Menschen

Tobias Grau 2

von Hannah Bauhoff, 19.10.2009


Der Hamburger Leuchtendesigner und -produzent Tobias Grau vertritt in der Nachhaltigskeitsdiskussion eine klare Position, die sich mit vielen Herstellern hochwertiger Produkte deckt. Allerdings hat
das Thema in der Lichtindustrie eine ganz besondere Bedeutung, denn die technischen Entwicklungen sind extrem schnell. Wir haben den Hanseaten in seinem Büro in Rellingen getroffen und mit ihm über seine Haltung zum Thema Nachhaltigkeit, das Verhältnis von Form und Technik und unsinniges Design gesprochen.


Von Ihnen stammt die These, Design kann nicht nachhaltig sein, denn Design ist per se der Innovation verpflichtet. Warum?

Gerade beim Licht kann man sich nicht zu lange mit alten Techniken aufhalten. Daher lautet die zentrale Frage in Bezug auf die technische Entwicklung im Lichtdesign: Wann kann man damit Leuchten bauen?

Und wann ist der richtige Zeitpunkt?

Das lässt sich nicht pauschal sagen. Aber wenn die Technik von der Industrie weit genug entwickelt ist – aktuell ist das bei den LED-Leuchten der Fall – dann muss man einsteigen und neue Leuchten entwerfen. Ich nutze technische Innovationen ab dem Moment, wo ich die Baugrößen, den Output, den Preis und die Lichtqualität kenne – und für gut befinde.

Also ist Leuchtendesign immer progressiv?

Ja, und damit sind wir schon an dem Punkt, an dem wir es philosophisch betrachten können: Das Bessere ist der Feind des Guten. Es muss immer weiter gehen. Man kann sich nie auf dem Erfolg eines Entwurfs ausruhen. Design fließt ja mit einhundert Ideen den ganzen Tag.

Zurück zum Stichwort Nachhaltigkeit ...

Nachhaltigkeit im Design gibt es im Prinzip nicht. Als Designer arbeitet man innovativ – und das widerspricht eigentlich dem Gedanken der Nachhaltigkeit. Weil es in dem Moment, wo ich etwas auf den Markt bringe, schon wieder überholt oder nicht mehr so energieeffizient ist.

Design und Nachhaltigkeit sind also ein Widerspruch?

Um es ein bisschen differenzierter zu diskutieren: Wenn man etwas neu entwickelt, muss man wissen, dass übermorgen schon wieder das nächste Produkt auf dem Markt sein wird. Für die Ewigkeit arbeitet man als Designer nicht. Die Objekte existieren immer nur für eine gewisse Zeit. Dennoch versuche ich als Designer „nachhaltig“ zu entwerfen, indem ich nicht so schnelllebigen Blödsinn entwerfe – um es mal so plakativ auszudrücken.

Also gibt es im Leuchtendesign keine Trends, nichts Modisches?

Modisch will man ja sein, denn sonst wird das Design nicht wahrgenommen. Die Leuchte muss den Zeitgeist treffen – und die Menschen müssen den Entwurf toll finden. Und zwar nicht nur im technischen, sondern auch im gestalterischen Sinn. Dennoch: Gutes Design bleibt länger als nur eine Saison, zumindest im Design abseits der Mode.

Die Entwicklung von Klassikern ist ein beliebtes Argument in der Nachhaltigkeitsdiskussion, denn Möbel – so die Industrie – sind nachhaltig, weil sie weiter vererbt werden und nicht so schnell auf dem Müll landen.

Der Designer hat, meiner Meinung nach, immer den Wunsch, etwas zu entwerfen, was Bestand hat. Charles Eames ist das Paradebeispiel. Aber wenn ich mir als Designer vornehme, etwas für die Ewigkeit zu entwerfen, dann sitzt der Stift ganz schön fest. Ich habe es übrigens noch nie versucht. Denn jetzt ist jetzt, und morgen ist morgen. Und Charles Eames hat auch nicht anders gedacht. Er hätte nie voraussagen können, dass sein Stuhl der Jahrhundertstuhl wird. Das gleiche würde ich von Thonet und seinen Stühlen sagen. Das kann man nicht voraussagen.

Welche Kriterien müssen in Ihren Augen zusätzlich erfüllt werden, damit eine Leuchte als nachhaltig bezeichnet werden kann?

