Moritz Waldemeyer
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Moritz Waldemeyer bringt Mode zum Leuchten und Licht zum Kommunizieren. Geboren 1974 in Halle, studiert er am Kings College in London Mechatronik und macht sich nach seinem Master 2001 selbständig. Seitdem entwickelt er zusammen mit Ron Arad und Yves Béhar Kronleuchter für Swarovski, mit der Architektin Zaha Hadid interaktive Küchen für DuPont, dem Modedesigner Hussein Chalayan Video- und Laserkleider sowie Installationen für den Automobilhersteller Audi. Wir trafen Moritz Waldemeyer in Basel und sprachen mit ihm über interaktive Bühnenoutfits, Haute-Couture-Stücke, die Zeitreisen durchlaufen, und Editionsmöbel, die hochintelligente Technik zugänglich machen.
Herr Waldemeyer, Sie sind studierter Mechatroniker und arbeiten an der Schnittstelle von Mode, Design und Kunst. Wie würden Sie jemandem erklären, was Sie machen?
Das ist ganz einfach: „Mecha“ kommt von der Mechanik und „Tronik“ von der Elektronik. Mechatronik ist also eine Kombination aus beiden Bereichen, den altherkömmlichen mechanischen Designs und der neuen Welt der Elektronik. Nehmen wir das Auto als Beispiel: Früher war alles mechanisch. Da gab es den Motor, das Getriebe, den Vergaser. Heute ist das Auto vor allem computerisiert, denn es gibt keine pure Mechanik mehr. Ein anderes Beispiel ist der iPod. Vor zehn, fünfzehn Jahren hatte jeder ein tragbares Kassettengerät. In diesem gab es Zahnräder, einen Mechanismus, um das Band zu ziehen, etcetera. Das war sehr kompliziert. Heute wird das alles mit der Elektronik gemacht.
Sie haben schon mit Ron Arad, Zaha Hadid oder Yves Béhar zusammengearbeitet, doch ihr internationaler Durchbruch kam vor allem durch die Kollaboration mit dem Modedesigner Hussein Chalayan. War das Ihr erstes Projekt im Modebereich?
Ja, vorher hatte ich mit Mode nicht viel am Hut. Ich bin im Osten aufgewachsen, in einem kleinen Dorf. Meine Frau kommt aus Mailand und macht sich manchmal lustig über mich (lacht). In Mailand ist alles sehr schick und das hat sie regelrecht mit der Muttermilch aufgesogen – im Gegensatz zu mir. Das Projekt mit Hussein Chalayan war schon ein Durchbruch, auch, um mich in einer solchen Welt zurechtzufinden.
Wie genau sah das Projekt aus?
Ingesamt waren es drei Projekte. Das erste bestand aus fünf „bewegten“ Kleidern, die die Modegeschichte von 1900 bis in die Gegenwart beschreiben. Jedes Kleid stellt einen Zeitraum von zwanzig oder dreißig Jahren dar. Das erste Kleid steht für 1900; es ist ein viktorianisches Kleid, das sich dank eines Roboters mit Motoren in ein Kleid aus den 1920er Jahren verwandelt. Die Oberfläche wird zur Seite gezogen, alles ist plötzlich viel kürzer. Das wichtigste Kleid der Kollektion ist allerdings das der 1940er, 50er und 60er Jahre. Es beginnt als langes Kleid; der Rock geht bis über das Knie. Und dann geht es wie ein Regenschirm auf und verwandelt sich in ein Stück im Petticoat-Stil, das an Paco Rabanne erinnert und ganz gerade geschnitten und mit Metallpaletten besetzt ist. Auch technisch ist es das komplexeste Kleid.
Ein halbes Jahr später kam die nächste Kollektion, für die Hussein Chalayan Video-Kleider haben wollte, sprich ihre Oberflächen sollten Videos darstellen. Dafür verwendeten wir LEDs, die wir mit Stoff bedeckten. Diese wurden wiederum mit Swarovski-Steinen bestückt, die das Licht zerstreuen. Danach folgte eine weitere Kollektion, für die wir Laser-Kleider bauten. Das heißt, die Laser projizieren das Kleid in die Unendlichkeit; sie machen es unendlich groß.
