Menschen

Noé Duchaufour-Lawrance

Der Pariser Designer über interaktive Kurven, sinnliches Linoleum und den Glauben an die Zukunft.

von Norman Kietzmann, 28.01.2014

Noé Duchaufour-Lawrance mag es gerne rund. Ganz gleich, ob Tische für Ligne Roset, Sessel für Zanotta oder Sideboards für Ceccotti: Um den rechten Winkel macht er bei seinen Möbelprojekten ebenso einen weiten Bogen wie bei der Ausstattung von Bars, Restaurants und Hotels. Dass er dennoch eine deutlich rationalere Sprache beherrscht, hat der Absolvent der Pariser Ecole National Supérieure des Arts Décoratifs auf der Kölner Möbelmesse imm cologne gezeigt. Dort trafen wir den 39-jährigen und sprachen mit ihm über interaktive Kurven, sinnliches Linoleum und den Glauben an die Zukunft.

Monsieur Duchaufour-Lawrance, die Möbelbranche kennt derzeit vor allem eine Richtung: Neuheiten in zeitlosen Formen oder gleich der Griff in die Klassiker-Kiste. Wie beobachten Sie diese Entwicklung?
Man hat den Eindruck, dass wir in einer Gesellschaft leben, die nicht mehr an die Zukunft glaubt. Im Grunde zeigt das, welch enorme Unsicherheit heute herrscht. Für viele hat die Zukunft mit den digitalen Technologien und virtuellen Realitäten schon längst begonnen. Also sichern wir uns im realen Leben mit echten, handfesten Werten ab. Man muss aufpassen, dass durch diese Absicherung die Kreativität nicht verloren geht. Ich bin damit einverstanden, dass die Dinge lange halten sollen. Sie müssen in meinen Augen sogar eine langfristige Perspektive haben, weil ich an die Zukunft glaube. Es gibt nichts Wundervolleres als ein Objekt, das von einer zur nächsten Generation weitergereicht wird. Genau das sollten wir heute von einem Produkt erwarten.

Also entspricht das Zeitlose dem Zeitgeist?
Ich denke, dass man als Designer akzeptieren muss, nicht permanent das absolut Neue erfinden zu können. Viel wichtiger sind gute Proportionen und ein richtiger Umgang mit den Materialien. Ein Leder zum Beispiel, das zu stark bearbeitet wurde, wird nicht gut altern. Das ist schade, weil selbst ein uralter Ledersessel immer noch sehr schön ist. Damit die Dinge bis an die Grenzen ihrer Lebensdauer gebraucht werden können, müssen nicht nur die Materialien richtig behandelt werden. Aus gestalterischer Perspektive ist es wichtig, dass die Form dem Möbel das Altern überhaupt erlaubt. Auch muss sie den Belastungen des tagtäglichen Gebrauchs standhalten. Das Zeitlose ist da eine sichere Stütze, zumal es auch mit den Bedürfnissen der Serienfertigung korrespondiert. Dennoch darf zeitlos nicht mit langweilig verwechselt werden. Schließlich sind die Energie und die Originalität eines Entwurfs sehr wichtig. Nur was heute interessant ist, wird auch morgen bleiben.


Ihr neuester Entwurf ist das Aufbewahrungssystem Estampe für Ligne Roset, das Sie zur Kölner Möbelmesse 2014 vorgestellt haben. Erklären Sie uns, was es damit auf sich hat.
Es gibt kaum etwas Langweiligeres, als Dinge aufzuräumen. Dennoch bilden Schränke und Kommoden die Basis des Wohnens. Die Herausforderung besteht darin, wie Aufbewahrungsmöbel in den Wohnraum integriert werden können. Darum wollte ich dem Programm eine sehr rationale Seite geben mit Formen, die ganz klar die Funktion bedienen. Gleichzeitig gibt es eine Vielzahl von Details, die den Möbeln eine gewisse Leichtigkeit und Vielschichtigkeit verleihen. Das können Elemente wie kleine Rundungen an den Fronten und Griffen sein, die einen sinnlicheren Zugang zum Objekt erzeugen. Vom Weitem werden die Schränke eher als Masse wahrgenommen. Sie sind klar organisiert und man versteht ihre Proportionen und Struktur. Je mehr man sich ihnen nähert, umso stärker treten die oft sehr handwerklichen Details hervor. Darum war es wichtig, die Gestaltung weitgehend zurücktreten zu lassen. Das war anfangs gar nicht so leicht (lacht). Normalerweise arbeite ich sehr stark mit der Form. Doch hier war es genau umgekehrt. Das Spannende an den Möbeln bleibt beinahe im Verborgenen und muss erst mit den Fingern erkundet werden.

