Sven Elverfeld
Wer kann schon von sich behaupten drei Michelin-Sterne erkocht zu haben? Sven Elverfeld kann es. 1968 in Hanau geboren, absolvierte er zunächst eine Lehre als Konditor, eher er zum Koch ausgebildet wurde. In verschiedenen Positionen bei Spitzenkochs wie Dieter Müller in Bergisch Gladbach beschäftigt, übernahm Elverfeld nach seinem Abschluss zum staatlich geprüften Gastronom und Küchenmeister 1998 das Gourmetrestaurant „La Baie“ des Ritz-Carlton-Hotels in Dubai. Zwei Jahre später baute er das Restaurant „Aqua“ im neu eröffneten Wolfsburger Ritz-Carlton auf, wo er noch heute seine Gäste kulinarisch beglückt. 2001 bekam er mit dem „Aqua“ den ersten, 2005 den zweiten und 2008 den dritten Michelin-Stern. Wir trafen Sven Elverfeld in der Küche des „Aqua“, begutachteten das virtuose Wirken flinker Hände in der Hightech-Küche und sprachen mit ihm über die Kunst der Essenszubereitung, selbst entworfene Degustationslöffel und die legendäre Volkswagen-Currywurst.
Herr Elverfeld, Sie haben mit Ihrem Wolfburger Restaurant „Aqua“ soeben den dritten Stern des Guide Michelin gewonnen. Was ist Ihr Erfolgsrezept?
Gut kochen ist das eine, aber gut organisieren und koordinieren das andere. Wenn ein guter Koch das nicht kann, dann ist er auch mit dem Kochen aufgeschmissen. Man muss in beidem sehr versiert sein, denn beides hängt voneinander ab. Außerdem ist jeder einzelne der Mannschaft genauso wichtig wie ich. Im „Aqua“ arbeiten wir zu zehnt. Erfolge, insbesondere in der Küche, sind nur in der Mannschaft zu erreichen. Wenn einer nicht mitspielt, bricht das ganze System zusammen. Das sind Zahnräder, die ineinander greifen und laufen müssen.
Die Arbeitsatmosphäre in dieser Küche wirkt auffallend ruhig. Ist das immer so?
Abends muss es sogar noch ruhiger sein. Die Maschinen, die jetzt laufen, laufen abends nicht und das Mise en place muss stehen. Dann gibt es eine Ansage und alles muss klappen: „Jetzt kommt Tisch vier, jetzt Platz sechs, der hat das bestellt“ usw. Alle Mitarbeiter des „Aqua“ haben vorher in Sterne-Restaurants gearbeitet. Ich versuche immer auf die persönlichen Wünsche meiner Mitarbeiter einzugehen, sie zu fordern und in Dingen zu fördern, die sie gut machen. Wenn man den Leuten immer nur etwas vorgibt, dann trocknen sie aus. Sie müssen selbst anfangen zu denken.
Wie kann man sich den Prozess in der Küche vorstellen: Stellt jeder Mitarbeiter ein ganzes Gericht her oder nur Teile davon?
Jeder stellt nur einen Teil des Gerichts her. Bei einer Seezunge macht einer die Sättigungsbeilage, der andere das Gemüse und ein weiterer den Fisch. Hinter unseren Speisen steckt eine große Handwerklichkeit. Deshalb haben wir auch nur abends geöffnet, denn die Gerichte sind in der Herstellung sehr aufwändig. Sie sind eben nicht nur ein Stück Fleisch oder eine gute Sauce, obwohl das auch sehr gut schmecken kann. Für mich muss eine gewisse Ästhetik in den Speisen rüberkommen. Seit dem letzten Jahr interessiere ich mich auch verstärkt für Klassikerspeisen, von denen jeder Gast bereits eine genaue Vorstellung hat. Ich verleihe diesen Speisen dann zwar eine komplett andere Optik, aber geschmacklich vereine ich das Ganze dann wieder.
Wie kommen Sie auf neue Ideen?
Einiges ist von Grund auf neu, aber alles beginnt im Kopf. Wenn man jahrelang kocht, dann hat man die Intensitäten der verschiedenen Aromen und Produkte im Kopf und ich kombiniere und probiere, ohne dass ich schmecken muss. Wie eine Harmonie werden die einzelnen Produkte im Kopf zusammengefügt. Aber wie die Produkte dann letztendlich in der Konsistenz, in ihrer Textur sind, das probiere ich dann. Am wichtigsten ist ein Top-Produkt, das gut schmeckt. Jedes Gericht muss einen Eigengeschmack haben.
