Menschen

Rolf Fehlbaum & Ronan & Erwan Bouroullec

von Norman Kietzmann, 14.01.2013


Ronan und Erwan Bouroullec wirken auf den ersten Blick noch immer wie schüchterne Jungen. Und doch sind die beiden Brüder aus der Bretagne längst ganz oben in der Designwelt angekommen und entwerfen für Kunden wie Vitra, Magis, Cappellini, Kvadrat oder Ligne Roset. Dass ihnen der Sprung gelungen ist, verdanken sie vor allem Vitra-Boss Rolf Fehlbaum, der 2001 auf sie aufmerksam wurde und seitdem eng mit ihnen zusammenarbeitet. Entwürfe wie das Office-System Joyn (2002), das Sofaprogramm Alcove (2006) oder der modular komponierbare Raumteiler Algues (2004) sind nicht längst nur zu neuen Klassikern geworden. Sie haben die Typologien und Sehgewohnheiten von Möbeln ein Stück weit neu erfunden. Auf der Kölner Möbelmesse imm cologne wurden
Ronan und Erwan Bouroullec als A&W Designer des Jahres 2013 ausgezeichnet. Ein Gespräch über den Prozess des Entwerfens, Naivität als Stärke und das Erlernen von Geduld.
 

Herr Fehlbaum, Sie arbeiten nun schon seit zwölf Jahren mit Ronan und Erwan Bouroullec zusammen. Das ist schon fast eine Ehe...

 
Rolf Fehlbaum: Ich weiß nicht, ob ich es Ehe nennen würde. Wir sind ja beide nicht monogam. Wir arbeiten mit anderen Designern und Ronan und Erwan arbeiten auch mit anderen Herstellern. Ich würde sagen, es ist eine enge und respektvolle Beziehung, die von Sympathie getragen ist.
 
Inwieweit hat sich das Verhältnis seit den Anfangsjahren verändert?
 
Ronan Bouroullec: Am Anfang waren wir natürlich sehr naiv. Das war auch eine große Stärke, weil in dieser Zeit neben dem Büro auch das Zuhause in den Mittelpunkt bei Vitra gerückt wurde. Als wir das Programm Joyn entwickelt haben, war diese Naivität sicher hilfreich, um eine andere Atmosphäre in das Büro einzubringen und ein wenig außerhalb der Standards zu arbeiten. Aber natürlich sind wir heute nicht mehr ganz so naiv wie vor zwölf Jahren (lacht).
 
Rolf Fehlbaum: Die Naivität ist ein wichtiger Aspekt, weil es unmöglich ist, sie auf Dauer zu bewahren. Ich denke, dass die größte Gefahr im Design die Routine ist. Ein Routinier weiß viel über die Dinge, die er macht, kennt und gelernt hat. Er versteht die Produktion, die Kunden, die Märkte. Aber wie in der Kunst hat der Titel Routinier im Design keinen positiven Klang, eben weil die Frische verloren gegangen ist. Natürlich honoriert der Markt die Routine. Wenn Variationen von etwas anfertigt werden, das bereits bekannt ist und verstanden wurde, ist das Risiko überschaubar. Aber auf diesem Weg entsteht nichts Neues. Bis heute sind Ronan und Erwan glücklicherweise keine Routiniers geworden.
 
Es geht also darum, sich neuen Herausforderungen zu stellen?

 
Ronan Bouroullec: Das Problem der Spezialisten ist, dass die Ideenfindung in sehr klar definierten Parametern passiert. Darum möchte wir keine Spezialisten sein. Aber das ist natürlich auch eine Frage des Charakters. Die Designer, die bei Apple arbeiten, sind seit zehn Jahren zu enormen Spezialisten geworden und haben sich der Aufgabe auf eine geradezu wissenschaftliche Weise gestellt. Dennoch oder vielleicht auch gerade deswegen ist das Ergebnis interessant.
 
Erwan Bouroullec: Bei Apple haben sie das Glück, mit Technologien zu arbeiten, die sich ständig verändernden. Das erzeugt eine extreme Evolution, auch wenn sich die Sprache des Designs in den letzten zehn Jahren kaum verändert hat. Auch die Arbeit von Alberto Meda ist von einer ähnlich extremen Konstanz. Er konzentriert sich seit Jahrzehnten auf eine Sache und hat sie immer weiter perfektioniert. Dafür habe ich enormen Respekt, auch wenn wir selbst in eine andere Richtung gehen.
 
Genießen die Bouroullecs gegenüber anderen Designern bei Vitra eine gewisse Narrenfreiheit?
 
Rolf Fehlbaum: Es stimmt, dass sie einen grossen Spielraum haben. Mit den anderen Designern, die wir auch sehr mögen, ist der Prozess in der Regel klarer strukturiert. Ronan und Erwan sind spielerisch neugierig und sie wollen Überraschungen zulassen. Das Interessante ist, dass Ronan und Erwan selbst zwei sehr unterschiedliche Persönlichkeiten haben und als Brüder dennoch sehr eng zueinander stehen. Das ist fast so wie bei Charles und Ray Eames. Diese Art der Beziehung ist vor allem dann bereichernd, wenn beide nicht derselben Meinung sind. Wenn wir über einen Entwurf sprechen, argumentieren nicht nur sie auf der einen und ich auf der anderen Seite. Bei drei Meinungen entstehen ständig wechselnde Koalitionen, wodurch die Diskussion sehr spannend wird.
 
Sich unter Brüdern zu streiten, ist es etwas anderes als unter zwei Büropartnern. Schließlich kann man den anderen nicht einfach nach Hause schicken...
 
