Wolf D. Prix - Coop Himmelb(l)au
Wolf Dieter Prix wurde 1942 in Wien geboren. Nachdem er an der Technischen Universität in Wien, der Architectural Association in London sowie dem Southern California Institute of Architecture in Los Angeles studiert hatte, gründete er 1968 zusammen mit Helmut Swiczinsky und Michael Holzer das Architekturbüro Coop Himmelb(l)au in Wien. Schon mit ihren ersten Arbeiten, darunter dem "Cloud"-Projekt oder dem „Haus mit dem fliegendem Dach“, welches von einem Ballon in die Lüfte gehoben wurde, haben sie der Schwerkraft in der Architektur zu trotzen versucht. Der Durchbruch auf internationaler Ebene gelang schließlich 1988 mit einem Dachausbau an der Falkestraße in Wien, der zu einem Meilenstein der dekonstruktivistischen Architektur wurde. Weitere Projekte folgten, darunter der UFA-Kinopalst in Dresden 1998, der Gasometerwohnkomplex in Wien 2001 oder die Akademie der Bildenden Künste in München 2005. Mit der BMW-Welt in München ist nun ihr bisher größtes und renommiertestes Bauprojekt eröffnet worden, dessen Dach in Form einer riesigen metallenen Wolke zugleich an die utopischen Ideen der Anfangszeit anknüpft. Zu den aktuell in Planung befindlichen Projekten gehören unter anderem der Neubau der Europäischen Zentralbank in Frankfurt, das Musée des Confluences in Lyon oder ein Kinokomplex in Busan. Wir trafen Wolf D. Prix während der Eröffnung der BMW Welt in München und sprachen mit ihm über schwebende Architektur, den Einfluss des Rock’n’Roll und die Nähe zur Spiritualität.
Herr Prof. Prix, mit der soeben eingeweihten BMW Welt stellen Sie die klassische Orientierung von Architektur auf den Kopf: Sie bewegt sich vom Himmel herab…
Ja, weil ich an und für sich glaube, dass Architektur die Auflösung der Schwerkraft zum Ziel hat. Deutlich zu lesen ist dies schon bei den gotischen Kirchen, wo man ebenfalls die Schwerkraft eliminieren wollte. Dasselbe im Barock, wo Kuppeln, die man tonnenschwer gebaut hat, am Ende dann weggemalt wurden. Viele unserer Ideen kommen aus diesen Überlegungen heraus.
Der Bezug zum Schweben findet sich ja auch im Namen Ihres Büros. Ist Ihnen die Wolke quasi schon von Anfang an eingeschrieben?
Himmelblau und Himmelbau – ja, die Wolke war 1968 unser erstes Projekt. Daher kommt auch der Name. Wir haben damals gesagt, „Himmelblau“ ist keine Farbe, sondern die Idee Architektur veränderbar wie Wolken zu bauen. Das ist eigentlich ein programmatischer Text gewesen. Der Team-Name, wir waren ja zu mehreren, kommt aus der Popkultur der Rockgruppen. Wir wollten damals genauso berühmt und reich werden wie die Beatles oder die Rolling Stones. Im Nachhinein gesehen ein entsetzlicher Irrtum (lacht).
Gibt es auch formell eine Beziehung zum Rock’n’Roll? Die Zeile „I was born in a crossfire hurricane…“ aus „Jumpin' Jack Flash“ ließe ja durchaus Assoziationen zum Doppelkegel der BMW-Welt zu?
Die Spannungsverläufe in der Musik, ich könnte auch Bach nehmen, sind ähnlich wie die Spannungsverläufe bei uns in der Architektur. Auch wir leiten die Kräfte nicht stur und regelmäßig ab, sondern benutzen die Kräfte, um Räume zu schaffen. Ähnlich könnte man dies in der Musik sehen. Der Spannungsaufbau in der Fuge ist ähnlich wie der Spannungsaufbau im Dach dieses Bauwerks oder das Solo von Keith Richards in „Gimme Shelter“. Das findet sich in vielen Konstruktionen bei uns wieder. Natürlich liegen Musik und Architektur vom emotionalen Wert weit auseinander. Ich wollte zwar gern, dass man direkte Emotionen damit wecken könnte, aber letztendlich passiert es meistens auf unbewussten Ebenen und nicht so unmittelbar wie bei einem Rockkonzert. Die Konstruktion des Doppelkegels ist also eher als eine dynamische Kraft zu lesen als ein Gitarrenriff.
Die Idee des Fliegens beinhaltet ja immer auch einen gewissen Grad an Utopie. Ist diese nicht vielleicht auch die Voraussetzung, innovative Lösungen zu finden? Muss man nicht erst träumen, um zum Schluss so etwas Pragmatisches zu schaffen wie ein funktionierendes Gebäude?
