Menschen

Peter Maly

von Katrin Schamun, 16.01.2008

Viele Jahre war er künstlerischer Berater bei Interlübke, später auch bei Cor und Ligne Roset. Er entwarf Produkte für die Möbelhersteller Bene, Thonet und sogar einen Flügel für die Pianoforte-Manufaktur Sauter. Es gibt fast nichts, was Peter Maly noch nicht entworfen hat. Peter Maly ist Jahrgang 1936 und heute einer der bekanntesten Vertreter des zeitgenössischen deutschen Designs. Er absolvierte eine Schreinerlehre und studierte Innenarchitektur an der Fachhochschule Detmold und begann nach dem Diplom bei der Zeitschrift „Schöner Wohnen“ als Innenarchitekt zu arbeiten. 1970 verlässt er die Redaktion, um sich intensiver mit Produktdesign zu beschäftigen. Heute blickt er auf eine beachtliche Sammlung von ihm entworfener Produkte zurück. Zwölf Mal bekamen seine Arbeiten den „Good Design Award“ des Chicago Athenaeum, in Ausstellungen in Berlin, Hamburg und Essen wurden sie präsentiert. Designlines sprach mit Peter Maly über sein wiedererwachtes Interesse für Japan, seine Vorbilder und über die Schwierigkeit heute noch etwas ganz Neues zu schaffen.
Herr Maly, Sie haben bereits sehr viele verschiedene Produkte entworfen und für renommierte Unternehmen gearbeitet. Welche Aufgabe würde Sie in Zukunft reizen?
Ich arbeite ausschließlich für designorientierte Firmen mit entsprechendem Niveau und entwerfe Markenartikel. Es gibt immer noch eine Menge zu tun und es kommt immer wieder Neues hinzu, was mich interessiert. Im letzten Jahr ergab sich ganz plötzlich aus heiterem Himmel eine Zusammenarbeit mit der japanischen Firma Conde House. Die Arbeit mit diesem Unternehmen hat mir richtig Freude bereitet und es war spannend in eine ganz andere ästhetische Welt einzutauchen.
Können Sie mir etwas über Ihr Interesse an der japanischen Kultur verraten?
Japan und seine Kultur haben mich schon immer interessiert. Bereits in meinem Studium war die japanische Kultur ein Thema. Meine Diplomarbeit wollte ich über japanisches Wohnen schreiben, aber mein Professor hielt mich zurück, indem er sagte: „Du musst erst einmal dort hinreisen, bevor du darüber schreiben kannst.“ Voriges Jahr war ich zum ersten Mal in Japan. Ich hatte eine Woche Zeit, um die Kultur kennenzulernen. Ich bin an allen wichtigen Plätzen Kyotos gewesen, habe mir die phantastischen Zen-Tempel angesehen, die kiesgeharkten Steingärten, die wunderschönen Tempelanlagen und den kaiserlichen Palast. Am stärksten beeindruckte mich das kaiserliche Landhaus Katsura. Es ist das schönste, was es in Japan gibt, ein perfektes Meisterwerk und in einer auffallenden Bescheidenheit errichtet. In Europa verbindet man einen kaiserlichen Palast mit Gold und Marmor. In Japan besteht er aus Lehm und Holz: schlicht, einfach und reduziert. Der japanische Weg der Bescheidenheit, den die Teemeister im 15. und 16. Jahrhundert prägten, spiegelt sich auch in der Architektur wider. Aber das heutige Japan bietet natürlich auch das komplette Kontrastprogramm. Tokio ist bunt, laut und schrill und voller Menschenmassen und diese Gegensätze existieren nebeneinander. Das ist Japan. Es hat mich sehr beeindruckt.
Hat diese Reise nach Japan auch Einfluss auf Ihr Design gehabt?
Natürlich hat sie das. Ich habe versucht, den Geist, das Besondere festzuhalten. Dabei habe ich mich an meine eigenen Wurzeln erinnert. Ich bin ein Designer, der vom Bauhaus und von Mies van der Rohe geprägt ist. Aber es gibt durchaus Verbindungen zwischen der Architektur von Mies van der Rohe und der japanischen. Mies baute ganz ähnliche Raumstrukturen wie die in den alten japanischen Palästen. Nicht ein Zimmer an das andere gereiht, sondern offene und fließend ineinander übergehende Räume. Die traditionellen japanischen Häuser wirken auch heute noch hochmodern.