Ronan Bouroullec: Es gibt sicher eine größere Toleranz bei Konflikten (lacht). Auch können wir geradeaus sagen, was wir gerade denken. Ein gutes Projekt ist ja immer auch ein hartes Ringen. Erwan ist dabei oft optimistischer. Ich bin immer ein wenig kritischer. Wir ergänzen uns auf diese Weise ganz gut.
 
Rolf Fehlbaum: Dieser Zusammenhalt ist wichtig, weil der Designprozess oft sehr frustrierend ist. Warum geht das nicht? Warum das andere nicht? Meist geht es nur in kleinen Schritten voran und Fehlschläge gehören dazu. Wir haben heute morgen über ein sehr schönes Projekt geredet. Als ich das Modell gesehen habe, war ich sehr glücklich. Als wir dann mit unseren Produktionsleuten darüber diskutierten, mussten wir feststellen, dass es ein  technisches Problem gibt, für das wir derzeit keine Lösung haben. Dennoch darf man nicht aufgeben und muss überlegen, was sich daraus anderes entwickeln lässt.
 
Wie beginnen Sie ein Projekt: Steht von Anfang an ein Briefing im Raum?
 
Ronan Bouroullec: Der Prozess ist sehr organisch. Es ist eine permanente Diskussion, bei der nur schwer zu sagen ist, was von uns angeregt wurde und was von Rolf. Die Zusammenarbeit ist wie ein Zug, der ständig fährt und keinen Zwischenstopp einlegt. Wir sind im Kontakt, der manchmal intensiver und manchmal etwas weniger intensiv sein kann. Für die Projekte selbst gibt es weder ein Briefing noch sind der Preis oder andere Parameter festgelegt. Das ist wirklich sehr einzigartig im Vergleich zu anderen Herstellern. Es gibt bei Vitra eine enorme Romantik der Recherche. Wir probieren sehr viel aus und fangen trotzdem immer wieder von vorne an.
 
Rolf Fehlbaum: Die Frage ist immer, ob es nicht noch andere Optionen gibt, die vielleicht interessanter sind. Natürlich erzeugt diese Haltung Langsamkeit. Auf der anderen Seite sind wir keine Maschinerie, bei der sich alles nur um Produktion und Vermarktung dreht. Ich denke, dass man auch als Unternehmen dieses mechanische Denken vermeiden muss.
 
Um Schnellschüsse zu vermeiden?
 
Rolf Fehlbaum: Ja, es gibt einfach viel zu viele Produkte auf dem Markt. Warum soll man ein Weiteres hinzufügen, wenn man nicht überzeugt ist, dass man etwas zu sagen hat? Es ist wichtig, dass wir mit einem Projekt wirklich zufrieden sind, bevor wir es umsetzen. Sonst funktioniert es nicht. Dazu gehört auch die Freiheit, untereinander sagen zu können, wenn etwas nicht gut ist oder auch ein Projekt ganz aufzugeben.
 
Erwan Bouroullec: Rolf ist damit zufrieden, nie zufrieden zu sein, weil er dieses Projekt Vitra im Kopf hat. Er weiß genau, dass alles noch viel weiter gehen kann. Er weiß aber auch, dass diese Suche fast ins Unendliche führen kann. Es ist schwer zu erklären, wie sich ein Projekt im Einzelnen entwickelt. Aber diese Haltung wirkt wie ein unglaublicher Motor, anstatt zu blockieren. Ich denke, dass sich unsere Arbeitsweise dadurch insgesamt verändert.
 
Sie meinen auch gegenüber anderen Kunden?

 
Erwan Bouroullec: Ja, wir haben gelernt, dass ein Projekt systematisch attackiert werden muss. Wenn sich herausstellt, dass eine Idee nicht stark genug ist, muss man sie fallen lassen, anstatt sich sich in ihr verbeißen. Natürlich gab es früher Momente, in denen ich angefangen habe, zu fluchen und nicht mehr an eine Lösung zu glauben. Aber damit habe ich aufgehört. Wir probieren heute etwas aus und zerpflücken es. Danach versuchen wir etwas anderes und zerreißen es danach wieder in der Luft. Die Projekte brauchen dadurch enorm viel Zeit. Für manche Kunden ist das sehr beunruhigend, wenn wir ihnen nach sechs Monaten oder einem Jahr noch immer nichts schicken. Dabei haben wir in der Zwischenzeit mehr als 30 verschiedene Entwürfe und Modelle angefertigt, die wir allerdings verworfen haben. Ich denke, wir haben bei Vitra eine besondere Wahrnehmung von Zeit erlernt – und einen extremen Sinn für Geduld.
 
Wer ist der Urheber eines Entwurfs: Die Designer, der Hersteller oder beide zusammen?
 
Ronan Bouroullec: Es ist ganz sicher eine kollektive Intelligenz. Denn nicht nur die Designer haben Ideen. Es gibt so viele Personen, die an einem Designprojekt beteiligt sind, von den Prototypen über die Stoffbezüge bis zum Produkt im Laden. Die Interaktion mit anderen Personen ist geradezu monströs. Natürlich nimmt der Designer eine zentrale Position ein. Doch um Perfektion auf einem gewissen Niveau zu erreichen, braucht es eine kollektive Intelligenz. Ansonsten bleibt eine gute Idee nichts weiter als eine gute Idee.
 
Vielen Dank für das Gespräch.


Weitere Beiträge rund um die Kölner Möbelmesse imm cologne 2013 finden Sie in unserem Special.
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