Sie dabei vor? Sprechen Sie mit den Architekten? Schauen Sie sich die Architektur an, die verwendeten Materialien?
Rolf: Es gibt kein Rezept für gutes Design. Mette und ich versuchen, sehr instinktiv vorzugehen. Es geht darum, mit welchen Menschen man zusammenarbeiten möchte. Die Energie muss stimmen. Und dann sollte man nicht zu viel reden. Auf keinen Fall ein zehnseitiges Design-Brief schreiben. Man findet vielleicht die ungefähre Richtung, etwa ein Lounge Chair mit einem Daunenbezug oder ein Stuhl für das Online-Geschäft wie bei Stefan Diez. Aber es sollte am Anfang auf keinen Fall zu viele Einschränkungen geben. Wir haben die Idee für einen Stuhl für Onlineshops, aber wir haben keine Vorstellung, wie er aussehen soll. Wir fragen Stefan, weil wir seine Arbeit mögen und uns gut verstehen. Und dann kann es schon mal ganz schön intensiv werden – im positiven Sinn. Design ist Teil des Managements in unserer Firma. Mette und ich sind die Eigentümer und zugleich für die Produkte verantwortlich. Bei uns gibt es keinen Art Director. Wir entscheiden unmittelbar, denn Geschwindigkeit ist sehr wichtig. Die Dinge passieren, wenn die Spannung da ist, die Begeisterung. Dann läuft’s. Beim Bouroullec-Projekt haben wir das erste Mock-Up des Stuhls in zehn Tagen erstellt. Und zehn oder zwölf Tage später hatten wir die ersten Sperrholzschalen.
Gibt es einen Designer, mit dem sie gerne arbeiten würden, aber noch nicht die Gelegenheit dazu hatten?
Mette: Wir sind die ganze Zeit auf der Suche nach jungen, talentierten Designern. Aber ansonsten arbeiten wir aus unserer Sicht mit den besten Designern der Welt zusammen.
Rolf: Wir arbeiten nicht mit den Bouroullecs zusammen, weil es die Bouroullecs sind. Wir arbeiten mit Erwan und Ronan zusammen, weil sie zu den besten Designern auf der Welt gehören. Und nicht, weil wir dann viel Presse bekommen. Namen sind nicht so wichtig, die Idee zählt.
Mette: Wenn uns diese Frage vor zwei Jahren gestellt worden wäre, hätten wir gesagt: mit den Bouroullecs. Aber es ist auch toll, mit jungen Designern zu kooperieren. Lucien Gumy war so stolz, sein Regal mit uns produzieren zu können. Das ist ein schönes Gefühl.
Vielen Dank für das Gespräch.
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