Thomas Kröger
Der Berliner Architekt über seine Leidenschaft für Innenräume

In der Uckermark und in Berlin, am Deich und an der Isar. Thomas Kröger ist auf dem Land genauso zu Hause wie in der Stadt – mit einer atmosphärisch dichten, individuellen Architektur, die mit bildhaften Referenzen aufgeladen ist und sich aus lokalen Kontexten speist.
Zurzeit realisiert Kröger mehrere Apartment- und Geschäftshäuser und zwei Schulen. Seit 2019 hat er eine Professur an der Baukunstklasse der Kunstakademie Düsseldorf inne. Wir trafen den Architekten in seinem Berliner Büro vis-à-vis der Neuen Nationalgalerie und sprachen über geschorene Häuser, nebulöse Visualisierungen und seine Leidenschaft für die Gestaltung von Innenräumen.
Können Sie ein Haus mit Flachdach entwerfen? Unbedingt! Wir stellen gerade eines fertig, ein Wohnhaus in Düsseldorf. Die Frage zielt ja darauf, dass wir schon viele Häuser mit steilen Dächern gebaut haben. Aber es gibt keine Doktrin. Der Kontext spielt eine große Rolle. Das Haus in Düsseldorf beispielsweise steht in einer Siedlung, die in den sechziger und siebziger Jahren entstand – mit flachen Atriumhäusern. Mittlerweile sind die Grundstückspreise so gestiegen, dass man versucht, maximal zu bebauen. Viele dieser flachen Häuser werden jetzt mit Dächern versehen, was ziemlich absurd aussieht. Deswegen haben wir an der ursprünglichen Idee der flachen Bebauung festgehalten.
Also keine Dach-Doktrin. Aber dennoch: Woher kommt Ihre Liebe zum Dach? Das hat mit Berlin zu tun. Als ich in den neunziger Jahren hier ankam, beeindruckten mich die großen Dachgebilde auf dem Ku’damm. An anderen Stellen sieht die Stadt wie geschoren aus, weil die Dächer im Krieg zerstört wurden. Die Frisuren sind verloren gegangen und damit auch ein lebendigeres Straßenbild. Aktuell arbeiten wir an drei städtischen Häusern, zwei in Berlin und eines in München. In Berlin sind sie flach, auch das liegt an der Einbindung in die Nachbarschaft. Das Münchner Haus steht in der Erhardtstraße direkt an der Isar, die Altbauten zum Fluss hin haben Schmuckfassaden, die mit ihren Dächern Weitsicht liefern. Ich fand es wichtig, dass auch der Neubau ein Dach bekommt. Auf dem Land gibt es bei Wohnhäusern per se keine Flachdächer. Ich merkte schnell: Mit Dächern fühlen sich die Häuser anders eingebettet an. Sie stehen dann nicht so kontrovers zu den anderen Gebäuden in den Ortschaften.
Gibt es bestimmte Gebäude, die Sie geprägt haben? Keine bestimmten, denn ein Haus wird an dem einen Ort eine ganz andere Wirkung entfalten als an einem anderen. Wenn ich über bestimmte Ort nachdenke, fällt mir Turin ein. In der Stadt schwingt etwas Morbides mit, das mag ich. Eine ähnliche Stimmung gibt es auch in Montevideo. In beiden Städten existieren konzentriert ganz starke Sprachen, die man erst einmal gar nicht einordnen kann. Die Häuser verfügen über eine hohe Kultiviertheit: Sie erzählen etwas Bestehendes aus dem Kontext weiter. Aber nicht als Nachahmung, sondern als Übersetzung in etwas Neues. Dichte in der Stadt entsteht, indem sich alle die Hand reichen.
Ihre Projekte auf dem Land werden oft zum regionalen Bauen gezählt. Aber wie regional sind die Häuser wirklich? Sind sie dafür nicht zu individuell und zu künstlerisch? Ja, das würde ich auch so sehen. Das sind eher kleine Interventionen oder Ergänzungen. Regionales Bauen in einem größeren Rahmen interessiert mich allerdings sehr. Diesen Herbst gehe ich mit meinen Studierenden in die Uckermark. Wir werden uns Orte anschauen, die brach liegen – wie geht es dort weiter? Was passiert mit der Depression, von der die Fassaden dort erzählen? Wie schafft man es, dem städtischen Raum eine Alternative zu bieten, die das Land stärkt und zukunftsfähig macht?
Sie arbeiten schon seit fünfzehn Jahren in der Uckermark. Hat sich etwas verändert dort? Ja, jetzt gibt es erste Landläden in den Ortschaften mit guten Öffnungszeiten für den Städter. Denn die Einheimischen haben gemerkt, dass die Berliner oft ihr eigenes Essen mitbringen. Dabei haben sie selbst gute Produkte. Durch die Corona-Pandemie sind die Städter auch sesshafter geworden auf dem Land, weil sie sich dort sicherer fühlen. Und sie haben eine ganz andere Lebensqualität entdeckt. Es lohnt sich, über strukturelles regionales Bauen nachzudenken. Das soll nicht heißen, dass mehr Baufelder eröffnet werden. Nein, im Gegenteil: Wie schafft man es, Dörfer so zu verdichten, dass die wieder aktiv werden?