Wissen Sie, was ich meinen Studenten immer sage: „Ihr müsst mindestens auf 180 zielen damit ihr dann 80 herausbekommt. Wenn ihr nur auf 100 zielt, kommt -20 dabei heraus.“ Also die Vision und die Vorstellung des utopischen Andenkens sind ganz wichtige Punkte in unserer Arbeit, ebenso der wirklich grenzenlose Optimismus, den jeder Architekt haben muss, sonst würde ja nie ein Bauwerk fertig werden. Das ist sicher ganz wichtig.
Sie hatten ja anfangs auch häufig mit fliegenden Installationen experimentiert, die weit von einer konkreten Bauaufgabe entfernt schienen…
Ja, das kommt daher, dass ich als Architekt in den Sechziger Jahren groß geworden bin. Dies war eine große Umbruchzeit und in die Architektur sind plötzlich andere Einflüsse als zuvor eingeflossen, als man immer nur an Architektur gedacht hat. Für uns waren die Rockmusik, die Frankfurter Schule auf dem Gebiet der Philosophie, die antiautoritäre Erziehung, Formel-Eins-Rennwagen oder die Weltraumtechnik mindestens genau so wichtig wie Vitruv oder die Renaissancebaumeister. Dadurch waren wir in der Lage, eine neue formale Sprache zu entwickeln, weil wir andere Einflüsse zugelassen haben. Stütze und Balken waren nicht mehr das Thema, wenn man sich beispielsweise die Radaufhängung des Lotus-Formel-Eins-Rennwagens der damaligen Zeit anschaut. Von diesem Punkt weg kann man die Entwicklung unserer formalen Sprache gut verfolgen.
Kommen wir noch einmal auf die BMW Welt zurück. Um die Raffinesse der Dachkonstruktion zu veranschaulichen, haben Sie oft den Vergleich zur Akropolis im antiken Athen gezogen, die auf einem Zehntel der Größe dreimal so viele Stützen brauchte. Würden Sie sagen, dass es Ihnen tatsächlich gelungen ist, eine neue Akropolis zu bauen?
(lacht) Wie hat der eine griechische Architekt uns eben gerade gesagt: Akropolis plus forte oder so ähnlich. Die Akropolis als Beispiel macht nur verständlich, dass man nicht erschrecken braucht, wenn man einen zeitgemäßen öffentlichen Raum anders beschreibt als, sagen wir, einen Platz mit einem Kaffeehaus. Dazu dient es. Aber natürlich hat es auch tiefere Gründe, denn die Akropolis war ja nicht nur ein Heiligtum oder ein Tempel sondern vieles – wie auch die BMW Welt. Auch sie wurde bewusst als eine Ikone entworfen.
Der Vergleich mit einem Heiligtum scheint aber insofern nicht unpassend, als dass die Verehrung vieler Autofans gegenüber ihren Fahrzeugen tatsächlich religiösen Charakter annimmt…
Ja natürlich, die Emotion ist sicher sehr stark. Ursprünglich wollten wir ja die Fahrzeugübergabe im Dach unterbringen, von wo aus man in zwei großen Schleifen herunter fahren sollte. Doch dann haben mich die BMWler überzeugt, dass der Kunde, der das Objekt der Begierde sozusagen übernimmt, so nervös ist, dass er nur noch eine Kurve fahren kann. Und da bin ich darauf gekommen, dass das ja wirklich ein emotionaler Akt ist. Aber das muss es auch sein, denn sonst würden ja nicht so viele Autos gekauft werden.
Also ist es doch ein Tempel?
Ich würde das vielleicht nicht Tempel, Kirche, Dom und solche Sachen nennen. Es ist etwas Zeitrichtiges. Ein spiritueller Raum? Vielleicht. Erfinden Sie was! Vielleicht muss der richtige Begriff noch gefunden werden. Auf jeden Fall ist es aber ein Raum von gebauter Geschwindigkeit – von Eleganz und Dynamik ebenso. Ich persönlich bin dabei meinem Traum, Architektur zu bauen wie der Wind einen Körper macht, sicher ein gutes Stück näher gekommen.
Wolken haben ja die Angewohnheit, sich mit dem Wind zu bewegen, sich mit ihm zu verändern. Würden Sie sagen, dass er irgendwann einmal auch die Architektur erfassen wird?
Sie meinen, wenn die Wolke heute diesen Raum macht und morgen jenen? Tolle Idee! (lacht) Das ist sicher das Ziel. Wenn ich aber bedenke (hebt mahnend den Ziegefinger), dass es vierzig Jahre gebraucht hat, bis man Auftraggeber davon überzeugen kann, dass man eine Wolke nicht nur denken kann, sondern auch bauen – und der Auftraggeber das dann auch finanziert – dann kann man sich ungefähr ausrechnen, wie lange es noch dauern wird, bis sich die Wolke einmal bewegen wird. Die technischen Möglichkeiten dazu gäbe es.
Vielen Dank für das Gespräch.
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