Wer will? Jean Verville!
Der kanadische Architekt und seine Bauten im Porträt

Wo verläuft die Grenze zwischen Architektur und Kunst? Dieser viel und oft erforschte Grat spielt im Leben und Werk des kanadischen Architekten Jean Verville eine bedeutende Rolle. Er ist auch das Thema seiner Doktorarbeit. Und tatsächlich gelingt es ihm, dass beide Disziplinen in seinen Projekten nicht neben- oder an-, sondern miteinander entstehen. Auf einer Reise hin zur Abstraktion, die er gemeinsam mit seinen Bauherren antritt.
Ungewöhnliche Oberflächen, unerwartete Räume und intime Universen: Das ist die Mischung, auf die man sich als Besucher eines Jean-Verville-Objekts gefasst machen muss. Er vermischt in seiner Architektur den funktionalen Raum mit Kunst und einer abstrakten Persönlichkeitsinterpretation seiner Bauherren. „Meine Projekte sind konzeptuelle Porträts von Kunden“, erklärt er dann auch seinen systematischen Gestaltungsansatz, in dem er einzigartige Umgebungen kreiert, die die Persönlichkeiten ihrer Bewohner transportieren.
Bildliche Experimente
„Ich bin in erster Linie Architekt, aber ich bin auch ein Künstler“, sagt der 46-jährige Verville, der sein Studio in Montreal betreibt. Hier findet sich auch gleich ein erstes Ausrufezeichen seines Verständnisses von Raum, bei dem der Benutzer Teil eines bildlichen Experiments ist, in dem die sinnliche Wahrnehmung die physischen Grenzen des Ortes überschreitet. Die blecherne Außenhülle des 15 Quadratmeter großen Schuppens ließ der Gestalter mit silberglänzender Farbe überstreichen. Als Kontrast dazu ist der gesamte Innenraum mit OSB-Platten verkleidet, deren unregelmäßige Oberfläche aus verleimten Holzspänen die Unzulänglichkeiten des alten Gemäuers überdeckt. Über der Arbeitsfläche hängt ein mysteriös anmutendes Volumen: Erst bei näherer Betrachtung zeichnen sich dünne Fugen ab, die mal eine Zugangsluke und mal ein Fenster andeuten.
Schwarz auf Weiß
Die Umbauten von zwei Wohnungen in Montreal setzen die konzeptuelle Serie von Raumexperimenten Vervilles fort. Die Bauherren ließen sich dazu auf eine ungewöhnliche Kooperation mit dem Planer ein, der seine Kunden ins Zentrum seines Gestaltungsansatzes stellt und sie mit seinen architektonischen Interventionen herausfordert. Der Umbau eines 102 Quadratmeter großen Apartments wird vollständig von der Gegenüberstellung der beiden Farben Schwarz und Weiß dominiert. Für Verville ein Element der Abstraktion. Er teilte den Grundriss diagonal in zwei Hälften: in der einen sind sämtliche Oberflächen und Objekte schwarz, in der anderen weiß.
Das 160 Quadratmeter große Loft eines Musikers gliederte Verville ebenfalls durch den Einsatz unterschiedlicher Oberflächen: Durch die Mitte der Etage läuft ein vertikales, goldenes Band, hinter dessen Türen aus gebürstetem Messing sich Kleiderschränke und Stauraum verbergen. Die Sichtbetondecke beließ der Architekt in ihrem Rohzustand, Boden und Vorhänge sind in Grau gehalten und bilden einen neutralen Rahmen für die zentrale Metallinstallation.
Grenzenlos glücklich
Von einer Komplizenschaft des Architekten mit seinen Kunden zeugen ebenso wie die Apartmentumbauten die beiden Einfamilienhäuser Fahouse und Saint Adolfe d'howard. Die Gebäude, beide inmitten von Wäldern gelegen, rücken das Zusammenleben in den Fokus: Räume überschneiden sich, fließen ineinander und bilden ein spielerisches Szenario für die Bewohner. Die äußere Gestalt könnte von Kindeshand entworfen worden sein – einerseits entspricht sie dem Archetypus eines Hauses, andererseits wirkt sie wie die überdimensionale, abstrakte Interpretation eines Baums. Damit hat Jean Verville zwei weitere, beeindruckende Porträts seiner Bauherren geschaffen, in dem die Grenzen zwischen Architektur und Kunst sowie Planer und Auftraggeber eine neue Definition erfahren.
Jean Verville
www.jeanverville.comMehr Menschen
In Räumen denken
Vorschau auf die Boden- und Teppichmesse Domotex 2024

„Wenn man sich vertraut, kann man Kritik annehmen“
Muller Van Severen im Gespräch

Conceptual Substance
Zu Besuch bei fünf crossdisziplinär arbeitenden Studios in Berlin

„Ich betrete gerne Neuland“
Ein Gespräch über Akustik mit der Architektin Marie Aigner

„Mich interessiert, wie die Dinge im Raum wirken“
Peter Fehrentz im Interview

Sinn für Leichtigkeit
Das Designerduo Patrick Pagnon & Claude Pelhaître im Gespräch

Experimentierfreudiges Duo
Im Designlabor von Niruk

Perfekt im Griff
Jan Karcher von Karcher Design im Interview

Eine widerständige Frau
Studiobesuch bei der Designerin Karen Chekerdjian in Beirut

Der stille Star
Nachruf auf den Mailänder Gestalter Rodolfo Dordoni

Das Beste aus zwei Welten
Jungdesignerin Anna Herrmann im Porträt

Klasse statt Masse
Urlaubsarchitektur-Gründer Jan Hamer im Gespräch

„Der Prozess wird zum Echo“
Katrin Greiling über die Arbeit mit gebrauchtem Material

„Bugholz ist eine Diva“
Designer Marco Dessí über den Polsterstuhl 520 für Thonet

Material matters
Bodo Sperlein und seine Entwürfe für den gedeckten Tisch

Der Geschichtenerzähler
Ein Gespräch mit dem Pariser Innenarchitekten Hugo Toro

Wie es Euch gefällt
FSB-Co-Chef Jürgen Hess über den neuen Mut zur Farbe

„Ich liebe es, mit Licht zu arbeiten“
Designer Michael Anastassiades im Gespräch

Vom Pinselstrich zur Farbwelt
Kreativdirektorin Carolin Sangha über die Color Codes bei Schönbuch

Mehr Raum für Kreativität
Visualisierungsexpertin Andrea Nienaber über die Vorteile der 3D-Planung

Architekturen für den Wohnraum
more-Gründer Bernhard Müller im Jubiläumsinterview

Vier gewinnt
Ein Studiobesuch bei Fyra in Helsinki

Vielschichtige Gestalterin
Ein Gespräch mit der französischen Designerin Martine Bedin

Schatzsuche im Bestand
Die Gründerinnen des Architekturunternehmens Nidus im Gespräch

„Alles entspringt aus dem Ort“
Studio Wok aus Mailand im Interview

„Schwarz-Weiß ist zu einfach“
Christoph Brach von Raw Color im Gespräch

Ukrainische Perspektiven #3
Interview mit Interiordesigner Oleksandr Maruzhenko von Men Bureau

Humorvolle Erinnerung
Ein Gespräch mit dem jungen Designer Josua Roters

Es gibt keine Regeln
Interview mit dem Berliner Architekten Sam Chermayeff

Der Fliesenmacher
Wie Edgard Chaya in Beirut eine Zementfliesenfabrik aufbaute