Die Lichtqualität muss ebenso wie der Stromverbrauch attraktiv sein und zum Einsatzort der Leuchte passen. Im Büro brennt eine Leuchte eventuell den ganzen Tag und muss über einen Sensor regelbar sein. Im privaten Bereich benötige ich abends eine Leuchte für einen relativ kurzen Zeitraum. Das bedeutet, dass die Anforderungen an eine Leuchte in Bezug auf den Stromverbrauch andere sind.

Stichwort Materialien: Gibt es Stoffe, die Sie nicht einsetzen würden?

Man kann natürlich fragen: Darf man Aluminium einsetzen? Im Leuchtenbau kommt man an Aluminium nicht vorbei. Das gleiche gilt für Polycarbonat. Beides sind für mich akzeptable Materialien, denn ich versuche immer, möglichst wenig zu verkleben. Zudem soll die Demontage der Bauteile möglichst einfach sein, damit diese sinnvoll recycelt werden können.

Ist es denkbar, dass Endverbraucher ihre Leuchte selbst demontieren, damit die verbauten Wertstoffe wiederverwertet werden könen?

Ich würde sagen: nein. Aber es wäre ein mögliches Szenario. Andererseits zerlegt niemand seinen Computer – oder entsorgt selbst die Bestandteile seine Autos. Doch warum nicht? Die Entwicklung ist recht schnell. Beispielsweise spielte das Thema Stromverbrauch im privaten Bereich früher keine Rolle. Und eine Energiesparleuchte war damals nicht verkaufbar.

Weil sie energiesparend war?

Weil das Licht so schlecht ist. Ich würde sogar sagen, es ist immer noch zu schlecht. Für ein schönes Licht sind immer Vorschaltgeräte mit Quecksilberanteilen nötig, doch hier ist die Entsorgung ein Problem. Denn wahrscheinlich werden die meisten Menschen das Gerät einfach in den Müll werfen– und es nicht beim Sondermüll abgeben, wo es hin gehört.

Also gibt es in Zukunft beim Kauf einer Leuchte eine Gebrauchsanleitung für die Entsorgung gleich dazu?

Bei Energiesparleuchten im privaten Bereich müsste man das tun. Ich setze ein bisschen mehr darauf, dass wir gleich diesen Punkt überspringen und darauf, dass wir gleich mit LEDs neu entwickeln.

Was macht dann Leuchtendesign aus? Dass die technischen Innovationen, die sich ankündigen, frühzeitig in eine neue Form übersetzt werden
?

Auch eine alte Form mit neuer Technologie geht. Ich habe mich gerade mit einer klassischen Leuchte, der Schirmleuchte, beschäftigt und zunächst diese klassische Grundform – Schirm, Stab, ein Dreibein – für Halogenleuchtmittel entwickelt. Und nun bauen wir LEDs ein. Auf diese Möglichkeit bin ich bis vor einem Monat nicht gekommen. Undenkbar – so ein kleines Leuchtmittel für so einen Schirm. Auch diesen Ansatz finde ich legitim. Was ja ein tolles Moment ist. Hier oben leuchtet was, hier unten geht Licht raus. Ist ja in der Kultur eine ganz tolle Geschichte. Warum soll ich die ändern? Das muss so bleiben. Ich will jetzt nichts Avantgardistisches, sondern ich möchte Gewohnheiten. Das stellt jetzt für den Entwurf einen ganz spannenden Prozess dar. Weil ich komplett im anders denken muss, wie das funktionieren kann.

Der eine Ansatz lautet also: klassische Form, aber neues Innenleben. Der andere wäre: Ein neues Innenleben bedeutet automatisch auch eine neue Form.

Eine neue Technik und eine neue Form ist ein einfacherer Prozess als eine alte Form und eine neue Technik.

Aber es gibt ja auch Produkte, die weder dem einen noch dem anderen Ansatz zuzuordnen sind. Ich denke an den iPod, der bereits ein Klassiker ist und die Gestaltung der MP3-Player noch heute beeinflusst. Dabei ist die Formsprache eigentlich nicht neu, aber …

... dafür die Touch-Technologie.

Ja. Daher die Frage: Was passiert genau? Also, wann gibt es die neue Technik in einer neuen Form, die dann zum Klassiker wird?

