Menschen

Ricardo Bofill Jr.

Der katalanische Architekt über familiäre Bande und betonverliebte Primadonnen.

von Norman Kietzmann, 25.11.2014

Ricardo Bofill Jr. tritt in große Fußstapfen. Geboren 1965 in Barcelona, studierte er in Harvard und an der Rice University in Houston Architektur. Darüber hinaus absolvierte er einen Abschluss in Immobilienmanagement an der New Yorker Columbia University sowie ein Diplom in Filmwissenschaft an der University of California in Los Angeles. 1992 begann er im Architekturbüro seines Vaters zu arbeiten und übernahm 2012 die Leitung. Ein Gespräch über familiäre Bande, betonverliebte Primadonnen und das Gefühl, von jedem auf der Straße erkannt zu werden.

Herr Bofill, Sie sind im Büro- und Wohnhaus La Fabrica ihres Vaters aufgewachsen: einer 1973 umgebauten Zementfabrik bei Barcelona, die von der Natur umschlungen wurde. Inwieweit hat Sie das Gebäude beeinflusst?
Das Erste, woran ich mich erinnern kann, sind die Tunnel unter der Fabrik. Sie sind über sieben Kilometer lang und führen tief ins Erdreich hinein. Als ich noch ein kleiner Junge war, hat mich mein Vater dort hingeführt. Später habe ich die Transformation dieses grauen, langweiligen Kolosses in eine grüne Oase miterlebt. Ich glaube, dass mein Interesse an Raum zweifelsohne an diesem Ort geweckt wurde. Und doch hatte ich an einem bestimmten Punkt genug davon und bin in eine Wohnung in Barcelona gezogen. Wenn ich heute jeden Morgen zur Arbeit in die Fabrik zurückkehre, entdecke ich immer wieder etwas Neues. Dieser Perspektivwechsel war enorm wichtig für mich. Denn wenn man in einer Oase wohnt, verliert man leicht den Bezug zur Welt um einen herum.

Wann haben Sie begonnen, mit Ihrem Vater zu arbeiten?
Ich glaube in dem Moment, als ich geboren wurde (lacht). Meine Mutter wollte mich erst Alexander nennen. Doch mein Vater war dagegen. Er bestand auf Ricardo, weil ich nicht nur in seine Fußstapfen treten sollte, sondern ebenso in die meines Großvaters. In meiner Familie geht es zu wie in einer Renaissance-Werkstatt, wo der Stab von einer Generation zur nächsten weitergereicht wird. Also musste ich ein Teil von dieser Architekten-Dynastie werden. Dass mein Vater und ich denselben Namen und dieselbe Profession teilen, ist manchmal recht komisch. Doch immerhin kann ich so zur selben Zeit an zwei verschiedenen Orten sein (lacht).

Die Rolle des Architekten haben Sie wie vorhergesagt angenommen. Hat es Sie denn nicht manchmal gereizt, auszubrechen?
Ja, sicher. Wenn man in einen Container hineingeworfen wird, möchte man automatisch wieder heraus. Darum habe ich mehrere Jahre lang Filme studiert und viel geschrieben. Mit meinem Vater habe ich während meines Architekturstudiums zu arbeiten begonnen. Nach zwei Jahren in der Modellbauwerkstatt bin ich für zwei weitere Jahre ans Reißbrett gewechselt. Es war eine sehr klassische Ausbildung. Mein Vater war für mich immer diese Überfigur und ist es heute noch. Es ist unmöglich, das eins zu eins weiterzureichen. Denn jeder hat seine eigene Persönlichkeit und seinen eigenen Stil. Darum versuche ich heute, das Büro in eine andere Richtung voranzubringen.

