Menschen

Nicolas Gwenael

von Katrin Schamun, 18.07.2008

Sein Büro nennt er Curiosity – Neugier, die seine Lebensphilosophie ist. Nicoals Gwenael ist 1966 in Frankreich geboren und studierte an der E.S.A.G. in Paris und an der RCA in London Industrie-Design. Nach seinem Studium 1991 ging er nach Japan, arbeitete dort als Freelancer bis er 1998 mit Freunden ein Büro gründete. Mit seinem ersten Projekt, dem Wohn- und Bürohaus C1 , macht er in Japan und in Europa auf sich aufmerksam. In diesem Haus trifft man auf ungewöhnliche Überraschungen – nichts scheint so zu sein, wie es ist. Eine dieser Überraschungen gibt es seit diesem Jahr auch als Serienprodukt: die Armatur Sen. Wir sprachen mit Nicolas Gwenael über die Verbindung von japanischer und französischer Kultur im Design, seine neue Armatur Sen sowie das Entwerfen von Zeit.


Sie sind in Frankreich aufgewachsen, leben aber seit 15 Jahren in Japan. Würden Sie sagen, dass sich in Ihren Entwürfen beide Kulturen widerspiegeln oder beeinflussen?

In Europa sind wir uns darüber einig, dass im Design die Form eines Produktes sehr wichtig ist. Hat man einem Produkt eine schöne Form gegeben, ist der Designprozess beendet. Aber wir denken zu wenig über das Benutzen oder die Anwendung eines Produktes nach. In Japan dagegen ist es viel wichtiger, Zeit als Form zu entwerfen.

Was bedeutet es, Zeit zu entwerfen?

In Japan meint Zeit zu designen, die Anwendung ins Design einfließen zu lassen. Nehmen wir den Entwurf einer Tasse, sie kann wunderschön sein, aber wenn man aus ihr trinken möchte, ist sie zu heiß, zum anfassen. Aber gerade das sollte Design tun, das Trinken angenehm machen – in diesem Fall nicht zu heiß. Das Erleben hat in Japan eine große Bedeutung. Wie wir Dinge benutzen, beruht auf Erfahrungen und Erlebnissen mit diesen. Passiert etwas Ungewohntes bei diesen uns üblichen Vorgängen, sind wir überrascht und beginnen über den Gebrauch nachzudenken. Das bedeutet in Japan Zeit zu designen.

Und wie zeigt sich diese entworfene Zeit in Ihrem Haus?

Mein gesamtes Haus ist wie ein Film entworfen. Ich entwarf ein Storyboard für die Bewegung des Menschen in meinem Haus. Das Benutzen der Armatur ist eine Szene: Steht man vor ihr, hält man zunächst inne. Zuerst sieht man etwas ästhetisch sehr Ansprechendes – das ist der europäische Einschlag: der erste Eindruck ist die Schönheit. Dann merkt man, dass etwas anders ist und beginnt neugierig zu werden und nach Griffen zu suchen. Der Einfluss der japanischen Kultur ist der Überraschungseffekt: Man berührt die Armatur und drückt dabei die metallische Fläche nach hinten. Durch die Bewegung auf der einen Seite, tritt Wasser auf der anderen heraus. In Japan ist der Effekt sehr wichtig. Nehmen wir zum Beispiel das Wasser. Die Franzosen schauen, wohin es fließt. Die Japaner dagegen schauen, wie es fließt und welches Bild es formt. Das ist der Unterschied.

Zum ersten Mal sah ich die Armatur auf Fotografien Ihres Hauses in Tokio. Ist das der Vorgänger der „Sen“?

Es ist die gleiche Armatur. Vor vier Jahren entwickelte ich sie für mein eigenes Haus. Es war mein erstes großes Architekturprojekt und ich plante das gesamte Haus, mit Interieur und Möbel selbst, denn auf dem Markt fand ich keine Produkte, die mir gefielen. Auch für Bad und Küche gibt es eine große Auswahl, aber nichts passte zu meinem Entwurf. Also beschloss ich, alles, auch die Armaturen, selbst zu entwerfen. Zum Entwurf eines gesamten Hauses gehören die Konstruktion, die Außenhaut, aber auch das Interieur, die Möblierung – jedes Detail bis hin zur Türklinke. Wenn ich ein Haus entwerfe, dann habe ich nicht nur eine Idee für sein Äußeres oder seinen Aufbau, sondern auch eine Vorstellung, wie sein Inneres aussieht.

Wie wurde die Armatur zu einem Serienprodukt?

