Sevil Peach
Sevil Peach will die Welt verbessern – wenigstens am Arbeitsplatz. Die 1949 in der Türkei geborene Innenarchitektin setzt sich seit über 15 Jahren für menschlichere und produktivere Arbeitsumgebungen im Büro ein – mit großer Ernsthaftigkeit und feinem Humor. 1994 gründete sie ihr eigenes Studio SevilPeach Architecture+Design in London. Für den Schweizer Möbelhersteller Vitra richtete Peach 1997 erstmals ein neues Büro auf dem Campus in Weil am Rhein ein. Daraus erwuchs eine bis heute andauernde Zusammenarbeit; zahlreiche Showrooms, Messestände, Ausstellungen und Arbeitsplatzkonzepte belegen den Erfolg der Kooperation. Daneben realisierte das Büro eine ganze Reihe von Projekten für internationale Kunden wie Sony, Mexx, Eczacibasi Holdings, Microsoft, die Tate Galleries oder den Novartis-Campus in Basel. Wir trafen Sevil Peach zur Orgatec 2010 in Köln und sprachen mit ihr über menschliche Bedürfnisse, gute Nachbarschaften und warum Kaffeeküchen in der Türkei keine Lösung sind.
Frau Peach, Sie sind Expertin für die Gestaltung von Arbeitsplätzen: Haben Sie in den vergangenen Jahren einen signifikanten Wandel beobachtet, worauf Ihre Kunden Wert legen?
Eine ganze Weile schon wünschen sich unsere Kunden bessere Arbeitsplätze. Sie haben erkannt, wie wichtig es ist, dass sich ihre Mitarbeiter begegnen und Wissen austauschen können. Und dass sie mit einer einladenden und menschlichen Umgebung gute Leute in ihrem Unternehmen halten können. Wir beschäftigen uns seit 1994 mit diesen Themen – damals hielt man uns für verrückt. Aber in den vergangenen 15 Jahren habe ich mit Vergnügen beobachten können, wie sich die Einstellungen gewandelt haben. Wir sind unseren eigenen Weg gegangen und mittlerweile gelten unsere Ideen als ganz aktuell. Trotzdem begegnen mir eine Menge Fehlinterpretationen von dem, was als gutes Büro gilt. Und auf einer Messe wie der Orgatec bekommt man leicht das Gefühl, solche Konzepte dienten vor allem als Verkaufsargument. Dabei liegt es letztlich am Gestalter, ob eine Arbeitsumgebung gelingt. Und nicht an den Möbeln.
Der große Trend im Büromöbelbereich, wie er auf der Orgatec 2010 zu beobachten war, sind Möbel, die Privatheit erzeugen sollen: Sessel mit hohen Lehnen, kojenartige Sofas ...
Das liegt daran, dass immer mehr Unternehmen die Vorzüge von Büros mit offenen Grundrissen erkennen. Firmen, deren Arbeitsplätze in Zellen organisiert sind, fürchten sich jedoch vor einer Umstellung. Die Mitarbeiter könnten offene Räume ablehnen, etwa wegen des Geräuschpegels oder mangelnder Privatsphäre – verständlicherweise. Man muss die Bedürfnisse der Menschen berücksichtigen. Wir tun das mit Hilfe von architektonischen Eingriffen: Wir schaffen Zwischenzonen, um Open-Space-Landschaften zu gliedern und aufzulockern, wir packen die Räume nicht voll mit Möbeln, damit die Menschen genug Platz zum Nachbarn haben. Wir kümmern uns um die Akustik. Das sind alles architektonische Mittel. Andere reagieren auf das Problem, indem sie ein Produkt entwickeln, das Privatheit erzeugen soll. Das kann auch funktionieren. Es geht letztlich um eine Balance zwischen dem Einsatz von architektonischen Mitteln und von geeigneter Möblierung. Die alleinige Nutzung von bestimmten Produkten zur Erzeugung von Privatsphäre führt zu Monotonie.
Aber Sie stehen trotz des Trends zu diesen Möbeln immer noch hinter Ihren Ideen ...