Was ist Ihnen wichtiger – das Konzept oder die Atmosphäre? Ha! (lacht) Das eine hängt mit dem anderen zusammen. Ich wüsste auch nicht, wie man das trennen sollte. Das architektonische Konzept trägt die Atmosphäre. Es kann aber sein, dass ein Konzept initiiert wird, um eine bestimmte Atmosphäre zu schaffen. Die wird vielleicht genährt durch eine Referenz, die man im Kopf hat. Wir arbeiten sehr bildhaft, deswegen ist Darstellung auch so wichtig.
In Ihren Visualisierungen gibt es viel Unschärfe, Sie lassen manches im Unklaren. Ja, die Bilder sind manchmal etwas nebulös, um nicht zu präzise zu werden. Weil noch nicht alles entschieden ist. Aber die Atmosphäre, die ist entschieden. (lacht)
Ein wichtiger Teil Ihrer Arbeit sind die Innenräume, die sich durch eine Sensibilität für Materialien und Atmosphäre auszeichnen. Das ist sicher eine Leidenschaft von mir. Deswegen finde ich Grundrisse sehr wichtig, sie räumlich zu entwickeln, und das auch immer wieder einzufordern. Es ist ein langer Prozess mit der Bauherrschaft, dafür Verständnis zu bekommen. Dass es nicht nur um Nutzung und Funktion geht, sondern auch um ein Raumbild. Dass es eine visuelle Haptik gibt, die genährt wird von Abfolgen, von Proportionen. Da bin ich ein Überzeugungstäter. Ich würde nicht gerne nur Fassaden entwickeln.
Was meinen Sie mit visueller Haptik? Damit meine ich einen Raum, der über die Oberflächen etwas erzählen kann und im Zusammenhang mit den Proportionen eine bestimmte Atmosphäre erzeugt. Und wenn der Raum in eine ganze Abfolge eingebunden ist, wie wenn man durch einen Souk läuft, dann fängt das an zu pulsieren und zu atmen.
Es ist ein anderes Arbeiten, einen Hochbau zu planen, als Innenräume auszustatten? Es ist auf jeden Fall ein anderer Maßstab, in dem man denkt und arbeitet. Aber wenn wir den Straßenraum betrachten und ergänzen, im städtischen Raumgefüge arbeiten, – lässt sich das vielleicht mit dem Erlebnis eines Grundrisses vergleichen. Ein Unterschied ist, dass man den städtischen Raum nicht in der gleichen Dichte und Gesamtheit entwickelt, sondern lediglich an einer Stelle ergänzt.
Und wie unterscheidet sich die Arbeit im Bestand von Neubauprojekten? Der Altbau bringt seine Qualitäten mit. Es bleibt zu entscheiden, ob man die Stärken noch betont oder eine neue Qualität findet. Beim Neubau muss man erst einmal die Qualitäten definieren und entwickeln, die der Innenraum bekommen soll, und wie sich das nach außen abbildet. Die Möglichkeiten sind ungleich größer. (lacht)
Das macht es auch schwieriger? Ja, weil man mehr entscheiden muss. Da kommt es darauf an, dass man sich vorher die richtigen Werkzeuge zurechtgelegt hat, mit denen man an dem Projekt arbeiten will. Wenn ich an das Haus in Ostfriesland denke, da lagen die Werkzeuge schon da, wir mussten sie lediglich aufgreifen. Es gab das Ziegelwerk eine halbe Stunde entfernt, es gab die Typologie der Gulfhäuser, es gab das Grundstück, das unmittelbar an ein Naturschutzgebiet grenzt, und es gab diese junge Familie mit ihren Bedürfnissen. Ein wichtiger Teil Ihrer Arbeit ist also zu schauen, was da ist. Genau. Das ist die Freude, dass es bei jedem Projekt immer neu losgeht. Das ist sehr besonders an unserem Beruf: Dass man nicht auslernen kann.Was macht einen Raum bewohnenswert? Wenn die Räume es anbieten, ist der Blick nach draußen eine wichtige Qualität. Wenn das nicht vorhanden ist, dann finde ich den Blick innerhalb der Fügung der Räume wichtig. Dass man nicht das Gefühl hat, eingesperrt zu sein. Im zweiten Schritt kommt die sinnliche Erfahrung dazu, die Materialität, das Licht. Wie verhält sich das Licht vom Tag zum Abend? Was leistet der Bodenbelag dazu? Führt er das Licht weiter oder ist er so stumpf, dass es nur noch einzelne Lichtinseln gibt? Entwerfen ist wie eine kleine Geschichte zu erfinden, man läuft durch die Räume und stellt sich vor, in der Wohnung zu leben. Man eignet sie sich zunächst an, um sie dann wieder freizugeben. Eine Wohnung oder ein Haus sind wie ein Passepartout, das die Bewohner neu füllen können.
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