Wo würden Sie Ihre Küche verorten?
Das kann ich mittlerweile gar nicht mehr sagen. Ich möchte frei bleiben. Ich mag die Jahreszeiten und freue mich, wenn der Spargel kommt oder der Rhabarber oder die Steinpilze. Ich finde alte klassische Garnituren oder Zubereitungsarten spannend, diese neu zu definieren und in Szene zu setzen. Das ist auch für den Gast spannend. Ich habe beispielsweise im Frühjahr auf die Karte des „Aqua“ geschrieben: Schnitzel nach Zigeunerart mit Vichy-Karotten. Der Gast denkt dann „Okay …“.
Und es kommt alles ganz anders ...
Ja, denn es handelte sich um einen gut gereiften Bio-Kalbsrücken aus Mecklenburg-Vorpommern. Wir haben eine dünne Scheibe abgeschnitten, plattiert und ganz dünn ausgebraten, als Quadrat zugeschnitten und dann gebratene, dünn aufgeschnittene Champignons als Mittellinie auf den Teller gelegt. Dieselbe Linie wurde daneben als Salat aus marinierten Champignons mit Essig, Öl und Kräutern hinzugefügt. Dann wurde aus Vichy-Karotten ein Püree gemacht, das anschließend mit Karotten-Rosetten verziert wurde. Anstatt Pommes Frites wurden große Kartoffeln in Balken geschnitten und in geklärter Butter im Ofen gegart. Darauf kam noch ein Malzessig und ein wenig Fleur du Sel. Sehr minimalistisch. Die Sauce wurde dann vor den Augen des Gastes serviert.
Welche Rolle spielt das Design in der Küche bzw. im Speiseraum?
Sehr wichtig. Wir haben zum Beispiel zusammen mit der Silbermanufaktur Robbe & Berking einen Degustationslöffel entworfen [Sven Elverfeld holt den Löffel aus einer Küchenschublade hervor]. In den Löffel ist mein Name als Unterschrift eingraviert. Zwei Löffel kommen dann in ein Acrylglas-Set, dass mein Vater und ich entworfen und gezeichnet haben und dieses Set wird dann dem Gast serviert. Das restliche Geschirr wurde so ausgewählt, das es zum Interieur von Andrée Putman [der Innendesignerin des Ritz-Calton-Hotels in Wolfsburg; Anm. d. Red.] passt. Die Gläser sind von Schott Zwiesel und wir benutzen seit unserer Eröffnung ausschließlich Glasgeschirr. Aus Porzellan sind nur die Kaffee- und Espresso-Tassen.
Wer richtet die Teller an? Haben Sie einen eigenen Stil?
Ich und mein Stellvertreter – der Sous Chef – richten jeden Teller an. Jürgen Dollase von der FAZ hat über mich als „Mondrian auf dem Tisch“ geschrieben, womit er den Bildcharakter meiner Gerichte gemeint hat. Ich habe mich bei dem Gericht, auf das er sich in seinem Artikel bezog, an den quadratischen Teller gehalten. Darauf war die Renaissance eines alten Gerichts zu sehen: Eier, Frankfurter Grüne Sauce, Kartoffeln und gesottener Lammtafelspitz [s. Foto 6]. Alles war als Rechteck geschnitten und separiert angerichtet. Man könnte dieses Gericht auch sehr plump anrichten, aber in diesem Fall war es sehr ästhetisch angerichtet.
Sie sind im Jahr 2000 nach Wolfsburg ins Hotel The Ritz-Carlton gekommen. Wie fing es mit dem „Aqua“ an?
Ich habe hier im Rohbau gestanden und alles von Anfang an aufgebaut. Das ist wie ein Baby, das man großgezogen hat. Die ersten drei Jahre waren nicht so einfach, denn das Hotel hat noch keinen Namen gehabt und das Restaurant sowieso nicht. Außerdem war es meine erste Chefposition in Deutschland und ich musste die Mitarbeiter finden. Ich bin aber schon immer sehr risikofreudig gewesen und von daher hab ich mich da reingestürzt und war von Anfang an voll dabei, auch wenn ich mal auf die Nase gefallen bin. Weiterentwicklung ist für mich das A und O – damit kann man eine ganze Mannschaft mitziehen.