Beim iPod ist es die neue Technik, welche die Form bestimmt. Die zentrale Frage lautet hier: Wie muss die Form zum „Touch“ aussehen? Es geht um das grafische Bild sowie um das, was dahinter steht, wenn man es benutzt. Apple hat es umgesetzt – und sie waren die ersten – und das können sie nun für sich reklamieren. Ehrlich gesagt, versuche ich auch, Dinge zu entwickeln, die es vorher so noch nicht gegeben hat. Es geht um elementare Ideen. Egal, ob es eine Leuchtkugel in einer geschlossenen Form, die Tropfen oder ein Farbwechsel ist. Es sind Ideen, bei denen es gilt, quasi direkt auf den Kern zu stoßen. Und nichts Normales zu machen.

Sie entwerfen auch Schalterprogramme. Beschäftigen Sie sich beim Entwurf auch damit, wie der Kunde über den Gebrauch der Schalter den Stromverbrauch regulieren kann?

Das kann ein Weg sein. Mein Weg ist es allerdings nicht, jedem abzuverlangen, den ganzen Tag über Kalorien, Stromverbrauch und Umweltschädlichkeit nachzudenken. Ich halte nichts von diesem Energiesparsystemen, die ständig suggerieren, beim Aufleuchten der grünen Lampe wäre man besonders umweltfreundlich. Der Kunde wird bei mir beim Kauf einer Leuchte einmal aufgeklärt und dann kann er sich darauf verlassen, dass die Leuchte umweltfreundlich beziehungsweise so wenig umweltschädlich wie möglich ist. Das ist eine ganz simple Einstellung. Und so sehe ich das auch bei Schaltern. Wir kommunizieren vielleicht in Zukunft: Dies ist ein Schalter. Mit dem kannst du viel Strom sparen. Er regelt das Licht automatisch, und er schaltet sich ab. Also mach dir keine Gedanken.

Es scheint aktuell ein Paradigmenwechsel stattzufinden …

Stimmt, früher wurden wir permanent nach der Wattzahl einer Leuchte gefragt, und wenn diese beispielsweise zwanzig Watt hatte, wollte keiner glauben, dass sie dennoch ein gutes, leistungsstarkes Licht lieferte. Heute ist es genau das Gegenteil. Die geringe Wattzahl wird positiv wahrgenommen. Der Verbraucher geht davon aus, dass der Leuchtenhersteller etwas eingebaut hat, was ihm mit dieser geringen Leistung ein tolles Licht bringt. Zum Beispiel die Kugel, die Sie da hinten als Skizze sehen, war unser Bestseller in Mailand [es handelt sich um das Modell „Falling in Love", Anm. d. Red.]. Und diese Kugel hat, glaube ich, sechs Watt und bringt ein Riesenlicht. Die Leute haben gar nicht mehr nach der Wattzahl gefragt. Sie konnten sich ausrechnen, dass es bei einer so kleinen Kugel nicht viel sein kann. Sie nannten dieses Phänomen eben ganz richtig Paradigmenwechsel. Die Wahrnehmung von solchen Werten hat sich auf einmal komplett umgedreht. Und das ist eigentlich der Punkt, wo alle hinwollen: Strom sparen und trotzdem ein tolles Licht haben. Das ist gut.

Grün, also Nachhaltigkeit, ist heutzutage sexy – und bald wohl selbstverständlich.

Es wird ganz selbstverständlich. Und damit – und das finde ich auch gut – ist dieser umweltbewusste Gedanke kein politischer, sondern ein humaner. Das ist Lebensqualität. Das ist Kultur. Und es ist menschliches Leben. So gesehen finde ich diese Nachhaltigkeitstheorien wieder toll. Zudem bin ich Optimist, denn die Entwicklungsleistung der Industrie ist enorm. Fast täglich sehen wir neue Ideen und Produkte, die bei uns im Büro präsentiert werden: neue Kunststoffe, neue Farbmischungen, neue Leuchtmittel. Aktuell wird intensiv an OLED [Abkürzung für „Organische Licht emittierende Dioden", Anm. der Red.] geforscht, und in drei, vier Jahren werden wir bestimmt OLED-Leuchten bauen. Und so geht es immer, immer weiter. Das ist toll.

Herr Grau, vielen Dank für das Gespräch.
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Links

Schwerpunkt Nachhaltigkeit

www.designlines.de

Tobias Grau

www.tobias-grau.com

Produkte von Tobias Grau in den Designlines

www.designlines.de

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