Menschen

Paul Andreu

„Wir hatten Lust auf Beton.“ Der Meister der Flughäfen über geliebte Kurven und schnelle Stifte.

von Norman Kietzmann , 01.07.2015

Paul Andreu ist der Meister der Flughäfen. Mehr als 50 Airports hat der 76-jährige Franzose bisher rund um den Globus konzipiert. Nach seinem Architekturstudium begann er 1969 für die Betreibergesellschaft der Pariser Flughäfen zu arbeiten und wurde 1974 zum Chefplaner ernannt. Sein erstes Projekt – den Pariser Charles-De-Gaulle-Airport – begleitete er in sämtlichen Ausbaustufen. Seit den 2000er Jahren entwirft Paul Andreu vorrangig Kultur- und Sportbauten in China, darunter das Opernhaus von Peking oder das Archäologiemuseum in Taiyuan. Ein Gespräch über dynamischen Beton, schnelle Stifte und ausgleichende Worte.

Monsieur Andreu, Sie haben das Fliegen zu einer Zeit geprägt, als es noch ein Luxus für wenige war. Was hat Sie an der Planung von Flughäfen fasziniert?
Fliegen besaß damals natürlich eine weitaus überschaubarere Dimension als heute. Das Spannende war für mich als Architekt, dass es ein Programm ohne Geschichte war. Es gibt Flughäfen erst seit 90 Jahren. Und ich hatte das Glück, davon über 40 Jahre zu begleiten. Die einzige Referenz waren vielleicht noch Seehäfen im 19. Jahrhundert. Alles andere musste in unserer eigenen Vorstellung entstehen. Das hat einen enormen Schub nach vorne erzeugt. Dennoch haben sich die meisten Architekten in den sechziger und siebziger Jahren nicht für Flughäfen interessiert.

Warum? Immerhin gab es schon einige ikonische Entwürfe wie Saarinens TWA-Terminal in New York. 
Für die meisten Architekten waren Flughäfen zu kompliziert und funktional. Sie wollten lieber Museen und große öffentliche Gebäude gestalten. Erst in den neunziger Jahren wollten plötzlich alle bekannten Namen Flughäfen entwerfen. Dieser Sinneswandel ist ein wenig lustig, weil er zu einem Zeitpunkt passierte, als die Planung von Flughäfen schon sehr viel rationaler wurde. In den siebziger Jahren hatte man uns noch den Freiraum gegeben, intensive Recherchen anzustellen und neue Konzepte zu entwickeln. Dazu haben heutige Planer gar keine Zeit mehr, weil alles viel schneller gehen muss. Auch sind die Ausmaße von Flughäfen derart groß geworden, dass man lieber an Bewährtem festhält, anstatt es zu hinterfragen. 

Flughäfen waren in den sechziger und siebziger Jahren keine banalen Abfertigungshallen, sondern Visitenkarten für die Zukunft. War dieser Optimismus auch beim Entwerfen spürbar?
Ich erinnere mich gut an den Esprit, als wir das Terminal 1 vom Charles-De-Gaulle-Airport geplant haben. Alle Beteiligten hatten große Ambitionen und wollten etwas verändern. Umgekehrt hatten wir nur wenig Geld. Also mussten wir mit Beton bauen und ständig nach wirtschaftlichen Lösungen suchen. Wenn man genau hinschaut, sieht man, dass an vielen Ecken ganz schön gebastelt wurde. Später in den neunziger Jahren hatte man plötzlich zu viel Geld. Das war dann das umgekehrte Problem. Denn besser sind die Flughäfen davon nicht geworden (lacht).

Sie sprachen gerade Beton an. Hat das Material nicht auch den Fortschritt auf den Punkt gebracht? 
In den sechziger Jahren hatten wir keine andere Wahl, als mit Beton zu bauen. Man muss sehr geschickt mit ihm umgehen und darf nichts verpfuschen. Insofern ist die Herausforderung groß – erst recht in Ländern, in denen es damals kaum Erfahrungen im Umgang mit Beton gab. Eine Konstruktion aus Metall lässt sich sehr viel einfacher bauen. Doch dafür fehlte das Budget, weil Stahlbau sehr viel teurer war als heute. Umgekehrt hatten wir auch Lust auf Beton, weil es unserer Überzeugung entsprach. Es ging nicht darum, brutal oder schockierend zu wirken, sondern modern. Auf typische Ziegelbauten mit Steinverkleidung hatte niemand von uns Appetit. 

Viele Ihrer Gebäude setzen auf runde, fließende Formen. Sind Sie der Materialität des Betons geschuldet oder gibt es noch andere Gründe?
Ich glaube, das müssen sie einen Psychiater fragen (lacht). Ich habe nicht absichtlich damit begonnen, Kurven zu zeichnen. Doch irgendwie sind sie zu mir gekommen, und ich habe sie geliebt. Ich zeichne Gebäude immer erst von innen und lande dann bei der äußeren Hülle. Es gab auch einige Fälle, wo es umgekehrt war wie beim Opernhaus in Peking. Doch in der Regel nehme ich den anderen Weg. Vielleicht begünstigt dieses von Innen-nach-Außen-Planen die Kurven. Sie erzeugen eine Kontinuität des Raumes, was mir sehr mit dem Leben verbunden scheint. In ganzen Räumen zu denken, ist etwas, das mich sehr fasziniert. 

