Menschen

Rogier van der Heide

von May-Britt Frank, 21.05.2010


Der niederländische Lichtdesigner Rogier van der Heide wurde 1970 in Bennebroek geboren und studierte an den Kunsthochschulen in Brüssel und Amsterdam. Bereits 1989 begann er als Lichtdesigner für kleinere Theaterinszenierungen zu arbeiten, bis hin zu Theater- und Opernaufführungen am niederländischen Nationaltheater. Nach einer einmaligen Mitarbeit an einem Architekturprojekt wechselte van der Heide das Metier und arbeitete bis 2003 als freier Lichtdesigner. Durch seinen für einen Lichtdesigner atypischen Lebenslauf entwickelte er stets ungewöhnliche Lösungsansätze, die ihm schon bald eine Bekanntheit einbrachten und zur Zusammenarbeit mit Architekten wie Zaha Hadid, Renzo Piano oder Hani Rashid führten. Er erhielt außerdem verschiedene Auszeichnungen, wie den Lighting Designer or the Year Award 1999 oder den Award of Excellence
im Jahr 2000. Seit 2004 arbeitete er für das weltweit agierende Ingenieurbüro Arup, das Dienstleistungen im Bauwesen anbietet. Am 1. März 2010 wechselte Rogier van der Heide zu dem niederländischen Hersteller Philips, wo er seither den eigens für ihn geschaffenen Posten des CDO (Chief Design Officer) im Unternehmensbereich Philips Lighting einnimmt. Wir trafen Herr van der Heide und sprachen mit ihm über die neue Freiheit im Lichtdesign, visionäre Ideen großer Unternehmen und wie man das beste Ergebnis aus sich herausholt.
 
 
Herr van der Heide, Sie sind seit dem 1. März CDO bei Philips Lighting. Herzlichen Glückwunsch!
 
Danke, danke (lacht).
 
Was ist Ihre erste Aufgabe?
 
Philips hat vor über 100 Jahren als Hersteller von Glühlampen angefangen. Im Produktdesign sind technische Aspekte und die Gestaltung inzwischen aber stark miteinander verwoben. Wenn man das von einem ganzheitlichen Standpunkt aus betrachtet, müssen Designer und Designagenturen verstärkt diese beiden Komponenten unter einem Dach vereinen. Gleichzeitig wenden sich technisch orientierte Unternehmen auch stärker dem Design zu. Meine erste Aufgabe ist es, daran mitzuwirken – natürlich mit einem ganzen Team an Leuten –, dass sich Design und Technologie weiter annähern, bezogen auf die Produkte, die wir auf den Markt bringen.
 
Wie kann man das verstehen? Können Sie ein Beispiel nennen?
 
Wir haben ein Produkt namens LivingColors. Es ist eine Leuchte, die die Farbe ändern kann. Tatsächlich ist es ein Hightech-Produkt, denn darin steckt ein Stück Technologie, die im Lichtbereich früher nicht möglich war. Wir können bereits seit einiger Zeit Farben mixen und sie mit einer Steuerung ausstatten, die es erlaubt, die Farbnuancen und Intensität der LEDs zu verändern. „LivingColors“ erlaubte uns jedoch erstmalig, eine Leuchte auf den Markt zu bringen, die intuitiv und einfach zu bedienen ist. Die Verbindung von Design und Technik macht es zu einem Produkt, das eine Bedeutung im Alltag der Menschen einnehmen kann, und nur dann kann es ein erfolgreiches Produkt werden.
 
Also sprechen Sie nicht darüber, eine Leuchte zu gestalten, sondern das Licht selber?
 
Ich spreche von beidem. Natürlich gibt es hunderte von Mitarbeitern bei Philips, die jeden Tag Produkte entwerfen. Sie haben ganz unterschiedliches Fachwissen und bedienen verschiedene Marktsegmente, in denen wir vertreten sind. Aber sie alle verbindet eine bestimmte Haltung gegenüber dem, was Design für unsere Kunden und für unser Unternehmen bedeutet – für die Stadt, für das Land oder unsere Kultur. Wir untersuchen und erforschen diese Dinge, und wir geben Erklärungen dazu ab. Die Aufgabe des Chief Design Officer ist also auch, die Designkultur im Unternehmen weiter zu entwickeln, was sich nicht ausschließlich auf  Produktdesign bezieht. Ich mache zwar auch mal einen Entwurf für eine Leuchte – wir arbeiten in Teams, und jeder kann sich dort einbringen. Aber der größere Teil meiner Arbeit besteht darin, die Designkultur bei Philips zu entwickeln und damit zum Markterfolg beizutragen.
 