Verbirgt sich hinter den von Ihnen entwickelten Produkten ein Gesamtkonzept?
Nein, das würde ich nicht sagen. Es gibt schon eine Leitlinie meiner Arbeit, die sich immer wieder zeigt. Aber das können Leute von außen meist besser erkennen als ich selbst. In meiner neuen Kollektion habe ich japanische Handwerkstechniken für die Verarbeitung von Holz aufgenommen. Nach alter Tradition verwenden sie abgelagertes Holz für den Bau von Massivholzmöbeln. Genau dort habe ich angesetzt, indem ich Massivholz mit modernen Materialien und Konstruktionen kombinierte. Zum Beispiel fertigen wir eine Tischplatte in der japanischen Ippongi-Technik, die „aus einem Stamm gefertigt“ bedeutet. Dafür werden über Jahre gelagerte Holzbohlen aus einem Stamm spiegelbildlich aneinander gefügt. So ergibt sich dann ein durchgehendes Maserungsbild, das durch schwalbenschwanzförmige Holzverbindungen gesichert wird. Diese Platte setzten wir auf eine moderne Edelstahl-Konstruktion. So entstand der Tisch aus der Tosai-Kollektion.
Wie kann man sich den Prozess des Entwerfens vorstellen?
Ich bevorzuge mit dem Zeichenstift zu arbeiten und meine Ideen auf direktem Weg, aus dem Kopf als Skizzen auf das Papier zu bringen. Durch das Übereinanderlegen mehrerer Schichten Skizzenpapier zeigt sich dann der Entwicklungsprozess. Im zweiten Schritt bauen wir Modelle und perfektionieren den Entwurf am PC. Dieser zweite Prozess ist genauso spannend, denn beim Umsetzen einer Skizze in ein reales 3-D-Bild auf einem Computer verändert sich am Entwurf noch sehr viel. Nebenbei ist es auch eine gute Kontrolle, ob er funktioniert und ob die Proportionen gelungen sind. Meine Mitarbeiter übernehmen das Zeichnen am Computer – wir sind ein Team, das gut zusammenarbeitet. Für mich persönlich gibt es keine Trennung zwischen Arbeit und Privatleben. Ich wohne in einer großen Jugendstilvilla, in der Wohnen und Arbeiten ineinander fließen und es keine Grenzen gibt. Sie steht in einer Siedlung, die aussieht wie aus dem 19. Jahrhundert mit alten Bäumen, großen Grundstücken und schönen alten Villen. Da herrscht noch eine heile Welt.
Die Villa ist eigentlich viel zu groß für mich, aber ich habe dort mein Atelier und mein Team, das ständig um mich herum ist. Neben Produktdesign entwerfen wir auch Messestände und bereiten Präsentationen vor – wir bieten ein Gesamtpaket. Das ist es, was ich als ganzheitliches Arbeiten ansehe, wir beschäftigen uns mit einem Thema vom Entwurf bis zur Präsentation des Produktes. Das führt zu optimalen Ergebnissen.
Was ist Ihre Definition von Schönheit?
Ausgewogenheit, gute Proportionen, Material, Ehrlichkeit. Auch die Emotionen müssen angesprochen werden. Trotz aller Ratio muss Design auch begeistern können. Das gehört meines Erachtens dazu. Es ist eine Menge, was man beachten muss [lacht], damit es schön ist. Aber es ist sehr schwer heute etwas Eigenständiges oder Neues zu entwerfen. Als ich vor einigen Jahrzehnten anfing, waren gute Sachen noch selten. Design war ein offenes Feld. Man brauchte nur irgendwo anzusetzen und konnte etwas Neuartiges schaffen. Heute muss man sehr lange arbeiten, um etwas Neues zu schaffen und nicht irgendeine Variante von bereits Bestehenden. Es gibt sehr viele Designer und sehr viele gute Produkte. In den 1960er und 1970er Jahren, als ich anfing als Designer zu arbeiten, gab es das Dänische Design, wir hatten Dieter Rams und es gab Interlübke. Gutes Design war rar – fast noch ein Nischenprodukt. Heute ist Design ein sehr ernstzunehmender Wirtschaftsfaktor. Viele Produkte werden nur für einen Augenblick gemacht, für die Aufmerksamkeit des Betrachters, für die Show. Aber nicht für das Leben damit. Ich finde solch „trendige“ Sachen ganz falsch.