Flughäfen sind Orte der Bewegung. Inwieweit haben Sie dafür die richtige Sprache gefunden? 
Natürlich spielt Dynamik eine wichtige Rolle. Terminals sind Gebäude der Passage, die in verschiedenen Richtungen durchquert werden. Das Besondere ist, dass mit ihnen eine Bewegung aufhört und eine neue beginnt. Die Passagiere kommen mit dem Auto an, steigen aus und fliegen los. Umgekehrt passiert es genauso. Dazwischen gibt es Zonen des Aufenthalts, an denen man wartet, etwas isst oder Zeitung liest. Ich denke, dass es bei allen meinen Gebäuden immer diese beiden Gegensätze gibt – ganz gleich, um welche Typologie es sich handelt. Auch bei einem Theater oder Opernhaus gibt es den Wechsel von der Bewegung in eine andere Welt, in der man für einen Moment innehält.
Die Passiere werden an Flughäfen ungerecht behandelt: Wer abfliegt, wird von luftigen Hallen verabschiedet. Wer ankommt, muss den Koffer in dunklen Katakomben einsammeln. Warum können beide Erfahrungen nicht gleichwertig sein?
Leider verbraucht der Transport der Koffer viel Platz und geschieht ebenerdig. Auch muss es Platz für wartende Taxis und Busse geben. Beim Abflug ist das nicht nötig, weil man aussteigt und die Fahrzeuge weiterfahren. Darum entsteht diese Hierarchie zweier Ebenen, die tatsächlich nicht immer glücklich ist. Beim Terminal 1 vom Charles-De-Gaulle-Airport haben wir versucht, die Erfahrung anzugleichen. Die ankommenden und abfliegenden Passagiere durchqueren dieselben Gänge und Räume. Beim Terminal 2 E + F haben wir dem Gebäude eine doppelte Höhe gegeben, was uns sofort die Kritik der Verschwendung einbrachte. Dabei ist es die beste Lösung, um das Kellergefühl beim Ankommen zu überwinden. 

Flughäfen sind heute Shoppingcenter mit angeschlossenen Landebahnen. Geht Ihnen diese Entwicklung nicht auch auf die Nerven?
Andy Warhol hatte schon vorhergesagt, dass alle Museen Boutiquen werden. Genau das ist passiert. Heute ist alles Einkaufszentrum: Bahnhöfe, Museen, Flughäfen. Selbst das Postamt. Das Ermüdende und Banale an den Flughafengeschäften ist ja, dass man überall genau dasselbe sieht. Doch zurückschrauben kann man diese Entwicklung nicht mehr, weil der Handel ein zu wichtiger Faktor geworden ist. Natürlich ist es ein Plus, dass die Flughäfen damit wirtschaftlich stabiler sind. Aber es rechtfertigt nicht, die Passagiere durch endlose lange Shopping-Labyrinthe zu schicken.

Sie waren bereits Vielflieger, bevor es dafür eigene Bonus-Programme gab. Steigen Sie eigentlich noch immer gerne in ein Flugzeug?
Ja, absolut. Ich bin in meinem Leben enorm viel geflogen, weil viele Baustellen rund um den Globus lagen. Für zehn Jahre war ich mindestens einmal im Monat in Japan. Heute reise ich genauso häufig nach China. Im Flugzeug bin ich losgelöst. In dieser Situation an Projekte zu denken, fällt mir sehr leicht. Ich bin dann eins mit meinen Gedanken. Niemand ruft einen an. Und niemand fällt einem auf den Wecker. Ok, zumindest in der ersten Klasse. Was diesen Punkt anbelangt, hatte ich Glück (lacht).

Also haben Sie Ihre Flughäfen im Flugzeug entworfen?
Viele sogar (lacht). Ich habe stundenlang in mein Notizbuch gezeichnet, bis ich eine Lösung für ein Problem gefunden habe. Das Lustige war, dass es oft sehr ähnliche Motive gab. Nur mit dem Unterschied, dass das eine ein Fassadendetail und das andere der Grundriss eines Terminals war. Das klingt absurd. Aber so war es häufig. Ich muss zeichnen, um zu arbeiten. Nur so finde ich meine Ideen. Ohne zu zeichnen, geht es nicht. Darum kann ich auch mit dem Computer nichts anfangen: Er lässt einfach keine Fehler zu. Doch viele meiner Projekte sind genau aus Fehlern oder Zufällen heraus entstanden.

Was haben Sie als Nächstes vor?
Das hatte ich mich nach der Oper von Peking auch gefragt. Es war ein riesiges Projekt in einer riesigen Stadt. Was soll danach noch kommen? Es macht keinen Sinn, immer mehr und mehr zu machen. Doch etwas besser zu machen, das schon. Ich würde gerne auch im kleineren Maßstab entwerfen. Doch irgendwie traut man mir das nicht zu. Zumindest gab es noch keine Anfrage. Also habe ich angefangen, zu schreiben. Meine Romane haben mit Architektur nichts zu tun. Es sind zwei vollkommen getrennte Welten, die sich befruchten, ohne sich zu vermischen. Ich denke, dass es am besten ist, jede Aktivität autonom zu verfolgen. Wenn ich Architektur mache, mache ich Architektur. Wenn ich schreibe, dann schreibe ich. Das ist eine wunderbare Kombination.

Vielen Dank für das Gespräch.

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Paul Andreu Architecte

www.paul-andreu.com

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