Wir haben für unsere „Mission“ gekämpft. Aber uns ging es nicht so sehr um die Frage, ob ein offener oder zellenartiger Grundriss besser ist. Wir wollen Umgebungen schaffen, die menschlich, vernünftig, inspirierend sind – schließlich verbringen wir viel Zeit im Büro. Und das sollte unsere Bedürfnisse erfüllen, seien es Privatsphäre oder Austausch. Eine schreckliche Vorstellung, wenn der einzige Rückzugsort am Arbeitsplatz die Toilette ist! Es geht um die Dynamik und die Psychologie von Menschen, ihre Hochs und Tiefs im Laufe eines Tages.
Während einer Podiumsdiskussion zur Arbeit im offenen Raum vergangenes Jahr bei Vitra in Weil am Rhein betonten Sie die Bedeutung des menschlichen Maßstabs. Aber wie entwirft man einen open space mit menschlichem Maßstab? Das Podium schien sich auf den Begriff „Nachbarschaft“ einigen zu können – eine Gruppe von Kollegen, die acht bis 15 Leute umfassen dürfte.
Ich kann nur von unseren eigenen Erfahrungen sprechen – ein Patentrezept habe ich nicht. In unserem eigenen Büro können wir bis zu zwölf Leute unterbringen, ohne dies unangenehm zu finden. Bei fünfzehn Personen fängt es an, kritisch zu werden. In diesem Rahmen fühlen wir uns wie eine Familie. Deswegen lassen wir uns bei unseren Planungen von unserer eigenen Bürogröße leiten. Wenn wir es also mit einem sehr großen Raum zu tun haben, versuchen wir, diesen zu analysieren und mit verschiedenen architektonischen Eingriffen in kleinere Bereiche zu gliedern, um eben diesen humanen Maßstab zu erzeugen. Damit die Menschen, die im offenen Raum arbeiten, sich immer noch aufgehoben in ihrer Gruppe fühlen können. Wichtig ist dabei, dass diese Gruppen weiterhin durch Sichtbeziehungen miteinander verbunden sind. Das Büro, das wir für Vitra eingerichtet haben, ist vielleicht etwas ungewöhnlich, weil es sich in einem Fabrikgebäude befindet. Obwohl heutzutage viele Büros Fabrikgebäuden ähneln ...
Sie arbeiten bereits seit zwölf Jahren mit Vitra zusammen ...
Es ist eine gute Zusammenarbeit, von der beide Seiten profitieren. Es ist schön, wenn ein Kunde von einem lernen kann und umgekehrt. Wir konnten eine Menge unserer Ideen ausprobieren und weiterentwickeln.
Gab es irgendwann den Moment, in dem sie dachten: Ich möchte selbst ein Möbel entwerfen?
Ach, das denke ich oft. Aber ich verstecke mich dahinter zu sagen: Wir haben zu viel zu tun, es bleibt keine Zeit, sich auf Möbel zu konzentrieren. Aber wir finden, dass es eine Menge „Löcher“ im Markt gibt. Wir suchen etwas für eines unserer Projekte, müssen dann aber feststellen, dass es das gar nicht gibt.
Dabei gibt es so einen Überfluss an Möbeln – was fehlt denn in Ihren Augen trotzdem?
Ich finde, dass vielen Möbeln Sinnlichkeit und Emotionen fehlen, sie sind so technisch. Natürlich steckt in den Möbeln Technik drin, aber man sollte das nicht unbedingt sehen. Eine angenehme Arbeitsumgebung soll ein bisschen wie ein Zuhause sein: Man soll sich dort sicher und wohl fühlen. Und in so eine Umgebung will man wohl kaum all die Möbel stellen, die man auf der Orgatec sieht. Das ist die zentrale Schwierigkeit: ein Möbel zu entwerfen, das einerseits emotional ansprechend ist und andererseits die Anforderungen des Kunden wie Kabelmanagement oder Höhenverstellbarkeit erfüllt.
Vielleicht klingt das klischeehaft, aber ist eine Messe wie die Orgatec nicht eine Männerwelt?
Da kann ich nur zustimmen. In meinem Hotel wohnen nur Männer, die Einkäufer sind alle Männer, die Designer sind Männer ...
Und so sehen dann die Möbel aus?