Dann betrifft Ihre Arbeit nicht nur Philips Lighting, sondern das gesamte Unternehmen?
 
Unser Ansatz, Technologien so einfach und intuitiv wie möglich zu entwickeln, damit sie den Alltag der Menschen bereichern und verbessern, betrifft natürlich das gesamte Unternehmen. Doch es ist einmalig in der Geschichte unserer Lichtsparte, dass auf der Führungsebene ein Designer positioniert wird, um sicher zu stellen, dass in der Vorstandsetage Designbelange regelmäßig präsent sind. Ich halte das für eine visionäre Idee.
 
Philips hat vor einigen Monaten die italienische Firma Luceplan übernommen. Drückt das ebenfalls die neue Haltung des Unternehmens aus?
 
Das war natürlich eine strategische Entscheidung und folgt der gleichen visionären Idee. Wir haben übrigens auch andere Unternehmen im dekorativen Leuchtenbereich übernommen, wie etwa Modular Lighting Instruments. Wir besitzen aber auch eigene Marken wie Lirio und Eseo, die auch im dekorativen Leuchtensegment angesiedelt sind.
 
Sollen diese Firmen denn ihre Eigenständigkeit behalten?
 
Natürlich ist unser Ansatz bei Philips ganzheitlich. Wir betrachten Technik und Design als ein Ganzes, ebenso wie Marketing und Design – die Herangehensweise ist umfassend. Wir haben einen großen Respekt vor Luceplan, es ist eine großartige Marke, deren Namen und Kompetenz wir bewahren möchten. Aber gleichzeitig möchten wir weitere Bereiche von Philips von dem Designkapital, das in Luceplan steckt, profitieren lassen. Als Teil der großen Philips-Familie können wir das Potential von Luceplan nun erschließen und das gesamte Wissen zusammenbringen.
 
Wie ist das zu verstehen?
 
Sie können sich sicher vorstellen, dass in Eindhoven, am Hauptstandort von Philips Lighting, ein enormes technologisches Wissen anzutreffen ist. Und gleichzeitig besitzt Luceplan ein sehr hohes gestalterisches  Niveau. Dass wir nun alle in einem Team zusammenbringen und uns intensiv austauschen können, birgt ein ungemeines Potential, dass es so am Markt nicht gibt. Das ist unser Ziel.
 
Sie haben früher als Lichtdesigner bei Arup gearbeitet. Wie bringen Sie diese Erfahrung bei Philips ein?
 
Philips nimmt sicher eine andere Position im Lichtdesign eines Gebäudes ein als eine Beratungsfirma wie Arup. Wir stellen aber nicht nur Leuchtmittel her, sondern haben auch das Ziel, ganzheitliche Lichtlösungen anzubieten. Für uns ist dabei interessant, mit freien Architekten und Lichtdesignern zusammenzuarbeiten. Seit ich im Unternehmen bin, können wir sie noch besser unterstützen als früher. Mit meinem Hintergrund als Lichtdesigner „spreche ich die gleiche Sprache“ wie diese Berufsgruppe, verstehe ihre Fragen und Anforderungen. Dieser andere Zugang zur Zielgruppe ist wichtig. Wir können zu ihren Projekten in einer ganz neuen Weise beitragen und zwar nicht nur vom technischen, sondern ebenfalls vom gestalterischen Standpunkt betrachtet.
 
Haben Sie eine persönliche Design-Vision?
 
Meine Vision das Design betreffend ist, dass ein Unternehmen wie Philips seine Technologien erfolgreich in den Markt bringt. Das klingt jetzt nicht besonders konkret, aber deshalb ist es ja auch eine Vision. (lacht). Wie diese Implementierung stattfindet, ist vom jeweiligen Marktsegment abhängig, ob im Bereich Autobeleuchtung, Consumer-Licht und so weiter. In Eindhoven gibt es ein Labor, wo all diese Technologien entwickelt werden. Und die Lücke, zwischen dem, was dort entwickelt wird und dem, was die Verbraucher möchten und verstehen, schließt am Ende das Design. Design verbindet Technik und Nutzer, Soziologie, Ergonomie und menschliches Verhalten.
 
Was ist Ihre Vision zur Zukunft des Lichts im Wohnbereich – sagen wir in etwa fünf Jahren?
 
