Neue Entfaltungsräume
Interview mit Marc Frohn von FAR
Mit Standorten in Berlin, Santiago de Chile und Los Angeles arbeitet FAR nicht nur über geographische Grenzen hinweg, sondern überwindet auch konstruktive und kreative Limitierungen. 2004 von den Studienfreunden Mario Rojas und Marc Frohn gegründet, steht das internationale Büro für Projekte, die scheinbare Naturgesetze von Architektur, Innenarchitektur und Ausstellungsgestaltung hinterfragen – und zu ungesehenen Lösungen führen. Im Interview erläutert Marc Frohn, wie die Architektur dem Mobiliar folgt, wie man Innen- zu Außenräumen macht und Staatsbauten Privatheit verleiht.
Sie haben Büros in Deutschland, Chile und den USA. Wie kam es zur Gründung und was verbindet die drei Standorte?
Mario Rojas und ich kennen uns vom Studium in Aachen und trafen uns später in den USA wieder, als Mario auf der Durchreise nach Lateinamerika war und ich als Fulbright-Stipendiat meinen Abschluss machte. Wir gründeten unser Büro wenig später in Mexiko-Stadt. Die Zusammenarbeit erstreckte sich über diese großen zeitlichen und räumlichen Zonen – aber irgendwie passten die einzelnen Puzzlestücke gut zusammen. In Chile konnten wir bauen, in den USA akademisch tätig sein und in Deutschland gut publizieren. Man muss sich vor Augen halten, dass 2004 der Moment war, wo es gerade gut zu funktionieren begann, über Skype zu telefonieren. Plötzlich wurde es möglich, mit einer einfachen Infrastruktur über solche Distanzen zu agieren. Das erklärt auch, dass der Name FAR nicht zufällig entstand: Die Kombination unserer Initialen soll auch die Geographie des Büros widerspiegeln.
Bei vielen Ihrer Projekte scheinen sich die Strukturen von innerer und äußerer Architektur zu überlagern. Sie drehen die Wände buchstäblich auf links. Was treibt Sie dazu?
Die Beziehung zwischen innen und außen ist so komplex und vielschichtig, dass ihr die Architektur mit einer klaren Trennung mittels Wänden und Fensterrahmungen häufig nicht gerecht wird. Das war schon der Ausgangspunkt unseres ersten Projekts Wall House in Santiago de Chile mit seiner zeltartigen äußeren Hülle. Wie der Name impliziert, wurde hier das Hauptelement des Hauses, die Wand, aufgelöst. Wenn man von Raum zu Raum geht, gelangt man immer ein Stück raus und wieder rein ins Gebäude. Es war nicht klar, wo das Außen und wo das Innen beginnt, weil all die komplexen Ebenen, die eine Wand mit sich bringt, zerlegt wurden – in ein Schatten spendendes Gewebe, in eine thermische Hülle oder in einen Kern, der Privatheit bietet.
Auch das Mount Washington Studio in Los Angeles verdreht förmlich Interieur und Exterieur. Was war Ihre Vision für dieses Projekt?
Tatsächlich bekommt der Innenraum des Studios durch seine Materialien und durch die charakteristischen architektonischen Elemente fast die Qualitäten eines Außenraums. Inzwischen sind die Oberflächen aus Waschbeton, aber ursprünglich sollten sie alle aus Asphalt sein. Das hat sich im Entwurfsprozess verändert. Dennoch findet man im Innenraum etliche Referenzen an infrastrukturelle Elemente und an die Materialsprache von Los Angeles: die Garage, das Garagentor oder die Auffahrt. Und dem gegenüber steht der grünlich-blau geflieste Terrassenraum mit hochgezogener Brüstung. Diese Materialität und Präzision stellt man sich eigentlich eher in Innenräumen vor.
Normalerweise folgt die Inneneinrichtung der Architektur. Mit dem Wohnregal, einem vorfabrizierten, modularen Gebäude, drehen sie auch dieses Regelwerk von Architektur und Mobiliar um. Fast könnte man sagen, es adaptiert die konstruktiven Prinzipien von Ikea-Möbeln. Wie kommt es zu diesem seriellen Konzept?
