Tadao Ando
Tadao Ando hat Beton salonfähig gemacht. Geboren 1941 in Osaka, begann er als Jugendlicher eine Laufbahn als Profiboxer und arbeite nebenbei als Lastwagenfahrer. Der Architektur näherte er sich mit Mitte zwanzig als reiner Autodidakt. Beeinflusst von den Bauten Le Corbusiers, Mies van der Rohes, Frank Lloyd Wrights oder Louis Kahns, eröffnete er 1968 sein eigenes Architekturbüro in Osaka. Der Durchbruch gelang ihm 1976 mit einem Wohnhaus für die Familie Azuma in Sumiyoshi. Wir trafen Tadao Ando in Mailand und sprachen mit ihm über dramatische Räume, dänische Wurzeln und sein neuestes Projekt: einen Holzsessel.
Herr Ando, bislang wird Ihr Name vor allem mit asketischen Betonbauten assoziiert. Mit dem Dream Chair für Carl Hansen & Søn, der auf der Mailänder Möbelmesse 2013 vorgestellt wurde, haben Sie nun Ihren Einstand als Möbeldesigner gegeben. Erzählen Sie uns, wie es dazu kam.
Als mir das Projekt angeboten wurde, habe ich zuerst gezögert. Schließlich ist das Unternehmen Carl Hansen eng mit den Arbeiten Hans Wegners verbunden, und ich war mir nicht sicher, ob ich tatsächlich in seine Fußstapfen treten könnte. Dennoch hat mich die Aufgabe gereizt, weil das Entwerfen eines Stuhles etwas Neues für mich war. Als junger Architekt habe ich für das Azuma-Haus mehrere weiße Wishbone Chairs von Hans Wegner gekauft und auch bei späteren Projekten immer wieder seine Möbel verwendet. Selbst in meiner Küche stehen fünf Wegner-Stühle. Ich fand es spannend, mit seinen Arbeiten in einen Dialog zu treten. In gewisser Weise schließt sich damit ein Kreis zu meinen eigenen Anfängen.
Was kam Ihnen beim Entwerfen als erstes in den Sinn?
Natürlich musste ich an den Wishbone Chair denken. Aber es war unmöglich, auch nur ansatzweise in dieselbe Richtung zu gehen. Ich musste einen eigenen Zugang finden, um ihm etwas entgegenzusetzen. Also bin ich nach demselben Prinzip vorgegangen wie bei meinen Architekturprojekten: Während ich für Gebäude nur Beton als Material verwende, wollte ich einen Sessel allein aus Formholz fertigen. Meine erste Skizze zeigte einen sehr dünnen, einfachen Sessel. Als ich sie bei Carl Hansen zeigte, waren sie zunächst nicht sicher, ob sich die Idee umsetzen ließe. Schließlich sollte die Sitzschale aus nur einem Stück Formholz bestehen, das dreidimensional verformt wird. Also haben sie ihre Partner kontaktiert und nach einiger Zeit eine Firma in Deutschland gefunden, die die Sitzschale produzieren konnte. Auch wenn die Form des Sessels sehr einfach wirkt, steckt die neueste Technologie dahinter, die derzeit auf dem Markt erhältlich ist. Noch vor zehn, fünfzehn Jahren hätte man eine solche Form nur in Kunststoff produzieren können.
Was zeichnet einen guten Sessel aus?
Am wichtigsten ist zweifelsohne die Ergonomie, damit das Möbel komfortabel und entspannend ist. Aber in dem Moment, in dem niemand auf einem Sessel sitzt, wird er zu einem Objekt im Raum. Er wird dann mehr als Skulptur und weniger als Möbel wahrgenommen. Diese beiden Aspekte müssen zusammenkommen.
Sie sprechen über Ihre Bauten von einer „kraftvollen Einfachheit“. Was genau meinen Sie damit?
Die europäische Architektur ist sehr dekorativ in ihrem Umgang mit Fassaden. Als ich mein Büro in den sechziger Jahren gegründet habe, wollte ich etwas in derselben Definition kreieren. Erst nach und nach habe ich selbst die Einfachheit erlernt, die einen zugleich über den Prozess des Bauens nachdenken lässt. Als ich begonnen habe, Sichtbeton für Außen- und Innenräume zu verwenden, wirkte das zunächst sehr radikal. Eine solche Raumwahrnehmung gab es in der Architektur zuvor nicht. Darum wurde ich auch stark kritisiert, weil sich niemand vorstellen konnte, in einer solchen Umgebung zu leben. Es macht mich sehr glücklich, dass sich diese Wahrnehmung heute verändert hat und viele Menschen Strenge und Einfachheit auch als Schönheit wahrnehmen. Beton ist ein komplexes, vielseitiges Material, das einer minimalistischen Raumauffassung Tiefe verleihen kann. Schließlich lassen sich selbst mit rohen Wände dramatische Innenräume erzeugen.
Also ist Einfachheit gleichbedeutend mit Schönheit?
Wenn ein Gebäude die Menschen dazu bringt, sich zu treffen, miteinander zu sprechen und an diesem Ort zu verweilen: Das ist die Schönheit der Architektur. Darum sind auch religiöse Bauwerke in ihrer Wirkung so stark. Nehmen Sie den Mailänder Dom. Der ist wirklich überwältigend! Der schönste Moment ist für mich, wenn ein Gebäude fertig ist und die Menschen zum ersten Mal durch die Räume gehen und sie auf ihre eigene Weise zu nutzen beginnen. Das ist jedes Mal aufs Neue aufregend.
Wie gehen Sie ans Entwerfen heran?
Ich glaube nicht zu hundert Prozent an meine eigene Kreation. Architektur ist ein langer Prozess, der im Austausch mit dem Kunden, mit der Geschichte des Ortes oder mit den Arbeitern auf der Baustelle entsteht. Als wir am Umbau der Punta della Dogana in Venedig gearbeitet haben, habe ich mich intensiv mit der Geschichte des Gebäudes und der Geschichte von Venedig auseinandergesetzt. All diese Informationen haben wir schließlich in Teamwork zusammengefügt. Ein Gebäude ist nie die Kreation eines einzelnen, sondern wird von vielen Händen erschaffen.
Wie wichtig ist die Zeichenhaftigkeit der Architektur?
Letzte Nacht, bevor ich von Japan nach Europa geflogen bin, habe ich den Modedesigner Issey Miyake getroffen. Für seine Stiftung haben wir vor einigen Jahren ein Ausstellungsgebäude in Tokio geplant. Eine Besonderheit von Miyakes Arbeit ist das Konzept, ganze Kleider aus nur einem einzigen Stück Stoff herzustellen. Diesen Ansatz haben wir mit den Dächern des zweigeteilten Baus aufgegriffen. Sie bestehen aus jeweils zwei Dreiecken, die wir in einem Stück aus Stahl konstruiert haben. Auf diese Weise konnten wir Miyakes Idee der Mode symbolisieren. Das ist wichtig, um einen Ort eine Identität zu geben. Umgekehrt ist es häufig besser, die Gesten zu begrenzen – vor allem bei historischen Gebäuden. In einen Bau wie die Punta dell Dogana eine minimalistische Architektur einzufügen, bringt sowohl die alte Architektur zum Leben wie auch das Neue. Es tut nicht gut, einem Gebäude aus dem 15. Jahrhundert einfach etwas überzustülpen oder zu versuchen, es zu übertrumpfen.
Vielen Dank für das Gespräch.
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