Im Wohnbereich wird die Gestaltung des Lichts zunehmend wichtiger, weil die Menschen ihren persönlichen Stil leben möchten, der sich aber auch kurzfristig – entsprechend der eigenen Stimmung – ändern kann. Wir tragen auch verschiedene Kleidung, je nachdem, wie wir uns fühlen, wohin wir gehen, was von uns erwartet wird. Wir glauben, dass das Interieurdesign in Zukunft stärker von kurzfristigen persönlichen Befindlichkeiten gesteuert wird. Gerade das Konzept von „LivingAmbiance“ wird hier in Zukunft noch einiges zu bieten haben. Selbst Lampen, die man bereits besitzt, können durch ein entsprechendes Vorschaltgerät integriert werden. „LivingAmbiance“ kann somit das gesamte Lichtkonzept der eigenen Wohnung verändern und damit komplett neue Raumeindrücke inszenieren – immer und immer wieder. Das heißt, ein zentrales Thema der Zukunft wird für uns vor allem die Freiheit in der Gestaltung des Lichts sein – ohne Einschränkung durch komplexe Technik oder Form. Wohin wir uns ja auch heute bereits bewegen mit unseren Steuerungssystemen, die viele unterschiedliche Szenarien im Lichtdesign ermöglichen. Die Verwendung von LED und die Digitalisierung der Lichtsteuerung unterstützen diesen Ansatz natürlich.
 
LED ist auch das Leuchtmittel der diesjährigen Light+Building gewesen.
 
Das stimmt. Wir haben kein Produkt ohne LEDs in unserer gesamten Präsentation in Frankfurt vorgestellt. LED ist eben das Leuchtmittel der Zukunft. Natürlich gibt es noch andere Leuchtmittel wie etwa organische LEDs, an denen wir auch arbeiten, und auf deren Basis wir erste Produkte im Markt haben. OLEDs werden in der Zukunft neue Freiheiten in der Gestaltung ermöglichen, sie werden biegsam und flexibel werden – was eine noch größere Freiheit für Produkt- und Lichtdesigner sowie Architekten bedeutet.
 
Was bedeutet „Freiheit in der Gestaltung“ für den Lichtdesigner?
 
Ein Beispiel: Wenn Sie eine Fassade zum „Glühen“ bringen möchten, musste man bisher eine Sonderkonstruktion erstellen, auf die die Leuchtkörper angebracht wurden – natürlich verändert und stört diese Konstruktion die Fassade, der Leuchtkörper ist im Weg, man wird von ihm geblendet. Durch die kleinen Abmessungen der LEDs, ihrem geringen Wartungsaufwand und ihrer langen Haltbarkeit hat der Lichtdesigner nun die Möglichkeit, die Leuchtmittel an der Stelle zu platzieren, wo er will – ohne Kompromisse. Das gilt natürlich genauso für die Gestaltung von Leuchten.
 
Sie haben fast zeitgleich zur Light+Building auch eine Installation in Mailand für Swarovski Crystal Palace ausgeführt. Wie finden Sie die Zeit für all ihre Projekte?
 
Ich habe immer viel gearbeitet. Wenn man etwas mit Leidenschaft macht, macht das auch sehr viel möglich. Es stimmt, ich habe eine Installation für Crystal Palace auf dem Salone del Mobile präsentiert, die von Swarovski gesponsort wird – übrigens auch ein Partner von Philips, mit dem wir Produkte für die Sparte Consumer Lifestyle entwickelt haben. Es war schon etwas stressig, aber es lief gut. Ich habe ein fantastisches Team, das die Skulptur gebaut hat, übrigens in Handarbeit: 2000 frei hängende, von farbigen LEDs angestrahlte Swarovskikristalle, die eine fliegende Wolke simulieren. Durch das farbige Licht schien es, als würde sich die Wolke bewegen. Ich sehe die Skulptur als eine fundamentale Auseinandersetzung mit dem, was Licht ist – Reflexion, Bewegung und Farbänderung über die Zeit. Es ist eigentlich ein Fest des Lichts.
 
Das hört sich an, als hätten Sie viel Spaß, an dem, was Sie machen.
 
Als Designer muss man das haben, sonst bekommt man nicht das beste Ergebnis aus sich selbst heraus. Designer stecken sehr viel von sich selber in ihre Arbeit, was diese individuell und möglicherweise erfolgreich macht. Gleichzeitig müssen Designer natürlich auch ihr Umfeld verstehen, die Welt, in der ihre Produkte bestehen müssen. Designer, die sich nur auf sich selbst beziehen, sind eigentlich Künstler. Ein Designer muss die Bedürfnisse des Marktes erkennen und sie mit dem technisch Machbaren und dem ökonomisch Möglichen verbinden können.
 
Vielen Dank für das Gespräch.
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Philips Lighting

www.lighting.philips.de

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