Stefan Scholten
Die gestalterische Handschrift des niederländischen Designduos Stefan Scholten und Carole Baijings ist unverwechselbar: Sie schaffen die Balance zwischen minimaler Form und starken Nuancen. Seit der Gründung ihres Studios Scholten&Baijings im Jahr 2000 haben sie Möbel und Produkte für Pastoe, Royal VKB oder Established and Sons entworfen und mit ihren Farbwelten zwischen Pastell und Neon ihren Beitrag zur Markenidentität des dänischen Herstellers Hay geleistet. Wir trafen Stefan Scholten anlässlich der Möbelmesse in Mailand und sprachen mit ihm über Karneval im Netz, unsichtbares Stahlgeschirr und die Zukunft unseres größten Konsumproduktes.
Wer an Euch denkt, denkt an Farbe, an Verläufe und Muster. Eure digitale Repräsentanz ist aber ganz Schwarz-Weiß. Warum ist die Webseite auf Farbentzug?
Ist sie eigentlich nicht – also nicht, wenn man doppelklickt (lacht). Unsere Webseite existiert fast so lange wie unser Studio. Und als wir angefangen haben, mit Farbe zu arbeiten, da war da einfach Karneval. Deswegen sind wir auf Schwarz-Weiß umgestiegen. Mit Farben ist es so: Sie beeinflussen sich gegenseitig. Wer zum Beispiel ein Pink allein sieht, wird es anders beurteilen als neben einem Grün. Denn das Grün beeinflusst das Pink. Wir wollen vermeiden, dass die Farben sich gegenseitig verfälschen. Erst wenn man auf ein Projekt klickt, tritt es hervor.
Ist das nicht auch eine Analogie zu Euren Arbeiten? Eure Textilien, Möbel oder Accessoires sind durch die besondere Farbgestaltung im Raum auch irgendwie „tonangebend“.
Wir gestalten jedes Objekt für sich mit einer eigenen Aussage. Wenn man uns um den Entwurf einer Geschirrserie bittet, dann fragen wir uns: Wird jemand direkt ein ganzes Set kaufen? Manche mögen nur ein besonderes Stück, andere wollen einige Teile als Ergänzung ihres Bestandes oder stocken langsam auf. Trotzdem sind immer alle Elemente perfekt aufeinander abgestimmt. Ich glaube, dass das dem zeitgenössische Weg der Lebensausstattung entspricht: Erst wird ein Stück gekauft und dann später ergänzt.
Du sprichst über die Geschirrserie für Georg Jensen, die ihr gerade in Mailand vorstellt?
Ja, Jensen initiiert jedes Jahr eine neue Kollektion mit Autorendesignern. Zuerst arbeiteten sie mit Häberli, dann mit Ilse Crawford und nun mit uns. Weil Georg Jensen eigentlich bekannt ist für seine Stahlprodukte, dachten wir, es sei ein guter Moment, die Kollektion ein wenig softer zu machen. Der Titel ist übrigens ganz witzig, denn wir haben es Tea with Georg genannt.
War das Teil des Briefings, als sie Euch gefragt haben? Weicher zu werden?
Die Vorgaben waren relativ offen – es sollte nur in Richtung Tisch gehen. Wir haben uns dann für Tee und Kuchen entschieden und Porzellan als Material einbezogen, weil es Qualitäten mitbringt, die den Stahl wunderbar ergänzen.
Stahl ist ein schönes Material, aber wenn man zu viel davon hat, dann werden die Objekte auf dem gedeckten Tisch geradezu unsichtbar. Das liegt an der spiegelnden Oberfläche.
Porzellan ist ein eigenwilliges Material, das während des Brennens Größe und Form verändert. Wie ging das mit dem Stahl zusammen?
Das war tatsächlich eine immense Herausforderung. Die Kuchenplatte etwa besteht aus einer einfachen Porzellantafel und einem Stahlgestell. Das sieht nicht komplex aus, aber weil Platte und Gestell ineinander verankert sind, musste alles genau berechnet und getestet werden.
Das Porzellan ist fast so schlank wie die Metallteile. Wie bekommt man das hin?
Dünn und Porzellan sind eigentlich zwei Dinge, die nicht gut zusammengehen, weil Porzellan die Eigenschaft hat, beim Brennen zu schmelzen. Es gerät aus der Form und schrumpft. Dabei strebt die Masse zur Bodenplatte. Wenn man Teller so zart macht wie diese, haben sie die Tendenz, durch verzogene Unterkanten wacklig zu werden. Wir haben deshalb in Arita produziert. Das ist eine Region im Westen Japans, die für ihr besonders feines Porzellan bekannt ist. Über 400 Jahre Handwerks-Tradition haben dort zu phänomenalen Lösungen geführt. Sie haben sogar eine Technik des Spritzgusses für Porzellan entwickelt. Normalerweise werden Henkel und dekorative Details vorgeformt und angesetzt. In Arita aber wird das Porzellan in Form gegossen. Damit kann man wunderschöne Details umsetzen.
Ihr arbeitet im Studio als Duo. Hat da jeder sein eigenes Arbeitsfeld oder ist der Entwurfsprozess eher Ping-Pong?