Sind Sie der Meinung, dass deutsches Design sich von dem anderer Kulturen vor allem durch die Haltung unterscheidet, dass Designobjekte vor allem Nutzobjekte sind?
Nein, ich glaube, die Basis jedes guten Designs ist Funktionalität. Ein Möbel, ein Produkt muss benutzerfreundlich sein, in jedem Sinne. Und wer das nicht beherzigt, der ist kein guter Designer, der macht nur Showobjekte. Die Basis eines guten Designs ist erst einmal ein funktionales, industriell herstellbares Produkt. Damit muss man beim Entwerfen erst einmal anfangen, ehe man überlegt, was man noch attraktiver oder spannender gestalten kann.
Was sagen Sie zu der Aussage: Der Architekt ist der bessere Designer?
Das glaube ich überhaupt nicht. Obwohl ich auch nicht der Meinung bin, dass Architekten nicht designen können. Es ist falsch, dass heute alles so spezialisiert ist. Ich fände es viel besser, wenn die engen Grenzen der Branchen ein bisschen aufgehoben würden. Vor Jahren wurde ich von einer deutschen Hochschule gefragt, als Professor zu unterrichten. Sämtliche Lehrstühle waren spezialisiert und die Professoren unterrichteten entweder die Innenarchitekten oder die Designstudenten. Dazu sagte ich: Wenn ich bei Euch anfange zu arbeiten, dann müsst ihr mir einen Lehrstuhl zimmern, wo beides zusammenpasst, weil es zusammengehört. In Italien beispielsweise gibt es diese Spezialisierungen gar nicht. Die Studenten absolvieren die gleiche Ausbildung und spezialisieren sich, wenn überhaupt, erst hinterher.
Gibt es Ihrer Meinung nach derzeit Fehlentwicklungen im Design?
Nein. Memphis damals war wesentlich schlimmer. Heute dagegen ist es ruhiger. Aber es gibt bei jungen Designern einen Trend in Richtung des sogenannten Fun-Design. Es soll immer witzig sein. Ich bin skeptisch, ob das die richtige Herangehensweise ist.
Beim Rückblick auf Ihr Werk: Von welchen Designern und Architekten, aber auch Strömungen haben Sie sich beeinflussen lassen?
Zu verschiedenen Zeiten gab es verschiedene Einflüsse. Zu Beginn war ich fasziniert von Verner Panton und Paul Kjaerholm und dem finnischen Architekten Alvar Aalto, der so wunderbare Sachen entworfen hat. Skandinavien war das Design-Mekka damals. Später habe ich für die kleine deutsche Firma tecta gearbeitet, die sich mit der Reproduktion von Designklassikern beschäftigt. Axel Bruchhäuser, der Chef des Unternehmens, ist ein exzellenter Kenner der Designtradition des Bauhauses und kannte viele berühmte Designer der damaligen Zeit noch persönlich. Er hat mich angeregt, mich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Und seitdem beeinflussen der Stil des Bauhauses und vor allem Marcel Breuer und Mies van der Rohe meine Arbeit. Ich war gerade in Brünn und habe die Villa Tugendhat besichtigt. Das Originalgebäude aus den 1930er Jahren gehört jetzt dem tschechischen Staat, der es gerade restauriert. Ich habe es noch in seinem Urzustand gesehen. Vorher kannte ich es nur von Fotos oder Zeichnungen und war sehr beeindruckt von den Räumen, den schönen kreuzförmigen Stahlsäulen von Mies, die schon ein wenig verrostet dastehen. Oder der Tisch im Esszimmer, es ist eher eine Essnische vor einer halbrunden Wand, die ganz mit Nussbaumfurnier ausgekleidet ist und dort steht ein runder Tisch, dessen Platte etwa einen Durchmesser von zwei Metern hat und auf einem Mittelfuß steht. Kein Kreuz, nichts was ihn hält, ist zu sehen. Der Fuß des Tisches ist eine Säule, die durch die Decke gezogen und unten im Keller mit einem Betonklotz verankert wird. Und oben steht der Tisch und schwebt. Es ist einfach wunderbar.
Herr Maly, vielen Dank für das Gespräch.
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