Wir befinden uns gerade in der Küche des „Aqua“. Erzählen Sie uns etwas darüber?
Die Küche ist, dank der Autostadt, ganz neu, wir haben neun Wochen lang umgebaut und erweitert, weil sie zu klein geworden war. Auf der einen Seite befindet sich die Küche des „Aqua“, auf der anderen die Küche des Restaurants „The Grill“ [das auch zum Ritz-Carlton-Hotel gehört; Anm. d. Red.] mit einem eigenen Küchenchef. Im Unterschied zu früher sind alle Teile der beiden Küchen voneinander separiert und nun ist es auch nicht mehr so laut. Unterteilt ist die Küche in die Arbeitsbereiche Vorspeisen, Fisch, Gemüse, Fleisch und Sättigungsbeilagen. Ich habe die Küche zu 99,9 Prozent selbst geplant und entworfen. Dann gingen diese Pläne zu zwei, drei verschiedenen Firmen, die diese dann umgesetzt hat. Dabei handelt es sich um Firmen, die Küchen speziell für die Gastronomie herstellen. Ich hatte viele Sonderwünsche wie beispielsweise das große, in die Wand eingelassene blaue Glasboard, auf das wir unsere Bestellungen schreiben. Im Endeffekt sind das hier alles Einzelstücke.
Was findet sich in dieser Küche, was man in einer „normalen“ Küche nicht findet?
Wir haben teilweise mit Granitoberflächen gearbeitet, weil das sehr hygienische Arbeitsflächen im Vergleich zu Edelstahl sind. Bei Edelstahl muss man darauf achten, dass dieser komplett als Stück den Winkel an der Wand formt und nicht verfugt ist. Auch die Waschbecken müssen aus einem Stück gefertigt sein. Allein der Herdblock in dieser Küche wiegt 1,6 Tonnen, ist 1,40 Meter breit und 4,50 Meter lang. Das obere Element aus fünf Millimeter dickem Edelstahl besteht aus einem Stück und wurde von der österreichischen Firma Lohberger gefertigt. Der Großküchenhersteller Pohl aus Magdeburg hat die Einzelanfertigungen gemacht. In den letzten Jahren hat sich bei den Elektrogeräten von der Technik her sehr viel getan, beispielsweise kommen Teile aus dem Laborbedarf: So haben wir hier in der Küche Wasserbadgeräte sowie ein Destilliergerät.
Was meinen Sie: Ist Kochen Kunst?
Für mich ist Kochen keine Kunst, sondern ein Handwerk, das zu perfektionieren ist. Deswegen bin ich auch Koch geworden. Es ist wichtig, dass es Spaß macht. Je mehr Erfolg man hat, desto größer wird der Druck, sowohl für mich als auch für die Mannschaft. Die Gäste werden mit dem Erfolg anspruchsvoller, das ist ganz normal. Der Druck ist für mich aber auch fördernd, weil ich mich dann ansporne, mir etwas Neues einfallen zu lassen und das wiederum motiviert die Mannschaft. Das Neue liegt heute in der Qualität, nicht so sehr in neuen Produkten. Ich bin ein, zwei Stunden am Tag nur mit Lieferanten beschäftigt. Alte Sorten werden wiederkommen. Auch wenn viele Menschen auf Massenprodukte angewiesen sind, wird die Nachfrage nach guten Produkten steigen, hoffe ich jedenfalls. Für mich ist die Motivation in diesem Beruf das Lob der Gäste.
Ihr Restaurant liegt inmitten der Wolfsburger Autostadt auf Sichtweite des Volkswagenwerks. Das führt uns zu der Frage, ob Sie schon einmal die legendäre Volkswagen-Currywurst probiert haben?
Ja, selbstverständlich. Die esse ich gern, genau wie Pizza. Was zählt, ist immer das Preis-Leistungsverhältnis. Dazu muss ich aber wissen, was etwas kostet. Wir haben im „Aqua“ eine Mischkalkulation mit einem Aufschlag von 40 bis 60 Prozent. Und der Service-Gedanke ist sehr wichtig: gezielt und aufmerksam, ohne aufdringlich zu sein.
Kochen Sie auch privat?
Wenn ich mal frei habe, dann ja. Aber nur einfache Gerichte, die gut schmecken und schnell gemacht sind. Salat mit Thunfisch oder eine schöne Pasta mit Pesto-Sauce.
Herr Elverfeld, vielen Dank für das Gespräch.