Menschen

Hans-Jörg Müller

Der Innovationsmanager von Gira über moderate Updates und sanfte Integration

von Kathrin Spohr, 16.12.2019

Gira steht im Schalterbereich für exzellente Designsysteme. Das überträgt das Traditionsunternehmen nun auf seine technischen Produkte. Im Interview erläutert Hans-Jörg Müller, Leiter für Produkt und Design bei Gira, wie sich Smart Home und IoT entwickeln, warum es Sinn macht, sich auf wenige Systeme zu konzentrieren und was Gira aktuell mit der Start-up-Szene Berlin verbindet. 

Technologien im Bereich der Gebäudesteuerung entwickeln sich höchst rasant. Wie geht Gira mit dieser Herausforderung um? Gira-Produkte müssen nicht jeden Schnickschnack können. Soll heißen, wir offerieren keine technischen Gadgets. Unser Ziel: Neuentwicklungen im Bereich von Apps und Bediengeräten sollen gleich sein. Dabei soll möglichst alles aus einer einzigen App heraus steuerbar sein. Das Interface der zentralen Bedienstelle an der Wand soll genauso aussehen wie das der App. Themen wie Langlebigkeit, leichte Bedienbarkeit sind hier wichtig. – Es ist eine große Herausforderung, ein seriöses, langlebiges und gut bedienbares Smart Home System für Handwerker in der Installation und gleichzeitig für den Endkunden in der Usability zu schaffen!

In der Technik passiert derzeit mehr als im außen sichtbaren Design? Bedingt. Denn das Interface Design spielt eine sehr große Rolle. Da geht es uns um stete, aber sanfte Verbesserungen. Wir vermeiden den gestalterischen, harten Cut, den man aus dem Automobildesign kennt: Wer heute sein Auto wechselt, hat aufgrund der Technik mitunter Schwierigkeiten, es überhaupt an den Start zu bekommen.

Also ein nutzerorientiertes Interfacedesign… Genau. Visuell gelernte Dinge, die gut waren, werden adaptiert. Neue Funktionen sollen möglichst einfach und nachvollziehbar integriert werden. Die Perspektive ist eine gute User Experience.

Wie finden Sie heraus, was die Nutzer brauchen, mit welchen Interfaces sie gut zurechtkommen und was überfordernd bzw. unnötig ist? Wir denken heute nicht unbedingt in neuen Produkten, sondern in Releases. Produkte werden ge-updated: das gleiche Produkt und vielfach andere Funktionen. Man kennt das von Navigationssystemen. Dabei gehen wir moderat mit neuen Funktionen um. Bei wichtigen Kernprodukten haben wir ein bis zwei Updates pro Jahr, bei denen wir auch wiederum maßvolle Funktionserweiterungen vornehmen. Wir überfordern den Kunden nicht mit zig Erweiterungen, die möglich wären. Wir selektieren sehr genau, beschränken uns auf das Nötige. – Schließlich bewegen wir uns auch nicht im Bereich Consumer Electronics, sondern in der Architektur, im Gebäude.
Unser Usability Team führt Labortests durch. Eine Agentur unterstützt uns bei der Auswahl der Probanden. Danach werden die Produkte in der Regel noch einmal überarbeitet. Schließlich folgt ein Feldtest, wo die Produkte auf ihre Verarbeitung geprüft werden, wo Installation und Umgebung vor Ort ausprobiert werden.

Bei einigen Schaltersystemen stehen über 300 Funktionen der modernen Gebäudetechnik zur Verfügung. Wie schafft man da für die Kunden, die Interior Designer, Orientierung? Die Design- und Architekturszene muss gar nicht so tief in die Komplexität von Funktion und Technik einsteigen. Sie sucht ein System aus, das formal zur Architektur passt. Es sind beim Objekt die Elektroplaner, Systemintegrateure oder im Home Bereich die Installateure, die täglich an Schulungen bei Gira teilnehmen, sich bestens auskennen und die Designer dann beraten.

Intelligente Gebäudetechnik im Wohnbereich soll bis zum Jahr 2021 bei 30 Prozent aller Immobilien eingesetzt werden, ist auf Ihrer Website zu lesen. Wie hat sich der Bereich Smart Home in den letzten Jahren bei Gira entwickelt? Sehr dynamisch. Das Wachstum liegt heute bei großen, hochwertigen Mehrfamilienwohnkomplexen in urbanen Zentren. Beim Verkauf und Wert dieser Wohnungen spielt auch die technische Ausstattung eine große Rolle. Man kann mit relativ einfachen Mitteln eine ordentliche Smart Home-Umgebung aufbauen. Auch im ländlichen Bereich werden aktuell viele Häuser aus Siebzigerjahre-Siedlungen saniert, inklusive der Elektroinstallationen. Es ist dabei schon fast Standard, IP Kabel zu verlegen und Kameras zu installieren. Wer also heute Wohnraum anbietet, der auch in 20-30 Jahren aktuell sein soll, kommt nicht mehr an Smart Home vorbei.

