Rodney Kinsman
Die britische Designlegende im Gespräch.
Er ist eine britische Designlegende: 1943 in London geboren, studierte Rodney Kinsman an der Central School of Art und gründete 1966 mit seinen Kommilitonen Jure Oleynik und Bryan Morrison die Firma OMK, die er den Siebzigerjahren in eigener Regie weiterführt. Zu seinen Entwürfen gehören nicht nur der Lochblechstuhl Omstak, sondern ebenso die weltweit eingesetzten Systeme Trax und Transit zur Bestuhlung von Flughäfen und Bahnhöfen. Im Interview verrät Rodney Kinsman, warum er auf Kuba beinahe als Spion verhaftet worden wäre.
Rodney Kinsman, im Gegensatz zu Ihren meisten Kollegen produzieren Sie ihre Entwürfe mit ihrer eigenen Firma. Wie kam es dazu?
Wir haben zu dritt nach dem College das Designbüro OMK gegründet. Aufträge zu bekommen, war zu dieser Zeit fast unmöglich. Also haben wir zwei Jahre gestrampelt, bis wir damit begannen, nicht nur zu entwerfen, sondern auch selbst zu produzieren. Das erste Möbel war der Lounge Chair T1. Er war glücklicherweise ein Auftrag von einer Modefirma. Mein Partner Bryan Morrison, der kurz darauf die Firma verließ und ins Pop-Business ging, kannte sich gut mit Verträgen aus. Er hat cleverer Weise einen Passus eingebracht, wonach die Rechte an uns zurückfallen, wenn der Stuhl nicht binnen eines Jahres in Produktion gelangt. Und als das passierte, haben wir den Stuhl selbst produziert. Damit hat alles begonnen.
Wie ging es danach weiter?
In den Sechziger- und Siebzigerjahren war Habitat die einzige moderne Möbelkette in Großbritannien. Über sie haben wir irgendwann 400 Stühle im Monat ausgeliefert, die bis nach Amerika und Australien verschifft wurden. 1971 habe ich den Omstak Chair entworfen: ein wirklich industrielles Möbelstück, das sich in hohen Stückzahlen pressen ließ. Es wurde in den Medien gut aufgenommen. Doch wir haben anfangs nur wenige verkauft. Erst als der italienische Hersteller Bieffeplast den Stuhl in Lizenz produzierte, ging es richtig los. Merkwürdigerweise dachten alle, es handle sich um ein italienisches Design.
Der kommerzielle Durchbruch ist schließlich mit Sitzmöbeln für Flughäfen gelungen. Wie sind Sie dazu gekommen?
Ein befreundeter Architekt hatte Anfang der Achtzigerjahre den Auftrag bekommen, den Flughafen Gatwick zu sanieren. Er kam zu mir und meinte, dass sie ein großes Problem hätten, weil das ganze Terminal voller entflammbarer Dinge sei. Also bat er mich, ein feuerfestes Sitzsystem aus Stahl zu entwerfen. Zufälligerweise ist die Design-Direktorin am Flughafen Gatwick kurz darauf zur British Rail gewechselt. Auch dort gab es große Probleme mit den Sitzbänken, die Betrunkene immer wieder auf die Gleise geworfen haben. Also kam sie wieder mit der Anfrage auf mich zu, ein Sitzsystem speziell für Bahnhöfe zu entwerfen, das vor Vandalismus sicher war.
Selbst bekannte Designklassiker werden oft nur in überschaubaren Stückzahlen hergestellt. Sie erreichen mit ihren Arbeiten tagtäglich Millionen von Menschen.
Ich fand es sehr erfrischend, mit Architekten und Flughäfen zu arbeiten. In der Welt des Reisens verstanden die Leute Modernität. Seitdem haben wir 300 Flughäfen rund um den Globus ausgestattet. Ebenso alle Basen der US-Armee, mit denen wir einen eigenen Vertrag haben. Es ist mir wichtig, dass Design eine wirklich lange Lebensdauer hat. Darum geben wir auch 25 Jahre Garantie. Einige der ersten Sitzbänke stehen heute noch immer am Flughafen Gatwick – nach 35 Jahren!
Was für ein Gefühl ist das, wenn Ihnen auf unzähligen Flughäfen Ihren Möbel bewegen?
Das ist schön und schlimm zugleich. Denn ich schaue natürlich immer nach, ob alles in Ordnung ist. Neulich bin ich in Gatwick gelandet und habe einige kaputte Sitze gesehen, die glücklicherweise nicht von mir waren. Also machte ich sofort ein paar Fotos. Die Leute dachten, dass ich spinne (lacht). Warum fotografiert dieser Typ kaputte Sitze? Das hat alle nervös gemacht. Einmal wurde ich in Singapur sogar festgenommen, als ich in einem Warteraum ein Foto gemacht habe. Sie meinten, man dürfe dort nicht fotografieren, weil ein Teil des Flughafens militärisch genutzt wird. Das schlimmste Erlebnis hatte ich auf Kuba, wo ich mich mit meinen Möbeln für eine Ausschreibung bewarb. Als ich zurückfliegen wollte, wurde ich von der Security aufgerufen. Sie haben meinen Koffer geöffnet und meinten: „Was ist das?“ Alles war voller Flughafenfotos. Sie waren total verunsichert, was ich vorhatte. Sie hielten mich für einen Spion. Das war wirklich lustig.
Ihre Entwürfe verbindet stets eine konstruktive Leichtigkeit.