In der letzten Zeit haben Sie auch verschiedene Bühnenoutfits gestaltet, unter anderem für U2 und Rihanna…
Ja, mich haben Stilisten kontaktiert, die für Musiker arbeiten und meine Projekte für Chalayan gesehen hatten.
Wie sieht die Form Ihrer Zusammenarbeit aus?
Der Stilist sagt, was ihm vorschwebt und ich entwickle dann ein Konzept dazu. In manchen Fällen ist noch ein Modedesigner dabei, wie bei Rihanna. Bei U2 war auch ein Schneider aus Saville Row involviert, der noch wirklich schneidern kann.
Was reizt Sie daran, Kostüme zu entwerfen? Oder: Wie verändert Ihr Licht-Design die Mode?
Mich reizt die Kombination verschiedener kreativer Felder – Technologie mit Fotografie, Mode, Architektur und Kunst. Dadurch können neue Innovationen in Disziplinen entstehen, die beginnen, sich in ihrer puren, klassischen Form zu wiederholen. Seit Jahrhunderten arbeitet die Mode mit nur zwei Komponenten: dem Stoff und der menschlichen Anatomie. Plötzlich kommt eine dritte dazu: die Elektronik.
In diesem Jahr haben Sie zwei Installationen für den Automobilhersteller Audi entworfen, zuerst für die Mailänder Möbelmesse und dann für die Design Miami Basel. Wie kam es zu diesen beiden Projekten?
Die erste Installation besteht aus fortlaufenden Reihen von insgesamt 2.000 LED-Leuchten, die in transparente Polycarbonat-Streifen gefasst sind. Sie dienen als interaktive Textanzeige und können durch iPads mit Wörtern bespielt werden. Die Idee mit dem auseinanderfließenden Text hatte ich schon eine Weile und dachte mir, dass sie gut zu Audi passen könnte, weil ich so mit den Linien und der Aerodynamik spielen kann – mit dem Fluss über den Fahrzeugen. Außerdem passen sie auch gut zum neuen Zeitalter der Autoindustrie, in dem es mehr und mehr um die Effizienz geht. LEDs zu benutzen, passt natürlich auch perfekt. Schließlich benutzt Audi LED-Scheinwerfer. Dann noch der Gedanke des Kommunikationsflusses, weil dieser bei Autos immer wichtiger wird. Sie werden immer intelligenter: Wir haben Satellitennavigation, Kommunikation von Auto zu Internet über Verkehrsdaten, und so weiter.
Für Basel haben wir eine neue Installation mit 25.000 LEDs geschaffen und die Form verändert. Da gibt es sogar eine lokale Referenz: die Berge der Schweiz (lacht).
Ihre Projekte sind meistens Einzelstücke…
Ja, sie erlauben mir, wesentlich weiter zu gehen. Wenn du für die Masse produzieren willst, dann musst du viele Kompromisse eingehen. Wenn du jedoch Einzelstücke entwirfst, kannst du ganz verrückt denken und so weit gehen, wie du nur willst. Das ist die einzige Art und Weise, die Grenzen auszutesten.
Sie haben ja auch schon Möbel entworfen. Sind Sie noch in dem Bereich tätig?
In der letzten Zeit habe ich mehr Einzelstücke und Installationen entworfen, würde jedoch gerne auch wieder etwas in der Richtung machen. Zum Beispiel Editionsstücke, da sie den Möbeln einer Serie ähneln und zugänglicher sind, jedoch mehr Freiräume bieten, um zu experimentieren.
Wie schaffen Sie es denn, hochintelligente Technik zugänglich zu machen?
Zum Beispiel mit dem Pingpong-Tisch aus Corian, in dessen Oberfläche das Videospiel „Pong“ integriert ist. Da jeder schon mal Tischtennis gespielt hat, ist es ganz einfach, das Spiel auch interaktiv zu verstehen.
Herr Waldemeyer, vielen Dank für das Gespräch.
Links
Moritz Waldemeyer
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