Welche sind derzeit die beliebtesten Anwendungen? Smart Phone ist gleich Smart Home, das Einwirken von außen auf die Immobilie: Licht, Heizung, Jalousie. Anwesenheitssimulation und Sicherheit, Türkommunikation aus der Ferne. Rauchmelder, die heute Pflicht sind, lassen sich ebenfalls einbinden. Anders als andere Hersteller bieten wir all diese Funktionen mit einem einzigen System an. Das Thema Audio. Wir kooperieren mit der Marke Sonos, deren Produkte von unseren Geräten aus steuerbar sind. Außerdem rückt das Energiemanagement immer mehr ins Zentrum: Wenn zum Beispiel Photovoltaik eingebunden wird oder auch Elektromobilität. Sinnvoll ist etwa das Überprüfen des Ladezustands des Fahrzeugs, man erhält Push-Nachrichten mit der Info, dass das Auto jetzt für 150 km fahrbereit ist oder ähnliches.

Bluetooth Mesh wird zunehmend als Möglichkeit gesehen, Lichtsteuerungen ganz ohne Installation von Zusatzhardware und Kabel zu ermöglichen. Szenarien gehen weiter: Dabei sollen Leuchten mehr und mehr als Infrastruktur für Funkvernetzung und -steuerung von Geräten der intelligenten Haustechnik dienen. Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein? Wir haben uns bewusst für das vielseitige, leistungsstarke KNX-System (kabelgebunden und Funk) entschieden. Es bietet zahlreiche Vorteile: Es ist ein offenes, herstellerunabhängiges System. Ein internationaler Standard. Die KNX Association umfasst circa 500 Marken. Man hat damit Zugriff auf etwa 10.000 Produkte, die miteinander kompatibel sind.

Alles kann heute miteinander vernetzt werden: Kühlschrank, Staubsauger, Rasenmäher, etc. Macht Gira beim IoT mit? Wir haben eine Alexa-Anbindung integriert. Dabei ist interessant: Auf Messen fragt etwa jeder zweite nach einer Alexa-Anbindung – im Doing sackt die Zahl dann ab, weniger als 20 Prozent verwenden Alexa tatsächlich in der Gebäudesteuerung.

Warum diese Diskrepanz? Wir nehmen an, dass die Menschen am Ende eben doch nicht mit ihrem Gebäude reden möchten, sondern mit ihren Partnern.

Wie sehen Sie die gegenwärtigen IoT-Entwicklungen? Marketing-Gimmick oder Alltagsrealität? Wir schauen uns die Trends der IFA selbstverständlich an: Aktuell sind sämtliche Produkte mit WLan netzwerkfähig ausgestattet. Die Verbraucher gehen davon aus, dass die Produkte miteinander kommunizieren. Es ist aber nicht so. Wir haben uns daher an die Internetplattform IFTTT, If This Than That, angedockt, ein Anbieter für die individuelle Verknüpfung von Webanwendungen. IFTTT verbindet einfache Funktionen bei Produkten von über 300 Marken. Wer in seinem Smart Home unseren X1 nutzt, könnte mithilfe von IFTTT den Staubsauger seine Dienste tun lassen, während die Beleuchtung im Haus ausbleibt. Über IFTTT ergeben sich also viele Optionen. Wenn man Standards nutzt, kann man funktional dazugewinnen! 
Das direkte Einbinden anderer Marken ist für uns nur bei zentralen Funktionen wie Heizsteuerung mit Tado oder eben Sonos Audio relevant. Bei anderen Anwendungen, die für den Verbraucher interessant sein können, empfehlen wir, IFTTT zu nutzen.

Gira tut sich mit jungen Start-ups zusammen, wie etwa Senic aus Berlin. Woran haben Sie zuletzt gearbeitet? Auf der IFA 2019 wurde der kabel- und batterielose Schalter Friends of Hue gelauncht. Diesen Schalter, mit dem sich alle Smart Home-Geräte aus der Philips-Hue-Welt digital per Knopfdruck steuern lassen, haben wir gemeinsam entwickelt. Er wird bei Gira hergestellt. Eine weitere Entwicklung ist der Ende letzten Jahres auf den Markt gekommene Sonos-Schalter nuimo click.

GNERATOR heißt die Gira-Gründerinitiative, die innovative Themen der Start-up-Szene aufspürt und nach potentiellen Partnern wie etwa Scenic Ausschau hält... Gnerator haben wir 2018 in Berlin gegründet. Dort arbeiten Gira-Trendscouts, welche die europäische Start-up- und Tech-Szene im Blick haben, Unternehmen besuchen, Ideen kuratieren. So sind wir sehr nah an den aktuellsten Trends und Entwicklungen, schauen uns alles genau an. Alle zwei Monate etwa findet ein sogenannter Pitchday statt. Da stellt ein Start-up ein neues Produkt oder eine Technologie aus dem Bereich Gebäudesteuerung hier bei Gira in Radevormwald vor. Nicht selten finden sich spannende Inspirationen für Produkte oder Kooperationen, die wir schnell adaptieren. Es ist ein gegenseitiges Unterstützen: Die Start-ups profitieren vor allem von unserem Know-how zum Beispiel hinsichtlich Serienproduktion, Vertrieb und Prozess. Wir gewinnen von der Start-up-Kultur, probieren zum Beispiel andere Kollaborationsformen aus, um schneller und agiler unterwegs zu sein. – Es ist uns sehr wichtig, uns immer wieder für Neues zu öffnen.

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