Es geht mir darum zu zeigen, dass das Serielle, das eigentlich für Wiederholung steht, auch Vielfalt bieten kann. Diese scheinbar nicht kongruenten Aspekte möchte ich zusammenbringen. So kam es zu diesem System aus Stützen, Balken und Decken, das sich am klassischen Hallenbau orientiert. Strukturell handelt es sich beim Wohnregal also um sechs aufeinander gestapelte Hallen, sprich sechs „Regalebenen“, die recht frei bespielt werden können. Die Innenräume sind relativ roh. Ich fand es spannend, den Moment zu sehen, in dem die einzelnen Mieter*innen die Wohnungen personalisierten. Mich interessiert, wie eine generische Struktur plötzlich zu sehr unterschiedlichen, persönlichen Räumen wird. Auch das ist ein Thema, das mehrmals in unserer Arbeit auftaucht: im Wall House in Form eines tatsächlichen Regals, das gleichzeitig die Tragestruktur des Hauses darstellt. Weil das Wall House weder Keller noch Speicher hat, stellte sich die Frage nach der Integration des Abstellraums. Man findet ihn im Regal, das sich auf beiden Ebenen durch das ganze Haus zieht. Sämtliche persönliche Dinge, die sonst verschwinden, gestalten nun das Haus und lassen es zu einem individuellen Ort werden.
Sie bezeichnen die einzelnen Wohneinheiten als „Ateliers“ – da denkt man an Werkstätten oder Arbeitsplätze von Künstlern und anderen Kreativen. Sollen die Wohnungen auch Orte zum Arbeiten sein?
Wir sind gerade quasi von unserer eigenen Zukunft eingeholt worden. Das Projekt ist vor etwas mehr als einem Jahr fertiggestellt worden. Zwei Drittel dieser Zeit waren wir jetzt gezwungen, zu Hause nicht nur zu wohnen, sondern auch zu arbeiten. In dieser Zeit wurde auch die Vorstellung der Wohnateliers auf die Probe gestellt. Ich glaube, dass die moderne, siloartige Trennung zwischen Wohnen und Arbeiten ihre Bedeutung verliert. Bei dem Projekt gab es die Vorstellung, dass diese Facetten in unterschiedlichen Konstellationen überlagert werden können. Es gibt sicherlich Fälle, in denen die Ateliers ausschließlich zum Wohnen dienen, aber es gibt auch Möglichkeiten, Wohn- und Arbeitswelten räumlich miteinander zu verknüpfen, temporär abzugrenzen und so weiter und so fort. Im Prinzip ist es eine Architektur, die es erlaubt, im eigenen Umfeld Grenzen zu ziehen oder zu öffnen.
Und wo zogen Sie die Grenzen zwischen privat und staatlich in der Innenraumgestaltung der Botschafterresidenz in Chile? Wie gestaltet sich eine solche Diskrepanz im Prozess?
Die Gestaltung einer Botschafterresidenz ist eine spannende Aufgabe, weil die repräsentativen Aspekte und die Intimitäten, die das Wohnen mit sich bringt, plötzlich in einer unglaublichen Nähe und Verdichtung zusammenkommen. Der Bauherr dieses Projekts ist ja die Bundesrepublik Deutschland. Dafür gibt es diesen schönen Begriff des „anonymen Bauherren“. Ein anonymer Bauherr ist keine Privatperson mit persönlichem Interesse und Vorlieben, sondern eine Institution. Hier gibt es viele Ebenen, wer wen und wessen Vorstellungen vom Wohnen repräsentiert – und am Ende steht nunmal die Bundesrepublik. Gleichzeitig ist solch ein Haus ein Zuhause und somit etwas sehr Persönliches. Der ganze Arbeitsprozess, bei dem sich unterschiedliche Beamt*innen darin versucht haben, sich in die Botschafter*innen oder Botschafterfamilien hineinzuversetzen, sprich die Verquickung von bürokratischen und persönlichen Wohnvorlieben einiger Beamter, bot Momente zum Schmunzeln.
Das Ergebnis sind einheitlich graue Wände und eine Reduktion auf wenige gestalterische Eingriffe. Wie sah der Entwurf aus?
Die räumliche Grundkonstitution war gegeben und es ging hauptsächlich um Oberflächen. Ein wesentlicher Aspekt ist eine Tapete geworden, die wir zusammen mit der französischen Künstlerin Sidonie Loiseleux entwickelt haben. Sie leitet sich ab aus einer Art Origami-Faltung des deutschen Adlers, die wieder entfaltet, eine wahnsinnig filigrane, ganz subtile Grundstruktur bietet. Dieses repräsentative Bild in Form eines abstrahierten Musters säumt nun die Privatbereiche der Residenz.