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Rahbaran Hürzeler: Movable House

Im Interview erzählen die Architektinnen ihre Geschichte über das Movable House

von Jeanette Kunsmann, 06.12.2018

„Wir hatten bis jetzt immer großes Glück mit unseren Bauherren“, sagen Ursula Hürzeler und Shadi Rahbaran. Das aktuelle Projekt der beiden Architektinnen ist eher klein, umso größer das Experiment: ein 100-Quadratmeter-Wohnhaus, das sich wie ein Möbelstück auf- und abbauen lässt.

Die beiden haben ein gutes Händchen. Kennengelernt haben sich Shadi Rahbaran und Ursula Hürzeler in Basel. „Es gab eine Verbindung über die Arbeit mit und für Herzog & de Meuron, aber wir waren vorher nie im gleichen Büro tätig“, sagt Rahbaran. Sie hatte zuvor bei OMA gearbeitet, Ursula Hürzeler bei Herzog & de Meuron, seit sieben Jahren führen die beiden ihr eigenes Studio. Mit dem Movable House lassen sie sich auf eine besondere Art des Bauens ein: Architektur ohne konkreten Ort.

Es ist kein ganz gewöhnlicher Auftrag, ein Haus zu entwerfen, das sich wie ein Möbelstück wieder demontieren lässt. Wie kam es dazu?
Ursula Hürzeler: Die Bauherren wollten, dass wir ein Haus für sie planen –  aber sie wollten sich nicht festlegen: Das war die Ausgangslage. Als wir mit der Planung begonnen haben, gab es außerdem noch kein Grundstück. Für uns war das eine ungewohnte Situation, weil wir uns sonst in unseren Entwürfen immer sehr stark mit dem Ort auseinandersetzen.

Der Impuls ging also von den  Bauherren aus? UH: Ja. Der Bauherr leitet übrigens eines der progressivsten Ingenieurbüros, die wir hier in Basel haben. Wir kennen ihn schon länger und haben bereits bei einigen Projekten und Wettbewerben zusammengearbeitet.

Wie sind Sie an den Entwurf herangegangen – ohne einen konkreten Ort als Vorgabe? UH: Wir mussten ein Konzept entwickeln, das aus sich heraus stimmig ist –  mit der Vorstellung, wie es an verschiedenen Bauplätzen wirken würde. Es sollte kein Provisorium werden, sondern die gesamten Qualitäten eines normalen Wohnhauses haben. Aber es musste zerlegbar sein, einfach auf- und abzubauen. Diese Schritte bis hin zur Demontage haben wir im Entwurf natürlich mit bedacht.

Shadi Rahbaran: Es war eine andere Ausgangslage als bei einem Standardhaus, weil wir die zweite Phase des Hauses mit bedenken mussten. Wände, Boden und andere räumliche Elemente haben wir extrem reduziert und alle Schichten minimiert, um den Rückbau zu erleichtern. Dieser Gedanke interessiert uns schon länger. Bei unserem letzten Projekt haben wir zum Beispiel versucht, die Holzkonstruktion erlebbar zu machen. Bewohner und Besucher sollen das Tragwerk verstehen. Die Tendenz sind ja heute eher zu viele Schichten, sodass man die Konstruktion gar nicht mehr sieht. Die Statik erlebbar zu machen, da geht das Movable House noch mal einen Schritt weiter. Es hat keine Verkleidungen, keinen Putz, keinen Gipskarton. Im Gegenteil: Die statischen Wände sowie alle Installationen sind sichtbar.

Also geht es Ihnen auch um architektonische Ehrlichkeit? UH: Genau! Um das, was man heute durch die ganzen Vorschriften gar nicht mehr bauen kann.

SR: Unser Rohbau war schon der Schlussbau. Und für Architekten ist der Rohbau immer spannend, weil man eben noch nicht alles verdeckt.

Und wie haben Sie es geschafft, für dieses Experiment eine Baugenehmigung zu bekommen? UH: In Basel macht es keinen Unterschied, ob ein Haus nur drei Monate, drei Jahre oder 30 Jahre steht. Wir mussten also eine normale Baubewilligung einholen.

SR: Das war bei der Haustechnik und dem Energienachweis schon eine Herausforderung. Das Movable House ist ja quasi ein Glaspavillon.

UH: Die Fachhochschule in Basel hat die bauphysikalischen Nachweise übernommen, so konnten wir diesen Aufwand tragen und alle Daten dynamisch berechnen lassen.

Die Fachhochschule übernimmt auch die einjährige Messung der Raumtemperatur und des Verbrauchs von Heizung, Wasser und Strom. Gibt es schon Ergebnisse aus der Testphase? UH: Die Temperaturen im Haus waren bis jetzt immer sehr angenehm, obwohl wir diesen Sommer eine extreme Hitze hatten. Für technische Erkenntnisse ist es jetzt noch zu früh. Wie es sich im Winter verhält, müssen wir sehen.

Und wie fällt das bisherige Feedback der Bauherren aus? UH: Sie sind sehr zufrieden! Eine Rückmeldung von ihnen betrifft die Akustik, die überraschend gut ist. Da waren wir uns zunächst nicht ganz sicher, denn es gibt viele harte Oberflächen aus Glas und Beton.

SR: Die Schränke aus Holz absorbieren als große Volumen den Schall.

UH: Und räumlich haben sie das Gefühl, dass das Haus größer ist als die tatsächlichen 100 Quadratmeter. Sie wohnen dort gerade zu viert – mit zwei kleinen Kindern.

Die Testphase dauert ein Jahr. Was passiert danach? UH: Wie lange das Haus an diesem Ort stehen bleiben wird, wissen wir nicht. Die Bauherrschaft hat verschiedene Optionen. Vermutlich wird es in drei oder vier Jahren zu eng für die Familie. Man kann den Pavillon auch um ein weiteres Geschoss aufstocken. Da an dem jetzigen Standort nur eingeschossig gebaut werden darf, müsste das Haus dann komplett umziehen.

SR: Das Movable House ist nicht modular konzipiert. Man kann also keine Module anhängen und das Haus einfach so erweitern. Es soll eine Einheit bleiben.

Sie werden also keine weiteren Typen entwickeln? UH: Wir denken, der Grundriss an sich bietet genügend Flexibilität. Er ist extrem kompakt, und die Räume sind so geplant, dass sie verschiedenste Nutzungen aufnehmen können. Beim Prototyp werden gerade zwei Räume als Schlafzimmer und die anderen beiden als Wohnräume genutzt.

SR: Wir wollten ein Projekt schaffen, das auf 100 Quadratmetern möglichst viel Raumqualität bietet. Die Idee dabei ist, dass der Mittelraum alle Wohnflächen miteinander verbindet. Das Haus ist gut so, wie es ist: Die Dinge sollten in einem guten Gleichgewicht bleiben. 

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Links

Rahbaran Hürzeler Architekten

rharchitekten.ch

Weisswert, Basel

www.weisswert.ch

Movable House

Prototyp für ein Wohnhaus in Modulbauweise / 97 Quadratmeter / Basel, Sommer 2018

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