Der Prototyp für diese Aramatur befindet sich in meinem Haus. Nachdem es fertig gebaut war, besuchten mich viele Architekten, um es anzuschauen. Von dieser Armatur und ihrem simplen Design waren sie sehr begeistert und fragten, warum ich sie nicht produzieren lasse. Also suchte ich eine Firma, die genau solche reduzierten Produkte produzieren und fand den italienischen Hersteller Agape. Zum ersten Gespräch kam ich mit einer riesigen Kiste, die gefüllt war mit sämtlichen Modellen der Armatur. Ich reihte sie an der Wand auf und fragte: Was halten Sie davon? Zuerst herrschte eine Stille, bis einer sagte: bellissima! Das war vor zwei Jahren.

Warum haben Sie sich entschieden, in Japan zu arbeiten?

Die Menschen in Japan sagen nie nein. Es gibt kein Limit. Für Architekten heißt das, wir können bauen, was wir wollen – das ist so unglaublich. Natürlich ist es schwierig in Japan zu bauen, wie überall. Aber die Japaner haben die Einstellung, dass es für alles eine Lösung gibt. In Frankreich dagegen ist vieles überhaupt nicht erlaubt. Will man bauen, muss man sich an viele Gesetze halten. Ich habe in Frankreich Produktdesign studiert und bin dann nach Japan gegangen, wo ich mein erstes Haus baute. In Japan interessiert es niemanden, ob du Architektur studiert hast oder nicht – hier kann jeder bauen, der seinen Auftraggeber überzeugt. Ich sehe meine Arbeit als eine besondere Herangehensweise an Gestaltung. Mit meinen Projekten bewege ich mich zwischen Ridley Scott und Renzo Piano. Das ist sehr anspruchsvoll.

Können Sie das genauer erklären?

Ridley Scotts beschäftigt sich in seiner Arbeit mit Zeit und dem Design einer Story. Er visualisiert Erfahrungen und formt sie zu Geschichten. In Renzo Pianos Architektur geht es auch um Erfahrungen, die er in seinen Projekten als Geschichte erzählen lässt. Ich mache dasselbe, ich forme wie Piano die Gestalt, Transparenz und Leichtigkeit, aber gleichzeitig versuche ich neue Bilder zu finden, wie Ridley Scott. Mich beeindruckt seine Arbeit sehr. Sein letzter Film „American Gangster“ war wieder großartig.

Gefallen Ihnen französische Filme zum Beispiel die von Jean Luc Godard?

Ich mag Godard nicht. Er ist so französisch. Ich mag keine französischen Regisseure, sie bringen nichts auf dem Punkt. Der Prozess in Godards Filmen ist interessant, aber es gibt keine Aussage am Ende. Das ist unbefriedigend. Am Ende des Filmes fragt man sich - und? Die Aufgabe eines Filmregisseurs ist, zu kommunizieren, um eine Botschaft herüberzubringen. Italienische Filme kann man sich öfter anschauen, sie sind so tiefgehend. Französische Filme dagegen schaut man sich nur einmal an und dabei muss man nicht einmal den gesamten Film sehen – meist reichen 10 Minuten und der Inhalt erschließt sich.

Haben Sie bereits einen Film gedreht?

Noch nicht, aber jedes Projekt ist für mich wie ein Film und noch viel mehr, denn es ist die Realität und diese ist viel interessanter als ein Film, denn man kann sie erfahren und fühlen. Und das möchte ich machen, reale Dinge. Wir Designer beobachten in erster Linie und schauen den Menschen zu, wie sie Dinge benutzen, was ihnen beim Gebrauch wichtig ist. Darauf reagieren wir und schaffen Neues, ich würde sogar sagen, wir kreieren die Zukunft. Wir haben eine wichtige Aufgabe und dabei viel Freiheit zu denken und zu schaffen. Mit unserer Arbeit kommunizieren wir. Design ist gut, wenn wir ohne Worte der Erklärung von den Menschen, den Nutzern verstanden werden. Wenn Menschen sich mit einem Produkt oder einem Möbelstück verbunden fühlen, ist die Kommunikation da. Design soll inspirieren.

Was möchten Sie noch erreichen?

Für mich ist es unmöglich nur ein Ziel zu haben, denn es ändert sich immer. Ich möchte Erfolg als Designer haben, und weiter einfache aber starke Dinge entwerfen. Ich bin immer noch auf der Suche, ich lerne noch so viel. Mit jedem Projekt das ich mache, lerne ich dazu. Es gibt noch so viel zu lernen und zu entdecken. Ich bin sehr neugierig. Vielleicht bin ich in 80 Jahren ein guter Designer, wer weiß das schon.
Vielen Dank für das Gespräch.
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