Mike Meiré
Ein Gespräch mit dem Kölner Gestalter über die Faszination der Küche und warum sie heute mehrere Wohnfunktionen erfüllt.
Mit dem Claim Kochen. Genießen. Leben. bringt das Messeformat LivingKitchen 2015 die Lage ziemlich auf den Punkt. Die Küche wird längst nicht mehr nur funktional verstanden, sondern als Inspirationsort und Zentrum der Wohnung genutzt. Sie ist Treffpunkt für die Familie, für Freunde und Gäste. Die Küche wird zum Aufenthaltsraum, zum Ort für Kommunikation und zu einem persönlichen Statement. Ein Interview mit dem Gestalter Mike Meiré über das Leben in der Küche und sein neues Konzept für den Küchenhersteller Nolte.
Mike, in deinen Arbeiten taucht immer wieder die Auseinandersetzung mit Kochen, Essen und Küche auf. In Erinnerung sind das Farm Project für Dornbracht Edges und die Installation Shifting Contexts mit einer Interpretation der Bulthaup-Küche b3. Was interessiert dich an diesem Komplex?
Mike Meiré: Für mich ist die Küche einfach ein Ausdruck des Lebens schlechthin. Kein anderer Raum erzählt soviel über die Menschen, die hier leben, arbeiten und kochen. Die Küche verrät etwas über ihre Kultur, ihre Werte, ihre Ästhetik. Das fasziniert mich. Dann natürlich auch der Vorgang des Kochens, die Gerüche, die Rituale – all das hat etwas sehr Sinnliches. Leben pur.
Wann hältst du dich persönlich am liebsten in der Küche auf?
Am Morgen auf jeden Fall, auch noch, wenn die Kinder schon aus dem Haus sind. Und oft am Abend für bestimmt eine Stunde. Und ganz besonders am Samstag. Bei uns zu Hause ist die Küche die zentrale Stelle, sie funktioniert wie eine Kreuzung. Am Samstag mache ich das Frühstück. Es gibt immer Eier, zubereitet mit bester Butter, gewürzt mit einem besonderen Pfeffer, dazu frisches Münsterländer Brot. Ich stehe dann am Küchenblock, trinke einen Kaffee, bereite die Eier zu und überblicke von der Küche aus die Wohnung wie ein Kapitän. Die Kinder nutzen einfach die angrenzende Treppe als Sitzgelegenheit. Ich wünsche mir eigentlich einen Hocker für den Küchenblock, nur konnte ich mich noch nicht für ein Modell entscheiden.
Für viele Menschen ist heute die Anschaffung einer Küche mindestens so bedeutend wie der Kauf eines Autos. Verschiebt sich da dauerhaft unser Wertesystem, und die Küche wird zum neuen Statussymbol? Geben wir Verortung Vorrang vor Mobilität, Geselligkeit den Vorzug vor Privatheit?
Es ist definitiv so, dass die Küche enorm an Bedeutung gewonnen hat – ich würde sogar behaupten, dass sie zum wichtigsten Wohnraum überhaupt avanciert ist. Früher war die Küche vor allem ein funktionaler Ort, wo gekocht und gegessen wurde. Heute arbeiten wir hier auch, wir surfen im Netz, checken Mails, lesen abends vielleicht ein Buch, empfangen Freunde oder Geschäftspartner – deshalb legen die Menschen auch viel mehr Wert darauf, diesen Lebensraum nicht nur traditionell funktional, sondern ihrer Vorstellung von Lebensqualität, ihrem veränderten Alltagsverhalten entsprechend zu gestalten. Insofern ist die Küche sicher auch eine Art Statussymbol, aber ich würde lieber von der Kultivierung eines hybriden Lebensraumes sprechen wollen. Und der ist höchst individuell geprägt. Die Küche ist auch Repräsentationszone und als solche in gewisser Weise „öffentlich“, in erster Linie ist sie aber ein privater Raum, in dem sich ein Großteil unseres Lebens abspielt. Was die Mobilität angeht: Auch diese steht keineswegs im Widerspruch zum „stationären“ Charakter einer Küche. Im Gegenteil: Zeitgemäße Küchengestaltung denkt den Faktor Mobilität mit. Darum braucht es updatefähige, konfigurierbare Strukturen und Texturen.
Wenn wir also die Küche mehr als Lebensraum denn als Funktionsort begreifen, müssen wir dann über die Organisation der Küche und die Möblierung neu und anders nachdenken?
Unbedingt. Wenn die Küche mehrere Wohnfunktionen erfüllt, müssen die Möbel Lösungen dafür bieten. Deshalb habe ich für das Projekt Nolte Neo auch nicht nur klassische Küchenmodule wie Spüle oder Schränke entwickelt, sondern auch Elemente aus angrenzenden Lebensbereichen: zum Beispiel einen Kamin, eine Bibliothek, eine illuminierte Vitrine. Diese Module lassen sich wiederum ganz individuell nutzen. Ob man die Vitrine beispielsweise für Geschirr und Gläser nutzt oder Kunstobjekte darin inszeniert, bleibt jedem selbst überlassen. Außerdem schaffen sie einen fließenden Übergang zum Wohnraum – gerade in offenen Wohnküchen, die immer beliebter werden.
Das Bild der zeitgenössischen Küchen ist vielfach geprägt von einem sachlichen Design mit klaren Oberflächen und reduzierten Linien. Bei Nolte Neo rückt die Individualisierung der Küche in den Fokus. Ist das ein bloßes Zugeständnis an den Zeitgeist oder die konsequente Reaktion auf den Wunsch nach persönlichem Ausdruck?
Stimmt, sterile Hochglanzfronten waren lange das, was man unter einer „modernen“ Küche verstand. Dieser minimalistische Look hat seinen Reiz, ist aber nicht mehr zeitgemäß. In einer Zeit, die so herausfordernd und manchmal überwältigend für unsere Sinne ist, suchen wir heute in den eigenen vier Wänden neben Geborgenheit auch Stimulanz. Das entspricht einer neuen Marktlogik. In Zeiten einer sich zunehmend durchsetzenden Sharing Economy und dem Bewusstsein, als Konsumenten immer auch gleichzeitig als Generation Beta der Digitalindustrie zu dienen, wandelt sich unser Anspruch auf Ewigkeit zum permanenten kreativen Spiel. Der eigenen Persönlichkeit Ausdruck zu verleihen, ist hier ganz entscheidend. Und da geht es mir tatsächlich um wesentlich mehr als um ein Zugeständnis an den Zeitgeist. Individualität ist einer der prägenden Megatrends der Gegenwart! Die Menschen wollen keine vorgefertigte Küchenzeile aus dem Katalog. Sie möchten sich ihre Küche selbst zusammenstellen und entsprechend ihrer Bedürfnisse einrichten. Dieser Individualität wollen sie natürlich auch sichtbar Ausdruck verleihen. Deshalb bin ich bewusst progressiv an die Gestaltung von Nolte Neo herangegangen und habe zum Beispiel mit 3D- und Graffiti-Prints experimentiert.
Die besten Partys enden in der Küche. Warum eigentlich?
Die Küche ist das moderne Lagerfeuer. Der Lebensmittelpunkt, wo alle Fäden zusammenlaufen. Wahrscheinlich zieht es uns einfach instinktiv dorthin, weil die „Feuerstelle“ schon immer Anlaufpunkt für Kommunikation und soziale Beziehungen war. Vielleicht liegt es aber auch nur an den Gerüchen und dem eisgekühlten Bier im Kühlschrank...
Vielen Dank für das Gespräch!