Und die wäre?
Mein Vater hat sich intensiv mit Stadtplanung beschäftigt. Auch Wohnbauten spielten früh eine Rolle. Und zwar nicht nur Villen oder Luxusbauten, sondern ebenso große Viertel im sozialen Wohnungsbau. Den Menschen ein Dach über dem Kopf zu geben, ist die Mission der Architektur. Ich habe versucht, unsere Praxis in die Länder der Dritten Welt führen. Dorthin, wo wir nicht dieselben Möglichkeiten haben wie in Europa. Wie baut man, wenn einem nur 250 Euro pro Quadratmeter zur Verfügung stehen? Lassen sich dennoch Orte erzeugen, die den Menschen Würde geben? Das sind viel spannender Fragen, als Penthäuser in Manhattan, Miami oder London zu planen. Das ist absurde Architektur für die Interessen von Investmentbankern. Ich denke, dass bezahlbarer Wohnraum heute die größte Herausforderung der Planung ist. 
Wer in der Architektur für Aufsehen sorgen will, plant Kulturbauten, Stadien oder Bürotürme. Warum steht der Wohnungsbau – zumindest der im großen Maßstab – immer ein wenig im Schatten?
Weil die Vorgaben sehr streng sind. Jedes Land hat andere Gesetze, die bei Wohnbauten sehr viel strenger greifen als bei Bürogebäuden oder Museen. Wenn Sie eine Landmarke entwerfen, bekommen Sie im Zweifelsfall immer eine Ausnahmegenehmigung. Bei einem Apartmentgebäude können Sie das vergessen. Jedes Zimmer braucht ein Fenster. In Russland gibt es sogar die Vorgabe, dass jeder Wohnraum zwei Stunden Sonnenlicht am Tag erhalten muss. Selbst in Indien herrschen trotz aller Magie im Alltag recht strenge Bauregeln. Nach der Lehre des Vastu Shastra, dem indischen Feng Shui, müssen die Küchen immer nach Osten ausgerichtet sein. Um diese Dinge zu verstehen, arbeiten wir immer mit Architekten vor Ort zusammen. Dieser Prozess beginnt sehr früh und umfasst nicht nur die Phase der Bauausführung. Wir planen nicht in Barcelona und verschicken dann die Pläne in alle Welt. Um gut zu bauen, müssen wir uns auf den Ort einlassen. Genau wie Ärzte.

Wie Ärzte?
Ja, wie geht es denn heute dem Patienten? Was fehlt ihm? Es macht keinen Sinn, die eigenen Träume aus dem Urlaub mitbringen und jemand anderem aufzudrängen. Wer wohnt in diesen Gebäuden? Wer sind die Protagonisten? Welche Bezüge ergibt die Stadt? Es dreht sich nicht um dich als Architekt, sondern um die, die in deinen Gebäuden leben werden. Genau das versuchen wir in unserem Büro: Wir wollen eine erdige Architektur erzeugen, die aus dem Ort heraus entsteht. Natürlich ist es wichtig, eine eigene Vision im Kopf zu haben. Doch sie sollte immer wieder angepasst werden. Im mediterranen Raum ist diese lokale Prägung recht weit verbreitet. Auch Gaudí war ein regionaler Architekt. In Nordeuropa sehen wir heute das Gegenteil: Norman Foster entwirft ein Gebäude in London und exportiert es irgendwohin in die Welt. In diesem Falle müsste man auch die Materialien exportieren. Doch das widerspricht der Idee vom Kilometer Null. Mit Architekten verhält es sich häufig wie mit Schauspielern: Je berühmter sie werden, desto größer ihre Entourage. Und plötzlich verlieren sie den Kontakt zur Realität. Es gibt viel zu viele Primadonnen in diesem Geschäft. 

Dennoch bleiben selbst Stararchitekten auf der Straße weitgehend unerkannt. Sie selbst sind durch Ihre Ehe mit Chabeli Iglesias, der Tochter des Sängers Julio Iglesias, in den neunziger Jahren in den Fokus der Öffentlichkeit gelangt. Können Sie in Spanien überhaupt noch über die Straße gehen? 
Natürlich ist es schmeichelhaft, wenn einen die Leute auf der Straße begrüßen. Auch hilft es im Restaurant, einen Tisch zu bekommen. Doch berühmt zu sein, hat auch etwas Fürchterliches. Mit der Privatsphäre ist vorbei, egal wohin man fährt und was man tut. Nicht du beobachtest deine Umgebung. Deine Umgebung beobachtet dich. Das macht einen manchmal richtig fertig. Aber zum Glück kennen nur die Leute in Spanien mein Gesicht. Wenn ich nach Indien fahre, bin ich ungestört und kann mit jedem reden. Es ist schön, von den Menschen ein direktes Feedback zu erhalten, ohne gleich wie ein Tier im Zoo begafft zu werden.

Würden Sie sagen, dass Ihnen das Erscheinen in den Boulevard-Blättern als Architekt geholfen oder eher geschadet hat?
Ich würde nicht sagen, dass es hilft. Im Gegenteil. Die Herausforderung steigt, weil viele denken, dass man nur etwas aufgrund seiner Bekanntheit erreicht hat. Architekten umgeben sich gerne mit der Machtelite und fühlen sich auf diesem Parkett zuhause. Wenn dann jemand wie ich von den Boulevardblättern kommt, wirkt das sofort befremdlich. Ich glaube nicht, dass sich die Architekturszene und die Popkultur jemals verstehen werden. Doch warum eigentlich nicht? Was spricht dagegen, wenn sich das Bauen und die Massenmedien vermischen? Im Grunde genommen sollten sie es viel öfters tun (lacht).

Vielen Dank für das Gespräch.

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Ricardo Bofill

Taller de Arquitectura

www.ricardobofill.com

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