Männer würden das wahrscheinlich lieber nicht hören, aber ich denke, vielen Möbeln fehlt so etwas wie weibliche Sensibilität. Das heißt aber nicht, dass weibliche Gestalter das zwangsläufig besser machen würden – wer weiß?
Wie läuft der Planungsprozess eines Projekts ab? Sprechen Sie mit den Mitarbeitern des Kunden?
Wenn ich darf: ja, denn das ist ein guter Ausgangspunkt. Natürlich gibt uns der Kunde ein Briefing. Aber ich möchte auch wissen, was die Mitarbeiter wollen. Das heißt nicht unbedingt, dass alle Wünsche vernünftig und machbar sind. Und oft haben die Leute auch gar keine Vorstellung davon, in was für einer Umgebung sie eigentlich arbeiten wollen. Sie akzeptieren die Gegebenheiten so leicht, keiner rebelliert oder entwickelt eigene Ideen. Weil sich niemand mal grundsätzlich fragt, was Arbeit denn bedeutet. Mal abgesehen davon, dass man damit seinen Lebensunterhalt verdient.
Und wie steht es mit Feedback, wenn ein Projekt fertig ist?
Das ist uns auch sehr wichtig – wir bleiben mit unseren Kunden nach dem Ende der Planung in Kontakt. Wie entwickelt sich das Unternehmen, hat sich das Verhalten der Mitarbeiter verändert? Gerade gestern habe ich eine schöne Erfahrung gemacht: Ich habe einen Brief von jemandem bekommen, der in den USA bei Microsoft arbeitet. Ich kenne ihn aus der Zeit, als wir den Sitz von Microsoft in Amsterdam planten. Er schrieb mir, dass das Projekt seine Erwartungen übertroffen hätte. Wenn er die Zentrale in Amsterdam besuche, dann fühle es sich an wie nach Hause kommen. So soll es sein: Man kann die Gestaltung einer Umgebung mögen oder nicht – wichtig ist, damit positive Gefühle bei den Menschen zu erzeugen.
Sie planen Arbeitsplätze in verschiedenen Ländern – wie gehen Sie mit kulturellen Unterschieden um?
Natürlich sollte man sich mit der Kultur auseinandersetzen und ihre Dynamik verstehen. Aber manchmal muss man die Kultur auch hinterfragen. Wenn es zum Beispiel sehr hierarchisch zugeht. Denn es gibt schon Möglichkeiten, Verhaltensweisen zu ändern.
Wollen Sie denn die Menschen verändern mit den Arbeitsumgebungen, die Sie planen?
Das kann ich nicht. Das klingt, als wäre ich ein Prophet. Es geht mir nicht darum, Menschen zu verändern, sondern als Katalysator zu wirken. Sie dazu zu bringen, nachzudenken, Fragen zu stellen und aufmerksam zu werden.
Sie sind ja in einer starken Position: Wenn Sie Arbeitsplätze gestalten, müssen die Menschen damit tagtäglich klarkommen.
Nehmen wir ein Projekt in Istanbul als Beispiel: Hierarchien sind dort sehr ausgeprägt. Als Gestalter muss man das respektieren – das muss mich aber nicht davon abhalten, trotzdem eine gute Arbeitsumgebung zu entwickeln. Ich frage mich immer, was kann man für die Menschen tun – innerhalb der Grenzen der Vorgaben. Dabei ist es egal, ob es um den CEO geht, eine persönliche Assistentin oder den Mann, der den Tee zubereitet.
Eine sehr wichtige Person in Istanbul ...
Allerdings. Das ist ein gutes Beispiel: Unser erste Reaktion auf die Aufgabe war, eine Kaffeeküche einzurichten, wo sich die Mitarbeiter treffen können. Aber die Tradition in der Türkei ist anders: Es gibt dort viele Arbeitskräfte, Menschen müssen beschäftigt werden, und deswegen lässt man sich seinen Tee von jemandem bringen. Und sie trinken viel Tee! Eine Kaffeeküche hätte nicht funktioniert, also mussten wir uns etwas Anderes einfallen lassen, um die Leute zusammen zu bringen. Ansonsten hätte der Teejunge seinen Job verloren. Das System funktioniert, warum hätten wir es verändern sollen?
Frau Peach, vielen Dank für das Gespräch.
www.vitra.com
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