Mein Vater war ein Luftfahrtingenieur. Als Kind hat er mich oft mitgenommen, um in den Fliegern zu spielen, während er gearbeitet hatte. Ich habe die Flugzeuge vollkommen roh gesehen. Die Kabinen waren unverblendet, die Sitze geöffnet. Man konnte die Skelette der Konstruktion genau erkennen. Wenn ich zurückschaue, war das sicher sehr einflussreich. Die beiden großen Probleme der Luftfahrt sind Festigkeit und Gewicht. Also sind Löcher in Oberflächen eingefügt worden, die nicht zur Dekoration dienen, sondern dazu, Gewicht zu sparen und die Steifheit des Materials zu erhöhen. Dass Flugzeuge aus Aluminium gebaut werden, ist nicht nur eine Frage der Gewichtsersparnis. Wenn das Material in der Höhenluft kalt wird, entwickelt es eine noch viel höhere Stabilität. Stahl hingegen zerbricht bei großer Kälte. Diese Zusammenhänge fand ich immer sehr faszinierend. Das ist sicher auch der Grund, warum es bei meinen Arbeiten eine Kontinuität gibt.
Seitdem Sie Flughafen und Bahnhöfe ausstatten, haben Sie um den privaten Wohnbereich einen weiten Bogen gemacht. Woran liegt das? Natürlich ist der Endkundenmarkt etwas glamouröser, und man bekommt mehr Aufmerksamkeit. Doch eine Handvoll Stühle an ein Geschäft zu verkaufen, bedeutet fast denselben Aufwand wie eine Order für einen ganzen Flughafen einzuholen, wo gleich tausende von Stühlen verkauft werden. Hinzu kommt die Marge. In den sechziger Jahren lag der Gewinnaufschlag der Händler bei 55 Prozent. Heute liegt er bei 300 bis 400 Prozent. Das ist unmoralisch und dumm. Denn man endet bei einem teuren Produkt, obwohl man es nicht will, und bleibt automatisch nur in kleinen Stückzahlen. Dabei sollte Design nicht teuer sein. Ein anderer Grund ist die kreative Seite.
Inwiefern?
Weil heute alles Retro ist. Man sieht auf den Designmessen fast nur noch Referenzen an die Vergangenheit. Das ist mir einfach genug. Man muss es besser machen. Entwürfe von heute, die aussehen, als wenn sie aus den Fünfzigern stammen, sind einfach nur lächerlich. Das Problem an Retro ist die Verengung des Blickwinkels. Es ist genau wie in einer sehr engen Straße, durch die man sich hindurchbewegt. In diese Richtung will ich nicht gehen. Also gibt es für mich im Retro keinen Platz.
Sie wollen sich nicht festlegen lassen?
Absolut. Ich bin in keinem Stil gefangen, auch wenn ich eher für eine technische Ästhetik bekannt bin. Man muss auch Raum lassen für andere Zugänge. Ich habe ein großes Landhaus mit alten Balken und Mauern. Dort stehen lauter Dinge, die ich mag: von Möbeln des Art-Deco-Designers Jacques-Émile Ruhlmann bis hin zu Arbeiten von Le Corbusier. Das Ergebnis ist modern und dennoch rustikal. Ich denke, dass es wichtig ist, sich nicht als Modernist oder Minimalist festzulegen. Nehmen Sie John Pawson. Er ist in seiner eigenen Welt gefangen. Wenn er sich davon distanzieren würde, wären seine Arbeiten kein Pawson mehr.
Er würde die Erwartungen enttäuschen…
Genau das ist sein Problem. Ich war einmal in seinem Haus in Notting Hill. Ein schönes viktorianisches Haus. Absurderweise wohnen ja fast alle Architekten in alten Häusern. Es ist Minimalismus pur. Selbst in der Küche ist alles leer und aufgeräumt. Ich ging auf die Toilette und suchte nach der Spülung. Ich schaute mich um und konnte sie einfach nicht finden. Dann habe ich aufgegeben und den Assistenten gefragt. Als ich zurückkam, fragte mich Pawson, ob ich alles in Ordnung wäre. Ich meinte: „Ja, aber es gibt ein Problem: Die Toilette ist voll“. Er fragte ganz entsetzt „Was?“ Ich meinte, wie kann man denn nicht die Spülung finden? Wie sich herausstellte, war sie hinter dem Toilettendeckel versteckt. Doch wenn er hochgeklappt ist, sieht man ihn nicht. Darüber haben wir dann beide viel gelacht!
Womit beschäftigen Sie sich, falls Sie nicht gerade Flughafenmöbel fotografieren und puristische Toilettenkabinen inspizieren?
Ich habe ein Weingut in Südfrankreich nahe Montpellier gekauft. Ich verbringe sehr viel Zeit dort unten, weil es eine gute Balance zum Londoner Leben bietet. Wir haben auch 1.000 Olivenbäume und produzieren unser eigenes Olivenöl zusammen mit einem französischen Partner. Es sind zusammen rund 20 Hektar. Zum Meer sind es mit dem Auto 20 Minuten. Einmal hat mich Kenneth Grange besucht. Normalerweise scheint fast immer die Sonne. Doch als es an einem Tag regnete, wollte er zeichnen. Er selbst war ja nie auf einer Kunstschule. Doch er fertigte wunderschöne Zeichnungen vom Haus und der Umgebung an. Die haben wir dann gerahmt und aufgehangen. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich sie sehe!
Vielen Dank für das Gespräch.