Wir arbeiten konsequent eng zusammen. Wir beginnen mit einer Zeichnung und einer Idee, einem Impuls – dann kommentiert Carole, ich gebe ein Feedback... Das ist ein durchaus lebhafter Prozess. Und wir versuchen, von der Skizze immer so schnell wie möglich zu einem Endresultat zu kommen. Um dann nochmal von vorn zu beginnen, um wirklich alle Möglichkeiten so effizient wie möglich abzuklopfen.
Was passiert mit den vielen Entdeckungen, die ihr während dieses Prozesses macht, aber nicht verwendet?
Fast immer finden wir etwas, auf das wir zu einem anderen Zeitpunkt zurückgreifen. Mit jedem Projekt bleibt in unserem Studio eine Modell- und Materialsammlung zurück, eine Art Bibliothek, aus der wir uns wir uns bedienen können. An dem gesammelten Vokabular, an den Dingen, die uns gefallen, wachsen wir. Überschneidungen sind ein angenehmer Teil an unserer Art zu arbeiten.
Mit wie vielen Leuten arbeitet ihr im Team?
Gerade sind wir zehn.
Gibt es für dich einen Komfortbereich?
Acht ist eine sehr angenehme Anzahl, aber dann braucht man Leute, die gern ein bisschen härter arbeiten. Bei zehn Personen musst du schon sehr viel koordinieren. Denn wir möchten immer sehen was passiert, bei uns wirst du nie hören: „Hier ist das Konzept, arbeite es mal aus, wir sehen uns in zwei Wochen.“
Im letzten Jahr habt ihr gemeinsam einen Prototypen für Mini entworfen und Euch damit einem eher nüchternen technischen Objekt genähert. Wie war das für Euch?
Wir starten in jedem Projekt so naiv wie möglich, um offen zu sein. Tasse oder Auto – das macht keinen Unterschied. Aber: Gestalter dürfen nie aufhören, Fragen zu stellen. Warum wird etwas wie hergestellt? Manchmal hört man dann die Antwort: Weil wir es schon seit hundert Jahren so machen. Menschen sind so angelegt, dass ihre Offenheit nachlässt, wenn sie in einem Arbeitsfeld zu Hause sind. Uns ist es unglaublich wichtig, neugierig zu bleiben.
Ein Auto ist für viele ja nicht nur ein Gefährt, sondern auch ein sehr kleiner und multitalentierter Aufenthaltsraum. Wie seid ihr dem begegnet?
Wir wollten das Auto wie eine Zwiebel entblättern und schauen, was wir finden. Dabei kamen Teile zu Tage, die nie jemand zu sehen bekommt, die aber wunderschön sind und exzellent produziert. Wir beschlossen, uns auf Material, Räder und die äußere Erscheinung zu konzentrieren. Wir haben eine Studie zu Farbe und Textur gemacht und wieder Fragen gestellt: Warum etwa muss ein Auto geschlossen sein? Am Ende war der Prototyp wie ein großes Skizzenbuch, aber ein gebautes.
Was hat Mini aus der gemeinsamen Arbeit mitgenommen?
BMW hat in München eine Designabteilung mit 600 Designern und 7000 Ingenieuren. Ich kann also davon ausgehen, dass sie sehr wohl wissen, wie man ein Auto entwirft. Aber die Autoindustrie ist strengen Regularien unterworfen, muss Fragen wie Sicherheit, Umwelteinwirkungen oder Elektronik einbeziehen. Jedes der 20.000 Mini-Produkte, aus denen sich ein Auto zusammensetzt, wird in speziellen Abteilung erarbeitet. Da sitzen schon mal 20 Leute nur am Abblendlicht oder 40 an den Türen. Wenn sie externe Designer ein ganzes Konzept allein experimentell entwickeln lassen, überwinden sie für einen Moment diese für ein funktionierendes Gefährt notwendigen Grenzen.
Sind diese Grenzen auch der Grund, warum Autos sich markenübergreifend ästhetisch so ähneln?
Ein Auto ist das größte Konsumprodukt der Welt. Die dahinter stehende Leistung ist unglaublich. Wenn man überlegt wie viele Menschen, Produkte, Meetings erforderlich sind, dann ist es eigentlich ein Wunder, dass es am Ende tatsächlich fährt. Und ästhetisch und funktional bewegt sich gerade jetzt in der Fahrzeugindustrie unglaublich viel: Es gibt kleinere Autos für die Stadt, Elektroautos ... Die Mobilität an sich wird sich bald gravierend ändern. Noch denken die Menschen über das Auto als ein Vehikel, das Menschen von A nach B bringt. Aber diese Mobilitätseinheit kann vielleicht auch ganz anders eingesetzt werden, als Motor für Gebäude vielleicht. Staus, Umweltverschmutzung, all das stellt uns vor neue Herausforderungen. Nur: Bei 100.000 Menschen, die in der Autoindustrie arbeiten – wo beginnt diese Bewegung? Innovationen wie diese brauchen ihre Zeit.
Vielen Dank für das Gespräch!
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