Ein markantes Element bilden die grauen Ablageflächen aus Linoleum, die leicht erhöht über dem Möbelkorpus zu schweben scheinen. Welche Rolle spielte hier die Materialität?
Die Ablagen bilden die Handschrift der Kollektion. Durch ihre Erhöhung werfen sie einen kleinen Schatten, der sich erst bei näherer Betrachtung erschließt. Das Linoleum haben wir bei einem Zulieferer aus Deutschland gefunden. Es ist ungewöhnlich, dass das Material bislang kaum für Möbel verwendet wurde. Linoleum ist ein natürlicher Rohstoff, der sich angenehm anfasst und eine hohe Geschmeidigkeit besitzt. Die Oberflächen sind deutlich belastbarer als Lack, gleichzeitig wirken sie sehr lebendig und nehmen die Spuren der Zeit gut an. Auch die Farben sind spannend. Um einen angenehmen Kontrast zu den hölzernen Furnieren zu erzeugen, haben wir einen warmen Grauton mit einem hohen Gelbanteil verwendet. Linoleum ist ein nobles, zugleich aber auch sehr industrielles Material. Genau wie Holz kann es den Dingen ein „Mehr an Seele“ geben.

Mit ihrer kubischen Gestalt wirken die Möbel wie ein Gegenpart zu Ihren anderen Arbeiten, bei denen Sie stets dem Organisch-Fließenden Vorrang geben. Warum haben Sie um den rechten Winkel bislang zumeist einen Bogen gemacht?
Für mich bietet eine Kurve weitaus mehr Interaktion als eine Gerade. Wir Menschen bestehen aus Kurven, unsere Umwelt besteht aus Kurven. Die Gerade entspring allein der Vorstellung unseres Geistes. Sie ist die menschliche Transformation der Natur. Umgekehrt brauchen wir in unserer häuslichen Umgebung Dinge, mit denen wir unseren Alltag strukturieren können. Ein Haus muss daher immer zwei verschiedene Identitäten besitzen. Auf der einen Seite steht das Rationale, zu dem auch Aufbewahrungsmöbel gehören. Diese Objekte dürfen nicht allzu kompliziert sein, weil selbst ich keine Lust auf ein komplett organisches Interieur habe. Unsere Augen wüssten sonst gar nicht, woran sie sich halten sollten. Dennoch liebe ich organische Formen bei Sesseln oder Tischen, die stärker in den Vordergrund treten. Das Wohnen ist für mich die Verbindung dieser beiden Gegensätze. Es ist ein Dialog. 

Neben Ihren Arbeiten im Möbelbereich gestalten Sie ebenso Interieurs von Chalets, Cafés, Hotels, Restaurants und Nachtclubs. Der Durchbruch ist Ihnen im Jahr 2002 mit der Einrichtung der Londoner Bar Sketch gelungen. Deren Toiletten haben Sie mit großen, begehbaren Eiern möbliert, die an fliegende Raumkapseln erinnern. Wie schauen Sie aus heutiger Sicht auf den Entwurf zurück?
Das Interieur war natürlich sehr stark von seiner Zeit getragen. Um die Jahrtausendwende gab es eine enorme Explosion an Energie und auch das Bedürfnis nach neuen Formen. Es war sehr gut, ein solches Risiko einzugehen. Ich denke, dass der Erfolg der Sketch Bar im Grunde der Risikobereitschaft das damaligen Betreibers zu verdanken ist. Doch die Besitzer haben inzwischen gewechselt. Ich muss gestehen, dass ich selbst schon lange nicht mehr dort gewesen bin. 

Ein Interieur, das Sie 2013 neu gestaltet haben, ist die Einrichtung des Restaurants Le Ciel de Paris in der 56. Etage des Tour Montparnasse. Mit ihren organisch-weichen Formen wirken die neuen Möbel deutlich zukunftsgewandter als das alte, casinoartige Interieur aus den siebziger Jahren. 
Der Tour Montparnasse ist natürlich keine einfache Architektur. Doch auf absehbare Zeit wird das Gebäude erst einmal stehen bleiben. Das Spannende bei diesem Projekt war, dass wir es für einen begrenzten Zeitraum konzipiert haben. Natürlich wird es einige Jahre in Gebrauch bleiben, doch vielleicht nicht gleich für 40 Jahre wie die vorherige Einrichtung des Restaurants. Wir haben damit die Möglichkeit erhalten, ein wenig dekorativer, frischer und vielleicht auch mutiger heranzugehen, weil es nicht für ewig so bleiben wird. Im Grunde ist es genau das Gegenteil zu dem, worauf es heute im Möbelbereich ankommt. Dort reicht es nicht mehr, nur die nächsten Jahre zu planen, weil die Dinge auch für kommende Generationen bestehen müssen. Als Designer zwischen diesen beiden Welten wechseln zu können, ist sehr spannend.

Vielen Dank für das Gespräch.

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Noé Duchaufour-Lawrance

Ligne Roset

Designlines-Special

imm cologne 2014

www.designlines.de

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